Offene Repression verstärkt in einer Demokratie den Widerstand. “Sanfte Methoden” der Herrschaft sollen Abhilfe schaffen. Ein Gespräch mit Michael Wilk.
Ob Flughafenerweiterungen, Kohleabbau, Bahnprojekte wie Stuttgart21, Autobahnausbau oder Stromleitungstrassen – die Proteste gegen Großprojekte nehmen zu. Offene Repression, Polizei und Justiz wirken als Durchsetzungsmethoden gegen diese dabei oftmals kontraproduktiv und verstärken Unruhe und Empörung nur. Als Alternativen bieten sich Mediations-, Dialog- und Schlichtungsverfahren an. Diese „sanften“ Methoden werden inzwischen immer häufiger zur Befriedung und Kanalisierung von Protest und Widerstand eingesetzt. Zu diesen neuen Herrschaftstechniken sprach Jens Wernicke mit Michael Wilk, der seit Langem zu Macht- und Staatskritik arbeitet und publiziert.
—
Herr Wilk, in Ihrem neuen Buch skizzieren Sie eine Modernisierung staatlicher Herrschaftstechnik und fokussieren hierbei insbesondere auf etwas, das Sie „Strategische Einbindung“ nennen. Was meinen Sie damit und worum geht es dabei?
Ohne Zweifel haben Regierungen, Behörden, Betreiber- und Planer von Großprojekten zunehmend Probleme. Vor allem massiv in die Lebensrealität der Menschen eingreifende Bauvorhaben rufen immer häufiger Unruhe hervor. Kritik und Protest entzünden sich spätestens dann, wenn die Projekte Gestalt annehmen, im Wortsinn also wirklich sicht- und spürbar werden: Quälender Fluglärm treibt irgendwann auch die Geduldigsten auf die Straße und Abriss- und Großbaustellen reißen unverdrängbar sichtbare Löcher in die Glanzfassade hirnvernebelnder Konsumsphären.
Beim Großprojekt einer früher für unverzichtbar erklärten atomaren Energieerzeugung, einem Jahrzehnte dauernden Konflikt, lösten spätestens Tschernobyl und Fukushima als sinnliche Erfahrungen einer realen Bedrohung Zweifel aus – und zwar nicht nur an der „perfekten Hochtechnologie“ der AKWs, sondern vor allem auch an der Wahrhaftigkeit verantwortungsvollen staatlichen Handelns.
Besonders geeignet, Misstrauen, Protest und in der Folge sogar Widerstand in der betroffenen Bevölkerung auszulösen, sind dabei natürlich Pläne und Vorhaben, die sich durch die rigide Durchsetzung von Kapitalinteressen gegenüber Mensch und Natur auszeichnen. Die dadurch hervorgerufene Unruhe stört nicht nur die Realisierung der regelhaft als ökonomisch unverzichtbar bezeichneten Projekte selbst, sondern führt langfristig auch zu Verwerfungen im sozial-politischen Gefüge.
Die so zunehmend entstehenden Proteste – beispielsweise in Sachen AKW, Flughafenausbau oder auch Stuttgart 21 – bringen daher in aller Regel erhebliche Reibungsverluste in Sachen Herrschaftshandeln mit sich. Die Praxis, auf Proteste mit dem Einsatz rigider staatlicher Maßnahmen zu reagieren, sprich die Projekte mit Einsatz von Polizei und Wasserwerfern durchzusetzen, führte in der Vergangenheit oftmals nur zu einer weiteren Polarisierung und zu einer Eskalation des zivilgesellschaftlichen Widerstandes. Und zwar sehr häufig auch noch verbunden mit einem zunehmenden Vertrauensverlust gegenüber Politik und Behörden, ja Herrschaftshandeln überhaupt. Gefürchtet wird hier besonders der Wildwuchs ungezügelten Ungehorsams, direkter Aktion und einer unkontrolliert wachsenden Protestbewegung, die, wie es die Anti-AKW-Bewegung zeigt, zu einer durchaus gesellschaftlich relevanten Stärke und Größe zu bringen vermag.
