Nahostkonflikt
Systematische Verweigerung

Wie Israel von der Destabilisierungspolitik des Westens profitiert

Nahostkonflikt

Foto: moty66 / flickr.com / CC BY 2.0

Von Sebastian Müller

Angesichts der neuen Nahost- Friedensgespräche sollte darauf hingewiesen werden, warum diese zum Scheitern verurteilt sind und nicht zu einem fairen Ausgleich bzw. Erfolg führen können. Es scheint in der Analyse des Nahost-Problems ignoriert zu werden, dass die Politik Israels vor allem auf eines abzielt – Zeit zu gewinnen. Alle Zugeständnisse an Europa und die Vereinigten Staaten sind taktische Manöver, die die wahre Strategie Israels verschleiern soll: Okkupation von Land und die Vertreibung der Palästinenser durch die Forcierung des illegalen Siedlungsbaus.

Das Ziel Israels, seine Staatsräson, ist unverkennbar seine territoriale Integrität auf Kosten eines funktionierenden, souveränen Palästinenserstaates. So hält die gegenwärtige, von einer Mehrheit der jüdischen Israelis gewählte Regierung Netanjahu/ Liebermann unbeirrt und unausgesprochen an der Absicht fest, das ganze Westjordanland zu annektieren [1]. Der Siedlungsbau wird manches Mal durch internationalen Druck ausgesetzt, um ihn bei günstigen Gelegenheiten wieder aufzunehmen. Doch nichts von alledem ist ein politischer Affekt oder willkürlich, sondern folgt einer langfristig angelegten, expansionistischen Strategie. Eine Politik der kleinen Schritte, Okkupation durch Besiedelung. Es ist ein Katz und Maus Spiel mit der Völkergemeinschaft. Und die Zeit spielt für Israel.

Diese Ziele sind durch eine Friedenspolitik, die sich u.a. auf das Osloer Abkommen, das Völkerrecht und die zahllosen UN-Resolutionen stützt, nicht zu erreichen. Im Gegenteil, der Konflikt muss immer auf das Neue provoziert werden. Denn nur ein dauerhafter Konflikt und eine latente Bedrohung durch den palästinensischen und libanesischen „Terrorismus“ – als auch durch feindselige Nachbarstaaten – können als Legitimationsgrundlage für militärische Interventionen im Sinne „geostrategischer“ Landnahme, Mauer- und Siedlungsbau und Apartheidspolitik dienen.

Die Reaktion Europas und der Vereinigten Staaten ist aus moralischer und völkerrechtlicher Perspektive ein Skandal. Sie betreiben, gelinde gesagt, eine “Appeasement-Politik”. Zu sehr fürchtet man die gemeinsamen Feinde (v.a. Iran), um Israel mit angemessenen Druck zu ernsthaften Konzessionen zu zwingen – dabei wäre dies theoretisch ein leichtes – zum Beispiel mit einem Auslieferungsstopp militärischer Ausrüstung auch durch Deutschland. Denn nur mit massiven Druck bis zu der Androhung von Sanktionen – was fataler Weise lediglich die Politik gegenüber dem Iran ist – wäre Israel zum Umlenken zu bewegen. Aber der nuklear bewaffnete jüdische Staat ist für den Westen die strategische Speerspitze, um das Mullah-Regime zu bedrohen. [2]

So wird vom Westen vor allem der Iran als potenzielle Bedrohung in Nahost wahrgenommen, obwohl sich der Staat seit Jahrhunderten nicht mehr aggressiv verhalten hat. Israel hingegen ist mit Unterstützung der USA in den letzten 30 Jahren fünf Mal in den Libanon einmarschiert.

Mit der einseitigen Politik des Westens – der diplomatischen Drohgebärden und der militärischen, geostrategischen Bedrohung des Iran, die ein iranisches Atomprogramm geradezu provoziert anstatt es zu verhindern, als auch der gleichzeitigen, quasi bedingungslosen Unterstützung Israels – wird die Region destabilisiert. Der Profiteur dieser Destabilisierungspolitik ist vor allem Israel, das somit die  gesuchte Begründung für seine “Sicherheitsmaßnahmen” hat.

