Salvador Allende Gossens harrt mit wenigen Getreuen bis zur letzten Sekunde im Regierungspalast aus. Dann nimmt er sich das Leben. Ein Ereignisbericht der letzten Stunden eines dramatischen Kampfes.
Es ist 6:40 Uhr in der Früh, als im Haus des Präsidenten Salvador Allende das Telefon klingelt. General Urrutia der Carabineros ist am Apparat und verlangt unverzüglich den Präsidenten zu sprechen. Der Wache schiebende Leibwächter Hugo Garcia teilt dem General mit, dass der Präsident die Order ausgegeben hat nicht geweckt zu werden, da er die Nacht zuvor spät ins Bett gegangen war. „Ich übernehme dafür die Verantwortung, wecken Sie den Präsidenten“, antwortet der General eilig. Der Leibwächter klopft an die Tür des Schlafzimmers und ein verschlafenes „Ja, was ist los?“ ist von innen zu hören. Der Präsident geht ans Telefon und der General informiert Allende darüber, dass die in Valparaiso zu Seemanövern aufgebrochene Flotte zurück in den Hafen eingelaufen sei – ein klares Signal, dass etwas Außergewöhnliches im Gange war.
Salvador Allende verlässt mit seinen GAP-Leibwächtern seine Residenz Tomas Moro im östlichen Teil Santiagos in einer Wagenkolonne, bestehend aus drei schwarzen Fiat 125. Die Straßen sind in diesen frühen Morgenstunden menschenleer. „Was ist eigentlich los?“, fragt der Fahrer seinen schwer bewaffneten Kollegen auf den Beifahrersitz. „Die Marine plant einen Aufstand, fahren Sie schnell companero“, beantwortet Allende vom Hintersitz aus selbst die Frage. Der kleine Wagenkonvoi meistert an diesem grauen Dienstagmorgen in wenigen Minuten die Strecke zwischen Tomas Moro und La Moneda im Zentrum der Stadt und erreicht den Regierungssitz des Präsidenten um circa 7:30 Uhr.
Allende in La Moneda
Allende meldet sich um 7:55 Uhr zum ersten Mal an die Nation über den Radiosender Corporación, indem er die ersten Informationen bestätigt:
„Die Marine hat Valparaiso besetzt, was ein Aufstand gegen die rechtmäßige Regierung bedeutet. Ich richte mich vor allem an die Arbeiter. Besetzt eure Arbeitsstelle, geht zu den Fabriken und bewahrt Ruhe. Hier in Santiago ist alles normal. Auf alle Fälle bin ich in La Moneda und werde auch hier bleiben, um die Regierung zu verteidigen, die ich durch den Volkswillen vertrete.“
Zuvor hat er seine Ehefrau Hortensia Bussi angerufen und ihr die Lage geschildert. Er bittet sie in Tomas Moro zu bleiben, da dies zunächst ein sicherer Ort scheint.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Salvador Allende die Hoffnung, dass es sich bei diesem Aufstand um eine isolierte Aktion der Marine handeln würde. Bereits am 29. Juni 1973 hatte das 2te. Panzerregiment unter Teniente Coronel Roberto Souper einen Putschversuch initiiert. Dieser war aber von den bis dahin loyalen Streitkräften unter der Führung des Oberbefehlshabers Carlos Prats niedergeschlagen worden. Das nährte in Allende die Annahme, dass die chilenischen Streitkräfte ihrer in der Verfassung verankerten Traditionen treu bleiben und die legitime Regierung schützen würden. Nur zwanzig Minuten nach seiner ersten Radioansprache richtet sich Allende erneut an das Volk:
„Ich habe das Heer nach Valparaiso befohlen, um den Aufstand niederzuschlagen. Ihr habt die Sicherheit, dass der Präsident in La Moneda bleibt, um die Regierung der Arbeiter zu verteidigen.“
Zuvor hatte der Präsident der Unidad Popular, der Vereinigen Volksfront, mit General Brady gesprochen, der für die Garnison in Santiago zuständig war. Dieser hatte ihm versichert, dass alles normal sei.
