Studie zum Linksextremismus
Der Extremismus des Mainstreams

Marktkonforme Demokratie – ein Oxymoron

Doch warum diese Einschränkung? Nichts anderes als der “Aspekt” eines extremistischen “Einstellungsmusters” – um mit den Worten Schroeders zu sprechen – wäre demnach die einschlägige Äußerung Angela Merkels, dass wir eine marktkonforme Demokratie bräuchten – und damit auch der Geist, dessen Kind sie ist. Denn die “marktkonforme Demokratie” ist ein Oxymoron, weil sie sämtliche Aspekte des gesellschaftlichen und politischen Lebens dem reibungslosen Ablauf des Marktes unterordnen muss, mithin die Demokratie selbst. Etwas das marktkonform ist, kann ergo nicht demokratisch sein.

“Wir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh darüber und das ist eine parlamentarische Demokratie und deshalb ist das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments und insofern werden wir Wege finden, wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, dass sie trotzdem auch – marktkonform ist, also auf den Märkten – die entsprechenden Signale sich ergeben.” – Angela Merkel, 1.9.2011, anlässlich des Besuchs von Pedro Passos Coelho).

Diese letztendlich faschistoide Offenbarung einer marktfundamentalistischen Grundhaltung erinnert an den Ansatz des Soziologen Seymour Martin Lipset, der in den 1950er-Jahren den Faschismus als ein Phänomen der Mitte erklärte. Dass dies im öffentlichen Diskurs jedoch kaum zur Sprache kommt, liegt in der gängigen Wahrnehmung des Extremismus, die nach wie vor von der Vorstellung eines politischen Spektrums ausgeht, das aus einer normativen Mitte und “Rändern” (“links außen” und “rechts außen”) besteht.

Nur wer so denkt, erkennt nicht, dass die angeblich linksextreme Behauptung, „Kapitalismus führt letztlich zu Faschismus“, die immerhin 16 Prozent der Bevölkerung bejahen, sich weder historisch noch in dem ganzen Ausmaß ihrer Dialektik von der Hand weisen lässt. Nur der kann ernsthaft glauben, dass selbst in Zeiten, da die Unvereinbarkeit von deregulierten Märkten und Demokratie empirisch immer deutlicher zu Tage tritt, die Aussage der knapp 30 Prozent, sie könnten sich eine wirkliche Demokratie nur ohne Kapitalismus vorstellen, extremistischer sei als die Forderung nach einer marktkonformen Demokratie. So etikettiert man die Welt, wenn man dem Sender mehr Bedeutung beimisst als der Botschaft.

Genau hier liegt der blinde Fleck des Extremismusdiskurses. Die herrschende politische Ordnung und die dazugehörige Mehrheitshaltung werden zugleich als “normaler”, gültiger und zu schützender Zustand akzeptiert und bewertet. Als “extremistisch” werden lediglich jene Teile eines politischen Spektrums gekennzeichnet, von denen eine (vermeintlich) aktive Gefährdung der Grundwerte der zur Zeit herrschenden politischen Ordnung angenommen wird. Ob die Mehrheitshaltung selbst extremistisch ist, kann unter solchen Bedingungen auch dann nicht wahrgenommen werden, wenn sie die politische Ordnung und deren Verfassung de facto von innen heraus auflöst.

Wenn eine demokratiefeindliche Ideologie zum Mantra wird

Neben der totalitaristischen Tendenz zu einer umfassenden Überwachung ist die davon nicht losgelöst zu sehende Entwicklung der Mainstream-Ökonomie gegenwärtig das vielleicht beste Beispiel extremistischer Tendenzen in zentral wirkenden deutschen Instituten und Think-Tanks, sprich jenen Institutionen, die den geistigen Input für die politische Ordnung und den öffentlichen Diskurs liefern.

Denn es ist der in seiner Totalität mit einer demokratischen Gesellschaftsordnung faktisch wie theoretisch nicht kompatible Neoliberalismus, der die deutsche Ökonomie, Politik und Gesellschaft verändert. Verantwortlich für seine Verbreitung ist die Wirtschaftswissenschaft. In Zuge dessen ist keine wirtschaftswissenschaftliche Zunft so wenig wandlungsfähig geworden, wie die hegemonial wirkende deutsche Neoklassik. Fernab jeglicher wirtschaftlicher Realitäten preist sie das Mantra abstrakter mathematischer Formeln und starrer Austerität. So aber taugt die deutsche VWL kaum mehr zur Deutung komplexer ökonomischer Vorgänge, noch ist sie – diese These muss erlaubt sein – eine unabhängig operierende Wissenschaft. Allein die Gutachten des deutschen Sachverständigenrates, die sich mit einer empirisch nicht existenten Kausalität gegen jedwede sozial orientierte Wirtschaftspolitik stemmen, verdeutlichen, wie interessengeleitet dieser ist.