Um Proteste daher gar nicht erst wachsen und eskalieren zu lassen, wird inzwischen zunehmend auf Methoden der „Strategischen Einbindung“ gesetzt, also auf Dialoge, Runde Tische, Schlichtungen und Mediationen. Hier gilt es, Protest und Widerstand bereits im Entstehungsprozess in beherrschbare Bahnen zu lenken und sozusagen von der Straße weg- und an den viel besser beeinflussbaren Verhandlungstisch zu lotsen. Hier, im sozusagen „geschlossenen Raum“, werden dann die Regeln von denen vorgegeben, die schon immer die Regeln vorgaben; zudem ist die Menge der Akteure begrenzt und die mit diesen Verfahren oft verbundene Spaltung der Protestierenden in „zivil-gesprächsbereite“ und „ewige Dialogverweiger“ beabsichtigt wie gewollt.
Und wie genau wird mittels etwas, das als „Demokratie“ und „Beteiligung“ dargeboten wird, Ihrer Einschätzung nach konkret „Herrschaft“ ausgebaut und sichergestellt?
Anhänger autoritären Regierens fürchten Organisierung in Gruppen und Initiativen, die ihre eigenen Lernerfahrungen machen und die sich zudem immer öfter dem direktem Einfluss der klassischen politischen Institution „Partei“ entziehen und viel mehr an der Entwicklung eigener Stärke arbeiten. Denn vieles droht bei solchen Prozessen den normalen Regularien der Herrschaft zu entgleiten: Unabhängige Informationen und Medien, eigenständige Aktionen, kreativer und teils auch militanter Widerstand, direkte Aktionen, die im schlimmsten Fall Schule machen anstatt abzuschrecken usw. usf.
An diesem Punkt setzen dann die genannten Verfahren an, deren Aufgabe darin besteht, die entstehende Abweichung sich nicht allzu weit von den akzeptierten Spielregeln des Systems entfernen zu lassen. Das Ziel besteht darin, sie kalkulierbar zu halten und im Idealfall auch wieder zu reintegrieren und sie hierdurch für das gesellschaftlich-staatliche Funktionieren nutzbar zu machen.
Leisten sollen dies vor allem Mediations- und Dialogverfahren, die im Idealfall frühzeitig, also schon im Vorfeld eines drohenden gesellschaftlichen Konfliktes intervenieren, um eine Eskalation tunlichst zu verhindern. Ist dieser Zeitpunkt überschritten, ist es ungleich schwerer, die protestierenden Bürger an die Kandare zu nehmen. Unter diesem Aspekt ist eine Schlichtung mit dem Ziel, die aus dem Ruder gelaufene Situation zu befrieden, eine vergleichsweise späte Intervention und somit stets zweite Wahl. Und auch Mediationsverfahren sind Bestandteile einer Befriedungsstrategie, die dem zentralen Wesenszug aktueller Herrschaftsmechanik entspricht: Macht wirkt nicht mehr auf, sondern im Foucault‘schen Sinne durch den Menschen hindurch.
Neben Repression und Zwang als Ausnahmeinstrumente für Anpassungsunwillige, die natürlich weiterbestehen, geht es nunmehr vor allem um freiwillige Anpassung und Identifikation mit der Macht. In Bezug auf Protest und Widerstand heißt dies, entstehendes Protest- und Widerstandspotenzial früh zu reintegrieren und wenn irgend möglich sogar im Sinne der Gesamtfunktion zu verwerten. Es gilt, durch Konflikte entstandene Spannungen zu lösen, hervorgetretene Widersprüche zu überbrücken und divergierende Interessen zugunsten scheinbarer gemeinsamer Interessenslagen zu verschmelzen. Mediationsverfahren sind dabei Ausdruck und Methode einer Herrschaftsstrategie, die sanft durchsetzt, was durch harte Durchsetzung nur zu Reibungsverlusten im Funktionieren führen würde. Das System der Herrschaft ist überaus flexibel, lernfähig und durchaus in der Lage, vormals Widersprüchliches in sich aufzunehmen und gestärkt aus einer Auseinandersetzung hervorzugehen.
