Die Zukunft der Hochschulen

Das neue Steuerungsmodell und die Hochschulen

Das Neue Steuerungsmodell führt die Doppelte Buchhaltung mit Bilanzierung sowie die Kosten- und Leistungsrechnung und auf dieser Grundlage dieses Zahlenwerks mit seinen statistischen Erweiterungen das Controlling ein. Controlling ist aber nicht nur eine fortgeschrittene Form von Zweckrationalität, also eine Form von sachlicher Steuerung und Lenkung, sondern sie ist zugleich auch eine Herrschaftstechnik.

Es genügt nun, von oben nach unten die Sollwerte in so genannten Zielvereinbarungen festzuschreiben, ihre Erreichung zu kontrollieren und zu sanktionieren. Die flankierenden rechtlichen Instrumente hierfür sind z. B. durch die so genannte leistungsorientierte „W – Besoldung“ geschaffen worden.

Die Repräsentation von Wirtschaftsvertretern vermag die Setzung der Zielwerte  einflusspolitisch hinreichend abzusichern, ohne nach außen erkennbar zu werden. Ermöglicht wird dies durch gesellschaftliche Meinungsführerschaft und durch direkte personelle Beteiligungen insbesondere  an Hochschulräten, aber auch an Akkreditierungen und Evaluationen.

Da zwar die Kosten, bisher aber nicht die Leistungen beziffert werden können, müssen diese messbar gemacht werden, und dies soll durch Preise geschehen, die sich auf einem neuen, noch zu schaffenden Markt bilden sollen. Die Studienbeiträge, die den Studierenden abverlangt werden, sind also keineswegs allein eine die Studierenden belastende und daher Widerstand provozierende finanzpolitische Maßnahme, als die sie meist  wahrgenommen wird, sondern sie ist insbesondere der Einstieg in ein Bildungspreissystem, das sich Schritt für Schritt entwickeln und letztlich zu einer marktförmigen Selbststeuerung des Hochschulsystems durch eine äußere, preisgesteuerte Lenkung und eine interne, autoritative Lenkung führen soll.

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), die Bertelsmann-Stiftung mit dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), die Wissenschaftsministerien und die Kultusministerkonferenz bilden die Eckpunkte eines politischen Feldes, in dem anscheinend das Centrum für Hochschulentwicklung im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz im Stil einer Unternehmensberatung die maßgeblichen Konzepte entwickelt, die dann den Ministerien als Empfehlungen vorgelegt werden. Daraus entstehen die Gesetzesentwürfe, die vom Parlament lediglich noch modifiziert werden, bevor sie als positives Recht beschlossen werden.

Die maßgeblichen hochschulpolitischen Weichenstellungen sind daher bereits durch private Interessen präformiert; faktisch sind sie dem demokratischen Prozess – der  öffentlichen Debatte, der Diskussion in den Parteien, der parlamentarischen Beratung – weitestgehend entzogen.

Institutionelle Veränderungen des Hochschulsystems

Im System des Kapitalismus tendiert alles dazu, sich in Ware zu verwandeln. Das gilt auch für den Menschen, nämlich als Arbeitskraft. Diese Tendenz hat in der neuen Entwicklungsphase des Finanzmarkt-Kapitalismus auch das Hochschulsystem erfasst. Das Studium wird nicht mehr als offener Bildungsprozess mit berufsqualifizierenden Resultaten begriffen, sondern als Investititon in so genanntes Humankapital im Hinblick auf ein bestimmtes Berufsfeld.

Auch der vorerst weitgehend wieder ausgesetzte Einstieg in die Studiengebühren und die Gebührenpflichtigkeit von Master-Studiengängen sowie der berufsbegleitenden, besonders praxisorientierten MBA-Studiengänge, die der betrieblichen Weiterbildung dienen, sind Belege für diese Ökonomisierung.

Die Hochschullehre wird dadurch teilweise zu einer warenförmigen, privat bezahlten Dienstleistung. Wenn die Finanzierung auf diesem Weg gelingen sollte, kann erwartet werden, dass sich der Staat insoweit aus der Hochschulfinanzierung zurückziehen wird.