Währenddessen herrscht im Regierungspalast Hochbetrieb. Salvador Allende versucht mehrmals den neuen Oberbefehlshaber des Heeres, Augusto Pinochet zu kontaktieren. Dieser hatte nur wenige Wochen zuvor Carlos Prats abgelöst und war von Präsident Allende selbst designiert worden. Auf die Frage des Journalisten und Freund Allendes, Carlos Jorquera, wo denn nun Augusto Pinochet sei, antwortet der Präsident: „ Der Ärmste, wahrscheinlich haben sie ihn gefangen genommen.“
Den wirklichen Verbleib von Augusto Pinochet erfährt der Präsident und seine Mitarbeiter um 8:30 Uhr, als die erste Erklärung der aufständischen Militärs über die Radios läuft: Das Militär sehe sich gezwungen zu intervenieren, um Chile vom Chaos und dem marxistischen Krebsgeschwür zu retten und fordere deshalb den Präsidenten auf zurückzutreten. Unterzeichner: Augusto Pinochet Ugarte, Oberbefehlshaber des Heeres; Toribio Merino Castro, Admiral und Oberbefehlshaber der Marine, Gustavo Leigh Guzman, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Cesar Mendoza Durán, Direktor der Carabineros.
Als Allende dieses Kommuniqué hört, schaut er aus dem Fenster und klopft mit seinen Fingern auf seinen Schreibtisch und sagt laut seinem Berater Joan Garces leise: „drei Verräter.“ Nur einen Tag zuvor hatten Pinochet, Leigh und Mendoza dem Präsidenten seine Loyalität bezeugt. An diesem elften September hatte sich Merino selbst zum Oberbefehlshaber der Marine ernannt, und den rechtmäßigen Oberbefehlshaber Montero in Gewahrsam genommen. Ebenso hatte sich Mendoza zum Generaldirektor der Carabineros designiert. Der Verrat Pinochets ist ein herber Rückschlag für den Präsidenten.
Nun gab es aber keinen Zweifel, dieser Aufstand hatte ein größeres Ausmaß als zunächst angenommen. Um 8:45 Uhr richtet sich Allende über das Radio erneut an das Land:
„Companeros, die Situation ist kritisch. Wir stehen vor einem Putschversuch, an dem der größte Teil der Streitkräfte beteiligt ist. In diesem unheilvollen Augenblick möchte ich euch an meine Worte des Jahres 1971 erinnern: Ich sage euch das in aller Gelassenheit. Ich habe nicht das Zeug zum Apostel oder zum Messias. Ich habe auch nicht das Zeug zum Märtyrer, ich bin ein sozialer Kämpfer, der die Aufgabe erfüllt, die ihm das Volk aufgetragen hat. Ich werde diese chilenische Revolution und diese Regierung verteidigen, denn das ist das Mandat, das mir das Volk gegeben hat. Ohne das Zeug zum Märtyrer zu haben, werde ich nicht einen Schritt zurückweichen. Sie sollen es hören und es sich tief einbrennen. Nur wenn man mich mit Kugeln niederstreckt, können sie meinen Willen verhindern, das Programm zu erfüllen, das mir das Volk aufgetragen hat.“
Allende, seine Mitarbeiter und Leibwächter planen nun die Verteidigung des Regierungspalastes. Der offizielle Generaldirektor der Carabineros, José Maria Sepulveda, befindet sich mit der Palastwache in der Moneda. Salvador Allende gibt den Befehl, für alle ein Frühstück zu servieren und macht einen Rundgang durch den Regierungspalast, um strategische Punkte zur Verteidigung auszumachen. Von den schätzungsweise zwanzig Leibwächtern bleiben zwölf mit Allende in der Moneda. Acht von Ihnen nehmen im Ministerium für Straßenbauamt Stellung. Zudem bleiben einige Beamte der Kriminalpolizei ebenfalls zur Verteidigung im Regierungspalast: „Aus Loyalität zum Präsidenten und zur Erfüllung meines geleisteten Eids“, wird später Inspektor Garrido sagen. Der Präsident berät sich mit seinen Ministern und Beratern. „Jemand sagte, man solle die Arbeiter aufrufen sich zu mobilisieren, damit sie zum Regierungspalast kommen und diesen verteidigen. Allende hat das abgelehnt und meinte das würde ein Blutbad geben“, sagte Arturo Jiron.
