Diffus erfolgreich: Der argentinische Peronismus

Wer sich mit dem politischen System Argentiniens befasst, der stößt mit dem Peronismus auf ein Phänomen, das dem europäischen Beobachter zunächst (!) recht eigenartig erscheint.

Von Florian Sander

Die in Argentinien regierende Partei „Partido Justicialista“ (PJ) der amtierenden Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner stützt sich auf die politische Bewegung des Peronismus, welche auf den früheren argentinischen Präsidenten Juan Perón zurückgeht. Obwohl Teil der christdemokratischen Internationalen, steht die Peronistische Partei bzw. die entsprechende Bewegung für ein recht heterogenes Konglomerat an politischen Positionen und Strömungen, welche teilweise gegeneinander gerichtet sind und um die richtige Interpretation dessen streiten, was „den wahren Peronismus“ ausmacht.

So steht der Peronismus nicht lediglich für konservative Ideen, sondern enthält zugleich auch sozialdemokratische und liberale Elemente, die durch einzelne Flügelorganisationen und Fraktionen der Partei vertreten werden. Zwar gibt es in Argentinien durchaus ein Mehrparteiensystem, jedoch bildet die dominante Volkspartei PJ im Zuge von beständigen Flügelkämpfen und Kurswechseln in sich selbst noch einmal gewissermaßen ein eigenes, kleines politisches Subsystem ab.

Der Peronismus übernimmt dabei in hohem Maße die Funktion eines nicht hinterfragbaren, (im ursprünglichen, positiv-besetzten Sinne des Wortes) populistischen Nationalmythos, der es durch seine Abstraktion erlaubt, ihn mit mehreren Bedeutungen nebeneinander zu füllen und ihm so einen pluralistischen Anstrich zu geben – die politische Legitimation einer Bewegung, die sich aus ihrer fehlenden Konkretisierung ergibt. Gleichwohl gilt: Nicht immer hat es funktioniert.

In den 70er Jahren bekämpften sich der extrem linke und der extrem rechte Flügel der Peronisten so entschieden, dass es das Land an den Rand eines Bürgerkrieges führte. Erst mit dem sogenannten Neo-Peronismus, welcher ab den 80er Jahren – ganz im damaligen globalen Trend liegend – (neo-)liberale Ideen verinnerlichte, gelang eine weitestgehend friedliche Integration politischer Fraktionen.

Nichtsdestotrotz erinnert die grundsätzliche, ursprüngliche Ausrichtung der peronistischen Bewegung, die einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus vorsah, in nicht geringem Maße an den deutschen, von Christ- und auch Freidemokraten geprägten „Sonderweg“ des sogenannten rheinischen Kapitalismus bzw. der Sozialen Marktwirtschaft. Und dies nicht nur in Bezug auf wirtschafts- und sozialpolitische Inhalte und Programmatik, sondern auch in Bezug auf eben jene „Nicht-Hinterfragbarkeit“.

Sowohl in Argentinien als auch in Deutschland existieren in gewisser Weise prinzipielle politische rote Linien, hinter die nicht zurückgetreten werden kann. Wer hierzulande die Soziale Marktwirtschaft als Institution in Frage stellt, wird vielleicht nicht – wie politische Extremisten – aus dem Diskurs ausgeschlossen, wohl aber nicht mehr wirklich ernst genommen. Die politisch-kommunikative Anschlussfähigkeit ist dann zutiefst in Frage gestellt. Das geht soweit, dass mittlerweile nicht nur Union, SPD, Grüne und auch FDP für sich in Anspruch nehmen, für die Soziale Marktwirtschaft zu sprechen, sondern dass auch Linken-Vize und MdB Sahra Wagenknecht (ehemals Kommunistische Plattform) lautstark die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft verteidigt und de facto aussagt, dass diese heute ihr zustimmen würden und nicht den übrigen Parteien.

Ganz so unhinterfragt wie die Soziale Marktwirtschaft ist der Peronismus in Argentinien zwar nicht. Nicht zuletzt aufgrund der fortdauernden Schwäche der konkurrierenden linken Partei „Union Civica Radical“ (UCR) jedoch hat er heute wiederum, wie schon Jahrzehnte zuvor, eine national dominante politische Stellung inne, im Zuge derer die entscheidenden Diskurse von Flügelkämpfen innerhalb der PJ geprägt werden.

Die entscheidendste Gemeinsamkeit mit der Institution der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland ist allerdings das Wirkmuster, mit dessen Hilfe er diese politisch-hegemoniale Position bewahrt: Die diffuse Natur seiner Grundlagen. Je abstrakter eine politische / soziale Institution, eine Ideologie, eine Bewegung und / oder eben eine Partei ihre Grundsätze und Prinzipien gestaltet, desto interpretierbarer sind diese und desto leichter wird es für politische Akteure, sie mit den Inhalten zu füllen, die ihnen belieben, und sie auf eine ihnen genehme, spezielle Weise auszugestalten, wenn es konkret wird und ins Detail geht. Ein Mechanismus, der die hohe Integrationskraft der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und des Peronismus in Argentinien ebenso erklärt, wie übrigens auch die des Liberalismus in der gesamten westlichen Hemisphäre. Auch dieser zieht seine politische Legitimation aus der ihm eigenen Kontingenz: Es ist politisch (scheinbar) alles erlaubt – und möglich, wenn die Mehrheit es nur will.

Zugleich führt diese Offenheit jedoch auch in das Risiko der Beliebigkeit und der kompletten Ent-Ideologisierung, die nicht nur keinen Halt macht vor Volksparteien (prominentes Beispiel: Die CDU Angela Merkels), sondern langfristig auch ein Demokratiedefizit bedeutet. Diffusion nämlich bedeutet Unklarheit und fehlende Berechenbarkeit. Beides schürt Politikverdrossenheit, da es beim Wähler den Eindruck hinterlässt, dass feste Positionen und politische Beständigkeit Mangelware geworden sind.

Es wäre sowohl Liberalen und deutschen Christdemokraten als auch argentinischen Peronisten zu wünschen, dass sie dieses Risiko erkennen und ihm entsprechend entgegenwirken. Um ihren Parteien auch langfristig weiterhin politische und demokratisch einwandfreie Legitimation zu gewährleisten.

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16 Kommentare zu "Diffus erfolgreich: Der argentinische Peronismus"

  1. Reyes Carrillo sagt:

    Lieber Herr Sander,

    als ich sah, dass Sie etwas über die Politik meiner Heimat Argentinien, in der ich meine politische Initiation erfahren habe, geschrieben haben, musste ich vor der Lektüre Ihres neuen Werkes doch erst einen Umweg über die Küche nehmen, das längste meiner Messer herausholen und dieses erst einmal rasierklingenscharf wetzen. Unbewaffnet, so dachte ich, würde ich ein Ich-erklär-dir-mal-Argentinien von einem deutschen Liberalen kaum ertragen können.

    Doch ich las Ihren Artikel einmal, ein zweites Mal und nun gerade noch ein drittes Mal – und finde in Ihrer Beschreibung des Peronismus resp. der “Gerechtigkeitspartei” Frau Kirchners und der Krise der UCR (auch wenn Sie ihr nur einen Halbsatz gönnen) nicht wirklich etwas, das meinen diesmal extrem sensibel eingestellten Peaklevel annähernd in einen roten Bereich hätte ausschlagen lassen. Die relativ dauerhaften Erfolge der Sozialisten in meiner Heimatprovinz Santa Fé und meiner Geburtsstadt Rosario darf ich aber sicher noch hinzufügen. Doch zurück: Nein, wirklich prima beschrieben! Gut, die Eckpfeiler Ihrer Übersicht über das Phänomen des Peronismus kann man sich zur Not auch mit wenigen Klicks aus den gängigen Wissensspeichern des Internets zusammenklauben, aber das unterstelle ich Ihnen nicht, sondern glaube gerne, dass Sie sich tatsächlich mit Argentinien befasst haben.

    Ihre angestellten Analysen unter der Überschrift der politischen “Nicht-Hinterfragbarkeit” im Vergleich des Peronismus mit der (ehemaligen!) Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland inkl. Ihrer Mahnung, es mit der Ent-Ideologisierung nicht zu weit zu treiben fand ich zunächst etwas arg an den Haaren herbeigezogen, beim zweiten Mal aber doch recht spannend und durchaus machbar. Sie graben dabei einige wirklich interessante Aspekte aus.

    Sehr irritierend für mich ist allerdings der Umstand, dass ein FDP-Mitglied, dessen Partei wie keine andere in diesem Land (mit Hilfe der SPD und den Grünen freilich) den Neoliberalismus alias “Neue Soziale Marktwirtschaft” gemäß der Propagandamaschine INSM anstelle der Sozialen Marktwirtschaft etabliert und in ihr absurdes Gegenteil verkehrt hat, sich angesichts der von ihm selbst erstellten Analyse dermaßen geschmeidig an einer dann doch nahe liegenden fundamentalen Kritik seiner eigenen Gehirnwäscher vorbei schleichen kann! Mann, Sie sind doch so ein heller Kopf und gescheiter Analytiker und ja Gott sei Dank auch kein Dogmatiker! Deshalb im Ernst: Wie schaffen Sie das, Ihre eigene Partei, die, ich wiederhole mich, wie keine andere den sehr wohl ideologischen (!) Neoliberalismus in Deutschland verkörpert, in Ihrem Artikel so dermaßen lautlos an Ihrer eigenen Analyse, deren Gegenteil sie verkörpert (nicht-ideologisch), vorbeizuschmuggeln? Reine Parteiräson? Oder tatsächlich die berühmte ideologische Ausblendungsbrille? (Die natürlich auch der Linken nicht fremd ist.) Ein, zwei kritische Sätze hätten ja schon genügt! Sie aber schreiben dagegen nur nebulös über – auch! – den deutschen Liberalismus: “Es ist politisch (scheinbar) alles erlaubt – und möglich, wenn die Mehrheit es nur will”. Ohne Worte.
    Aber das Beste zum Schluss: Ihrem Satz “…dass auch Linken-Vize und MdB Sahra Wagenknecht (ehemals Kommunistische Plattform) lautstark die Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft verteidigt und de facto aussagt, dass diese heute ihr zustimmen würden und nicht den übrigen Parteien” stimme ich natürlich uneingeschränkt zu und bedanke mich verwundert, aber artig bei Ihnen für diese verblüffend objektive Bewertung.
    Ach ja, ok, auch wenn sie von Ihnen natürlich völlig anders gemeint war…
    Darf ich Sie abschließend fragen, welcher Art Ihr Interesse bzw. Ihre Verbindung an und zu Argentinien ist?

    • Sebastian Müller sagt:

      Liebe Frau Carrillo,

      es ist immer wieder ein einzigartiges Vergnügen, Ihre Kommentare im Allgemeinen, insbesondere aber in Bezug auf die Artikel von Herrn Sander zu lesen! Das nächste Mal mache ich mir dafür eine Flasche Rotwein auf.

    • Liebe Reyes Carrillo,

      ich kann mich da Sebastian nur anschließen. Um einen kleinen Auszug aus einer Unterhaltung mit ihm nach der Veröffentlichung des Artikels zu geben: Ich schrieb ihm scherzhaft “Na, hoffentlich ist Reyes Carrillo keine Argentinierin, sonst werde ich vermutlich seziert…”. Spürbar belustigt antwortete er mir dann, dass Sie dies tatsächlich sind, woraufhin mir ein Fluch entfuhr und ich innerlich sicher war, dass ich innerhalb der nächsten Stunden als liberales Kleinholz enden würde. Lassen Sie mich Ihnen danken dafür, dass dies nicht der Fall war.

