Was sagt die Studie über den deutschen Linksextremismus eigentlich über die Geisteshaltung des Mainstreams aus?
Von Sebastian Müller
Im Zuge der Blockupy-Proteste brannte die Frankfurter Innenstadt. Glaubt man einer im Februar von der FU Berlin veröffentlichten Studie über Linksextremismus in Deutschland, dürften die Ausschreitungen nicht überraschen: So sollen sage und schreibe 17 Prozent der Bundesbürger eine “linksextreme Grundhaltung” besitzen.
So vielbeachtet diese Studie in der Öffentlichkeit auch war, ihr Aussagewert kann dennoch nur begrenzt sein, weil er eine Frage der Perspektive ist. Das ist insofern der Fall, als dass (links)extremistische Einstellungen aus dem vermeintlich unbedenklichen Hort der Mitte, sprich aus der Perspektive eines politisch-medialen Konsensus des Mainstreams lokalisiert werden.
Wesentlich wertvoller ist da die Definition eines Nikolaus Kowall, weil er jüngst eine plausible und stringente Eingrenzung der Begrifflichkeiten linksextremistisch, linksradikal, sozialistisch, sozialdemokratisch links der Mitte lieferte.
Freilich interessiert solche Differenziertheit im medialen Etikettendschungel kaum. Just zu einem Zeitpunkt, wo allenthalben mit Radikalismen und Extremismen um sich geworfen wird und die wenigen Akteure, die ein wirkliches Interesse an einem – durch den demokratischen Willensbildungsprozess theoretisch und normativ ermöglichten – politischen Pfadwechsel haben, einem Shitstorm der vermeintlich pluralistischen deutschen Leitmedien ausgesetzt sind (siehe Yanis Varoufakis), erscheint nun die besagte Studie.
Zu erwähnen sei in diesem Kontext, dass der Begriff des “Radikalismus” an vielen Stellen erst 1973 durch den Begriff des “Extremismus” ersetzt wurde, um politische Einstellungen und Bestrebungen der äußersten Ränder des politischen Spektrums zuzuordnen. Bis heute gibt es jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch keine klare Abgrenzung zwischen “Radikalismus” und “Extremismus”. Umso befremdlicher ist es da, dass linke Parteien wie Podemos oder Syriza von den Medien als “linksradikal” bezeichnet werden, obwohl sie es nicht sind – schon gar nicht nach der Definition der Studie selbst.
Dass Parteien des sozialdemokratischen Spektrums als Linksradikal, also nah an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit etikettiert werden, wirft natürlich ein entsprechendes Licht auf die Urheber solcher Stigmatisierungen – und den oben erwähnten Konsensus des Mainstreams selbst, der jeden Hauch einer politischen Alternative als “radikal” diskreditieren will. So ist das wirklich Interessante an der Studie auch vielmehr, dass die dort veranschlagten Kriterien ebenso dazu verwendet werden könnten, um einen Extremismus der Mitte zu diagnostizieren. Dann nämlich, wenn Alternativlosigkeit und antidemokratische Tendenzen als Definition des letzteren gelten.
“Zugespitzt wird die Mitte extremistisch, wenn sie etwas für alternativlos erklärt”
Damit wird nicht auf Pegida rekurriert, auch nicht auf den Islamismus oder den ohnehin gut beleuchteten Rechts- und Linksextremismus, der immer mehr in der Mitte Fuß fassen soll. Während die sogenannte Antifa mit Kanonen auf Spatzen schießt, entsteht der wirklich gefährliche Extremismus in Form eines wachsenden Totalitarismus. Er kommt nicht mit Pauken und Trompeten, sondern er entwickelt sich schleichend. Und er wird selten zur Kenntnis genommen, weil Extremismus ausschließlich mit Totalitären Bewegungen wie dem Stalinismus oder Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird.
“Solche historisch munitionierte Gegenwartsblindheit erwartet Unheil offenbar nur dann, wenn es in Uniform auftritt.” – Harald Welzer
Darin scheint, wie Harald Welzer es treffend sagte, “die ganze Dialektik der Freiheits- und Demokratiebedrohungen auf, wie sie aus dem staatlich-informationsindustriellen Komplex resultieren.” Statt über die Potentiale eines modernen, in ganz neutral-technoidem und/oder ökonomistisch-technokratischem Gewand erscheinenden Totalitarismus besorgt zu sein, verlässt man sich auf “die rituelle Macht des nachholenden Widerstands.” Das heißt, “um nicht gegen das sein zu müssen, was heute Freiheit und Demokratie bedroht, tritt man öffentlich gegen das auf, was vor einem dreiviertel Jahrhundert geschehen war.”