Der Tendenz nach werden sich die Hochschulen möglichst weitgehend selbst refinanzieren, in der Lehre über gebührenpflichtige Studienangebote, in der Forschung über die Einwerbung von Drittmitteln. Der Staat wird dann aus Steuermitteln höchstens noch das Bachelor-Studium und die Grundlagenforschung finanzieren.

Wenn die Entwicklung der letzten Jahre so weiter geht, dann werden sich die Hochschulen dem organisationssoziologischen Typus der Unternehmung annähern. Die Leitungsstruktur spiegelt bereits jetzt diejenige der Aktiengesellschaften, also die Geschäftsführung durch den Vorstand bzw. das Präsidium und Kontrolle durch den Aufsichtsrat bzw. den Hochschulrat wider.

Die Entmachtung des Hochschulsenats und der externe Charakter des Hochschulrats bedingen aufgrund fehlender Kontrollressourcen eine schwerwiegende Kontrolllücke, die Fehlsteuerungen wahrscheinlich macht. Doch der Hochschulsenat, der auf Grund seines Informationsstandes und seiner Sachkompetenz im Prinzip als Kontrollgremium besonders geeignet wäre, wird in diesem Modell im Grunde als unnötig oder sogar als schädlich angesehen.

Ökonomisierung der Bildung

Eine Partizipation als Elementarform demokratischer Beteiligung ist unerwünscht, weil externe ökonomische Partialinteressen die Hochschulen ebenso unsichtbar wie lautlos und wirkungsvoll steuern sollen. Das bisher staatliche Hochschulsystem verliert dabei schrittweise seinen Charakter als Öffentliches Gut und entwickelt sich hin zu einem formell halbstaatlichen Teilsystem unter indirekter Kontrolle der privaten Wirtschaft.

Für diese Umgestaltung wird es nach dem Vorbild der privaten Wettbewerbswirtschaft reorganisiert, ökonomisch rationalisiert und technokratisch gesteuert. Zugleich wird es einer Partizipation wie einer parlamentarischen Kontrolle entzogen.

Doch die in die hegemoniale Strategie des Neoliberalismus eingebettete Strategie der ökonomischen und politischen Eliten zur Transformation des Bildungssystems, die von den relevanten parlamentarischen Parteien mit nur unwesentlichen Differenzen durchgesetzt worden ist, hat – abgesehen von den aktiven Propagandisten der Kampagne und ihren Nutznießern – bisher kaum Zustimmung gefunden.

Mancherlei Kritik seitens der Hochschullehrer ist vorgebracht worden, aber sie hat bemerkenswert wenig gesellschaftlich wirksamen Widerstand provoziert. Am stärksten, aber insgesamt viel zu schwach, haben noch die Studierenden mit ihrem Kampf gegen die Studiengebühren reagiert.

Insgesamt ist deshalb  zu erwarten, dass die Transformationsstrategie – unabhängig von Parteien, die hierbei offenbar eine untergeordnete Rolle spielen – beibehalten werden wird. Denn während der Schulpolitik im Hinblick auf demokratische Wahlen landespolitisch eine erhebliche Relevanz zukommt, scheint dies für die Hochschulen derzeit kaum der Fall zu sein. In der Hochschulpolitik gilt bisher noch die Maxime des „Weiter so!“, während ein Umsteuern immer dringlicher wird. Dies gilt besonders im Hinblick auf eine verbesserte Bildungsfinanzierung, die ohne eine Verteilungskorrektur nicht zu haben sein wird.

Aber welche Zukunft wird unter diesen neuartigen Bedingungen das Grundrecht der Freiheit von Lehre und Forschung noch haben können? Das ist die offene Frage, die hier unbeantwortet bleiben muss; sie wäre von Juristen zu beantworten.

Der Sinn, den die Politik bewusst oder unbewusst mit dieser „formellen Subsumtion unter das Kapital“ verfolgt, ist die Erschließung der Wissensressourcen für Zwecke der Kapitalverwertung, und damit die Schaffung der Voraussetzungen einer „Wissensgesellschaft“. Aus technischen Erfindungen und anderen Formen verwertbaren Wissens sollen schnell profitable ökonomische Innovationen zu Extraprofiten werden. Die beiden 2007 an deutsche Forscher vergebenen Nobelpreise für Physik (Grünberg) und Chemie (Ertl) zeigen in Verbindung mit der Art und Weise der medialen Kommunikation exemplarisch, was damit gemeint ist.