Die deutsche Mainstream-Ökonomie ist zur pseudowissenschaftlichen Interessenvertreterin der deutschen Unternehmen und Banken geworden, die wichtige Gläubiger der verschuldeten Euro-Länder sind. Die meisten Ökonomen sitzen in arbeitgebernahen Think-Tanks. Mit Jens Weidmann in der EZB und anderen deutschen Beamten, die im Namen der Troika jenseits aller Verträge und demokratischer Legitimation den Südländern die Memoranden diktieren, stemmen sich die Vertreter der deutschen Ökonomie gegen jegliche Richtungswechsel der krachend gescheiterten “Reformpolitik”. Es ist eine Politik, die an produktiven Lösungen im Sinne der europäischen Völker kein Interesse hat, solange die Interessen der Gläubiger nicht bedient werden.

Der politische und wissenschaftliche Dogmatismus in Deutschland ist aus der Vogelperspektive umso auffälliger, da in der internationalen Ökonomie und den ausländischen Universitäten längst ein anderer Wind weht.

Und wenn man die spätestens seit 2010 fabrizierte Krisenpolitik der Troika und die damit verbundene Entmachtung der nationalstaatlichen Parlamente analysiert, im Zuge derer auch Volksentscheide ausgesetzt werden, ist genau hier der entsprechende Fall eingetreten, den der Politologe Uwe Backes als Extremismus ausmachte: dass sich „politische Diskurse, Programme und Ideologien (…) implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten“.

Wirtschaftsnationalismus und Austerität

Der neoliberale Axiom paart sich mit einem daraus resultierenden Phänomen: Einem Wirtschaftsnationalismus, der die Exportstärke und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht nur als Rechtfertigung der eigenen Ideologie, sondern auch als Vorbild für die europäischen Krisenländer sieht. Unter diesem Wettbewerbsdruck, der ein “race to the bottom” zur Folge hat, werden nicht nur die europäischen Sozialstaaten, sondern auch die Demokratie zunehmend als Standortnachteil ausgemacht.

Ganz ähnlich wie das wilhelminische Deutschland mit seinem aggressiven Militarismus isoliert sich nun zunehmend das wirtschaftsnationalistische Deutschland mit dem von ihm kontrollierten Institutionen (EU-Kommission, EZB) auf dem internationalen Parkett. Es besteht also offensichtlich ein direkter Wirkungszusammenhang zwischen der wirtschaftspolitischen und wirtschaftswissenschaftlichen Isolierung, die zudem mit den Interessen der (deutschen) Konzerne verknüpft ist. Somit kann man von einem politisch-wissenschaftlich-industriellen-Komplex sprechen, der zu keinen Richtungswechseln mehr in der Lage zu sein scheint.

Das erinnert an die Starrheit und politischen Verkrustungen zu Zeiten der realsozialistischen Nomenklatura vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. De facto spielen auch 25 Jahre nach dem Ende des Realsozialismus demokratische Entscheidungsprozesse innerhalb der EU-Bürokratie keine Rolle. Gehandelt wird rein nach ökonomische Imperativen – sprich privaten Interessen. Die privaten Gläubiger, welche die heruntergewirtschafteten Demokratien und ihre gewählten Repräsentanten an der kurzen Leine führen, sind die antidemokratische Nomenklatura des Spätkapitalismus.

Wenn diese je nach Gusto als Finanzmarktkapitalismus oder Marktfundamentalismus zu bezeichnende Ordnung – es liegt schon im Wort – kein Extremismus sein soll, liegt auch der Linksextremismus bei null Prozent. Oder – es gelten bald all die als Extremisten, die der Demokratie den Vorrang vor dem Markt geben.

Artikelbild: sean mason / flickr / CC BY 2.0

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6 Kommentare zu "Studie zum Linksextremismus
Der Extremismus des Mainstreams"

  1. notarfuzzi sagt:

    Es ist doch eine seit Jahren wie es scheint erfolgreich praktizierte Vorgehensweise mit dem Ziel der Abqualifizierung Andersdenkender in den Mainstreammedien, dem Empfänger der Meldung vor dem eigentlichen Gegenstand eine quasi Vororientierung (positiv ausgedrückt!) zu geben, über wen berichtet wird. So wird doch nahezu in allen Fällen von Meldungen z.B. über die Front National der Marine Le Pen das Attribut rechtsextrem hinzugesetzt, in gleicher Weise bei dem Bündnispartern der Syriza in Griechenland, in vielen Fällen auch das Attribut “populistisch” und so weiter und so fort. Es erhebt sich doch die Frage, wer gibt den Medien das Recht zu einer solchen Einordnung und vor allem was wird damit bezweckt? Weiter die Frage, wieso funktioniert das nahezu flächendeckend in diesen Medien, welcher Mechanismus steckt dahinter? Das alles führt natürlich auch zu der von Ihnen erwähnten Studie, bei der angesichts deren Herkunft sich mir die alte Erkenntnis aufdrängt: “Wes Brot ich eß, des Lied ich sing!”

