Das andere Russland
Limonow – Teil 2: Die Nazbols

Die Nationalbolschewistische Partei spielt mit rot-braunen Symbolen. Sind die Nazbols Faschisten? Adoleszente Rebellen? Eine andere Geschichte Russlands.

Nazbols

CC BY-SA 2.5 / https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=723572

Die Nationalbolschewistische Partei ist die Kreation zweier Männer, die sich 1992 in Russland kennen lernen. Die Partei, die sie gründen, hat zu Beginn außer ihnen nur ein weiteres Mitglied, sowie eine Zeitung, die Limonka heißt – ein Spitzname für Handgranaten. Der eine, Limonow, ist gerade erst aus dem Exil in Frankreich zurückgekehrt. Der andere, Alexander Dugin, ist ein Intellektueller und Philosoph, der mit 35 schon einige Bücher geschrieben hat, vor allem über Geopolitik und seine Theorie eines zukünftigen Eurasischen Reiches.

Alexander Dugin ist eine Art Faschist, man kommt nicht darum herum, das zu sagen. Er selbst sagt es schließlich gerne und oft, wobei man bitte mitbedenken solle, dass die rassistischen und chauvinistischen Exzesse des Nationalsozialismus eine allein deutsche Angelegenheit gewesen seien; die Waffen-SS hingegen, sei eine “intellektuelle Oase” im 3. Reich gewesen. Er träumt von einem “Faschismus – grenzenlos und rot” und prophezeit das Kommen eines “authentischen, realen, radikalen, revolutionären und konsequenten, eines faschistischen Faschismus” in Russland.

Dabei sieht er sich, anders als gewöhnliche Rechtsextreme, auch in der Tradition des Bolschewismus: es sei “völlig unberechtigt, den Faschismus eine ‘extrem rechte’ Ideologie zu nennen. Dieses Phänomen wird viel besser charakterisiert durch die paradoxe Formel ‘Konservative Revolution’.” Er phantasiert von der “Metaphysik des Nationalbolschewismus”, “jenseits von ‘Rechten’ und ‘Linken’: die einheitliche und unteilbare Revolution in der Triade ‘Drittes Rom – Drittes Reich – Dritte Internationale’.

Dugin versteht sich als den eigentlichen Theoretiker des Nationalbolschewismus, und über Jahre hinweg werden in der Limonka – neben den extremistischen Punk-Tiraden Limonows – auch seine trockenen Abhandlungen veröffentlicht. Sie stoßen auf wenig Zuspruch unter den Nazbols und er entfremdet sich zusehends von dem Mainstream der Partei, bis er schließlich Ende der 90er, als sich Limonow mit der liberalen Opposition zu ‘Other Russia’ zusammentut, mit den übrigen rechten Elementen die Partei verlässt. Doch kann uns das genügen, um einfach zu ignorieren, dass sich Limonow und die Nazbols auf einen so offensichtlich Rechtsextremen eingelassen haben?

“Es ist komplizierter, als man meint.”

Ich möchte Limonow keine “eigentlich” liberale Haltung zuschreiben, die er nie gehabt hat und es ist nicht zu bestreiten, dass seine Vorstellungen damals, genauso wie die vieler Nazbols, von einem extremen russischen Nationalismus geprägt waren. Trotzdem ist es wert, sich genau anzuschauen, was es an Alexander Dugins Denken und Persönlichkeit gewesen ist, das so eine große Faszination auf Limonow ausübte. Sogar der grundvernünftige, politisch gemäßigte Emanuelle Carrère, der mal kurz davor stand, seine Biographie Limonows aufzugeben, weil es ihm nicht mehr gelang, wegen der zahlreichen bedenklichen politischen Äußerungen Limonows Sympathie für sein Sujet zu empfinden, muss gestehen, dass die Sache nicht so einfach ist, wie es im ersten Moment scheint:

“An diesem Punkt bin ich mir nicht mehr sicher, ob mein Leser wirklich Lust hat, die Anfänge eines Käseblatts und einer neofaschistischen Partei als mitreißendes Epos erzählt zu bekommen. Und ich selbst bin mir dessen auch nicht sicher. Und doch ist es komplizierter, als man meint. Es tut mir leid. Ich mag diesen Satz nicht. Und ich mag nicht, wie sich die feinsinnigen Geister seiner bedienen. Unglücklicherweise ist er oft wahr. Im vorliegenden Fall ist er es. Es ist komplizierter, als man meint.” (324)