Erläutern Sie das doch bitte anhand eines Beispiels.
Stuttgart 21 ist ein wunderbares Beispiel für derlei Herrschaftspraxen. Denn die sogenannte Schlichtung mit Heiner Geißler erfolgte ja zum Höhepunkt der Auseinandersetzung um den Bau des geplanten Tiefbahnhofs, als sich die Strategie des „Durchregierens“ von Ministerpräsident Mappus bereits als strategische Sackgasse erwiesen hatte.
Heiner Geißler, Mitglied von CDU und Attac sowie die scheinbare Inkarnation eines gesellschaftlichen Kompromisses, wurde auf Vorschlag von Winfried Kretschmann in das Rennen geschickt – und ein großer Teil der Bewegung begab sich deswegen auch umgehend und hoffnungsfroh in das Angebot eines sogenannten Faktenchecks, der jedoch zunehmend unter „Fachleuten“, der Bewegung also entrückt und am grünen Tisch geführt wurde. Ein anderer Teil, die Parkschützer, verweigerten sich diesem Verfahren hingegen konsequent und musste sich dem Vorwurf der Abspaltung und Verweigerung stellen. Letztlich verkündete Geißler dann auf der Pressekonferenz umgeben von Stuttgart 21-Gegnern den Zuspruch zum Bau des Tiefbahnhofs als Verfahrensergebnis. Die Bewegung war hiernach deutlich angeschlagen, gespalten und im Hintergrund hatten sich die Grünen als neue Regierungspartei etabliert.
—
„Wenige Tage, nachdem Bahnchef Grube den Demonstranten in Stuttgart ihr ‚Widerstandsrecht‘ abgesprochen und sein Demokratieverständnis dahingehend offengelegt hatte, dass er kundtat, die Bürger hätten gefälligst dem Willen der Parlamente zu folgen, nichts anderes sei schließlich ‚Kern einer Demokratie‘ , erfreute sich Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) auf einer Reise durch Saudi-Arabien und Katar, zwei Diktaturen am Persischen Golf, an der Ruhe, von der Regierungshandeln dort begleitet wird. Nicht nur er, sondern auch andere bewerten diese dabei inzwischen als Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. So wird von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt in gewissen Kreisen denn auch bereits eine Debatte über den ‚möglichen Nutzen diktatorischer Regierungsformen‘ geführt.“
Jens Wernicke: „Demokratie als Standortnachteil“
—
Und Sie meinen, man hat, sobald man sich der „Beteiligungsverfahren“ unterwirft, eigentlich gar keine Chance mehr zu wirklicher und notwendiger Veränderung? Warum? Und warum machen die Leute dann dennoch da mit?
Viele wollen einfach an das Angebot eines möglichen Kompromisses glauben. Wer sich noch nicht mit den diesbezüglich bereits gemachten Erfahrungen befasst hat, ist hier leider zu hoffnungsfroh oder auch naiv.
Auch hat das Angebot an einer Mediation mitwirken zu können für einige durchaus seinen persönlichen Reiz. Es hat etwas Exklusives – denn nicht mehr jede und jeder kann teilnehmen, sondern nur noch die „Elite“, die Spezialisten einer Bewegung, die Avantgarde. Außerdem, wer möchte schon zu den Verweigerern, zu den Nicht-Dialogbereiten gehören? Und auch passt nicht ins Selbstkonzept: Die aktiv am Mediationsverfahren teilnehmenden Menschen sind massiv mental beeinflussenden Faktoren ausgesetzt.
Die Psychodynamik der Mediationsrunde erfasst dabei durchaus auch ursprünglich opponierende Gehirne. Diese sind durch die Exklusivität ihren MitstreiterInnen entrückt, diesen gegenüber aufgewertet und durch selbige kaum mehr kontrollierbar. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Faktor einer „mentalen Bestechung durch Aufwertung“ die Empfänglichkeit gegenüber den Argumenten der Gegenseite durchaus erhöht.