Um 9:15 Uhr wird der Präsident zu Radio Magallanes durchgeschaltet, der letzte Radiosender, der noch senden kann. Zuvor hatte die Luftwaffe die Sendeanlagen von Radio Portales und Radio Corporacion zerstört. Er hält seine letzte Ansprache an das Volk:
„Arbeiter meines Landes, ich möchte euch für die stets bekundete Loyalität danken, für das Vertrauen, die ihr in einem Mann gesetzt habt, der nur ein Interpret großer Sehnsucht nach Gerechtigkeit war…In einer historischen Situation gestellt, werde ich meine Loyalität gegenüber dem Volk mit meinem Leben bezahlen…Ich glaube an Chile und sein Schicksal…in diesem düsteren und bitteren Moment, in der sich der Verrat durchzusetzen versucht, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später die großen Alleen wieder öffnen werden, wo der freie Mensch den Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht…Es lebe Chile, es lebe das Volk und es leben die Arbeiter.“
Als die Putschisten ihr Ultimatum bekräftigen den Regierungspalast bis 11 Uhr zu räumen, und nun auch die verbleibenden Carabineros im Regierungspalast auffordern aufzugeben, befreit Allende die Carabineros von ihren Pflichten, lässt ihnen aber vorher die Waffen abnehmen. Die Putschisten drohen den Regierungspalast mit Panzern und der Luftwaffe anzugreifen. Der Präsident ruft alle im Regierungspalast befindlichen Personen zusammen und befreit auch all diese auf seine Leibgarde von ihren Pflichten. Lediglich wer in der Lage sei zu kämpfen, solle in der Moneda bleiben. Nur er als Präsident sei verpflichtet zu bleiben. Alle nahen Berater, Ärzte, Journalisten, Sekretärinnen, Beamte der Kriminalpolizei bleiben. „Das war der Kampfgeist, der zu dieser Stunde herrschte, so waren wir nun einmal“, betonte Arturo Jirón, der Gesundheitsminister, später. Der Oberinspektor der Kriminalpolizei Juan Seoane sagte später: „Der Regierungspalast war schwer zu verteidigen, wir hatten wenig Waffen und keine davon wirklich mit Durchschlagskraft. Unser Verhalten war vielmehr ein Akt der Würde als ein wirklicher Kriegsakt.“ Salvador Allende bittet seinen Berater Joan Garces den Ort zu verlassen:
„Du musst der Welt erzählen was hier vor sich geht.“
Es ist die letzte Order, die er dem Spanier noch mit auf dem Weg gibt.
Um 10 Uhr kreisen die Panzer des 2. Regiments den Regierungspalast ein. Die Luftwaffe hatte zuvor einen Gesandten des Luftwaffengenerals Gabriel van Schowen, Kommandant Roberto Sánchez beauftragt, den Präsidenten das Angebot zu überbringen, ihn, seine Familie und engsten Mitarbeitern in einem Flugzeug außer Landes zu fliegen – mit einem Ziel seiner Wahl. Allende lehnt entschieden ab. „Nur tot kriegt ihr mich aus dem Präsidentenpalast“, antwortet der Doktor, wie er von seinen Mitarbeiter genannt wird. “Salvador Allende hatte immer verächtlich von den lateinamerikanischen Präsidenten gesprochen, die in Pijama oder mit einem Koffer voller Geld das Flugzeug bestiegen und das Land verließen”, sagt Jorquera. Währenddessen geht geht der Präsident in der Moneda hin und her und bereitet seine Mitkämpfer auf die bevorstehende Schlacht vor.
Um 10:30 Uhr eröffnen die Panzer das Feuer auf den Regierungspalast. Die Verteidiger in La Moneda erwidern das Feuer. An erster Linie kämpft der Präsident Allende.
„Das Feuer war so intensiv, man konnte wegen der Einschläge der Kanonen und des Tränengas kaum atmen. Der Präsident war plötzlich verschwunden und Paya (Anm. d. A.: gemeint ist Miriam Contreras, Sekretärin Allendes) bittet mich ihn zu suchen. Nach einer Weile, finde ich ihn wie er am Boden liegend aus dem Fenster mit seiner Waffe nach draußen schießt.“
Die Putschisten fordern die Verteidiger des Regierungspalastes nochmals auf, sich zu ergeben und bekräftigen nun den Sitz mit Kampfflugzeugen anzugreifen. Der Präsident verlangt einen dreiminütigen Waffenstillstand, damit die Frauen La Moneda verlassen können. Allende ruft alle zusammen und bittet diejenigen zu gehen, die nicht kämpfen können. Mit Nachdruck bittet er nun auch seine zwei Töchter, Isabel und die schwangere Beatriz, den Kampfplatz zu verlassen. Er begleitet beide zur Seitentür in Morande 80. „Wir umarmten uns innig und schwiegen. Es ist ein Moment, wo Worte fehl am Platz sind“, sagte Isabel Allende später.
Der Angriff wird fortgesetzt, um 11:52 Uhr fliegen die Kampfflugzeuge den ersten von insgesamt sieben Angriffen. „Insgesamt haben die ungefähr 24 Rockets, abgefeuert. Ich weiß es noch ganz genau, denn ich habe sie gezählt – ich dachte beim nächsten Angriff gehe ich drauf.“, sagte Inspektor Garrido. „Der Boden und die Wände des Gebäudes bebten bei jedem Einschlag. Allende schaute mich an und sagte, wir beiden haben keine Angst, was Negro (Spitzname von Jorquera)? – Nein, Herr Präsident, sagte ich, ich habe keine Angst ich habe nur ein ganz wenig Schiss – Allende lächelte.“
Die Flammen, der Rauch, das Tränengas und die aufgesprengten Wasserleitungen machten einen weiteren Widerstand zwecklos. In diesem schwierigen Moment erleidet Salvador Allende einen weiteren Schicksalsschlag: Der Journalist und Freund des Präsidenten, Augusto Olivares begeht Selbstmord. Dieses Ereignis ist ein harter Rückschlag für die Verteidiger, die eine Gedenkminute abhalten.