      Nun zu Ihrer Kritik. Ich würde meine Partei tatsächlich nicht in diesen Bereich einordnen. Denn: In meinem Artikel geht es um die Beliebigkeit und die diffuse Natur politischer Bewegungen oder Institutionen. Als “diffus” kann man die FDP aber nun eher nicht beschreiben. Die FDP hat eine relativ klar umrissene politische Ausrichtung. Natürlich ist es eine, die Ihnen nicht zusagt – aber sie ist nicht wirklich diffus. Auch die Grünen und die Linkspartei sind dies nicht, sondern beide haben relativ klare Programme, die mir wiederum nicht zusagen. Diffus sind nur die sogenannten Volksparteien, allen voran die CDU, aber auch die SPD. Und diesem Zustand galt mein Artikel bzw. meine Kritik.

      Und noch eine Korrektur: Als ich vom Liberalismus schrieb, schrieb ich nicht vom deutschen, sondern von dem der “gesamten westlichen Hemisphäre”. D.h., ich meine hier nicht die spezielle politische Ausrichtung der deutschen Freidemokraten, sondern die politische Strömung des Liberalismus in ihrer historischen Dimension, welche den Westen maßgeblich politisch geprägt hat und auf dessen Basis man oft auch von den “liberalen Demokratien” des Westens spricht. Es geht hier also um den Liberalismus als Regierungssystem. Und genau dies lebt eben von seiner Kontingenz. Es legitimiert sich dadurch, dass unterschiedliche Formen der politischen Ausgestaltung möglich sind: Pluralismus, Mehrparteiensystem, Demokratie.

      • Reyes Carrillo sagt:

        Lieber Herr Sander,

        schön, dass Sie auch hier (wieder) erkennen konnten, wie sehr doch mein Wesen von Milde, ja vielleicht schon Altersmilde nachgerade durchdrungen ist! Schmeicheleien und Galanterien derart, dass Sie mir zutrauen, ich könne Sie “sezieren” und zu “Kleinholz”, nein, sogar zu “liberalem Kleinholz” verarbeiten, tupfen natürlich warm die eigene Eitelkeit.
        Ich denke, schon ganz gut erfasst zu haben, was Sie in Ihrer Analogie mit der Diffusion meinten und um was es Ihnen in Ihrem Artikel ging. Dies hatte ich ja auch gewürdigt und finde wirklich, dass Ihre Analysen und Thesen mehr als nur interessant sind! Selbst den Peronismus haben Sie ja vor den gestrengen Augen einer politisch linken Argentinierin – artikelgerecht gestutzt – untadelig bewältigt, so dass sie ihr geschärftes Messer unbenutzt und erleichtert zurücklegen konnte. Doch wie Sie ja aus meinen bisherigen Kommentaren ersehen können, trachte ich stets danach, ein paar Gleise neben Ihrem tatsächlichen Thema zu verlegen, um Ihrer dann doch irgendwie habhaft werden zu können. Nicht aus Prinzip, sondern aus Notwendigkeit natürlich. Dies aber wäre nun ziemlich schwierig, würden Sie Ihre Leser über Ihre politische Heimat im Unklaren lassen. Denn nur diese generiert den möglichen und sinnvollen Angriffspunkt. Einzig die Gegenüberstellung und Abgleichung Ihrer jeweiligen Themen und Aussagen mit der Realität der FDP der mindestens letzten 25 Jahre und insbesondere der Westerwelle-Ära (Generalsekretär und Bundesvorsitzender) machen dann stutzig, legen Ungereimtheiten (zumindest für die mit dem anderen Weltbild) offen und provozieren die sich daraus ableitenden Fragen.
        Und im vorliegenden Falle haben Sie selbst natürlich die Steilvorlage durch Ihre Analogie der Sozialen Marktwirtschaft mit – und das ist dann eigentlich schon fast egal gewesen. Leider – und sehr schade für das eigentliche Thema! Der Begriff Soziale Marktwirtschaft aus der Feder eines Mitglieds der heutigen FDP war zwangsläufig der Punkt, an dem sich der Herzschlag eines jeden halbwegs aufrechten Linken Richtung Tachykardie bewegte. Die heutige FDP und Soziale Marktwirtschaft, das konnte und durfte man nicht unhinterfragt stehen lassen. Meinen Sie nicht, dass eine solche Kritik resp. eine solche Fragestellung erwartbar sein musste, wenn Sie in einem “linken” Blog veröffentlichen?
        Die Situationen ähneln sich irgendwie: Sie schlagen in Ihren Artikeln – völlig legitim! – meist schöne, weite intellektuelle Bögen um Ihr Thema, die die freie, klare Luft des selbständigen, unorthodoxen Geistes, der sich selbst ein wenig feiern darf, atmen – und ich werfe Ihnen dann geradezu erbsenzählerisch und kleingeistig fixiert mit schnöden Hartz-IV-Empfängern oder wie hier mit kleinlicher Begriffsklauberei wie der Sozialen Marktwirtschaft vs Neuen Sozialen Marktwirtschaft einen Brösel in die Luftröhre und Größe Ihrer Umschau. Und in Ihr Thema. Adler und Maulwurf. Nicht zwingend Adler gegen Maulwurf. Denn ich mag ja Ihre Art zu schreiben, darauf komme ich gleich noch zurück. Ich möchte nur dafür werben, dass Sie mir diese Maulwurf-“Pose” abnehmen in dem Sinne, dass sie keine Attitüde und Gutmenschenzierde ist. Denn ich erlebe mit den Jahren einfach immer eindringlicher, wie geradezu beschämend schlicht die Fragen und vor allem die Antworten hinsichtlich der Würde des Menschen (ich subsumiere mal alles unter diesen Begriff) und den Bedingungen, diese allen zu garantieren sind. Und vor allem, dass es immer und überall um diese geht und um nichts anderes! Beim neoliberalen Mantra von den “komplexen Herausforderungen in Zeiten der Globalisierung”, das diese Würde torpediert, sprießen mir deshalb heute mehr Pickel als in meiner fernen Jugend.
        Ich möchte Ihnen aber trotzdem noch einmal klar versichern, dass ich Ihre Artikel mit drei verschiedenen Brillen lese: Mit der Fernbrille labe ich mich mit Freude an Ihrer intellektuellen, analytischen Feinarbeit und Sprache, mit der Nahbrille fallen mir dann ein paar Dinge auf, die mich ärgern und ich sie unbedingt ansprechen muss und mit der Gleitsichtbrille vermählen sich dann beide im beglückenden Zustand der Aufhebung aller Dualität, sprich allen Adlern und Maulwürfen. Namaste.
        Wollen Sie mir trotzdem noch verraten, was Sie mit Argentinien verbindet?

        • Liebe Reyes Carrillo,

          ich versuche einfach mal, das Problem, das Sie umtreibt, mit meinen Worten zu beschreiben: Sie suchen im Grunde nach einem Angriffspunkt, da ich einer Vorfeldorganisation des politischen Gegners angehöre. Ich jedoch bot Ihnen bislang nur Texte, denen Sie entweder zustimmen konnten oder die Ihnen zumindest, von einzelnen Formulierungen abgesehen, insgesamt nicht allzu falsch erschienen. Dennoch möchten Sie nicht warten, bis ich endlich mal etwas verfasse, was richtig schöne Reibungspunkte bietet, sondern eigentlich jetzt schon losfeuern. Habe ich recht?

          Nun liegt das Problem aber darin, dass ich mich gar nicht so sehr an der “Front” sehe, an der Sie mich verorten. Denn: Ich bin zunächst einmal Florian Sander. Erst danach bin ich FDP-Mitglied. Zu meinem politischen Wesen gehört mehr als meine Parteimitgliedschaft. Und im Grunde habe ich damit auch gleich beschrieben, wieso ich Teil dieser Partei bin: Weil sie eben die einzige deutsche Partei ist, die mir nicht irgendein kollektivistisches Programm überstülpt, unter das ich mich zu unterwerfen habe. Sie machen, vermute ich, den Fehler, genau dieses Vorgehen auch uns zuzurechnen, da dies die linke Form ist, Politik zu machen: Der Kollektivzweck kommt vor den Individualzielen.

          Das ist aber nun einmal nicht meine (unsere) Methode. Im politischen Prozedere hat dies Vor- und Nachteile: Liberale sind nicht gut in Sachen Parteidisziplin, wie wir in den Wochen vor der Niedersachsenwahl wieder merkten. Aber dafür bekommt man bei uns auch nicht gleich ein Parteiausschlussverfahren, wenn man mal kurz vor der Wahl etwas gegen den Vorsitzenden sagt. Und genau darum geht es: Um die Art und Weise (!), Politik zu machen. Diese besondere Herangehensweise hat sich die FDP immer bewahrt, egal, was man sonst über sie denken mag, egal, wie (m. E. reichlich) defizitär ihre Regierungsarbeit seit 2009 war. Und genau dafür nehme ich dann auch mal gerne programmatische Abweichungen in Kauf. Die FDP ist mehr als Westerwelle und wird es auch weiterhin sein. Für mich ist sie die Partei, in der – in Ihren Worten – Adler und Maulwurf nebeneinander existieren können. Sie lebt eine Haltung, die ich z. B. auch in diesem Blog wiederzufinden glaube. Und das ganz, ohne dabei inhaltlich diffus zu werden.

        • Reyes Carrillo sagt:

          Lieber Herr Sander,

          womit habe ich mir nur Ihre ja nun geradezu erschreckende Humorlosigkeit verdient? Da friert es mich ja regelrecht, wenn ich Ihre Replik lese, die nun – zum ersten Male – auch leicht aggressive Konnotationen und eine unbekannte Dünnhäutigkeit aufweisen. Das heißt dann natürlich, dass ich Ihnen persönlich zu nahe getreten sein muss und ich Sie, in Ihrer Wahrnehmung, zu/auf etwas reduziere, das Sie nun hier unter Zuhilfenahme üblicher, abgedroschener Stereotypen resp. Zuschreibungen, was Sie unter linker Politik verstehen, weit von sich weisen. Und den Spieß (gäbe es ihn denn) umzukehren suchen. Aber Ihre Zusammenfassung im ersten Absatz ist, pardòn, Quatsch und ich müsste eigentlich richtig beleidigt sein ob dieser sträflich simplifizierenden und ausblendenden Art und Weise Ihrer Rezeption meiner Replik. Alles und nicht nur selektiv lesen hilft eben doch oft ungemein, auch in diesem Fall. In Ihnen wirken vielleicht reflexhafte Allergien, von denen Sie vielleicht bisher noch gar nichts wissen, allerdings gewohnt zu sein scheinen, Sie anderen zu unterstellen.