In jedem Fall führt die Teilnahme an einem Mediationserfahren zur Spaltung der jeweiligen Bewegung auf mehreren Ebenen: Räumlich, mental und politisch. Und das nicht nur bezogen auf die teilnehmenden Fraktionen, sondern vor allem auch bezogen auf die Verweigerer, die außen vor bleiben und bleiben wollen, dadurch aber in die Position radikaler Spielverderber gerückt werden. Mediale negative Aufmerksamkeit ist ihnen nun so sicher wie die schlechtere Position in Bezug auf eine mögliche Kriminalisierung ihres weiteren Tuns.
Wenn ich das Buch richtig verstanden habe, sind für Sie auch Parteien „Integrationsinstrumente“, dienen also der Integration in die staatliche Ordnung und das staatliche Herrschaftssystem?
Das Machtsystem verfährt nach dem altbewährten Muster “divide et impera“ und hält für Unbeugsame den gesamten Repressionsapparat bereit, ist jedoch andererseits stets offen dafür, den kooperativen Teil gesellschaftlich Unruhiger wieder in sich aufzunehmen – ja sogar einige inhaltliche Zugeständnisse zu machen, geht es doch letztendlich um die Stabilisierung des Status quo gesellschaftlicher Macht. Vorausgesetzt natürlich, die zu Integrierenden sind bereit, sich den vorgegebenen Spielregeln zu beugen. Und die Gewährung der Teilhabe am Machtapparat wirkt wiederum korrumpierend auf die Positionen der Betroffenen, sodass sich deren Denken und Handeln verändern und es oft genug zu einer Dynamik kommt, die mit Überanpassung noch milde beschrieben ist.
Zum Beispiel die Einbeziehung der Grünen Partei in den Machtapparat staatlicher Regulation etablierte diese als integrierenden Faktor gegenüber der außerparlamentarischen Bewegung und als Vermittlerin zwischen „radikalem“ Ansatz und staatlichem Interesse. Das mit dem Einstieg ins Parlament zwangsläufig verbundene Bekenntnis zur Stellvertreter-Politik wirkte sich außerparlamentarisch verheerend aus. Unter anderem erschien für viele ein direktes Austragen sozialer Konflikte „vor Ort“, die Gewinnung eigener Erfahrungen und Lernprozesse der Betroffenen selbst, als viel zu unbequemer und langatmiger Weg in Anbetracht der Möglichkeit einfach ein Kreuzchen zu machen und eben andere hierdurch zu ermächtigen.
Auch wenn grüne Parlamentarier anfangs nicht müde wurden, die Bedeutung des „außerparlamentarischen“ sozialen Widerstands zu beteuern, erwies sich die Etablierung der Grünen doch als harter Schlag ins Gesicht all derer, die Eigeninitiative und direkten Widerstand als Basis jeden emanzipatorischen Prozesses betrachten. Der Einzug der Grünen in die Parlamente ist das klassische Beispiel einer Adaptierung an die Machtverhältnisse, in deren Verlauf rasant all jene Ideale verraten wurden, die einer Regierungsbeteiligung im Wege standen.
Die pragmatische integrative Offenheit und Flexibilität des parlamentarischen Systems gegenüber vormals kritischen Bewegungen findet ihre Entsprechung aber auch im ökonomischen Bereich. Beispielhaft ist hier etwa die ökologische Idee, die anfangs belächelt wurde und inzwischen keinerlei „Alternative“ mehr darstellt, sondern allenthalben noch ökonomisch verwertet wird. Das alles sind Anpassungsprozesse an die Logik und Interessen der Macht.
Und, ist es nicht auch so, dass Herrschaft auch noch auf anderen Ebenen aus- und umgebaut wird? Ich denke da vor allem an die massive Aufrüstung der Polizei im Land und die gegen soziale Bewegungen immer gezielter und früher vorgebrachte aggressive Repression. Für mich kommt hier insbesondere den Medien eine bedeutende Funktion zu. „Spalte und herrsche!“ ist dabei wohl nur die eine Strategie. Die andere besteht aus Stigmatisierung, Mundtotmachen und semantischer Enteignung – wer dieses und jenes also sagt, den nimmt man per se nicht mehr ernst, seine Intention hinter den Begriffen interessiert gar nicht erst mehr. Wie schätzen Sie das ein?