Der Tod Allendes
Um 13:30 Uhr haben sich die Streitkräfte unter General Palacios bis zum Eingang des Regierungspalastes vorgearbeitet. Die GAP leisten erbitterten Widerstand, aber es scheint alles verloren. Die acht GAP im Straßenbauamt hatten bis dahin fünf Angriffswellen der Militärs gestoppt. „Wir haben niemals gedacht, dass wir ganz alleine dastehen“, sagte Inspektor Garrido später, der gehofft hatte, dass die Bevölkerung Widerstand leisten würde. „Der Palast brannte völlig aus. Es war schrecklich den Einschlag der Bomben zu hören, das Zerspringen der Kristalle, der Staub und Rauch“, fügt GAP Hugo Garcia hinzu.
Als um 14 Uhr die Lage aussichtslos war und die Militärs das Erdgeschoss des Palastes eingenommen hatten, bat Salvador Allende seine Mitstreiter aufzugeben. „Hisst eine weiße Fahne, bildet eine Schlange und geht geordnet runter, ich werde als Letzter folgen“, sagte Allende. „Er wollte damit unser Leben retten“, sagt Miriam Contreras. Er verabschiedet sich von jedem und sagt: „Hier im Hause der Präsidenten Chiles, haben wir würdevoll und mutig einer faschistischen Junta Widerstand geleistet“, erinnert sich Garcia. „Der Präsident gibt jeden die Hand und bedankt sich für die Unterstützung. Ich sehe wie er in der Schlange immer weiter nach hinten verschwindet und nicht mehr zu sehen ist“ sagt Inspektor Seoane. Nur Miriam Contreras drückt er noch die Unabhängigkeitserklärung in die Hand, damit diese nicht im Flammeninferno zerstört wird.
Die Verteidiger der Moneda hatten sich im zweiten Stockwerk des Hauses verschanzt. Die Flammen, der Rauch, das Tränengas und die aufgesprengten Wasserleitungen hatten einen weiteren Widerstand zwecklos gemacht. Währenddessen dringen die Militärs unter Palacios in den ersten Stock vor und fordern alle Verteidiger auf, sich zu ergeben. Ein Gap, der beim Präsidenten ist, eröffnet das Feuer gegen General Palacios, dem ein Soldat zu Hilfe kommt. Auch Allende gibt einige Schüsse ab und schreit: „Allende ergibt sich nicht ihr verdammten Milicos.“
Der Präsident begibt sich in den Saal Independencia, doch der genaue Ablauf seines Todes ist bis heute nicht eindeutig klar. Die detaillierteste Aussage macht der Präsidenten-Arzt Patricio Guijon.
„Ich ging noch einmal zurück, um meine Tasche und meine Maske mitzunehmen. Da sehe ich wie der Präsident auf einen Weinroten Sofa Platz nimmt, den Lauf seiner Waffe, die er von Fidel Castro geschenkt bekomme hatte, unter das Kinn richtet und abdrückt. Seine Schädeldecke platzte auf und sein Körper sank leicht nach rechts. Ich bin dann aus Solidarität bei ihm geblieben bis die Militärs in den Saal eindrangen.“
In einer abgefangenen Funkübertragung informiert Admiral Carvajal die Junta-Mitglieder über das Ende: „Allende commited suicide and is dead now“. Der leblose Körper des Präsidenten wird um 18 Uhr aus dem Regierungspalast getragen, zur Gerichtsmedizin gebracht und anschließend an einem zunächst geheimen Ort begraben.
Was dann am 11. Septemer 1973 begann, war eine brutale Militärdiktatur, die Chile 17 Jahre autoritär regierte. Über 3000 Menschen wurden getötet, über 30.000 gefoltert und mussten ins Exil. Mehr als 800.000 Chilenen haben ihre Heimat aufgrund der trostlosen wirtschaftlichen Situation im weiteren Verlauf verlassen. Noch immer laufen in Chile einige Täter, die sich grober Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, frei herum.
traurig, dass an diese vorfälle in unser rechtskonservativen von imperialisten dominierten gesellschaft nicht erinnert wird. dabei müssten wir uns doch genau davor in acht nehmen.