          Ich mach’s mal ganz ausführlich. Zunächst einmal frage ich mich und damit Sie, was Sie bitte noch alles von mir als Kommentatorin erwarten, Ihnen zu belegen, dass ich Ihre Individualität als Florian Sander ausreichend würdige? Meine Erinnerungen dahin gehend sind jedenfalls: Da würdige ich ohne Unterlass in jedem meiner Kommentare Ihre Artikel resp. Ihre individuellen (!) geistigen, intellektuellen Leistungen, da betone ich wiederum in jedem (!) meiner Kommentare Ihre geistige Unabhängigkeit und freue mich schriftlich in wiederum so gut wie jedem meiner Kommentare an Ihrer Fähigkeit, recht undogmatisch zu denken! Im Ernst: Was wollen Sie bitte noch? Sie scheinen es offenbar inflationär gewohnt zu sein, dass sich jeder Ihrer Kommentatoren – neben evtl. Kritik – auch so überaus würdigend äußert wie ich dies zuverlässig tue.
          Aber natürlich auch dies gehört dazu und ich frage: Wie können Sie mir andererseits vorwerfen, ich würde Sie auf Ihre bloße FDP-Mitgliedschaft reduzieren (was ich ja nicht tue), wenn Sie dann trotzdem (Stichwörter: Elitegedanken/Soziale Marktwirtschaft) genau solche FDP-Standards vertreten? Hatte ich also Unrecht? Selbstverständlich ist Ihr Weltbild ein liberales Weltbild, das aus Florian Sander, sehr wohl aber auch aus der FDP besteht. Das müssen Sie dann schon aushalten. So wie mein Weltbild ein sozialistisches ist und ich mir von Ihnen sogar regelrecht tumbe Stereotypen darüber gefallen lassen muss, was aus Ihrer Sicht typisch links ist – und mit mir als Reyes Carrillo gar nichts zu tun hat. Aber da murre ich nicht weiter, klage und beschwere mich nicht, sondern steige dann eher aus einem Disput aus, wie unlängst, der keine sinnvolle Weiterführung mehr verspricht.
          Was Sie nun geradezu trunken in Ihrem Text alles an wundersamen Qualitäten Ihrer Partei lobpreisen im Unterschied zu den schrecklichen Linken ist mir, ich bin offen, piepegal. Daran mögen Sie sich delektieren, ich muss es nicht. Das kommt aber vor allem sicher davon, dass ich selbst in keiner Partei bin und es auch Zeit meines Lebens nie war. Deshalb zielt dies alles ins Leere, da Sie mich in einer solchen Diskussion gewiss nicht verorten können. Sie jedoch, im Gegensatz dazu, verweisen in Ihrem Blog dezidiert auf Ihre Parteizugehörigkeit hin.
          Aber das Wichtigste, lieber Florian Sander: Selbstverständlich und sogar zwingend gleiche ich Ihre parteipolitisch-ideologisch so harmlos daherkommenden Texte mit den grundlegenden Überzeugungen Ihrer Partei (die auch Sie, Abweichungen hin oder her, teilen!) ab! Wie kommen Sie nur dazu, dies zu kritisieren? Dass ich das nie auf Kosten Ihrer Individualität mache, daran habe ich ja bereits erinnert.
          Polemikmodus ON: Wollen Sie allen Ernstes als quasi schizophren wahrgenommen werden? Hie ist nur Florian Sander drin, sozusagen Florian pur, dort aber ist Sander zuzüglich (neo-)liberalem FDP-Weltbild drin? Wirklich? Mein Leben als Reyes Carrillo jedenfalls kennt solcherart Trennungen nicht. Wie befremdend auch: Hie wäre ich Reyes Carrillo, aber dort plötzlich Reyes Carrillo pro – mit sozialistischem Zuschlag sozusagen. Ich bin Reyes Carrillo beim Abwasch, ich bin sie auf dem Klo, ich bin sie in einer politischen Diskussion und ich bin sie beim Tatort-Gucken. Solche sachbezogenen und temporären Metamorphosen kenne ich nicht. Polemikmodus OFF
          Ich muss Ihnen dann eben doch diese Fragen stellen dürfen, selbstverständlich auch dann, wenn sie etwas umständlich neben Ihrem eigentlichen Text gestellt sind: Ich, Frau Reyes Carrillo mit der Menschenwürdemacke, die das (nicht nur soziale) Weltbild einer FDP für teilweise menschenverachtend hält und die meint, dass es um diese Frage der Menschenwürde letztlich in Allem, dem Großen wie dem Kleinen und dem Kleinsten und natürlich auch in Ihren Artikeln geht, will von Ihnen, Herrn Florian Sander, dem freien Geist und FDP-Mitglied wissen, was Sie auf meine dann entsprechende Frage antworten. So einfach. Das können Sie dann beantworten. Oder ignorieren. Oder sich wie hier darüber erregen, dass Sie von mir auf nichts weiter als auf Ihre Parteizugehörigkeit reduziert werden und sinngemäß behaupten, ich würde einfach um des ideologischen Losfeuerns Willen auf Sie feuern. Das ist, wie gesagt, Unsinn. Sie haben sich schlicht und einfach Ihre Selektionsbrille aufgesetzt und die Passagen in meiner letzten Replik fokussiert, die Ihnen wohl gerade zupass kamen und andere, zum Gesamtkontext zwingend dazugehörige einfach mal so unter den Tisch fallen lassen. Und das ergibt krumme Bilder.
          Unser grundsätzliches Missverständnis besteht darin, dass Sie Ihre Artikel getrennt von Ihrer ideologischen Zugehörigkeit rezipiert haben möchten, ich Sie und sie aber, ich sagte es schon, als politisches Kontinuum wahrnehme. Was für mich übrigens selbstverständlich ist. Stören tut mich demgemäß auch Ihre gespielte Naivität, als wüssten Sie nicht, dass beispielsweise bei einem gemeinsamen Konsens beider politischer Lager zu irgendeinem gesellschaftspolitischen Thema (was es ja auch gibt) zwischen den Begründungen, warum diese jeweils zum selben Ergebnis kommen ganze Welten und Galaxien bestehen. Deshalb: Stimme ich inhaltlich einem Ihrer Artikel zu, heißt das doch noch überhaupt nichts! Denn das, was Sie in meinen Augen als zutreffend beschreiben, können und werden Sie doch aus völlig anderen Gründen so sehen – und das will ich eben wissen und herausarbeiten. Und ein solcher Klassiker ist beispielsweise nun einmal die völlig diametrale Sicht auf die Soziale Marktwirtschaft innerhalb unserer Weltbilder.
          Ihre persönlich vorgenommenen unterschiedlichen Dosierungen derart, dass Sie in den hier zur Debatte stehenden Artikeln Ihr Weltbild (auch themenabhängig) nur sanft dosiert einstreuen, schon um, wie Sie selbst schreiben, nicht “diffus” zu bleiben, oder aber auf dem genuin (partei-)politischen Schlachtfeld dann sattere ideologische Saat streuen würden, können für mich aus diesen gründen kein Kriterium meines Kritikansatzes sein. Wobei ich Ihnen natürlich glaube, dass Sie das gerne so hätten.

          Ach Mann, Sie Spielverderber, so macht das gar keinen Spaß mehr… Aber ich weiß was: Sie entschuldigen sich jetzt ganz artig bei mir für Ihre Missdeutungen, versprechen schnelle Besserung, ich verzeihe Ihnen großmütig – und alles ist wieder gut. Ok?
          Meine hoffentlich nicht zu intime und linksideologische Frage nach Ihrem Faible für Argentinien wollen Sie nun wohl gänzlich ignorieren?

        • Liebe Reyes Carrillo,

          Sie sind mir ganz und gar nicht zu nahe getreten! Ich für meinen Teil führe die Diskussion nach wie vor gern und bin daher in keiner Weise aggressiv. Sollte dies so rüber gekommen sein, so bedauere ich das. Ich bin lediglich, wie Sie ja ganz offensichtlich auch, Anhänger einer klaren und unmissverständlichen Sprache. Aggressiv macht mich eigentlich nur Dummheit. Sie jedoch sind alles andere als dumm, sondern Ihnen würde ich eher ein sehr klares Freund-Feind-Schema attestieren, an dem Sie Ihre politische Interaktion ausrichten. Formulierungen wie “Ihre ideologische Zugehörigkeit” sprechen da schon eine klare Sprache. Damit will ich übrigens nicht sagen, dass ich keine ideologische Zugehörigkeit hätte! Ganz sicher habe ich die. Aber sie sollte nun schon etwas differenzierter erfasst werden als mit “halt alles böse Neoliberale”. Das politische Spektrum ist komplexer. Und ich werfe Ihnen durchaus vor, dass Sie hier nicht genügend differenzieren (dies jedoch ohne jede Aggressivität!).

          Hier kommen dann auch meine Erwartungen an Sie als Kommentatorin ins Spiel. Ich bin eben als Person – soviel sollte durch die Lektüre auch älterer Texte von mir deutlich werden – kein bloßer Agent eines irgendwie gearteten ideologischen Großzusammenhanges namens Neoliberalismus. Nicht einmal die Partei FDP ist dies! Parteien haben nicht umsonst verschiedene Flügel, in diesem Fall sogenannte Bindestrich-Liberalismen. Und hier erwarte ich natürlich von Ihnen, dass Sie dieser Tatsache Beachtung zollen. Nicht nur in Bezug auf mich, sondern auch in Bezug auf meine Partei als Ganzes.

          Gleichwohl: Ich freue mich natürlich, dass Sie eine der wenigen Personen sind, die ich kennenlerne, die von ihrer Freund-Feind-Unterscheidung nicht in eine gleichsam mitschwingende, moralistische Gut-Böse-Unterscheidung hineingetrieben werden (ansonsten hätten Sie keinen Humor, keine Selbstironie und würden vermutlich gar nicht mehr mit mir diskutieren). Seien Sie sicher: Mir ist dies durchaus bewusst und ich weiß es weiterhin außerordentlich zu schätzen, dass Sie diese äußerst seltene Selbst-Differenzierung hinkriegen.

          So gesehen kritisiere ich überhaupt nicht, dass Sie meine Texte mit der Programmatik abgleichen, die Sie meiner Partei zurechnen. Wenn überhaupt kritisiere ich, dass es Sie zu verwundern scheint, dass es da tatsächlich Unterschiede geben könnte.

          Zu Ihrem “Polemikmodus”: Das darin beschriebene Szenario ist gar nicht derart unrealistisch, wie Sie es darstellen. Möglicherweise ist das ein Produkt meiner soziologischen Ausbildung: Ich denke in Kommunikationssystemen. Und dadurch reflektiere ich auch sehr klar, wann ich in welchem System kommuniziere, ob ich etwa wissenschaftlich kommuniziere oder politisch. Gleichwohl: In meinem und diesem Blog kommuniziere ich klar politisch. Das schrieb ich ja an anderer Stelle schon. Aber: Unterscheiden kann man es.

          Für mich ist Kommunikation relevanter, weil beobachtbarer als das, was gemeinhin mit der Pathos-Formel “Mensch”, “menschlich” etc. beschrieben wird. Vor diesem Hintergrund halte ich auch von dem Begriff der “Menschenwürde” eher wenig. Diese bezeichnet zunächst einmal nur “gelungene Selbstdarstellung innerhalb einer sozialen Rolle” und nicht mehr. Ob sie gelingt, ist dann jeweils beobachterabhängig, sprich subjektiv. Würde ist somit genauso sozial konstruiert wie etwa Behinderung. Natürlich habe ich wie auch Sie ein Bild davon, was würdevoll ist und was nicht. Jedoch kann sich dies nur auf unmittelbare Interaktion beziehen. Ich persönlich glaube nicht daran, dass Politik kollektiv bindend definieren kann, was Menschenwürde schützt und was nicht. Dazu ist sie gar nicht imstande. Daher ist dies für mich kein politisches Kriterium.

        • Reyes Carrillo sagt:

          Hier der lange Roman zum Film:

          Lieber Herr Sander,

          wie schade, dass Sie sich nicht entschließen konnten, mir einfach umfänglich Recht zu geben, sich schluchzend vor mir in den Staub zu werfen und um Milde zu winseln… Huch, ich habe gerade geträumt… Entschuldigung.

          So, nun arbeite ich mal Ihre in jeder Hinsicht bemerkenswerte Antwort – am besten chronologisch – ab, denn in dieser kommen wir den meiner Ansicht nach bisher elementarsten Unterschieden zwischen unseren Weltbildern, auch Kulturen nicht nur auf die Spur, sondern sie stürzen uns sogar regelrecht krachend vor die Füße.