Aus dem Blick gerät so ein Extremismus der ökonomischen, politischen und medialen Eliten, jene Träger der staatlichen Ordnung, die auch die Definitionshoheit über den Begriff der Mitte haben. Überhaupt ist es auffällig, wie sehr es alle etablierten politischen Parteien zur “Mitte” drängt. So sehr “die Mitte” zum Chiffre für politische Unbedenklichkeit mutiert ist, wird die “Insel der Mitte” quantitativ zwar immer voller – und damit zum Mainstream, inhaltlich aber immer begrenzter. Denn was vor 40 Jahren noch als Mitte galt, mag heute schon “links”, wenn nicht “linksradikal” sein.
So ist es bezeichnend, wenn die Studie die Ablehnung eines nicht im Grundgesetz verankerten Wirtschaftssystems schon als ein mögliches Merkmal linken Extremismus deutet. Damit lässt sie sich hervorragend für die Legitimierung eines Status Quo instrumentalisieren, der nur noch graduelle Richtungswechsel zulässt und somit in seinem Kern selbst Merkmale des Extremen trägt.
Letztendlich ist die blasphemische Frage naheliegend, ob diejenigen, die eine fundamentale Kritik an einem entfesselten Markt üben, ein Einstellungsmuster des Extremismus erfüllen, oder jene, die einen solchen Markt mit allen Mitteln verteidigen wollen? Hat jenes Drittel extremistisches Potential, dass den Kapitalismus mit Armut und Hunger assoziiert, oder jene, die gar solche Verwerfungen als eine funktionelle Notwendigkeit des Systems betrachten?
Was sagt es eigentlich umgekehrt über die politische Ordnung aus, wenn in der Umfrage mehr als 60 Prozent der Befragten die Demokratie nicht für eine echte halten, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen hätten? Wenn 27 Prozent, – das sind mehr als es derzeit SPD-Wähler gibt -, der Studie zufolge befürchten, dass Deutschland durch eine zunehmende Überwachung von Bürgern auf dem Weg in eine neue Diktatur sei?
Ist das alles wirklich nur verschwörungstheoretisch angesichts der Tatsache, dass Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein transatlantischen Freihandelsabkommen namens TTIP vorantreiben, das Konzerne der staatlichen Rechtssprechung entziehen soll? Auch der Umgang mit dem NSA-Skandal oder den Whistleblowern Assange und Snowden, die Aushöhlung des Datenschutzes, Vorratsdatenspeicherung und die quasi nicht mehr existente Privatsphäre der Bürger sprechen nicht gerade für einen Ausbau, sondern eher für einen Abbau des Rechtsstaates.
Indem wie gesehen, zum Teil willkürlich festgeschrieben wird, was radikal oder extremistisch ist, kontrolliert die vermeintliche Mitte die Grenzen des politischen Denkens. In dieser begrenzten Welt werden schon Politiker „links“ genannt, die einer neoliberalen Sparpolitik das Wort reden. Wer die Sozialdemokratie noch als solche versteht, ist da bereits ein radikaler. Eine politische Kultur, die solch Etikettenschwindel betreibt, um sich sämtlicher Alternativen zu entledigen, macht sich selbst des Totalitarismus verdächtig. Doch wer zeigt sich schon gerne selbst an.
Klaus Schroeder, Mitautor der Studie, sagte in einem Zeit-Interview, dass zugespitzt die Mitte dann extremistisch werden würde, wenn sie etwas für alternativlos erklärt. Ahnend, welche Assoziationen dieser Satz auslösen könnte, schob er nach, er wolle Angela Merkel keinen Extremismus unterstellen. Doch in einer offenen Gesellschaft gäbe es immer Alternativen, die diskutiert werden müssten.
Es ist doch eine seit Jahren wie es scheint erfolgreich praktizierte Vorgehensweise mit dem Ziel der Abqualifizierung Andersdenkender in den Mainstreammedien, dem Empfänger der Meldung vor dem eigentlichen Gegenstand eine quasi Vororientierung (positiv ausgedrückt!) zu geben, über wen berichtet wird. So wird doch nahezu in allen Fällen von Meldungen z.B. über die Front National der Marine Le Pen das Attribut rechtsextrem hinzugesetzt, in gleicher Weise bei dem Bündnispartern der Syriza in Griechenland, in vielen Fällen auch das Attribut “populistisch” und so weiter und so fort. Es erhebt sich doch die Frage, wer gibt den Medien das Recht zu einer solchen Einordnung und vor allem was wird damit bezweckt? Weiter die Frage, wieso funktioniert das nahezu flächendeckend in diesen Medien, welcher Mechanismus steckt dahinter? Das alles führt natürlich auch zu der von Ihnen erwähnten Studie, bei der angesichts deren Herkunft sich mir die alte Erkenntnis aufdrängt: “Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!”
