US-Denkfabrik Stratfor
Die Falken der Geopolitik

Die brisanten Aussagen des Direktors einer einflussreichen Denkfabrik zur US-amerikanischen Geopolitik, deren Hauptziel es ist, ein Deutsch-Russisches Bündnis zu verhindern, verbreiten sich viral im Internet.

Von Florian Hauschild und Sebastian Müller

George Friedman ist ein Mann, der im Hintergrund agiert – eigentlich. Der 1949 in Budapest geborene Politologe und Publizist lehrte zwei Jahrzehnte in Pennsylvania, wo er sich mit dem Marxismus und der Frankfurter Schule beschäftigte. Während dieser Zeit schulte er auch Kommandeure der US-Streitkräfte, des Office of Net Assessments, SHAPE Technical Center, des US Army War College, der National Defense University und der renommierten RAND Corporation in Fragen der Sicherheit und nationalen Verteidigung.

Die Kontakte, die er in dieser Zeit knüpfte, dürften von außerordentlicher Bedeutung gewesen sein, als Friedman 1996 den Think-Tank Straftor gründete, dessen Direktor er auch heute ist. Stratfor steht für “Strategic forecasting” und befasst sich in diesem Sinne mit Sicherheitsfragen, Geopolitik und strategischen Voraussagen. Letztere waren bei Friedman jedoch teils hart an der Grenze zur Seriösität, als er zum Beispiel 1991 in einem seiner Bücher einen neuen Krieg zwischen den USA und Japan prognostizierte.

Spätestens im Februar 2015 aber dürfte sich das agieren im Hintergrund für die nächste Zeit erst einmal erledigt haben. Da nämlich war Friedman, – der mittlerweile als ein Vordenker der US-Außenpolitik gilt, – Gast auf dem Chicago Council on Global Affairs und beantwortete im Nachgang an einen Vortrag verblüffend offen die Fragen des Publikums. Dass Friedman dabei mit allem politischen Zynismus Krieg, auch in Europa, als legitimes strategisches Instrument der USA betrachtet, dürfte bei einem neokonservativen Think-Tank zwar kaum verwundern.

Interessant aber wird es, wenn Friedman im lässigen Plauderton bestätigt, dass es in Anlehnung an das Römische Reich die zentrale Strategie der US-Geopolitik sei, konkurrierende Mächte gegeneinander aufzuhetzen und in den Krieg zu treiben. So sei es zwischen dem Irak und dem Iran gewesen, und so solle es auch mit Deutschland und Russland geschehen. Die Nachdenkseiten berichteten.


Die komplette Rede von George Friedman, Quelle: The Chicago Council on Global Affairs

Um dies zu erreichen, sollen “die USA einen sogenannten ‘Cordon Sanitaire’ – also einen Sicherheitsgürtel rund um Russland zu errichten” planen. Zu diesem Zweck sei es auch beabsichtigt, Schnelleingreiftruppen unter Führung des Kommandeurs der US-Heerestruppen in Europa, Generals Ben Hodges, nach Rumänien, Bulgarien, Polen und in die baltischen Gebiete zu senden. Das sogenannte “Intermarum”, das Gebiet zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee, sei dabei für die USA die bevorzugte Lösung.

Das “Intermarum” ist dabei Teil des “fundamentalen Interesses” der USA, die Kontrolle über alle Ozeane der Welt zu behalten. Denn das wäre die Grundlage, um in den “verschiedensten Regionen und Ländern der Welt intervenieren” zu können.

Keineswegs also, dass sich Friedmans Ausführungen nicht in die Tradition der großen amerikanischen Visionäre der Geopolitik, insbesondere eines Alfred T. Mahan reihen würden. Der US-amerikanische Admiral und Marinehistoriker sah bereits 1890 in seinem Werk »The Influence of Sea Power on History« die Überlegenheit der See- über die Landmacht als Schlüssel zur Weltmacht. Denn der aufsteigende US-Kapitalismus benötige zur Erschließung der neuen ausländischen Märkte eine durch die Navy gesicherte Handelsflotte und geschützte Kolonien.

Doch welche Rolle spielt Stratfor in der US-Außenpolitik tatsächlich? Zwar hat Friedman als Berater der Obama-Administration keinen allzu großen Stellenwert und der Think-Tank wird in den Medien kaum erwähnt, ist aber durchaus einflussreich. 2012 veröffentliche Wikileaks 5 Millionen von Stratfor gehackte Emails, aus denen hervorgeht, dass der private Sicherheitsdienst u.a. Unternehmen wie Bhopal’s, Dow Chemical Co., Lockheed Martin, Northrop Grumman, Raytheon sowie Regierungsbehörden das US Department of Homeland Security, die US Marines und die US Defense Intelligence Agency zu seinen Kunden zählt. Damit ist Stratfor kein unwesentlicher Baustein des Militärisch-Industriellen Komplex.

Das umfassende Archiv der Email-Leaks ist weiterhin auf Wikileaks einseh- und auswertbar. Aus den Emails geht auch die “Arbeitsphilosophie” von Stratfor-Chef George Friedman hervor:

“[Y]ou have to take control of him. Control means financial, sexual or psychological control… This is intended to start our conversation on your next phase”

“Wenn dies eine Quelle ist, von der du glaubst, dass sie wertvoll sein könnte, musst du die Kontrolle über sie gewinnen. Kontrolle heißt finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle…”

Laut Julian Assange arbeitet Stratfor mit “fragwürdigen bis illegalen Methoden”. Und offensichtlich mag man es bei Stratfor auch selbst nicht, ans Licht der Öffentlichkeit gezogen zu werden. Der Hack der Stratfor-Emails wurde dem Anonymous-Aktivisten und Journalisten Barrett Brown angelastet, der dafür zu 5 Jahren Haft verurteilt wurde. Jeremy Hammond traf es noch härter. Der Occupy-Aktivist bekam 10 Jahre Haft für das Öffentlichmachen der geheimen Daten, die für die Reputation von Stratfor eine Katastrophe darstellten.