          Sie erkennen zunächst richtig, dass ich einem Freund-Feind-Schema unterworfen bin, das natürlich alle meine Lebensbereiche umfasst (Kontinuum) und nicht nur die politische Interaktion. Diese Temperamente resp. (Über-)Lebensstrategien des Kindes sind natürlich auf einer “nature-and-nurture”-Ebene angesiedelt und keine individuelle freie Entscheidung. So wie Ihre – unbewusste – Strategie die (Not-)Lösung über das Wissen generiert. Ich war und bin auch nicht immer glücklich über dieses Charakteristikum, das (zu) wenig Grautöne kennt. Meine erprobte Waffe dagegen ist aber eine gnadenlose Selbstreflexion – und viel Humor. Mögen Sie eigentlich die Farbe Gelb? Innerhalb der Farbenlehre des Modells “Spiral Dynamics ®” (falls Sie es kennen, was ich mir vorstellen könnte) würde ich Ihnen (Florian Sander) durchaus den Übergang zur Stufe Gelb attestieren, während ich unerlöstes Lichtlein noch im Wir, also im Kollektivismus (wie der ganze Sozialismus) der grünen Stufe umherirre. Sie sehen, Ihre stereotypen Zuschreibungen des Linksseins werden sogar in diesem Entwicklungsmodell des menschlichen Bewusstseins verwurstet. Dies meine ich natürlich nicht ohne Ironie, wie Sie sich denken können. Doch andererseits auch nicht ohne eine gewisse Sympathie für dieses – vor allem auch politisch interessante – Modell. Ich denke da besonders an Südafrika…

          Weiters haben Sie sicher auch Recht, dass ich in meiner bisher recht schlichten und damit tatsächlich wenig differenzierenden Begriffswahl, Ihr politisches Spektrum zu umreißen, nicht sehr fair war. Auf der anderen Seite jedoch bin ich mir mehr als sicher bzw. weiß ich, dass Sie den von mir vermuteten “Feind” (auch wenn Sie nicht “Orange” sind) auch bei differenziertester Betrachtungsweise und Begriffswahl trotzdem abgeben und ich deshalb an den Inhalten meiner bisherigen Argumentationen prinzipiell nichts zurückzunehmen habe. Dies wurde ja schließlich auch deutlich und mit dieser neuen Antwort bestätigen Sie mein Gefühl nun geradezu wasserdicht. Doch dazu gleich mehr. Ich verstehe sehr gut – und Sie tun dies aus Ihrer Selbstsicht völlig zu Recht -, dass Sie sich nicht “…als bloßen Agenten eines irgendwie gearteten ideologischen Großzusammenhanges namens Neoliberalismus” sehen. Dies respektiere ich uneingeschränkt. Innerhalb meiner politischen Kontexte jedoch darf ich das etwas anders sehen, was Sie nun wiederum mir hoffentlich erlauben. Aber als Agenten sehe ich Sie beim besten Willen nicht. Kurzum: Ich halte Sie in keinem Fall für einen tumben Neoliberalen, dessen beschränktes Weltbild parteiideologisch zugesch… ist. Im Gegenteil, Sie sind ein ganz und gar ausgeschlafenes Kerlchen mit fixem Geist und selbstverständlich eigenem, auch unorthodoxen Gedankengut! Dass ich dies sehr schätze habe ich inzwischen nachgerade inflationär bekundet. Mein Lebenspartner übrigens war früher in den Siebzigern ein ganz begeisterter FDP-Wähler (Freiburger Thesen). So kenne ich schon auch ein wenig die Parteigeschichte der FDP, auch wenn ich zu jener Zeit Politik in Deutschland noch nicht “live” miterleben konnte. Ein bisschen wundern tun mich allerdings schon Ihre Empfindlichkeiten dahin gehend, dass Sie auf der anderen Seite immer wieder richtig schneidig-knackige und klar ideologische Watschen austeilen, wenn es um Ihre Sicht auf die Linke geht und damit natürlich auch auf einem Nebengleis auf mich. Merken Sie das vielleicht gar nicht oder gewichten Sie unterschiedlich? Ich nehme es Ihnen aber nicht übel, da ich es Ihnen natürlich zugestehe.

          Ihre soziologisch systemtheoretisch begründete Art, in Kommunikationssystemen zu denken, die, wahrscheinlich wollten Sie das damit auch sagen, sehr wohl einen nach jeweiligem System sich verändernden Aggregatzustand des Florian Sander zulassen oder sogar notwendig machen – und damit einen Unterschied zu meiner favorisierten Vokabel eines “Kontinuums” darstellen soll, kann ich – an sich – gut nachvollziehen. Ich arbeite(te) (heute nur noch gelegentlich in der Praxis einer Berufskollegin) in der Psychotherapie mehr als dreißig Jahre u.a. auch mit dem systemischen Ansatz vor allem mit Kindern und Jugendlichen, den ich nach wie vor für eine der in vielfältiger Hinsicht revolutionärste Entwicklung innerhalb der Psychotherapie halte. Sie rennen damit also – an sich – offene Türen bei mir ein. Und deshalb kann ich auch Ihre dann weitere Argumentation – an sich – nachvollziehen – jedoch in keiner Weise übernehmen. Sie macht mich sogar äußerst wütend.

          Allein der Überbegriff “Pathos-Formel” für “Mensch” und “menschlich” usw. jagen mir eiskalte Schauer den Rücken rauf und runter! Ihr anschließender Satz “Vor diesem Hintergrund halte ich auch von dem Begriff der “Menschenwürde” eher wenig. Diese bezeichnet zunächst einmal nur “gelungene Selbstdarstellung innerhalb einer sozialen Rolle” und nicht mehr” – lässt an zum bloßen abstrakt- “wissenschaftlichen” Kredo geronnenen Kälte nichts zu wünschen übrig. Und da wundern Sie sich ernsthaft, dass ein solches Weltbild mehr als nur auf Widerspruch trifft? Und dass viele Menschen einem solchen Duktus soziale Kälte bescheinigen? Welcher normale Mensch will bei einem in der Umgangssprache negativ besetzten Begriff wie “Selbstdarstellung” darauf kommen, dass es sich hierbei um einen Terminus aus der Soziologie handelt? Wie gesagt, ich verstehe ja immerhin den Hintergrund Ihrer (an dieser Stelle) übernommenen, für einen Laien aber fatalen Ausdrucksweise, sonst würde ich diese Antwort gar nicht fertig schreiben können. Ich möchte aber auch evtl. andere Leser darauf hinweisen, dass Ihr systemtheoretischer Ansatz in keinerlei zwingender oder logischen Konsequenz zu den von Ihnen angestellten Überlegungen und Schlussfolgerungen führt, sondern Sie damit vor allem Ihre persönliche Meinung bzw. wie hier die Meinung einer bestimmten “Schule” wiedergeben. In diesem Falle die des Soziologen Niklas Luhmann, der zwar populär, aber nicht unumstritten ist. Also, nicht dass jemand auf die Idee kommt, jede soziologische Ausbildung führe geradezu schnurstracks zu solchen Schlussfolgerungen. Vor allem aber kann man sich eine Leiter holen und von diesem elitären, wissenschaftlich abgehobenen Gebäude heruntersteigen in die sozialen Realitäten der verschiedenen Länder dieses Globus! Ihr wissenschaftlich verkopfter Blick also (den Sie in Ihrer Selbstsicht sicher als nur nüchtern bezeichnen würden) auf den Begriff Menschenwürde zeigt mir vor allem, dass Sie anscheinend (Hypothese!) im warmen, sicheren Schoss einer wohl nicht vom Prekariat bedrohten Familie in der Bundesrepublik Deutschland sozialisiert wurden – und von der “Welt da draußen” wenig Ahnung haben! Es tut mir leid, das in dieser auch aggressiven Plattheit so zu sagen. Dummerweise meine ich es aber wirklich so, weil mich das wirklich wütend macht. So kann wirklich nur jemand reden, dem es eigentlich “zu gut” geht (ich freue mich natürlich für Sie persönlich darüber) und der in seinem Leben wahrscheinlich noch keinen Augenblick unter einem Defizit an – sozialer – Menschenwürde zu leiden hatte. Sie wissen natürlich, dass ich den Begriff Menschenwürde nicht verrenkt systemtheoretisch-wissenschaftlich gebrauche, sondern vor allem praktisch in seiner sozialpolitischen Dimension neben den im deutschen GG verankerten Dimensionen. Besonders krass springt mich solcherart Gerede und Reduktion auf eine abgehobene wissenschaftliche Theorie natürlich als Lateinamerikanerin an, die aus der – stolzen! -Unterschicht Argentiniens kommt. Für diese Augen wirklich Wahnsinn, was sie hier lesen müssen, lieber Florian Sander! Solche im luftleeren Denker-Raum der wissenschaftlichen Theorie angesiedelten intellektuellen Begriffspejorationen müssen Sie mal den um Menschenwürde ringenden Mehrheitsbevölkerungen Lateinamerikas in den letzten Jahrzehnten und auch heute noch erklären! Es sind eben genau diese schockierend abstrakten, intellektuell abgehobenen Denkstrukturen, hier mit wissenschaftlichem Unterbau, die ein solches Weltbild in meinen Augen pervertieren und dann solch diffamierende Begriffe wie beispielsweise “Sozialromantik” ausscheiden, wenn es um Verteilungsgerechtigkeit und damit um die Menschenwürde aller Menschen geht. Das haben Sie zwar nicht gesagt, aber ich würde Ihnen einen solchen Begriff durchaus zutrauen. Ja, das tue ich. Falls ich Unrecht habe, entschuldige ich mich für diese und alle anderen Hypothesen! Nochmal anders ausgedrückt: Mich kotzen solche in warmen Stuben geführten theoretischen Diskurse einfach an, wenn ich dann solche lateinamerikanischen Länder bereise und das Leid und die Not der Menschen sehe, die hauptsächlich der kapitalistischen Ausbeutung dieser Länder, ihren Ressourcen und Menschen geschuldet ist. Würde ich die Erkenntnisse der systemischen Psychotherapie auf eine Gesellschaft ausweiten, so würde dies ja quasi bedeuten, dass die jeweilige Unterschicht sozusagen den “Symptomträger” abbilden würde. Sollte ich oder wer auch immer mit so einem Warmstubengespinst im Kopf praktische Politik machen?!?
          Die Ehrlichkeit verlangt aber natürlich auch zu sagen, dass mich die unendlichen, immer von Besserwissereien beseelten theoretischen Diskurse um eine bessere Gesellschaft im weiten Spektrum der Linken auch schon immer heftig angekotzt hat! Ich glaube, niemand, kein anderes politisches Lager, keine Philosophie und Religion und sonstige Weltanschauung kann so unfruchtbar, unsinnig, nervtötend und eitel diskutieren wie die Linke! Ich habe mich früher natürlich auch durch Carlitos Marx gequält und bekenne, dass dies in keiner Weise vergnügungssteuerpflichtig war. Im Gegenteil, auch dieses blutleere Theoretisieren hatte mich unglaublich angekotzt. Das ändert freilich nichts daran, dass ich Marx’ erstaunliche und vor allem unendlich wichtigen Analysen bewundere und sich ja viele seiner Prognosen inzwischen eingelöst haben.
          Aber auch nochmal zur FDP: Ist es nicht verständlich, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland die FDP – zu Recht! – als eine Partei wahrnimmt, die “von denen da unten” wirklich keine Ahnung hat und auch keine Ahnung haben will und sich sogar bewusst abwendet, sondern sich den so genannten “Leistungsträgern” zuwendet und nicht einmal wahrhaben will, welch Pervertierung schon allein in dieser Begriffswahl unter Ausschluss derer liegt, die von der Zahnbürste bis zum Nachttopf all die tausende Güter herstellen, die (fast) jeder Mensch, FDP-Mitglieder inklusive, täglich nutzt und die generell das tägliche Funktionieren dieser Gesellschaft garantieren? Denn so weit weg, wie Sie es für sich beanspruchen, ist Ihre Partei ja nun auch wieder nicht weg von Ihren höchst persönlichen Ansichten.
          Sie merken, an allen diesen Stellen könnte ich regelrecht in die Luft gehen. Verzeihen Sie mir bitte diesen Verlust an Contenance und mein Persönlichwerden und rechnen Sie diesen bitte meiner Herkunft und Biografie und dem Seelenzustand einer zur Hysterie neigenden Frau zu.