Limonow hat eigentlich nicht viel für Intellektuelle übrig, aber es sind auch nicht seine Bücher, die ihn davon überzeugen, in Dugin einen Verbündeten gefunden zu haben. Sie treffen sich zufällig, ohne zu wissen, wer der andere ist. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Beide halten sie den Zusammenbruch der Sowjetunion für eine Katastrophe und die neuen Herrscher für Verräter der russischen Nation.

Viel wichtiger aber mag es gewesen sein, dass Dugins ästhetische Vorstellung von Politik genau Limonows Geschmack traf. Er schlägt ihn mit eleganten Erzählungen von seinen politischen Heiligen in den Bann, zum Beispiel dem Baron Ungern von Sternberg, einem lettischen Aristrokraten, der im russischen Bürgerkrieg gegen die Bolschewisten kämpfte.  Es verschlug ihn mit seinen Truppen in die mongolische Einöde, wo er aus ihnen eine buddhistische Sekte machte, die überall wegen ihrer entmenschlichten Grausamkeit gefürchtet war, sich selbst aber für Erleuchtete hielten, die der Telepathie fähig waren.

Verehrung der Radikalität in jeder Form

Und man muss es Dugin vielleicht zugestehen: aus so merkwürdigen Formeln wie “die einheitliche und unteilbare Revolution in der Triade ‘Drittes Rom – Drittes Reich – Dritte Internationale’” spricht mehr dandyhafte Intellektualität als todernster Rechtsradikalismus. Er ist jemand der Faschismus und Kommunismus gleichermaßen schätzt, aber vor allem Radikalität in jeder Form verehrt. Emanuelle Carrerre beschreibt die außergewöhnliche Weltanschauung, in der sich die beiden treffen, folgendermaßen:

“Zu [Dugins] Pantheon hat eine bunte Mischung an Persönlichkeiten Zutritt: Lenin, Mussolini, Hitler, Leni Riefenstahl, Majakowski, Julius Evola, Jung, Mishima, Groddeck, Jünger, Meister Eckart, Andreas Baader, Wagner, Laotse, Che Guevara, Sri Aurobindo, Rosa Luxemburg, Georges Dumézil und Guy Debord. Um zu sehen, wie weit man gehen kann, schlägt Eduard [Limonow] vor, auch noch Charles Manson aufzunehmen: Kein Problem, man rückt ein bischen zusammen und macht ihm Platz. Deine Freunde sind auch meine Freunde. Rot, weiß, braun, ganz egal: Das Einzige, was zählt, da hatte Nietzsche ganz recht, ist der Lebenswille.”

Dieser eklektische Ästhetizismus lässt einen schon fast aufatmen, zieht er den rechtsradikalen Elementen in Dugins Denken doch gewissermaßen die Zähne. Aber so einfach ist es auch wieder nicht. Dugin fühlt sich in der extremen Rechten Europas zuhause und es ist ihm toternst, wenn er von der neuen geopolitischen Ordnung und dem kommenden Eurasischen Großreich unter Rußlands Führung spricht.

1997 wird er in “Grundlagen der Geopolitik” seine Vision genau formulieren. Diesem Buch zufolge, dass in russischen Militär- und Regierungskreisen viel beachtet wurde und auf dem Lehrplan russischer Militärakademien steht, müsse Russland der Schauplatz einer kommenden “anti-bourgeoisen, anti-amerikanischen” Revolution werden, die das Land von dem “Imperialismus der liberalen Werte” befreien und es zur dominierenden, imperialen Großmacht in Europa machen wird. Später, als er schon lange die Partei verlassen hat, wird Dugin einen geopolitischen Think Tank leiten, der von der Putin-Regierung unterstützt wird, die Limonow so kompromisslos bekämpft.