Fakt ist: Stratfor ist nicht irgendein Think-Tank, sondern steht seit vielen Jahren an der Front globaler Konflikte – online, wie offline. Wenn die von Friedman genannten strategischen Eckpunkte nur ansatzweise mit dem aktuellen Vorgehen der NATO übereinstimmend sein sollten, und darauf weisen viele Fakten und Indizien hin, ist ein Ende der Eskalationen nicht absehbar – und nicht gewollt. Das wäre eine endgültige und bedrohliche Wende in der NATO-Ostpolitik.

Für Deutschland könnte das Video zudem auch innenpolitische Konsequenzen haben. Dass Friedmans Worte in Bezug auf die Ukraine und Russland alles bestätigen, was seitens der neuen Friedensbewegung seit über einem Jahr immer wieder an der USA kritisiert wurde, wird den medial schwer gerügten Aktivisten neuen Auftrieb geben. Und die bisher im Kontext der Ukraine-Krise auffällig einseitig berichtenden Leitmedien sind nun mit neuen Fakten konfrontiert, so dass das Gut-Böse-Schema nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln ist.

Allein deshalb dürfte es kaum verwundern, dass der Clip mit Friedmans Statements in den Pressehäusern bisher ignoriert wurde, obwohl er in den Social Networks bisher große Resonanz erfährt. Das Unbehagen scheint dennoch so groß zu sein, dass sich einige Transatlantiker offenbar um Schadensbegrenzung genötigt fühlen. Jene wollen in Friedmans Aussagen lediglich so etwas wie eine “Privatmeinung” sehen, die mit der US-Realpolitik nichts zu tun hätte.

Dass dies jedoch ein offensichtliches Ablenkungsmanöver ist, zeigen auch die Analysen von dem US-Politkwissenschaftler John Mearsheimer, die dieser bei einem Besuch in Deutschland präsentiert hatte. Laut Mearsheimer verfolge die westliche Politik die Strategie, die Ukraine in den eigenen Einflussbereich zu integrieren, so Teil des Westens werden zu lassen und dem Einfluss Russlands zu entziehen.

Für Mearsheimers Analyse der realpolitischen Gegebenheiten lesen sich Friedmans strategische Ansichten wie eine Blaupause.

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6 Kommentare zu "US-Denkfabrik Stratfor
Die Falken der Geopolitik"

  1. Hugo sagt:

    Sehr ausführlicher Artikel! Gratulation.

    Privat-CIA wäre das bessere Wort. Das ist etwas unglücklich gelaufen in den letzten Tagen in deutschen Medien. In US-Medien wird es anders genannt. stratfor INC ist also eine GmbH, kein Institut, wo nur Wissenschaflter sitzen. Die sammeln “global intellegence” und werten das aus, also die sind im Spionagegeschäft tätig.

    Gerade der Hack und die gehackten Emails zeigen, dass stratfor kein thinktank ist wie andere. Es ist ein Dienstleistungsunternehmen für große Unternehmen, reiche Privatmänner oder Regierungen, das auch als “Privat-CIA” bezeichnet wird.

    Auch wären die whistleblower Barret Brown and Jeremy Hammond nie so hart verurteilt worden, hätten sie nicht ein Subunternehmen der CIA bloßgestellt.

  2. Bill sagt:

    der Artikel ist sehr schön, aber Sie schrieben: “auffällig einseitig berichtenden Leitmedien … ein Weiterso des Gut-Böse-Schemas kaum mehr aufrechtzuerhalten ist.”
    Es ist ein häufig anzutreffender Denkfehler der Linken/Progressiven, dass ihre Kontrahenten sich an irgend ein System von “Richtig” oder “Falsch” im logischen oder moralischen Sinne gebunden fühlen würden.
    Nein! Es geht nur um Erfolg oder Misserfolg.
    Die Nachricht, dass die USA sich als globales Imperium fühlen und genau so agieren,
    wird von den Leitmedien nur am Rande berichtet,
    wird von den Leitmedien mit Putin=Stalin=Hitler Absurditäten überkleistert
    wird von der Mehrheit in ein paar Tagen vergessen
    das Business läuft weiter wie bisher.
    Also warum sollte ein “Weiterso des Gut-Böse-Schemas kaum mehr aufrechtzuerhalten” sein?

  3. navy sagt:

    Starker Artikel, über Stratfor. Vor über 10 Jahren, kostete ein Stratfor Abo mit news und Insider Informatione ca. 5.000 $ das war damals sehr viel Geld, weil der $ viel mehr Geld wert war.

    Heute werden die Abos für ein Hundert $ verschleudert, wie ein Abo einer billigen zeitung.

  4. Pique Dame sagt:

    Update:
    Gucken Sie mal hier, lieber Sebastian Müller
    http://www.heute.de/polen-haelt-weimarer-dreieck-mit-deutschland-und-frankreich-fuer-erschoepft-42988830.html

    Polen meldet: Mission accomplished. Heißt nicht “cordon sanitaire”, sondern “Allianz zwischen den Meeren”. Friedman nannte es Intermarium.

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