          Zum launigen Beginn meiner Antwort wusste ich tatsächlich noch nicht wie sie enden würde. Natürlich könnte ich sie noch editieren und ein Bild abgeben, das nicht ganz so pauschalisierend und emotional daher käme. Sie werden generell für eine solche Emotionalität (meine persönlichen Angriffe kurz zur Seite gestellt) sicher nur Mitleid übrig haben. Diese ist Ihnen sicher ein Graus und bestimmt auch ein Zeichen einer typisch linken Betroffenheitspose. Ich bin aber bis in die letzten Fasern meines Geistes, meines Herzens und meines Körpers zutiefst davon überzeugt, dass selbstverständlich zunächst nur eine Politik von “oben” und selbstverständlich kollektiv bindend die Bedingungen per Gesetz herzustellen und umzusetzen hat, die ein menschenwürdiges Leben für alle erst ermöglichen können – allen soziologisch-psychologischen Kommunikationsmodellen und welchen verquasten Gedankengebäuden zum Trotz! Das Einsickern in die Köpfe und Herzen der Menschen ist eine Frage der Zeit. Und dies ist auch der Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
          Ich habe einige Zeit auf Kuba gelebt und gearbeitet und habe diese Haltung persönlich erfahren – beruflich und privat! Und glauben Sie mir, dass ich Propaganda von einer persönlichen Haltung unterscheiden kann. Das (Abzieh-)Bild Kubas, das im westlichen Mainstream gezeichnet wird ist eine blanke Farce. Ohne dabei zu bestreiten, dass Vieles auf Kuba kritikwürdig ist. Wer aber ohne Vorurteile auf diese Insel reist, die Sprache spricht und jenseits des Tourismus auf “normale” Menschen trifft ist zunächst zutiefst überrascht ob deren von echter (!) Solidarität geprägten Haltung ihren Mitmenschen gegenüber. Dies habe ich in keinem zweiten Land auf dieser Erde so je wieder gefunden – und ich habe viele bereist. Auch nicht in Venezuela, auch nicht in Bolivien: Die Spanne des Sozialismus in diesen Ländern ist noch zu jung. Kuba zeigt, dass es mehr als eine Generation braucht, bis sich eine echte, gelebte und als zu einem selbst gehörend empfundene solidarische Haltung in den Menschen manifestiert hat. Wahrscheinlich aber war dies auch nur möglich aufgrund der Isolation Kubas. Wie auch immer. Pause.
          Ich habe mir nun gerade eine Stunde Auszeit genommen und versucht, meine Emotionen und damit meine Sie sehr verurteilende und mit einigen Sie provozierenden Hypothesen garnierten Kritik zu überdenken und diese ggf. auf eine wesentlich niedrigere, nüchternere und rationalere Stufe abzusenken. Doch täte ich dies, so müsste ich mich verleugnen – und das will ich nicht. Ich habe mich zwar wieder gefasst, habe Sie auch wieder lieb, aber finde nicht wirklich etwas, das ich nun zwingend ändern müsste. Falls Sie können, sehen Sie mir dies bitte großzügig nach. Falls nicht, verstehe ich Sie natürlich.
          Unserer noch so jungen, blühenden Romanze zwischen Autor und Kommentatorin sage ich aber an dieser Stelle nichts zwingend Erbauliches voraus: Unsere Weltbilder sind einfach zu extrem verschieden, als dass zumindest ich den unbedingten inneren Drang danach verspürte, einen solchen Schriftwechsel wie diesen immer wieder neu aufleben lassen zu müssen. Wir verfügen ja nicht einmal über einen gemeinsamen minimalen Grundkonsens, oder tun wir das? Ich werde in Zukunft natürlich weiterhin Ihre Artikel lesen, freue mich natürlich auch auf diese, bescheide mich dann jedoch wirklich nur noch darauf, exklusiv Ihr jeweiliges Thema ohne jedes Nebengleis zu kommentieren. Sie sehen: Sie haben gewonnen! Und mich erleichtert dies ungemein.
          Andererseits: Mir fällt gerade wieder mein kurzer, wunderbarer Tagtraum vom Beginn dieser Antwort ein…

        • Liebe Reyes Carrillo,

          pardon für die späte Antwort, aber dafür wollte / musste ich mir nun Zeit nehmen.

          Ihre Fähigkeit zum Humor und zur Selbstreflexion würde ich nie im Leben anzweifeln. Ich schrieb ja bereits, dass Sie es dadurch schon im Vorfeld schaffen, Ihre klare Freund-Feind-Unterscheidung nicht in einen fundamentalistischen Moralismus münden zu lassen. Ich finde das überaus angenehm.

          Das besagte Modell kannte ich bis dato tatsächlich nicht. Ihre Einordnung meiner Person finde ich diesbezüglich schmeichelhaft (auch wenn ich die Farbe Gelb vom ästhetischen Gesichtspunkt her zugegebenermaßen ganz und gar nicht mag). Ein bisschen fühle ich mich dabei an Mary Douglas’ Kulturtheorie des Risikos erinnert, die Thema meiner Master-Arbeit war und die zwischen mindestens 4 verschiedenen Typen der sozialen Risiko- und Problemkonstruktion differenziert und sich somit auch wunderbar auf politikwissenschaftliche Fragestellungen anwenden lässt, auf Mikro- wie auch auf Makro-Ebene. Falls Sie sie noch nicht kennen, kann ich sie Ihnen gewissermaßen im Tausch für Ihren Tipp nur empfehlen.

          Was meine Sie wundernden “Empfindlichkeiten” angeht (“schneidig-knackige ideologische Watschen”): Ja, diese “Watschen” gibt’s auch bei mir. Aber die sind eben kein Alleinstellungsmerkmal des Großzusammenhanges Neoliberalismus. Sondern sie können durchaus auch von einer Seite aus artikuliert werden, die ich als konservativ-freiheitlich bezeichnen würde, die aber mit dem typisch neoliberalen Globalismus auch nicht allzu viel am Hut hat. Das möchte ich differenziert wissen. Und auch das ist eben eine Perspektive, die in der FDP existiert – neben dem, was Sie neoliberal nennen würden, sowie den Libertären.

          Ihren “Wut”-Abschnitt habe ich – ja nicht zuletzt auch dank Ihres ausdrücklichen Hinweises darauf – als solchen rezipiert, daher verzeihe ich Ihnen mal die darin enthaltenen persönlichen Attacken und werte sie als Merkmale Ihrer diskursiven Authentizität. Die ist als solche zwar auch nicht grundsätzlich ein Positivmerkmal, in diesem Fall jedoch ist sie durch Ihre sachliche und ihre humoristisch-selbstkritische Flankierung ein argumentatives Stilmittel, das man akzeptieren kann.

          Meines Erachtens sind Sie deswegen wütend geworden, weil Sie beim Lesen meines letzten Kommentars einen Fehler gemacht haben, der eigentlich nicht so sehr typisch links (im parteipolitischen Sinne) ist, sondern vielmehr grün: Sie lassen sich von (zu) kühl-technokratischem Theorie-Vokabular, welches dadurch politisch ziemlich unkorrekt, weil vermeintlich unsensibel daherkommt, zum (bewussten?) Missverstehen hinreißen, um sich danach lautstark empören zu können (oder endlich mal mir gegenüber einen Grund dafür zu haben?).

          Wenn Sie meine Ausführungen jedoch nochmal etwas unemotionaler lesen und zur Kenntnis nehmen, so stellen Sie fest, dass ich darin in keinem Punkt die soziale Schieflage etwa in Lateinamerika in Frage gestellt habe. Ich habe nur die Tauglichkeit von begrifflichen Konzepten in Frage gestellt. Und das tue ich in vollem Bewusstsein der genannten Schieflagen. Die Leute brauchen kein pathetisches Gerede über Würde. Sie brauchen Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Arbeit und soziale Sicherheit.

          Ich habe heute rein zufällig, da ich gerade im betreffenden Buch las, einen schönen Satz Luhmanns (der übrigens selbst Favelas besucht, aber seine Würdebegriff-Kritik danach – oh wunder – dennoch nicht revidiert hat) gefunden, der die Kritik gut erweitert:
          “Solche Widersprüche trüben auch an anderen Stellen die Argumentation, so wenn Hans Carl Nipperdey (…) folgert: Die Würde ist das Wesen des Menschen, also hat der Mensch ein Recht auf Würde; denn beide Sätze schließen sich wechselseitig aus. Man kann Rechte nur haben auf etwas, was man verlieren kann; als Wesen wird aber gerade die unverlierbare Eigenart einer Substanz bezeichnet. Beispiele für solche Gedankenlosigkeit in Grundfragen ließen sich beliebig vermehren.” (Luhmann, “Grundrechte als Institution”, 1965, S. 59, Fußnote 17).

          Würde ist etwas, dass man nur einzeln in der Interaktion einer Person zurechnen kann oder eben nicht. Der Staat hat weder die Möglichkeit, “objektiv” zu prüfen, ob sie gewahrt wird oder nicht, noch kann er sie selber für seine Bürger wahren. Was er kann, ist, für natürliche Grundbedürfnisse biologischer Systeme sorgen. Darum sollte es gehen. Wie und auf welche Weise das bewerkstelligt wird, ist dann die nächste, aber eben wieder eine andere Frage, bei der wir dann vermutlich mehr Grund haben, uns zu streiten. Aber ein etwas kühl-technokratisches Vokabular sollte eigentlich nicht gleich solche Empörung auslösen. Das ist eigentlich leider ein ziemlich deutsches Phänomen.

          Ob wir über einen Grundkonsens verfügen, wage ich persönlich noch nicht zu beurteilen. Ich würde da eh als nächstes fragen: Bei was überhaupt? Die soziale Welt ist funktional wie thematisch vielfältig. Zu vielfältig, als dass ich einer Freund-Feind-Unterscheidung erlauben würde, die Frage nach einem Konsens auf einem der vielen Felder der Gesellschaft vorschnell zu beantworten.

        • Reyes Carrillo sagt:

          Lieber Florian Sander,

          dass Sie nun, wenn auch nach angemessener Verdauungsphase, meiner Generalanklage Ihnen gegenüber mit wieder neuer Milde, also Verständnis und einem Verzeihen begegnen, das finde ich neben aller verblüfften Freude geradezu aufreizend! Und ich frage mich: Was habe ich bloß falsch gemacht? Ist der Kerl teflonbeschichtet oder was braucht der denn noch? Natürlich denke ich auch in alternativen Kategorien wie z.B. menschlicher Größe vs Teflonbeschichtung, werde aber mit beiden Erklärungsmustern nicht wirklich glücklich. Jedenfalls passt diese Reaktion zu Ihnen, passt gut zur Farbe Gelb (Spiral Dynamics) – und passt, ich kann’s Ihnen nicht ersparen, auch ein wenig zur FDP bzw. zum Liberalismus im Allgemeinen. Mit Beleidigtsein, mit hartem Zurückschlagen, überhaupt mit überschäumenden Emotionen, aber auch mit Visionen, mit Träumen und Irrationalitäten, kurz: meinen verschiedenen bevorzugten Aggregatzuständen (nature and nurture) inkl. reflexhafter Gegenwehr und Freund-Feind-Schema haben Sie wenig bis gar nichts am Hut. Sie sind ein wirklich sympathischer Kopfmensch – und von mir deswegen natürlich auch sehr bewundert, so wie man Vieles am Andern bewundert, was man selbst nicht mitbringt. Umgehen, das sei klar, kann ich aber weit besser mit meiner emotionalen, von einer gerechten Welt träumenden Fraktion. Ganz prima jedoch ist, dass Sie mich, lasse ich mich auf Sie ein, zur Überprüfung neuer Perspektiven zwingen, die ich freiwillig und ohne Handschellen so niemals vorgenommen hätte. Dieses mein für mich offen zu Tage getretenes Defizit einer nüchternen, sachlichen (Schauder!) Analyse, einer von der Ratio zunächst neutral wahrgenommenen Sachlage jenseits emotionaler Bewertungen wie z. B. kalt und sozial, wie auch das Aushalten vorbegrifflicher, noch wertfreier Kategorien wie Recht und Unrecht; dieses noch einmal persönliche Defizit hat in mir schon einen wunden Punkt getroffen. Das ist aber uralt, beinhaltet viel einst als persönliches Versagen Verbuchtes, hat aber auch mit den Zuschreibungen (Begriff im Sinne der TA) einer durch und durch vom Machismo durchdrungenen Gesellschaft Frauen gegenüber zu tun, in der ich sozialisiert wurde, der mir im Dialog mit Ihnen wieder bewusst geworden ist.
          Mit Ihrer Feststellung meiner “wütenden”, “grünen” Rezeption Ihres kühl-technokratischen Vokabulars haben Sie freilich Recht. Dass auch Sie wirklich Humor haben, zeigt sich an der Stelle, an der Sie mutmaßen, ich würde Sie vielleicht absichtlich missverstehen, um “endlich mal mir (also Ihnen) gegenüber einen Grund dafür (für die Empörung) zu haben. Haha, das hat was! Im Ernst (oder was wir in unserem Dialog dafür halten): Sie empören mich unentwegt und ohne Unterbrechung seit meinem allerersten Kommentar zu Ihren Artikeln, lieber Herr Sander, dafür brauche ich doch keine weiteren Gründe! Der Hinweis darauf, dass diese Empörung ein typisch deutsches Phänomen sei, hat ausgerechnet mir gegenüber dann natürlich auch wieder seinen speziellen Humor. Doch zurück zu meiner “grünen” Empörung: Diese kenne ich seit meiner Jugendzeit nicht anders und ich habe meinen tiefen Frieden mit dieser meiner Wut. Mehr noch, ich sehe sie nicht nur als legitim, sondern vor allem als unabdingbar an, einen emotionalen Gegenpol zu Ihrer Sprache zu setzen. Das hat aber auch mit meiner beruflichen Praxis zu tun, in der jeder noch so gut klingende Terminus und jede noch so wohlfeile, nüchterne Diagnose am Menschen selbst scheitert. Dies ist überhaupt ganz grundsätzlich etwas, das Sie vielleicht bedenken könnten. Aus Ihrer Ecke, wenn Sie mir – schon wieder, pardòn – diese Verallgemeinerung erlauben, lautet der Vorwurf doch immer, dass der Sozialismus letztlich am (u.a. vornehmlich egoistischen) Menschen selbst scheitere. Ich hatte an anderer Stelle allerdings schon geschrieben, dass ich auf Kuba das Gegenteil erlebt hatte. Doch zurück: In Ihrem Fall ist dieser Vorwurf natürlich auf weit komplexerem Boden als bloßer Ideologie gegründet. Das unterscheidet Sie ja auch wohltuend von reinen Ideologen. Ihr weltanschauliches Fundament gründet ja in einem zweiten Schritt auf bei Ihnen u.a. durch Luhmann und Douglas (zu ihr und ihrer Grid-Group-Theorie gleich noch mehr) vertretenen soziologischen bzw. sozialanthropologischen Erklärungsmodell(en). Aber gerade auch hier sei die Frage erlaubt, inwieweit ein solcher (immer wieder gesagt: durchaus umstrittener) wissenschaftlicher Ansatz letztlich nicht sogar ganz demütigend banal am Menschen scheitert?
          Ihrem erneuten Versuch, mich mit Ihrem wissenschaftlich begründeten Würdebegriff freundlich zu irritieren werde ich freilich weiterhin entgegnen, dass dieser in meinem Verständnis, aber vor allem auch aufgrund meiner Lebenserfahrung gänzlich irrelevant ist. Ich schrieb an anderer Stelle ja schon ähnlich: Das alles mögen bestimmt prima Lockerungsübungen für den intellektuellen Denkerturm sein, aber unbrauchbar für die Politik. Deshalb bleibe ich natürlich dabei, dass ein Staat selbstverständlich für den – für uns hier relevanten – Teil der sozialpolitischen Würde in Form von Umverteilung von Oben nach Unten per ordre de Mufti zu sorgen hat, denn die kapitalistische Wirtschaft wird dies im eigenen Selbstverständnis eher nicht leisten können. Vermute ich einfach mal ganz mutig. Was ich übrigens als völlig normal ansehe. Da muss man den Kapitalismus nicht schelten, sondern die politische Klasse, die ihm Tür und Tor öffnet. Aber ich verstehe Sie schon: Wenn man Luhmann und Douglas liest, dann müssen einem angesichts meines simplen Weltbilds regelrechte Schmerzen schütteln! Sie schreiben, bezogen auf Lateinamerika: “Die Leute brauchen kein pathetisches Gerede über Würde. Sie brauchen Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Arbeit und soziale Sicherheit.” Da musste ich wirklich ganz laut auflachen, da Sie mit dem ersten Satz nochmals deutlich untermauern, dass Sie vom südamerikanischen Kontinent und seinen Menschen wirklich keinerlei Ahnung haben! Ich hoffe, ich trete Ihnen damit nicht nochmals zu nahe. Dieses Auflachen war ja kein spöttisches, sondern ein fast verzweifeltes. Selbstverständlich brauchen die vornehmlich armen Menschen in Südamerika das Pathos, das “pathetische Gerede” wie die Luft zum Atmen! Allein dieses ist schon Nahrung für sie. Hätten es Chávez, Morales oder Correa ohne dieses – von mir voll unterschriebene – Pathos sonst an die Regierungen geschafft – und ihr bis heute überwiegend segensreiches Werk verrichten können? Natürlich nicht! Und im zweiten Satz des Zitats haben Sie – völlig Recht! Mit dem Unterschied, dass genau diese Aufzählung für mich die Eckdaten der Menschenwürde bedeuten und für Sie aus genannten und von mir theoretisch verstandenen Gründen nicht. Eigentlich gar nicht so tragisch. Oder?
          Schließlich habe ich mich natürlich etwas mit Mary Douglas und ihrem typologischen Modell, der Grid-Group-Theorie beschäftigt. Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen und ich sah einen Florian Sander vor meinem geistigen Auge entstehen, der geradezu splitternackt und transparent in seine Denke blicken ließ. (Werden Sie aber nicht gleich rot, mein geistiges Auge blickte nicht ins Detail!) Und ein tiefes “Ach sooooooo!” entfuhr es meinem Innern. Dass Frau Douglas mal so behauptete, ihr Modell sei unantastbar, nehme ich übrigens gelassen zur Kenntnis. Sei’s drum, das passiert jeder/m mal. Auch mussten afrikanische Stammeskulturen (und deren Riten) ja schon öfter für früher menschenverachtende Untersuchungen und später erstaunliche Theorien bzw. Analysen wissbegieriger weißer Frauen und Männer herhalten, man denke in der jüngeren Zeit nur an die berühmt-berüchtigte “Familienaufstellung” nach Bert Hellinger! Auch von daher keine Kritik von meiner Seite, dass Frau Douglas ihre Erkenntnisse vornehmlich aus der Beobachtung des Stammes der Lele in Zaire ableitete. Ziel also dieser Typologie ist es, ich zitiere Jens O. Zinn aus “Risiko, Sozialer Wandel und Moral”: “unterschiedliche Organisationsformen und Risikorationalitäten (natürlich auch der Lebensrisiken) oder Weltsichten zu unterscheiden.” Grundannahme dabei ist, dass jede Reaktion auf Gefahren und auf Risiken als “grundsätzlich sozialer Konstruktionsprozess aufgefasst werden müsse”. Mit eigenen, drei Etagen simpleren Worten ausgedrückt geht es – natürlich rigoros verkürzt – darum, dass objektive Gefahren und Risiken zwar nicht negiert werden, das Augenmerk aber auf den unterschiedlichen Schlussfolgerungen und Konsequenzen diesen gegenüber gelegt wird, wie sie also letztlich “politisiert” werden. Und da ist natürlich ein gewaltiger Bums drin. Es geht nämlich bloß darum, auf welche Weise jeder der vier Typen des Modells Risiken wie zum Beispiel Armut oder die Atomkraft wahrnimmt, ob er sie zunächst überhaupt als objektiv gelten lässt und wie er darauf reagiert. Hier seien aus Platz- und Zeitgründen nur die zwei der Antagonisten genannt, die sich auch politisch konkurrierend gegenüber stehen als das Ich-Prinzip und das Wir-Prinzip: Auf der einen Seite der Individualist, der Eigenverantwortliche, der Kreative, der Fortschrittliche, sich selbst und seine Ideen Vermarktende und auf der anderen Seite der Egalitäre, also der/die Gleichmacher, der Kollektivist bzw. auch der als Sektierer bezeichnete (“sectarian”). Da klingelt’s dann doch gewaltig und der Liberalismus – und, ja schon wieder, damit natürlich auch die FDP fallen einem unweigerlich bei der Beschreibung des Erstgenannten und die übliche Beschreibung des Erstgenannten über den Zweitgenannten sofort ein. Und in der Tat: Den Widerstand gegen die Kernkraft, als Beispiel, ordnete Mary Douglas denn auch konsequenterweise den Gleichmachern und Sektierern zu… Und flugs sind wir wieder bei der Farbe Grün der Spiral Dynamics. Ich hoffe nun sehr, Ihre Mary Douglas mit diesem kleinen Ausschnitt nicht allzu drastisch entstellt zu haben!
          An dieser Stelle möchte ich gerne auf die “Integrale Theorie” hinweisen, deren bedeutendster Vertreter der US-amerikanische Philosoph Ken Wilber ist. Befasst man sich etwas mit diesem ganzheitlichen Modell (in dem sich auch Ihre soziologischen Erkenntnisse wiederfinden), dann erlebt man einige verblüffende und auch irritierende Momente, um mal etwas zu untertreiben. Hoch spannend, wirklich! Zwar nicht direkt was für Hardcore-Linke, so wie wahrscheinlich auch nix für Liberale, aber das muss ja auch nicht sein. Es würde mich interessieren, was Sie davon halten.
          Conclusio: Ich komme aus allen genannten und noch ungenannten Gründen natürlich nach wie vor zu dem Fazit, dass sich unsere beiden verschiedenen politischen Lager niemals aufeinander zu bewegen, sich versöhnen oder gar in einem tieferen Sinne verstehen könnten. Das hat primär natürlich psychologische Gründe, die in unserer jeweiligen individuellen Natur und Entwicklung und unserer jeweiligen Konditionierung zu suchen und zu finden sind. Alle Argumentation des Erwachsenen später ist ja nichts weiter als der intellektuelle Überbau über diese zunächst nonverbalen Koordinaten. Unsere – frühe – Biografie gibt uns letztlich die einzig relevante Antwort auf die Frage, warum wir persönlich (und wie jeder andere) diese und jene politische Ansicht vertreten. Auch Konvertiten, berüchtigt ja vor allem jene, die angeblich mal ganz links standen und nach rechts oder ganz rechts gerutscht sind, bleiben sich ja in ihrer Grundkonditionierung absolut treu und haben nur oberflächlich das Fach gewechselt. Natürlich gibt es aber auch jene, die aufgrund irgendwelcher einschneidenden Erlebnisse und Erfahrungen die Lager wechseln, wobei diese Gruppe aber die Ausnahme darstellt. Die Abzocker, Absahner und Ich-AGs gibt es freilich in jedem politischen Lager, augenfällig aber doch ein bisschen mehr im traditionell elitäreren konservativ-liberalen Raum. Man denke auch an aberkannte und so grimmig verteidigte Doktortitel (“Chatzi” und sein geliebter Großvater, dem er am Grabe seine Doktorarbeit widmete, brachen mir damals fast das Herz, so entwaffnend banal wie rührend empfand ich diese Begründung) …
          Ich bin darüber hinaus zutiefst davon überzeugt, dass es generell keinen weltanschaulichen Königsweg gibt. Ich bin aus verschiedenen Gründen, für die vielleicht an anderer Stelle einmal Zeit ist, sogar davon überzeugt, dass jedes – konditionierte und damit natürlich begrenzte – Wahrnehmungsmuster (derer gibt es freilich ein paar mehr als nur zwei oder vier) seine Bedeutung und seine Berechtigung als Mosaikstein des Ganzen hat und dass der Begriff Wahrheit in seiner vollen Größe erst durch das Zusammenspiel aller dieser in sich selbst als natürlich, schlüssig und ausfüllend erlebten Wahrnehmungsaspekte erkennbar werden kann. Der Einzelne erlebt ja seinen begrenzten Wahrnehmungsraum natürlicherweise stets als ganzen, in sich stimmigen Kosmos und hat zunächst wenig Möglichkeiten, den Wahrnehmungsraum des anderen als völlig gleichwertig und gleichberechtigt zum eigenen anzunehmen. Aber das kann man lernen. Auch ich kann das eigentlich ganz gut – wenn es NICHT um Politik geht, haha! Ich lebe demgemäß sozusagen in einer selbst gewählten “Schizophrenie”: Dem in der Sache hart geführten politischen Kampf für das Wir und gegen das Ich, also für einen demokratischen Sozialismus steht völlig gleichwertig die Erkenntnis jener anderen Ebene gegenüber, die weiß, dass ich in mir selbst nur einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit der Dinge wahrzunehmen fähig bin. Das muss sich nicht beißen, ganz im Gegenteil, mir erhält es die Leidenschaft!
          Aber was ergibt sich abschließend nun für mich Ihnen gegenüber daraus? Natürlich die Pflicht zum Respekt für die andere Meinung, für Ihre Meinung. Mir gelingt das ja leider nur äußerst rudimentär, wie Sie wissen. Aber ich will hier und heute trotzdem damit beginnen und ein gutes Beispiel abgeben: Bei aller Empörung und gelegentlich geradezu körperlichen Missempfindungen bei einigen Passagen von Ihnen, respektiere ich Ihre politischen Ansichten, lieber Herr Sander, und verzichte hier und heute auf weitere Ihnen nicht gerecht werdende Unterstellungen. Das ist doch ein Wort, oder? Allerdings gilt das selbstverständlich nur für diesen Kommentar. Danach werden die Karten wieder neu gemischt.