Ein langfristiger, historischer Blick auf die Geopolitik des Landes unterstreicht um so mehr die Absicht einer Konsolidierung eines Erez- oder Großisraels, dem durch die tragende Rolle des Militärs in der israelischen Gesellschaft und Politik Vorschub geleistet wird. Jüngere israelische Historiker haben sich bereits mit der gezielten Vertreibung der Palästinenser vor und seit 1948 auseinandergesetzt (siehe auch israelischer Historikerstreit). Spätestens seit dem Palästinakrieg, als dessen Folge 726.000 palästinensische Araber aus ihrer Heimat vertrieben wurden (zum Teil durch gezielte Anschläge), kann man von einer gezielten Expansionspolitik Israels sprechen.

Nach dem Überraschungsangriff auf Ägypten im Zuge des Sechstagekrieges besetzte Israel die Gohlanhöhen, das Westjordanland, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel und verweigert sich, mit Ausnahme der Rückgabe der Sinai-Halbinsel, der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates. Diese erklärt den Erwerb von Territorien durch Krieg für unzulässig, was bereits seit Ende des Zweiten Weltkrieges Bestandteil des internationalen Rechts ist, und forderte Israel zum Abzug aus besetzten Gebieten auf.

Die Resolution 242 fordert weiterhin die politische Unabhängigkeit von  jedem Staat in der Region und das Recht, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Bedrohungen oder Gewaltakten zu leben. Israel begann damit, diese 67er-Gebiete und somit das heutige Palästina systematisch zu besiedeln. Diese Politik wird bis heute konsequent fortgesetzt. Erneut sollen rund 250.000 Personen aus ihren früheren Wohngebieten vertrieben werden. Nicht umsonst erhalten Palästinenser von den israelischen Behörden so gut wie keine Baugenehmigungen. Die in Folge “illegal” errichteten Häuser werden vom israelischen Militär zerstört, um mitunter Platz für die Expansion der jüdischen Siedler zu schaffen.

Ein eigenständiger Wirtschaftskreislauf in den palästinensischen Gebieten wird durch die überall gegenwärtigen Checkpoints und Strassensperren, der Beschlagnahmung von Wasserreserven und gezielter Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur unterminiert [3]. Damit wird das ursprüngliche Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung innerhalb der Grenzen von 1967 immer unwahrscheinlicher. Und genau das ist auch beabsichtigt.

Womöglich hat sich Israel unter Yitzhak Rabin zum letzten Mal ernsthaft für einen nachhaltigen Friedensprozess interessiert. Doch die Ermordung Rabins durch einen israelischen Hardliner beendete die Hoffnung auf Frieden tragisch. Rabin musste mit seinem Leben bezahlen, weil er den expansionistischen Zielen der Hardliner im Wege stand.

Im Einklang mit dem Völkerrecht, wie es Ben Gurion am 14. Mai 1948 im Zuge der Unabhängigkeitserklärung betonte, steht Israel schon lange nicht mehr.

Artikelbild: moty66 / flickr.com / CC BY 2.0

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[1] Micha Brumlik in der taz

[2] Noam Chomsky in znet: Letzten Oktober, als man sich empörte über den Iran, weil er sich seinen Verpflichtungen entziehe, verabschiedete die internationale Atomenergiebehörde eine Resolution, die Israel aufforderte, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und seine Atomwaffensysteme internationaler Beobachtung zugänglich zu machen. Europa trat dem entgegen und versuchte das zu blockieren. Die USA versuchten es natürlich auch zu verhindern. Die Resolution wurde verabschiedet auch gegen die europäischen Beschwerden und Einsprüchen. Obama informierte sofort Israel, dass man dem keine Aufmerksamkeit schenken müsse.

[3] Im Gegenzug prüstet sich Israel für seine Hilfslieferungen. Dabei dienen diese vor allem dazu, Palästina in ökonomischer Abhängigkeit zu halten.

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Ein Kommentar zu "Nahostkonflikt
Systematische Verweigerung"

  1. Palästina sagt:

    danke für diese hervorragende Analyse der aktuellen Situation in NahOst! Kann jeden einzelnen Satz nur unterschreiben! Sehr treffend!

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