  2. “Extremismus der Mitte” wäre doch auch ein sehr guter Titel gewesen!

  3. Ralf Dahrendorf sagt:

    “Einem Wirtschaftsnationalismus, der die Exportstärke und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht nur als Rechtfertigung der eigenen Ideologie, sondern auch als Vorbild für die europäischen Krisenländer sieht.”

    “Somit kann man von einem politisch-wissenschaftlich-industriellen-Komplex sprechen, der zu keinen Richtungswechseln mehr in der Lage zu sein scheint.”

    Und warum ist das so? Ist das genuine “deutsche” Politik und Wirtschaftspolitik?
    Wer bestimmt denn im nicht souveränen Deutschland die Richlinien? Können wir heute noch über “deutsche” Unternehmen und Banken reden? Nach dem Ausverkauf der Deutschland-AG?

    Was man mit Sicherheit feststellen kann ist, das Deutschland zum Sündenbock für den kommenden Zusammenbruch der Euro-Zone aufgebaut wird, bzw. von Anfang an dafür vorgesehen war.

    Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame Konjunkturpolitik, bei der nicht ein Land künstlich seine Löhne senken darf, um dann alle anderen Länder mit den billiger erzeugten Waren nieder zu konkurrieren. Das ist so ziemlich die Grundlage jeder Währungsunion und das weiß auch jeder Depp, also auch jeder Politiker oder VWL-Professor. Dass in Deutschland mit der Agendapolitik von SPD und GRÜNEN sofort mit dem Beginn der Währungsunion durch Lohndumping und Sozialabbau und Rentenkürzung die Zwangsverschuldung der Handelspartner durch deutsche Exportüberschüsse erfolgte, war reine Absicht.

    Es war die Absicht der neoliberalen Kreise, die für diese Agendapolitik sämtliche Massenmedien gleichgeschaltet hatten. Dumme Ausbeuter, die ihren Arbeitern möglichst keinen Lohn zahlen und an den Sozialausgaben sparen wollen, gibt es in allen anderen Staaten auch. Die Medien befinden sich in allen anderen Staaten ebenfalls in denselben Händen. Dass es also ausgerechnet nur in Deutschland zur Agendapolitik kam, war nicht die Schuld der Deutschen, sondern folgte aus dem Umstand, dass man eine Währungsunion sinnvoll damit in eine Krise treibt, dass man gerade in der leistungsstärksten Ökonomie das Missverhältnis zwischen Produktion und Konsum durch Rentenkürzung, Lohndumping und Sozialabbau auf die Spitze treibt und in den schwächeren Ökonomien dagegen einen kreditgetriebenen Boom entfacht.

    Sie können die eigentlichen Urheber daran erkennen, dass die Massenmedien weltweit “Deutschland” für die Krise und ihre Auswirkungen verantwortlich machen werden und überall unser Klima-Merkel mit Hakenkreuzen auf der Bluse auf den Plakaten der verzweifelten Opfer der von den Neoliberalen inszenierten Euro-Krise zu sehen sein wird. Dabei reißen sich Merkel, Schäuble und Asmussen darum, vor den Medien rotzfrech gegenüber Griechen und Zyprern aufzutreten und dabei vorzugeben, dies im Interesse und Auftrag der Deutschen zu tun, um die Wut auf die Deutschen zu schüren. Ein abgekartetes Spiel der Neoliberalen, die den Deutschen alle Schuld an den Verheerungen der neoliberalen Politik aufladen wollen.

    Deutscher Wirtschaftsnationalismus! Ich lach mich schlapp!

  4. “Deutschland zum Sündenbock für den kommenden Zusammenbruch der Euro-Zone aufgebaut wird, bzw. von Anfang an dafür vorgesehen war.” — So, so von wem denn? Wir doch noch gar nicht den 1. April!

    PS: Wir sind nicht Deutschland, wir sind Bananenrepublik.

  5. Ralf Dahrendorf sagt:

    @ Berhard Schülke

    “So, so von wem denn?”

    Wenn Sie immer noch nicht wissen, wer seit 1945 in Deutschland das Sagen hat, ja, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.

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