Zu Beginn aber waren sie sich vor allem einig, und es passt eher zu Limonow als dem ernsten Dugin, die Pateizentrale “Der Bunker” zu nennen und seine, Limonows, Frau unter dem Pseudonym “Margot Führer” in der Limonka veröffentlichen zu lassen. Doch als schließlich die erste Parteiversammlung der Nazbols stattfindet, blickt nicht das gewaltige Antlitz von Stalin oder Mussolini von der Bühne herab, sondern das von Phantomas.

Das trotzige Posieren eines enfant terrible

Limonow war in den Breschnewjahren ein in der Dissidentenszene berühmter Dichter gewesen. Aufgewachsen in einem ärmlichen Vorort des ukrainischen Charkows, war er in seiner Jugend ein kleinkrimineller Hooligan und machte sich irgendwann zum Star der Moskauer Literaturszene. In den 70ern wanderte er aus. Das war damals möglich und wurde vielen Dissidenten sogar “nahegelegt”. Es war ein bequemer Weg, Unzufriedene loszuwerden. Viele Künstler und Intellektuelle gingen ins Exil, in der Hoffnung im Westen endlich frei arbeiten zu können und Anerkennung für ihr Talent zu bekommen. Bis auf wenige Ausnahmen (Solschenizyn etwa) mussten sie aber feststellen, dass niemand im Westen mit Spannung auf den nächsten russischen Dramatiker wartete.

Limonow landete in New York in dieser kleinen Welt russischer Emigranten, die zum größten Teil hoffnungs- und perspektivlos in billigen Hotels vor sich hin vegetierten und sich mit irgendwelchen Jobs durchschlugen. Auch Limonow lebte zuerst dieses Leben, aber konnte sich aber nicht damit abfinden. Schon bald folgte er einem anderen Skript, wurde schwul, entdeckte Punk und begann sich auf eine Weise von Job zu Job zu hangeln, die eher an eine typische, Hemingwayeske Autorenbiographie denken lässt, als das Elend seiner Landsmänner (unter anderem war er persönlicher Butler eines Milliardiärs).

Und vor allem schrieb er. Keine Gedichte mehr, sondern autobiographische Romane, die so brutal ehrlich, extrem und witzig waren, dass sie ihn irgendwann berühmt machen mussten. Damit dauerte es allerdings eine Weile. Jahrelang wurde er in den USA nicht beachtet, bis er schließlich durch Zufall von einem französischem Verleger entdeckt wurde. Die 80er verbrachte er dann in Paris, wo er als prominenter, vielübersetzter Kultautor jedes Jahr ein Buch schrieb.

Soldaten mit Plastikknöpfen

Wie die meisten, rechnete er nicht damit, dass die Sowjetunion zu seinen Lebzeiten aufhören würde zu existieren und er zurück kehren könnte. Und er war nicht nur geschockt, als es dann tatsächlich passierte, er war wütend und traurig. Auch waren es nicht die barbarischen Zustände der direkten Nachwendezeit, die Limonow in die Opposition zu den Reformen treten lies. Vielmehr war er von Anfang an, noch im französischen Exil, der Meinung, der sympathische Modernisierer Gorbatschow erniedrige die glorreiche Vergangenheit der Sowjetunion mit seinen kriecherischen Entschuldigungen und dem kampflosen Aufgeben der osteuropäischen Terretorien.

Das war nur zum Teil das trotzige Posieren eines enfant terrible, dem die gebildeten Schichten Frankreichs immer mit wohligem Schauern gelauscht hatten, wenn er meinte, Stalin sei ein großer Mann gewesen. Ihm war es ernst. Der Grund scheint eine Art kindlicher Sowjetpatriotismus zu sein, den er sich trotz seiner Opposition gegen das Regime und seines Dissidententums aus der Zeit bewahrt hatte, als er als Kind hingabevoll jeden Tag die Militärstiefel seines Vaters geputzt hatte.

Limonow hatte die Realität der Sowjetunion verabscheut und ihre Macht verachtet. Doch trotz allem war ihm die abstrakte Sowjetunion wichtig, nicht nur als die ehrbare Vergangenheit seiner Famillie und der einfachen Menschen Charkows, sondern als etwas, worauf man als Russe stolz sein konnte, weil es den Westen und die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzte. Er war entsetzt als er in einem Army-Shop eine Uniform der Roten Armee fand und feststellte, dass die Messingknöpfe seiner Kindheit durch Plastik ersetzt worden waren. Was ist das für ein Imperium, dass seine Soldaten mit Plastikknöpfen in die Schlacht schickt!