Wie schon gesagt, sanfte Herrschaftsmechanismen, Dialogbereitschaft und Umarmungsstrategien gegenüber Protest sind en vogue und werden zunehmend durch Mittel der Strategischen Einbindung umgesetzt. Wurde Unruhe vormals frühzeitig unterdrückt, ist man heute zunehmend bemüht, dem Protest entgegenzukommen und ihn frühzeitig einzubinden. Diese zum Teil erfolgreiche Strategie macht die klassischen Methoden der Repression jedoch beileibe nicht überflüssig. Sie sind präsent, werden ausgebaut, verfeinert und stehen als Disziplinierungsinstrumentarium jederzeit zur Verfügung.
Was sich verändert hat, ist dabei nicht eine irgendwie moralisch-humanitär begründete Abwendung von den harten Werkzeugen der Herrschaftssicherung, sondern nur der verfeinerte strategische Umgang damit. Sie kommen weiter und uneingeschränkt zum Einsatz. Zum Beispiel überall da, wo die Möglichkeit einer Integration per se nicht gegeben ist, etwa also bei der Ausgrenzung von Flüchtlingen und dem Einsatz von Frontex also. Aber auch gegenüber allen nicht integrierbaren oder integrationsbereiten Widerständigen in sozialen Konflikten. Proteste mit hohem Anteil an direktem Widerstand und direkten Aktionen, wie zum Beispiel bei den Castortransporten, werden daher auch weniger auf Dialogbereitschaft als vielmehr auf das klassische Instrumentarium von Polizei, Wasserwerfer und Justiz stoßen. Dazu kommen tatsächlich Methoden aus der Trickkiste der medialen Darstellung – private Public-Relation-Unternehmen wie beispielsweise Burson&Marsteller sind inzwischen darauf spezialisiert, hochbezahlt Propaganda für etwa den Ausbau von Flughäfen zu betreiben.
Aber auch die verunglimpfende Darstellung Protestierender als Wutbürger wertet undifferenziert ab und unterscheidet nicht nach Impetus und Absicht des Protestes. Der Begriff beschreibt Phänomene der Wut und Proteste zugleich, differenziert jedoch nicht nach den Inhalten, die zum Teil völlig diametral zueinander stehen. So werden Menschen, die rassistisch auf Flüchtlinge und/oder EinwanderInnen reagieren, mit Menschen, die gegen die Gentrifizierung ihrer Stadt agieren in einen Topf geworfen. Unbenommen können dabei auch Emotionen wie Angst oder Wut bei beiden Gruppen eine Rolle spielen, aber diese Affekte von den sie auslösenden Faktoren abzukoppeln, ist schlicht perfide: Hier wird der ausgrenzend agierende Rassist, der sich in seiner deutschen Befindlichkeit bedroht fühlt, gleichgesetzt mit beispielsweise lärmbedrohten Flughafenanwohnenden, die sich gegen eine ausufernde Expandierung eines Airports zur Wehr setzen. Wut ist eben nicht gleich Wut.
Es gilt daher zu unterscheiden, ob ausgrenzende, autoritäre und rassistische Motive und Muster jeweils handlungsbestimmend sind, wie offenkundig bei PEGIDA der Fall ist, oder ob im Gegensatz dazu innerhalb einer Bewegung zumindest potenziell die Chance besteht, Ziele und Handlungen zu entwickeln, die über die Ebenen persönlicher Betroffenheit hinaus gehen, und auf Solidarität gegenüber anderen Menschen im Generellen abzielen, die autoritäre Strukturen also angreifen und durch eigenverantwortliches Handeln ersetzen. Mit anderen Worten: Es ist entscheidend, Bewegungen an ihrem emanzipativen Potenzial zu messen.
Welchem Umgang mit Medien, Parteien und Beteiligungsverfahren empfehlen Sie also Basisbewegungen?