        • Liebe Reyes Carrillo,

          Sie gehören zu den wenigen Leuten, denen ich sogar persönliche Ausfälle verzeihe, weil es einfach so Spaß macht, diese und den Rest zu lesen. Von der schon an anderer Stelle diagnostizierten “Entzerrung durch Selbstironie” ganz abgesehen. Am meisten jedoch freut mich Ihre Aussage, dass ich Sie zur Prüfung neuer Perspektiven gezwungen (ich präferiere hier natürlich den herrschaftsfreieren Terminus: “motiviert”) habe. Das bedeutet, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe. Nichtsdestotrotz werde ich jetzt natürlich auf einige Punkte Ihres letzten Kommentars eingehen.

          Einwurf zum liberalen Vorwurf gegen den Sozialismus und Ihren Erfahrungen bzgl. Kuba: Sie haben Recht, dieser Vorwurf erklingt oft. Ich muss Ihnen allerdings dazu sagen, dass man diesen auch genauso gut gegenüber dem anderen Extrem verwenden kann. Wenn ich mit Libertären diskutiere, so weise ich ebenfalls nicht selten darauf hin, dass eine Gesellschaft ohne das Politische (konkreter: ohne Wohlfahrtsstaatlichkeit) auf Anarchismus hinausläuft, in dem das Recht des Stärkeren gilt – eben gerade wegen der menschlichen Natur. Insofern finde ich das Argument in beide Richtungen tauglich und gerade daher vernünftig. Es zeigt, dass politische Ideologien, die einen “neuen Menschen” erfordern, nicht funktionieren können. Frei nach Donald Rumsfeld: Man macht Politik für die Menschen, die man hat, nicht für die, die man sich wünscht.

          Ich möchte Ihnen übrigens gar nicht Ihre Wut absprechen. Wut kann ein starker Motivator sein, in ganz vielen Lebensbereichen. Meist sind es gerade aggressive Gefühle, die auch positives bewirken können, für einen selbst wie für andere, weil sie Zielstrebigkeit, Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Disziplin generieren. Auch ich war in meinen politischen Handlungen durchaus schon oft von Wut angetrieben. Die wichtige Frage ist doch vielmehr, wie man sie kanalisiert. Ob man etwa herumbrüllt oder ob man sie in sachliche, aber dafür scharfzüngige Rhetorik verpackt. Ob man gewalttätig wird oder verbal streitet. Und so weiter. Und was diese Frage angeht, so bin ich letzten Endes auch bei Ihnen ganz beruhigt: Eben wegen Ihrer Ironiefähigkeit.

          Sie fragten, ob ein (mein) wissenschaftlicher Ansatz nicht “am Menschen scheitert”. Das glaube ich schon deswegen nicht, weil sich die Frage für mich gar nicht stellt. Es geht um Kommunikation, nicht um Menschen. Und diese erfasst der Ansatz in jedem Fall, davon bin ich überzeugt.

          Ich denke, was die Menschenwürde angeht, so haben wir mittlerweile einen adäquaten Übersetzungsvorgang bewerkstelligt, was Ihre und meine Vorstellung davon bedeutet und wie wir diejenige des jeweils anderen sehen. Übrigens: Natürlich gehört auch Pathos dazu. Nicht nur in Lateinamerika! Symbolik, Emotion, soziale Rhetorik. Auch Uniformen, Flaggen und so. Alles Teil des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums Macht. Nur leider, und um diese Erkenntnis werden Sie nicht herumkommen, gibt es zig Beispiele von (sozialistischen!) Staaten auf diesem Planeten, die dieses en masse bieten, aber die biologischen Grundbedürfnisse trotzdem nicht stillen. Insofern scheint es doch gar nicht so abwegig, zwischen beiden Elenenten erst einmal zu differenzieren und dann zu fragen, was davon politische Priorität haben sollte. Oder?

          Douglas’ Cultural Theory haben Sie korrekt wiedergegeben. Amüsant fand ich dabei, dass Ihre Kritik an ihrer Unantastbarkeit genau in das Muster fällt, das Douglas ihrerseits irgendwann einmal genervt mit dem Begriff des “Bongo-Bongoismus” umschrieben hatte: Immer, wenn man gerade eine umfassende Theorie entwickelt hat, kommt ein irgendein Feldforscher um die Ecke und sagt, dass das bei den Bongo-Bongos aber alles ganz anders sei.

          Ihre abschließende Aussage, dass die Absahner und Karrieristen in der “bürgerlichen” Ecke häufiger vertreten seien, kann ich Ihnen natürlich so nicht durchgehen lassen (ich glaube, mit dem Einwand haben Sie auch schon gerechnet). Sie wissen, als ehem. Sozialdemokrat kenne ich durchaus auch beide Seiten “von innen”. Und ich kann Ihnen sehr klar versichern, dass ich diesbezüglich wenig Unterschiede erlebt habe. Im linken Spektrum wird das nur anders verpackt: Linkes Mitgefühl statt bürgerlicher Zielstrebigkeit, linke bierselig-genossentypische Kumpelhaftigkeit statt bürgerlicher feiner Manieren, Fußball statt Golf, Currywurst statt Hummer usw. Aber die Ziele bleiben die gleichen. Dass die Plagiatsjäger sich in ihren Untersuchungen klar auf “bürgerliche” Dissertationen konzentriert und sich mit den anderen nicht so ausgiebig befasst haben, mag dann zu einem anderen Anschein führen, aber im Kern ändert das rein gar nichts.

          Ich freue mich schon auf das nächste Kartenmischen!

      • Reyes Carrillo sagt:

        Lieber Florian Sander!
        Ich erlaube mir hier, nur einen vergleichsweise kleinen Teil aus Ihrer Replik herauszugreifen, der mir aber entscheidend zu sein scheint für ein fruchtbares Weiterspinnen unseres Dialoges. Ihre anderen, wie immer sehr lesenswerten Betrachtungen greife ich dann zu einem späteren Zeitpunkt einmal auf.
        Ich möchte mich gern auf dieses Zitat aus Ihrer Replik konzentrieren: “Sie fragten, ob ein (mein) wissenschaftlicher Ansatz nicht “am Menschen scheitert”. Das glaube ich schon deswegen nicht, weil sich die Frage für mich gar nicht stellt. Es geht um Kommunikation, nicht um Menschen. Und diese erfasst der Ansatz in jedem Fall, davon bin ich überzeugt.”
        Das ganze Zitat selbst stellt meiner Meinung nach einen Klassiker dar, aber nehmen wir hier nur diesen kurzen Satz heraus “Es geht um Kommunikation, nicht um Menschen”, dann gibt er in geradezu brillanter Herunterbrechung zunächst Ihr Dilemma zu erkennen (meines kommt dann noch), das alle meine Kritik an Ihrem Weltbild seit Anfang an umfasst: Der Mensch wird in Ihrer Sicht (und der derer, auf die Sie sich wissenschaftlich stützen) auf ein Objekt reduziert, zum Gegenstand also weltanschaulich-wissenschaftlicher Betrachtungen. Besser kann sich der Konflikt zwischen emotionaler Lebenswelt und kühler Wissenschaft kaum zeigen, wie wir ihn hier in unserem langen Dialog vorexerzieren. Ich meine das aber, zu Ihrer Beruhigung, doch etwas komplexer als es hier zunächst den Anschein haben kann oder muss.
        Freilich mögen Sie wieder sagen, ich würde diesen Satz und das ganze Zitat bewusst missverstehen, um Ihnen endlich mal…, aber die Nummer hatten wir ja schon – hoffentlich – durch. Meine angeblich “grüne” Empörung über Ihr “kühl-technokratisches Vokabular” ist ja zunächst nicht grün, nicht rot, nicht blau oder rosa, sondern vertritt nichts weiter als das Subjekt an der Schnittstelle, wo es bei Ihnen zum Objekt wird. Und erst danach (!) mögen Sie es meinetwegen gern als grün oder rot verorten.
        Ich denke übrigens, dass wir in diesem Dialog nun eigentlich die “dritte Stufe” zünden und die Verfeinstofflichung des Themas noch etwas weiter betreiben könnten. Denn die erste Stufe mit dem noch grobrastrigeren (von mir provozierten) Lager-Schlagabtausch und die zweite mit ihrer hauptsächlichen Konzentration auf den Begriff “Würde” inkl. der tieferen Griffe in unsere jeweiligen (auch ideologischen) Theorie- und Praxiskisten haben wir ja hinter uns.
        In Ihrer – sozialwissenschaftlich begründeten – konsequenten Verweigerung jeglicher sozialer (be-)wertender Begrifflichkeit (also der subjektiven Ebene) gegenüber sehe ich das eigentliche Defizit resp. den blinden Fleck im Wahrnehmungsspektrum Ihres Menschenbildes. (Und das der FDP insgesamt.) Eine Verwissenschaftlichung der Ethik würde ich Ihnen aber natürlich nicht vorwerfen wollen, da wir uns ja einig sind, die ethisch-moralische Keule weitestgehend außen vor zu lassen. Zudem bin ich völlig überzeugt davon, dass Sie sich selbst alles andere als unethisch wahrnehmen, völlig Zu Recht natürlich! Ich erlebe bei Ihnen jedoch eine Art “Obsession”, über den einseitigen Weg der – auch, nicht nur wissenschaftlichen – Objektivierung Ihr Welt- und Menschenbild zu formen, um das (natürlich auch “Gefährliche”) nicht Objektivierbare (Gefühle, Emotionen, “Körper”, Irrationalität allgemein usw.) kontrollierbar zu halten. Nur: Leben funktioniert meiner Erfahrung so nicht angemessen und damit Politik auch nicht! Sie können dem Menschen als Subjekt nicht entfliehen und ihn – wie so oft bei Ihrer Partei – einfach politisch “privatisieren” bzw. neutralisieren. Umgekehrt ist ein einseitiger, auf eine Art General-Empathie gegründeter linker, das Subjekt im kollektiven Wir feiernder Solidaritäts- und Gerechtigkeitsbegriff das andere Defizit und beschreibt damit wiederum diesen speziellen blinden Fleck. Denn er negiert in der Tat zum Teil sehr wichtige Objektivierungen des sozialen Zusammenlebens. Zu dem Teil meines letzten Kommentars hatten Sie sich ja nicht geäußert. Doch ist er unerlässlich für meine Argumentation. Das Objekt ohne das Subjekt und umgekehrt,
        Wissenschaft ohne die Lebenswelt und umgekehrt müssen daher behindert bleiben, Objekt gegen Subjekt und umgekehrt und Wissenschaft gegen die Lebenswelt ist – doof, d.h., ist immer aus sich selbst heraus defizitär und scheitert am Menschen.
        Um noch präziser zu werden: Es geht mir nicht darum, Ihnen die Sozialwissenschaften, also “Ihre” Kommunikationstheorien und den (Sozial-) Konstruktivismus madig zu machen! Im Gegenteil, ich finde darin viel Bedenkenswertes und auch hier viel Entlarvendes, das geeignet ist, das eigene – geschönte – Selbstbild hübsch durcheinander zu bringen. Besonders Berufs-Gutmenschen sollten sich warm anziehen, bevor sie sich mit dem Sozialkonstruktivismus auseinander setzen! Einig scheinen wir uns vor allem dahingehend zu sein, dass wir beide eine so genannte – statische – “Wirklichkeit” der sozialen Interaktion, gerne auch Kommunikation zunächst einmal so nicht akzeptieren, sonders sie hinterfragen, welche tradierten, dem jeweiligen Zeitgeist zuzuordnenden, auch modischen und welche (determinierenden) psychologischen Konditionierungen und Anpassungen dieser zugrunde liegen, sie also letztlich immer ein Konstrukt und damit eine Variable bedeutet. Mit einfacheren Worten: Ihr Ansatz dabei nimmt meiner Ansicht nach den Menschen innerhalb seiner sozialen Kontexte wahr und versucht, diese durch (methodische) Objektivierung so zu verändern oder besser gesagt zu optimieren, dass jede Form der Interaktion, also auch die des Staates gegenüber seinen Bürgern ein Höchstmaß an individueller Autonomie unter größtmöglicher Vermeidung weltanschaulich begründeter Lenkung garantiert. Allerdings geschieht dies auf Kosten der Subjekt-Ebene des Menschen und damit einer sozialen Ethik (für Sie ja wieder, so verstehe ich Sie, nichts mehr als eine Konstruktion). Mein Ansatz beschäftigt sich mit den zahlreichen Kontexten zur Entwicklung eines (empathiefähigen) Ich-Gefühls, das soziales Handeln auf einem im weitesten Sinne als Altruismus (den es ja selbst unter Pflanzen gibt) zu bezeichnenden Hintergrund erst ermöglicht (ohne freilich eine “bloße” soziale Konstruktion zu sein!) und sieht dabei die schon naturgegebene Unmöglichkeit, den Menschen aus seiner – die Wahrnehmung begrenzenden – Subjektivität herauszulösen. Der sich daraus ableitende Anspruch ist dann natürlich, im Politischen vor allem dieser Ebene gerecht zu werden – zulasten freilich der Objekt-Ebene.
        Eine sozialkonstruktivistische Einebnungsformel aber, nach der die von den meisten Menschen wahrgenommenen (und natürlich objektiven) Verschiebungen zwischen Arm und Reich, zwischen Oben und Unten, zwischen Recht und Unrecht in den Kontext von Kultur, Epoche und Gruppe (hier: die Linke) als quasi soziale Konstruktionen neutralisiert werden sollen oder wie in der Culture Theory von Mary Douglas als typologisch den “Sektierern” zuzuschreibende Risikoreaktion gedeutet werden, kann ich freilich nicht hinnehmen. Nein, es (tja, wer ist das?) kann einfach nicht zugelassen werden, sich einseitig über die wissenschaftliche Objektivierung aus der Verantwortung zu stehlen, die diesen genannten Begriffen und den sich aus ihnen abgeleitenden Konsequenzen zugrunde liegen. Der Trick ist aber nicht schlecht, das gebe ich zu. Aber gut, in der FDP geht das auch ganz ohne Objektivierung, da wird dann einfach der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung in entscheidenden Kernaussagen umgeschrieben und verfälscht. Doch wie Sie ja wissen und mich kennen, trenne ich nachgerade bis zur Unkenntlichkeit zwischen Ihnen und dieser Partei. Deshalb braucht Sie dieser letzte Satz gar nichts angehen.
        Aber nochmals zurück zu den Wurzeln: Ich glaube wirklich, dass wir sehr klassische Vertreter unserer jeweiligen Weltsichten abgeben. Ihr Wahrnehmungsstil korrespondiert sehr mit dem des “(analytischen) Beobachters”, der kopfenergetisch über das Sammeln von Wissen die Objektivierung (mit all ihren Konsequenzen) sucht, mein Wahrnehmungsstil ist der der bauchenergetischen, selbsternannten “Kämpferin” gegen das Unrecht, die überall Feinde wittert, “territoriale” (intellektuelle) Schatten-Kämpfe führt, schwarz-weiß- und Freund-Feind-Schemata zulasten differenzierender Grautöne zum Maßstab erhebt, um eigentlich “nur” ihre Angst vor der eigenen Verletzlichkeit zu überdecken. Führte man diese Annahmen zu Ende, bedeutete dies, dass aus psychologischer Sicht jeweils unsere “Fallen”, d.h. das Hindernis, unser Wahrnehmungsspektrum zu erweitern, eben genau die zwei Begriffe sind, auf die sich teilweise unser Identitätsgefühl gründet, über die wir uns definieren und diese sogar für unsere besondere Stärke halten: bei Ihnen ist die “Falle” das “Wissen” und bei mir ist sie die “Gerechtigkeit”. Dummerweise gibt es in unserer Psyche nun einmal nichts, das nur fördernd oder nur behindernd wäre, sondern immer beide Richtungen in derselben dynamischen Bewegung. Aber das führt alles viel zu weit und mein Psychogeplauder wird Sie wahrscheinlich schon länger nerven. Trotzdem finde ich es gerade auch für politisch engagierte Menschen lohnenswert, sich mit einem Blick nach Innen über die Herkunft der eigenen Lebenspositionen und Standorte klar zu werden. Zumindest kann es sicher nicht schaden. Natürlich ist ein solcher Blick zunächst immer recht demütigend, da er das eigene großartige Geschwurbel und den eigenen intellektuellen Habitus auf die vergleichsweise simplen Überlebens-Strategien des Kindes und Jugendlichen in seiner Welt-Ich-Spannung herunter bricht. Das ist denn auch mein Plädoyer: Sich nicht nur aus dem Ist-Bewusstsein heraus, aus dem Gewachsenen (und damit oft Ver-Wachsenen) zu spiegeln, sondern immer wieder diesen Blick nach Innen und damit nach der Herkunft dessen zu richten, das die eigentliche Regie all unserer sprudelnden Meinungen, glänzenden Rhetorik, blitzenden Gedanken usw. usw. führt. Das ist auch das einzig Versöhnliche, was mir einfällt, um immer wieder neu in einen realen, das Subjektiv- und Objektive gleichzeitig würdigenden Kontakt auf
        Augenhöhe mit dem (auch politischen) Gegenüber zu kommen. (Ich schrieb an anderer Stelle ja schon, dass mir das privat ganz gut gelingt, ich im Politischen aber noch übe…) Und diese Herangehensweise möchte ich bitte als klaren Unterschied verstanden wissen zu einem stets freundlichen, emotional rationalisierten, einseitig die Objektivierung feiernden Kommunikationsstil. Zum Abschluss dieser Sequenz möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass alle mein küchenpsychologische Geschwurbel von A – Z bitte konjunktivisch zu verstehen ist!
        Aber die schönste Botschaft kommt zum Schluss: Würden sich unser beider Weltsichten vermählen und diese von Rosen gesäumt zum Traualtar schreiten, dann… Blödsinn!
        Sehen Sie mir bitte nach, dass ich in dieser Replik so vergleichsweise ernst und lieb zu Ihnen war. Das nächste Mal aber, am besten bei einem folgenden Thema gibt’s dann wieder richtig undifferenziert was auf die Glocke! Versprochen. Ich habe schließlich meinen guten Ruf zu verteidigen, den ich mit diesem Geflöte hier aufs Spiel setze.

  2. Reyes Carrillo sagt:

    Sie machen mich ja ganz verlegen, lieber Herr Müller!
    Den Roten dann aber bitte in der Klasse unter (!) fünf Euro!

  3. ole sagt:

    Ich komme gerade aus Lateinamerika, wo sich tatsächlich in Deutschland klar trennbare und gegeneinander gerichtete Phänomene wie Patriotismus, Nationalismus und Sozialismus erfolgreich mischen. Und natürlich kann das nur auf den ersten Blick verwundern, sprechen wir doch z.B. beim lateinamerikanischen Patriotismus von einem defensiven Patriotismus und nicht von einem offensiven, der schon zwei Weltkriege ausgelöst hat, wie etwa in Deutschland.Weder gab es jemals einen reinen Sozialismus/kommunismus noch Kapitalismus, da beide in Reinform nicht funktionieren, ja noch nicht mal existieren können. Es wird immer um ein Ringen um einen dritten Weg gehen, in dem sich einzelne verwirklichen und Innovation vorantreiben können, ohne dass dadurch Dritte oder die Gesellschaft als solches darunter zu leiden haben.

    • Reyes Carrillo sagt:

      Hallo ole,

      Zitat:

      “Es wird immer um ein Ringen um einen dritten Weg gehen, in dem sich einzelne verwirklichen und Innovation vorantreiben können, ohne dass dadurch Dritte oder die Gesellschaft als solches darunter zu leiden haben.”
      Ich wüsste erstens nicht, dass Venezuela, Bolivien, auch Ecuador (mit gewissen Einschränkungen) einen “Dritten Weg” gehen würden außer einen klar sozialistisch-demokratischen mit jeweils (friedlicher, wie Sie ja feststellen) deutlich nationalistischer Couleur und Ausprägung und zweitens kann ich auch nicht erkennen, dass sich in sozialistisch-demokratischen Gesellschaften wie z.B. den Genannten Menschen nicht verwirklichen könnten und Innovationen verhindert würden. Wo nehmen Sie einen solchen, pardòn, uralten, aber immer wieder gern bemühten propagandistischen Unsinn her?

  4. hoppetosse sagt:

    Was ist bloß aus der alten FDP geworden? Früher genügte es den Liberalen doch mal, sich gelegentlich mit einer kernigen Forderung zur Steuerpolitik ins Bewusstsein zu rufen. Aber seit die FDP den männerfeindlichen Sexismus und allerjüngst das asiatische Aussehen ihres Vizekanzlers als drängende gesellschaftliche Probleme entdeckt hat, kann einem wirklich angst und bange werden. Zumindest in der Rückschau lernt man die freiwillige Selbstbeschränkung auf ein Thema dann doch zu schätzen.

    Und zum Stichwort Kontingenz: Von geradezu preisverdächtiger Beliebigkeit ist da die Äußerung Dirk Niebels, wenn er die anzüglichen Bemerkungen seines Parteikollegen in die Bedeutungslosigkeit herunterspielt – und dann im gleichen Atemzug den verschämten Umgang der Medien mit männlichen Opfern sexuellen Belästigung rügt. Mit Verlaub, viel diffuser hätte das auch ein peronistischer Parteistratege nicht gekonnt…

    Dies nur als Kontrapunkt zur Hymne weiter oben; auf Nachfrage wäre natürlich auch ich sofort bereit, zwischen dem Autor und seiner Partei zu unterscheiden. Ohne deshalb gleich eine besondere Neugier an den aufgerufenen Bindestrich-Liberalismen zu bekunden – der “Schriftwechsel” hier ist schon ganz große Literatur!

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