Alles auf den Kopf gestellt

Als er endlich nach Rußland zurückkehrte, wurde er empfangen wie ein Star – so wie jeder aus dem Westen zu dieser Zeit. Doch es erfüllte ihn nur mit Abscheu, von den modernen, reichen Gewinnern des neuen Rußlands umworben zu werden. Er war abgestoßen von ihrem Zynismus, ihrer offenen Verachtung für alles Russische und der kriecherischen Verehrung der Amerikaner. Er – der Hooligan und Dissident – war sogar empört darüber, dass diese neuen Herren Russlands keinen Respekt vor der Staatsmacht hatten.

Es war eine krisenhafte Zeit in seinem Leben: seine zweite Ehe mit einer Alkoholikerin und Nymphomanin (das Wort trifft es tatsächlich) fiel auseinander und in Frankreich wollte nach seinem serbischen Abenteuer niemand mehr etwas von ihm wissen. Als es 1993 zum Augustputsch kam und die Opposition im Weißen Haus, dem russischen Parlamentsgebäude, von der Armee beschossen wurde, war Limonow dabei.

Der Augustputsch war eine widersprüchliche Angelegenheit. Jelzin hatte das Parlament aufgelöst, da sich in seiner eigenen Regierung, vor allem in Person des Vizepräsidenten Alexander Ruzkoi, Wiederstand gegen die ökonomischen Reformen regte. Es war in der Tat eine Art Staatsstreich, der zum Ziel hatte, die demokratische Opposition zu brechen. Limonow sah das genauso und forderte mit diesem Argument den zögerlichen Ruzkoi auf, Waffen zu verteilen und zu kämpfen.

Die Oppositionellen, die sich im Weißen Haus verschanzten, waren aber vor allem die radikalen Gegner des neuen Russlands, orthodoxe Konservative und Kommunisten. Alles war auf den Kopf gestellt: die Faschisten und Kommunisten verteidigten die Demokratie gegen ein liberales, demokratische Regime, dass die Verfassung mit Füßen trat. Andrei Sinjawski, ein lupenreiner demokratischer Dissident der alten Schule, der für seine Überzeugungen ins Arbeitslager und dann ins Exil gegangen war, meinte dazu, den Tränen nahe: “Das Furchtbare jetzt ist, dass die Wahrheit mir aufseiten derer zu stehen scheint, die ich immer als meine Feinde betrachtet habe.”

Limonow beging damals einen Fehler, den er sich wahrscheinlich sein Leben lang nicht vergeben hat und verließ das Parlamentsgebäude kurz bevor es völlig abgeriegelt wurde. Die nächsten Tage schlich er wütend und frustriert um die Armeeposten herum, in der Hoffnung doch noch irgendwie reinzukommen. Doch er hatte die einmalige Gelgenheit verpasst, an einem heroisch-aussichtslosen letztem Gefecht gegen die neue Macht teilzunehmen und den Heldentod zu sterben. Als die Kämpfe schließlich ausbrachen, konnte er sich zwar noch einem verzweifelten Versuch anschließen, eine Radiostation zu erobern, aber alles was er dabei bekam war eine eindrucksvolle Kugel in die Schulter.

Vielleicht um diese verpasste Chance zu sühnen, vielleicht weil er schlicht der Meinung war, wie er einmal behauptet hatte, dass jeder Schriftsteller, um nicht in kleinbürgerlicher Mittelmäßigkeit zu versinken, sich irgendwann einer Sache widmen müsste, die größer ist als er selbst, sei es eine Revolution oder eine Religion, beschloss Limonow eine revolutionäre Partei zu gründen.

Die Limonka und ihr Bunker

Ab Herbst 1994 begannen Exemplare einer rätselhaften Zeitung in verschiedenen Provinzstädten Russlands aufzutauchen. Sie trug den Namen einer Handgranate und sie war anders als Alles, was die gelangweilte Jugend des russischen Hinterlandes je gesehen hatte: Die Limonka.