“Extremismus der Mitte” wäre doch auch ein sehr guter Titel gewesen!
“Einem Wirtschaftsnationalismus, der die Exportstärke und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht nur als Rechtfertigung der eigenen Ideologie, sondern auch als Vorbild für die europäischen Krisenländer sieht.”
“Somit kann man von einem politisch-wissenschaftlich-industriellen-Komplex sprechen, der zu keinen Richtungswechseln mehr in der Lage zu sein scheint.”
Und warum ist das so? Ist das genuine “deutsche” Politik und Wirtschaftspolitik?
Wer bestimmt denn im nicht souveränen Deutschland die Richlinien? Können wir heute noch über “deutsche” Unternehmen und Banken reden? Nach dem Ausverkauf der Deutschland-AG?
Was man mit Sicherheit feststellen kann ist, das Deutschland zum Sündenbock für den kommenden Zusammenbruch der Euro-Zone aufgebaut wird, bzw. von Anfang an dafür vorgesehen war.
Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame Konjunkturpolitik, bei der nicht ein Land künstlich seine Löhne senken darf, um dann alle anderen Länder mit den billiger erzeugten Waren nieder zu konkurrieren. Das ist so ziemlich die Grundlage jeder Währungsunion und das weiß auch jeder Depp, also auch jeder Politiker oder VWL-Professor. Dass in Deutschland mit der Agendapolitik von SPD und GRÜNEN sofort mit dem Beginn der Währungsunion durch Lohndumping und Sozialabbau und Rentenkürzung die Zwangsverschuldung der Handelspartner durch deutsche Exportüberschüsse erfolgte, war reine Absicht.
Es war die Absicht der neoliberalen Kreise, die für diese Agendapolitik sämtliche Massenmedien gleichgeschaltet hatten. Dumme Ausbeuter, die ihren Arbeitern möglichst keinen Lohn zahlen und an den Sozialausgaben sparen wollen, gibt es in allen anderen Staaten auch. Die Medien befinden sich in allen anderen Staaten ebenfalls in denselben Händen. Dass es also ausgerechnet nur in Deutschland zur Agendapolitik kam, war nicht die Schuld der Deutschen, sondern folgte aus dem Umstand, dass man eine Währungsunion sinnvoll damit in eine Krise treibt, dass man gerade in der leistungsstärksten Ökonomie das Missverhältnis zwischen Produktion und Konsum durch Rentenkürzung, Lohndumping und Sozialabbau auf die Spitze treibt und in den schwächeren Ökonomien dagegen einen kreditgetriebenen Boom entfacht.
Sie können die eigentlichen Urheber daran erkennen, dass die Massenmedien weltweit “Deutschland” für die Krise und ihre Auswirkungen verantwortlich machen werden und überall unser Klima-Merkel mit Hakenkreuzen auf der Bluse auf den Plakaten der verzweifelten Opfer der von den Neoliberalen inszenierten Euro-Krise zu sehen sein wird. Dabei reißen sich Merkel, Schäuble und Asmussen darum, vor den Medien rotzfrech gegenüber Griechen und Zyprern aufzutreten und dabei vorzugeben, dies im Interesse und Auftrag der Deutschen zu tun, um die Wut auf die Deutschen zu schüren. Ein abgekartetes Spiel der Neoliberalen, die den Deutschen alle Schuld an den Verheerungen der neoliberalen Politik aufladen wollen.
Deutscher Wirtschaftsnationalismus! Ich lach mich schlapp!
“Deutschland zum Sündenbock für den kommenden Zusammenbruch der Euro-Zone aufgebaut wird, bzw. von Anfang an dafür vorgesehen war.” — So, so von wem denn? Wir doch noch gar nicht den 1. April!
PS: Wir sind nicht Deutschland, wir sind Bananenrepublik.
@ Berhard Schülke
“So, so von wem denn?”
Wenn Sie immer noch nicht wissen, wer seit 1945 in Deutschland das Sagen hat, ja, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.