Allgemein gilt, dass die geistigen und wissenschaftlichen Fähigkeiten der Gesellschaft als ausbeutbarer Rohstoff unter Kontrolle gebracht, angeeignet und in privaten Nutzen verwandelt werden soll. David Harvey bezeichnet diesen Vorgang als „Akkumulation durch Enteignung“. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass dieser Transformationsprozess ohne kritische öffentliche Diskussion und auch ohne Partizipation eingeleitet wurde und weiter entsprechend vorangetrieben wird.

Indem aber die ökonomische Verwertbarkeit zum Oberziel des Bildungssystems erhoben wird,  kommt es durch diesen forcierten Ökonomismus zumindest im Bereich der Sozial- sowie der Geisteswissenschaften zu einer Beschränkung des gesellschaftlichen Erkenntnishorizonts, indem nur betriebswirtschaftlich als nützlich Erscheinendes noch zugelassen wird. Eine geistige Verengung wird die zwangsläufige Folge sein. Die verbreitete Halbbildung verallgemeinert sich, und es kommt zu einem allmählichen und unbemerkten Verlust des weiten und langfristigen geistigen Horizonts, der für komplexe Fragen politischer Steuerung besonders wichtig ist.

Die gefährlich zunehmende Kurzsichtigkeit  wird besonders zu Lasten der Grundlagenforschung und der kritischen Reflexionsfähigkeit der Gesellschaft, schließlich der Bildung überhaupt gehen. Jede das instrumentelle, zweckrationale Denken der Ökonomie, Technik und Politik überschreitende Reflexion geht in der Tendenz aufgrund einer einseitigen Orientierung an privaten Wirtschaftsinteressen als eine gesellschaftliche Kompetenz verloren. Unbemerkt schrumpft so mit der Erkenntnisfähigkeit auch die Problemlösungsfähigkeit der Gesellschaft im Ganzen, während die Komplexität der gesellschaftlichen Probleme zugleich weiter ansteigt; ein Widerspruch der früher oder später in eine gesellschaftliche Krise münden muss.

Ein Richtungswechsel der Hochschulpolitik ist notwendig, setzt aber voraus, dass die neoliberalen politischen Strategien auf gesellschaftlicher Ebene insgesamt scheitern oder zum Scheitern gebracht werden. Zwar ist die Hegemonie neoliberaler Ideologie und Politik noch gegeben, aber Anzeichen für eine Erosion sind auf verschiedenen Politikfeldern vorhanden. Die intellektuelle Kritik darf, weil es um gesellschaftspolitische Interessen geht, nicht auf Einsicht hoffen, sondern sie muss mit politischer Organisation verbunden werden, um reale Veränderungen zu erreichen.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender des Landesvorstands des Hochschullehrerbundes Niedersachsen e. V. Der hlb ist der Berufsverband der Fachhochschullehrer.

Artikelbild: Bundesarchiv, B 145 Bild-F079105-0005 / CC-BY-SA

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3 Kommentare zu "Die Zukunft der Hochschulen"

  1. Georg sagt:

    Ein sehr guter und informativer Beitrag. Dennoch sollte man darauf hinweisen, dass er bereits 5 Jahre alt ist (Nov. 2007).

  2. Günter Buchholz sagt:

    Danke! Der Hinweis ist berechtigt und notwendig. Zur Erstveröffentlichung

    => siehe hier:

    http://f4.hs-hannover.de/fileadmin/media/doc/f4/Aktivitaeten/Veroeffentlichungen/2007/176.pdf

    Ich sehe bisher nicht, dass ich aufgrund der Erfahrungen der letzten fünf Jahre an der Analyse etwas zu ändern hätte. Hinzugetreten sind allerdings Veränderungen, wie z. B. die fast vollständige Rücknahme der Studiengebühren – nicht zuletzt aufgrund des politischen Widerstandes der Studenten. Aber die Studenten zu diesem Widerstand zu motivieren, das war seinerzeit eines meiner Motive, diesen Aufsatz zu schreiben.

  3. Günter Buchholz sagt:

    Man lese zur aktuellen Lage (d.h. hier im Dezember 2012) im Bereich der Hochschulpolitik:

    “Ausgrenzung des hochschulpolitischen Programms des DGB aus der öffentlichen Debatte” :

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=15460

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