Ich kann nur spekulieren, was genau da zu lesen war, aber das folgende Zitat Limonows dürfte einen ungefähren Einblick gewähren:

“Du bist jung. Es gefällt dir nicht, in diesem Scheißland zu leben. Du hast weder Lust, ein x-beliebiger Popow zu werden, noch so ein Arschloch, das nur ans Geld denkt, noch ein Tschekist. Du hast den Geist der Revolte in dir. Deine Helden sind Jim Morrison, Lenin, Mishima und Baader. Na also: Du bist schon ein Nazbol.” (327)

Es war eine Mischung aus radikaler Politik, Punk und dem Stil westlicher Undergroundblätter. Es war witzig, kompromisslos und cool. Es war genau das, worauf eine bestimmte Sorte Menschen gewartet hatte: die entfremdeten Problemkinder der russischen Einöde.

Sachar Prilepin war einer von ihnen. Inzwischen ist er respektabler Journalist bei einer liberalen Zeitung und international angesehener Autor einiger Romane. Doch er möchte sich auch heute nicht von dieser Zeit distanzieren, als er wie Hunderte Andere dem Ruf der Limonka gefolgt ist. Überall im Land bildeten sich Zellen und wie viele andere pilgerte auch Prilepin (in Regionalzügen, um den zunehmend repressiven Kontrollen zu entgehen) nach Moskau, zum Bunker.

Diese Zentrale der Bewegung war ein fensterloser Keller, in dem Limonow lebte und Dugin sein Büro hatte, geschützt durch eine schwere Staaltür, die zigmal von der Polizei aufgebrochen und wieder zugeschweißt worden war. Er war meistens voll mit jungen Nazbols, die zu Dutzenden auf dem Boden schliefen. Gleichzeitig empfing dort Limonow, der Star des russischen Undergrounds, prominente Künstler und Intellektuelle, die zum Bunker pilgerten, als wäre es Andy Warhols Factory, während Alexander Dugin unter seinen faschistischen Studenten Hof hielt. In Sankya, seinem Roman über die Nazbols, beschreibt Prilepin den Bunker so:

“Im Bunker ging es immer laut und fröhlich zu. Er glich einem Internat für schwer erziehbare Kinder, dem Atelier eines verrückten Künstlers und dem Kriegshauptquartier von Barbaren, die entschlossen waren, egal wohin in den Krieg zu ziehen.” (140)

Das lässt an harmlose Punkhäuser denken, wie es sie im Westen gibt, wo radikale Politik und subkulturelle Abgrenzung eher wärmendes Bindeglied für einen zwanglosen Geselligkeitsverein abgeben. Tatsächlich waren die Nazbols zu Beginn mehr Punk-Bewegung als politische Partei. Die berüchtigte Nazbol-Fahne wurde das erste mal bei einem Konzert des (in Limonows Worten) “größten russischen Punk Idols aller Zeiten”, Edgar Letov, enthüllt, und der die Parteimitgliedskarte Nummer 4 erhielt. In einem Artikel in der englischsprachigen Moskauer Zeitung The Exile, in der er über Jahre eine wöchentliche Kollumne in gebrochenem Englisch schrieb, machte Limonow klar, wie sehr die Nationalbolschewisten von Punk beeinflusst waren:

“Loud denial of so-called values of civilization, grotesque, trash, screamings, some borrowings of Rightist aesthetics, were common for New York City punk movement of 1970s as well as for first National-Bolsheviks in 1990s. […] Newspaper of National-Bolsheviks Party “Limonka” was in 1990s the most radical and most punkish of whole world. With its slogans like “Eat the Rich!” or “Good bourgeois is a dead bourgeois!” or “Capitalism is shit!” we were in punk tradition, what else?… “

Posen des radikalen Widerstandes

Doch bei aller Punk-Attitüde ging die counterculture-Geste der Nazbols nahtlos über in eine ernsthafte, fast existenzielle Opposition gegen die herrschende Ordnung. Sie ließen sich auf Demonstrationen zusammenschlagen, sie gingen für Jahre ins Gefängnis, sie wurden auf offener Straße angegriffen, von bezahlten Schlägern ermordet…