Das sind ja jeweils sehr unterschiedliche Gegenüber. Auf jeden Fall empfehle ich einen selbstbewussten, differenzierten und analytischen Umgang. Prämisse sollte sein, sich nicht seiner gewonnenen Autonomie und auch nicht seiner Lebenslust berauben zu lassen. Kritische Distanz sollte jedoch auch nicht in ein starres Muster von Berührungsangst ausarten. Schon gar nicht im Umgang mit Medien. Die Frage ist doch immer, mit wem haben wir es zu tun und welche Absicht steht dahinter.
Und auch im Umgang mit Parteien spielt es einen erheblichen Unterschied, ob wir zum Beispiel unsere Bühnen Parteioberen medial zur Verfügung stellen und selbst dadurch zu Statisten werden, oder ob es um die Zusammenarbeit mit einzelnen Menschen aus der Parteibasis geht. Ich hätte beispielsweise keinerlei Probleme, vor einem CDU-Landfrauenverband zu reden – warum sollte ich auch?
Bei Beteiligungsverfahren ist für soziale Bewegungen jedoch höchste Vorsicht geboten. Immer gilt es hierbei, die Frage nach der Gefahr einer strategischen Einbindung zu stellen. Wenn überhaupt, sind Mediationsverfahren darauf zu überprüfen, ob sie den wichtigsten Bedingungen für ein Verfahren auf Augenhöhe auch wirklich und überhaupt standzuhalten vermögen, ob sie ergebnisoffen sind und ob beispielsweise ein Vetorecht eingeräumt wird oder unabhängig vom Ergebnis das Primat der politischen Entscheidung fortbesteht, was das Verfahren als solches schlicht ad absurdum führt. Wenn solche Verfahren erkennbar nur die Leimrute darstellen, an der wir gefangen werden sollen, gilt: Finger weg!
Im Übrigen geht es nicht nur um den Umgang mit dem Gegenüber, sondern vor allem auch um den Umgang untereinander, also unter uns. Und hier zählen Respekt und Würde ebenso wie die Bereitschaft, am Gegenüber auch lernen zu wollen, zu den unabdingbaren „Essentials“ jedes Prozesses und jeder Bewegung dazu.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
Michael Wilk (Dr. med.) ist gelernter Schmied, Arzt und Psychotherapeut. Seit 1976 Mitarbeit im Anarchistischen Forum Wiesbaden und dem Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden (AKU). Aktivist in sozialen und ökologischen Bewegungen wie der Anti-Atomkraft-Bewegung, dem Bündnis der Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau, Beteiligter an den Libertären Tagen 1987 und 1993 in Frankfurt. In seinen theoretischen Auseinandersetzungen und Veröffentlichungen widmet er sich unter anderem den Themen Macht, Herrschaft und Staatskritik.
—
Eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte von Jens Wernicke können Sie hier bestellen.
Danke.
Das ist schon so lange überfällig. Dass die Behörden es nun schon Dekaden verschlafen ist umso erstaunlich, sind doch deren Vertreter in die glichen Schulen gegangen wie alle anderen Profis, welche im Markt sich dem Käufer anpassen, und nicht umgekehrt.
Genauso gilt es aber auch im Umgang der öffentlichen Verwaltung mit dem Individuum. Was ja über die Lebensspanne auch ein Grossprojekt ist, man rechne nur die Anzahl der Briefe zusammen die ein jeder von der Verwaltung in seinem ganzen leben erhält.
Die Demokratie (Partizipationsgesellschaft) wird durch Behörden und Regierung beschmutzt, welche immer doch das kaiserliche Alpha-Tier Unterwürfigkeits-Gen in sich tragen und die öffentliche Administration noch oft zu Zeiten des Absolutismus fahren.
und gerade für diese Methoden eignet sich die Totalüberwachung. Jeder Zug der Gegenseite ist vorher bekannt, Gegenmaßnahmen vorbereitet.
Jede sich entwickelnde Gruppe wird registriert und eingebunden, wie von einem Kraken erfasst.