Die Aktionen der Nazbols waren immer gewaltlos. Oft sind sie uns aus dem Reportoire westlicher Protestler bekannt: Eier und Torten, die auf Spitzenpolitiker geworfen werden, gewaltlose Besetzungen von Regierungsgebäuden, Graffittis. Es gibt dabei aber einen sehr entscheidenden Unterschied: es war und ist gefährlich, so etwas in Russland zu tun. In Europa haben solche Aktionen schlicht einen anderen Stellenwert; sie werden entweder kaum wahrgenommen, oder von ihren Zielen selbst als willkommener Beitrag zum politischen Diskurs begrüßt. Sie bleiben folgenlos – sowohl für die Aktivisten, als was ihre politische Wirkung angeht. Um sich so etwas zu trauen, braucht man vor allem Mut zur Selbstdarstellung.

Es ist deshalb trügerisch, die Nazbols mit ihren westlichen Verwandten gleichzusetzen, nur weil sich ihre Posen des radikalen Widerstandes ähneln. Vielmehr wird diesen Posen im Russischen Kontext ihre Würde zurückgegeben, müssen sie doch mit dem ihnen angemessenen Preis bezahlt werden. In Prilepins Worten: “Er hatte schnell verstanden, dass fast alle [Nazbols] nette Jungs waren. In erste Linie deshalb, weil sie sich ganz einfach Schlägen, vielen Schlägen aussetzten, und letztendlich – sich selbst opferten, ihre gebrochenen Rippen, zertrümmerten Nieren, ihre eingeschlagenen Köpfe.” (141)

Wenn die Nazbols nur eine narzistische Jugendbewegung wären, die lediglich ihre eigene adoleszente Rebellion feiern wollte, so hätten sie dafür einen exorbitanten Preis bezahlen müssen. Schon allein deshalb ist es angebracht, sie beim Wort zu nehmen und die Möglichkeit zuzulassen, dass sie zu einer im Westen ausgestorbenen Spezies gehören: der Punks und radikalen Opositionellen, die meinen was sie sagen.

Ebenso falsch aber wäre es, die Nazbols auf eine normale Oppositionspartei zu reduzieren, die sich lediglich einer exzentrischen Symbolik bedient, um ihre jungen Mitglieder bei der Stange zu halten. Ihre politische Opposition ist nicht zu trennen von einer Auflehnung gegen die Gesellschaft, einer Revolte die sich nicht nur gegen die Herrschenden richtet, sondern gegen die Form, die das Leben in Russland angenommen hat, seine Werte und Ideale.

Die Einzigen, die an irgendetwas glauben

In Prilepins Buch Sankya wird deutlich, dass die den Nazbolz zugrunde liegende Weltsicht besser in einem Roman als in einem Parteiprogramm dargestellt werden kann. Sascha, der Titelgebende Held seines Romans, ist ein typischer Nazbol; er ist arbeitslos und lebt in einer Stadt in der Provinz bei seiner Mutter, einer Krankenschwester, die Nachtschichten arbeitet. Und er verabscheut das Land in dem er lebt:

“In diesem Land schreien alle nach Revolution’, sagte Sascha […]. ‘Sie haben doch einen guten Geschmack, Aleksej, wie können Sie sich mit dem ganzen Albtraum rundherum abfinden? Jeder denkende Mensch – egal ob er in der Fabrik arbeitet oder auf dem Land, im weißen Mantel oder in Militäruniform – kapiert das doch. Schließen Sie die Augen, sprechen sie zehn Mal das ‘Vater unser’, schalten Sie dann das Fernsehen ein, und Sie werden verstehen, dass dort nur Dämonen sind.'” (251)

Und wer kein Dämon ist, ist ein resigniertes, trauriges Opfer, wie seine Großeltern, die in einem kleinen Dorf leben, wo es nur noch die Alten aushalten und die einzigen Neuigkeiten Selbstmorde oder Alkoholtote sind. Auf alten Fotos sind sie noch zu sehen wie sie früher einmal waren, in ihren Uniformen als Helden des “Großen Vaterländischen Krieges”, als ausgezeichnete Arbeiter ihrer Kolchose, im Kreise ihrer Famillien. Heute sind sie vergessen und unnütz und warten auf den Tod.

Im neuen Russland sind sie Nichts; die, die jetzt den Ton angeben, spucken auf ihr Leben und ihre Vergangenheit. Die “Neuen Russen”, smarte Geschäftsmänner und brutale Politiker, die an nichts glauben. Niemand glaubt an irgendetwas und die, die es tun, sind lächerlich. Demokratie ist ein Witz, die sojwetische Vergangenheit ist ein Witz, Russland ist ein Witz – ein rückständiges, trauriges Hinterland, dass sich protzige westliche Statussymbole zulegt und seine Vergangenheit verleugnet. Das Recht des Stärkeren ist das einzige Reale.

In diesem Kontext wurde Sascha ein Nazbol und die anderen Nazbols die er kennen lernt, sind die einzigen Menschen, mit denen er etwas anfangen kann. Es sind für ihn die Einzigen, die sich nicht damit abfinden können, ein kleines, trauriges, bedeutungsloses Leben zu führen. Die Einzigen, die an irgendetwas glauben. Oft beschreibt er sie einfach als “anständig”. Wonach es ihnen verlangt, ist keine vernünftige politische Bewegung, die aus Russland einen modernen, gerechten Staat machen will, sondern eine Gemeinschaft und eine Ideologie, die sie vor dem leeren Abgrund retten kann, als der ihnen das Leben erscheint.

Ein Bekannter Saschas, ein gebilderter Hochschulmensch und vernünftiger Liberaler, stellt ihn einmal zur Rede. Er versteht die Nazbols nicht, er will wissen, woran sie eigentlich glauben und was sie sich dabei denken, mit “Rot-Braunen” Symbolen herumzufuchteln. Sascha entgegnet:

“Weder der Boden, noch die Ehre, noch der Sieg oder die Gerechtigkeit – nichts von alledem braucht eine Ideologie, Ljowa! Die Liebe braucht keine Ideologie. Alles was es auf der Welt an Wichtigem gibt – all das braucht keinerlei Beweise und Begründung. Das Einzige, was jetzt dringlich ist – ist eine Neuaufeilung des Landes, eine Neuverteilung der Welt – zu unseren Gunsten, denn wir sind besser. Um eine Welt zu erschaffen, braucht man Macht – das ist alles. Die, mit denen es angenehm ist, die Macht zu übernehmen, zu teilen und zu vermehren – das sind meine Brüder. Ich habe das Glück, Menschen zu kennen, mit denen zu sterben keine Schande ist. Ich hätte ein ganzes Leben leben können, ohne sie je zu treffen. Ich habe sie aber getroffen. Und damit hat alles ein Ende.” (185)

Das klingt gefährlich für westliche Ohren, protofaschistisch oder im besten Fall lächerlich, wie eine Pose oder Jungemännerschwärmerei. Doch es ist ernst gemeint. Für Sascha (und für Prilepin darf man vermuten) bedeutet ein Nazbol zu sein, seinem Leben eine Bedeutung zu geben. Und das ist nur möglich, indem man sich Werten verschreibt und sich ihnen opfert.

Warum nicht?

Für uns ist schon das Wort allein – “Werte” – ein Chiffre für den gewöhnlichsten Konformismus, doch im nihilistischen Chaos der russischen 90er Jahre muss ehrlicher Glaube an irgendwelche Werte zur radikalen Feindschaft gegen alles bestehende führen. Und obwohl mich jedes Gerede über “Heimat” befremdet, kann ich nicht darüber die Nase rümpfen, wenn Sascha davon spricht, sein Russland zu lieben. Ich denke an die “Neuen Russen”, die an westlichen Universitäten die Formeln der Reform gelernt haben und vom Luxusleben der westlichen Oberschicht träumen; an die Amerikaner, die vom tiefsitzenden “communist mindset” der Russen reden, die die Entwicklung einer modernen Wirtschaft leider unmöglich macht, während ihre Schocktherapie das Land in Armut und Verbrechen versinken lässt und ich frage mich – warum nicht?

Auch glaube ich nicht, dass die Nazbols, als sie in späteren Jahren, vor allem seit Putin die Macht übernommen hat, sich immer mehr von nationalistischer und allgemein extremistischer Rhetorik verabschiedeten und deutlich für Demokratie und eine offene Gesellschaft eintraten, ihre Vergangenheit verleugnet haben. Tatsächlich ist es mir unvorstellbar, dass die Nazbols im neuen Kontext der nationalistischen Autokratie Putins die selben alten Slogans verwenden würden. Wenn ich das einfach begründen müsste, würde ich sagen, dass ich an ihren guten Charakter glaube. Hinter allem was sie tun, selbst wenn sie martialisch Stalins Namen schreien, steht eine ehrbare Grundhaltung, die hasst was zynisch und grausam ist und eine Welt fordert, die es wert ist, in ihr zu leben. Oder, in Saschas Worten:

“In einer Sache waren sich alle [Nazbols] ähnlich: egal ob vierzehn, siebzehn, oder neunzehn – fast jeder von ihnen hatte ein Gefühl der eigenen Würde, sehr bestimmt, unverstellt.” (225)

Ein amerikanischer Journalist – ein gewisser John Dolan, dem Limonow-Übersetzer dem wir später noch begegnen werden –, reiste 2003 in die Stadt Smolensk, um die lokalen Nazbols zu interviewen, die sich gerade im Wahlkampf befanden. Smolensk ist eine traurige, zurückgelassen Stadt, halb entvölkert und voll mit Postern, die Frauen anbieten, für den Preis einer bescheidenen Mahlzeit in Moskau ihre Haare zu verkaufen. Die Nazbols dort sind eine winzige Organisation mit ein paar Dutzend Mitgliedern und keiner Chance, irgendwelche Wahlen zu gewinnen. Und das obwohl ihre Ideen auf einigen spontanen Rückhalt in der Bevölkerung zählen können:

“They were particularly proud of one poster which showed Sergei [den Nazbol Spitzenkandidaten], in NBP armband, holding up a sign with Yeltsin’s face in a sniper’s bullseye. The caption was, ‘Let’s take up a collection for a hit man!’ Sergei said that when they carried that sign, one old lady had said eagerly, ‘Oh, sonny, just let me go to the bank and get some money! It’s a wonderful idea!'”

Die Nazbols die er trifft, beschreibt John Dolan folgendermaßen:

“They didn’t resemble their media stereotypes — mini-Nazis or embryonic Stalinists — at all. They were the sort who join such parties early on, perhaps — but they would never have survived the first purges. In fact, they were exactly the sort who are sent to the cellars for a bullet in the back of the head the minute the serious, dull managerial killers come to the fore, as they always do. They were romantics, like Limonov’s boyhood friend Kostya Bondarenko in Podrostok Savenko: romantics who have to migrate to the brink to find the simple and noble world the stories promised them. Cultures continually produce such people, but only rarely do they provide a context in which such a dangerously simple, direct picture of the world can survive to adulthood.

Disaster provides that context. So Smolensk, which is one huge museum of horrors and disasters, seems an ideal place for romantics; and the debacle of post-Soviet Russia, imposed on this gory old town, completes the picture. Here, for a little while, the romantic view of the world is in a sense completely correct. The world of the suits really is nothing but vile bickering by thieves; the world of the populace really is one of deluded, miserable poverty. The vast disinterest in details of money and daily life that defines the true romantic is validated, because any such interest truly is debased and debasing. You can strike out in any direction and hit nothing but rot.”

Einen ähnlichen Gedanken hatte ich beim Lesen von Sankya. Es ist ein sehr fremdes Buch. Nicht weil das Leben, das dort beschrieben wird, so anders ist als das Unsere; es ist die Haltung, die aus dem Buch spricht, die uns so fremdartig ist. Die aufrichtige, nicht-ironische Überzeugung, die Welt vor sich zu sehen und klar zwischen hoch und niedrig, zwischen Würde und Erniedrigung unterscheiden zu können und der Glaube daran, dass es an einem selbst liegt, dem allumfassenden Zerfall zu widerstehen und ein ehrbares Leben zu führen.

Eine romantisches Weltbild, ja, aber eins das im russischen Kontext nicht allzu realitätsfern wirkt. Es ist geradezu archaisch in seiner humorlosen Ernsthaftigkeit. Es mag den politisch Vernünftigen adoleszent und einfältig erscheinen, aber es ist bewundernswert.

Teil 1 der Geschichte über Eduard Limonow ist hier zu lesen

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