Die Zukunft der Hochschulen

Hochschulpolitik in der Ära des Finanzmarkt-Kapitalismus

Bundesarchiv, B 145 Bild-F079105-0005 / CC-BY-SA

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Das deutsche Bildungssystem – Hochschulen und Schulen – befindet sich seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in einem von den ökonomischen und politischen Eliten gewollten Transformationsprozess.

Von Günter Buchholz

Das bisher staatliche Hochschulsystem verliert schrittweise seinen Charakter als Öffentliches Gut und entwickelt sich hin zu einem formell halbstaatlichen Teilsystem unter indirekter Kontrolle der privaten Wirtschaft. Für diese Umgestaltung wird es nach dem Vorbild der privaten Wettbewerbswirtschaft reorganisiert, ökonomisch rationalisiert und technokratisch gesteuert. Zugleich wird es einer internen Partizipation wie einer externen parlamentarischen Kontrolle entzogen.

Diese Entwicklung ist bereits 1993 von dem Historiker Torsten Bultmann weitsichtig und zutreffend charakterisiert worden:

„Die politischen Leitbegriffe – unterhalb  des Oberbegriffs „Standortsicherung“ – sind betriebswirtschaftlicher Herkunft: Effizienz, Wettbewerb, Finanzautonomie, Controlling, professionalisiertes Management. Angestrebt wird offenkundig eine Funktionsdifferenzierung der Hochschulen nach ausschließlich ökonomischen Leistungskriterien.“

Für die Studierenden und ihre Vertretungen stand bisher der Widerstand gegen die finanzielle Last der Studiengebühren im Vordergrund, während die gesellschaftlichen Ursachen und Ziele der Veränderungen eher wenig reflektiert worden sind.

Die Situation der Mitarbeiter/-innen ist durch die Einführung eines völlig neuen Tarifvertrages auf eine andere rechtliche Grundlage gestellt worden, und auch die Hochschullehrerschaft ist mit fundamentalen Veränderungen konfrontiert, nämlich insbesondere durch:

– die  Einführung der so genannten leistungsorientierten W–Besoldung,

– die Beseitigung der partizipativen Gruppenhochschule durch eine hierarchisierte, monokratisch geführte Präsidialhochschule,

– die Verdrängung einer Orientierung an Wissenschaft zugunsten einer Orientierung an betriebswirtschaftlicher Effizienz und an unternehmerischen Interessen,

– die Umstellung auf das angelsächsische Bachelor-Master-Studienmodell im Rahmen des so genannten Bologna-Prozesses

– sowie die externe Akkreditierung und Evaluierung von Fakultäten und Studiengängen.

Wohl nicht zu Unrecht wird erwartet, so z. B. von Konrad Paul Liessmann in seiner „Theorie der Unbildung“, dass die vorrangig ökonomisch motivierten Veränderungen des Hochschulsystems zu einer Etablierung von Halb- und Unbildung führen werden. Dennoch ist deutlich erkennbar, dass die Politik parteiübergreifend entschlossen ist, die geplanten Veränderungen weiterhin ohne Partizipation der Betroffenen durchzusetzen. Doch warum ist das so, und wie kann es erklärt werden?

Übergang vom Fordismus zum Finanzmarkt-Kapitalismus

Die von dem französischen Ökonomen Michel Aglietta entwickelte Regulationstheorie stellt einen beachtlichen theoretischen Fortschritt im Hinblick auf die konkrete historische Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften dar.  Sie charakterisiert bezüglich des 20. Jahrhunderts zunächst den „Fordismus“ als eine bestimmte „gesellschaftliche Betriebsweise“. Mit diesem Begriff wird die jeweilige historisch – konkrete Vermittlung zwischen gesellschaftlicher Mikro- und Makroebene bezeichnet.

In diesem Fall jene, die sich seit Beginn des  20. Jahrhunderts in den USA entwickelte, und die sich dort unter dem Problemdruck der Weltwirtschaftskrise von 1929 – 1932 durchgesetzt hat und als New Deal und Keynesianismus bekannt geworden ist. Nach Kriegsende wurde diese Betriebsweise vorherrschend.

Die wichtigsten Merkmale der „fordistischen Betriebsweise“ waren:

– auf weltwirtschaftlicher Ebene die umfassende Regulierung des Weltwährungssystems;

– auf nationaler Ebene die makroökonomische Lenkung der volkswirtschaftlichen Entwicklung durch den Staat;

– auf gesellschaftlicher Ebene ein lohnpolitischer Kompromiss, der Massenproduktion und Massenkonsum ermöglichte, die effektive Nachfrage stützte und dadurch die Rentabilität des Kapitals sicherte;

– sowie die Kompensation der Existenzunsicherheit der Lohnarbeiter durch den Sozialstaat.

Dieser Akkumulationstyp geriet mit der Wirtschaftskrise von 1975 in die Krise, als sich aus verschiedenen Gründen eine so genannte Stagflation entwickelte. Denn auf diese Kombination von Stagnation und Inflation gab es im Rahmen des damals wirtschafts-politisch etablierten Keynesianismus keine Antwort.

Auf diese Problemlage reagierte das Besitzbürgertum mit seinen Vertretern in der Wissenschaft und der Bundesbank offensiv mit einem Strategiewechsel hin zu einer langfristig vorbereiteten neoliberalen marktradikalen Gegenreform. Sie setzte sich damit politisch zunächst in Großbritannien unter Margret Thatcher und dann in den USA unter Ronald Reagan durch.

Die Gegenreform zielte auf eine langfristige und durchgreifende Verbesserung der Verwertungsbedingungen, insbesondere durch eine Schwächung der organisierten Arbeit. Ausgehend insbesondere von den USA wurden die Deregulierung der Devisenmärkte und eine Politik der Weltmarktliberalisierung eingeleitet und durchgesetzt.

Seit 1995 besteht das General Agreement of Trade and Services (GATS), mit dem die Absicht verfolgt wird, auch die  Dienstleistungen zu liberalisieren. Diese Bedeutung dieser internationalen Vereinbarung ist sehr weit reichend, weil sie eine Liberalisierung auch der Arbeitsmärkte impliziert, und weil sie im Hinblick auf die Dienstleistungen des „Öffentlichen Sektors“ in den Bereichen Gesundheit und Bildung einen Privatisierungsdruck auslöst.

Es spricht heute vieles dafür, dass sich mittlerweile eine neue Qualität der Vermittlung zwischen Mikro- und Makroebene der Gesellschaft etabliert hat, eben der Finanzmarkt-Kapitalismus. Er kann wie folgt gekennzeichnet werden:

– Herausbildung einer Überakkumulation von Kapital.

– Verfügbarkeit sehr großer monetärer Privatvermögen, die in Fonds oder „Private – Equity – Firmen“ gesammelt wurden.

– Internationale Dominanz und Abkopplung der Finanzmärkte, stark gestiegene Bedeutung der Börsen und eine entsprechende ökonomische Macht der maßgeblichen finanziellen Akteure auf diesen Märkten;

– Machtverlagerung innerhalb des Besitzbürgertums von den Banken und vom industriellen Top Management hin zu den Aktionären und den Vermögens-Managern der monetären Fondsgesellschaften;

– Verteilungspolitische Offensive des Besitzbürgertums;

– Erwirtschaftung hoher monetärer Renditen;

– Weltweite Deregulierung vorrangig der Finanz- und Gütermärkte;

– Senkung des Staatsanteils am Sozialprodukt;

– Allgemeine Ökonomisierung der Gesellschaft, insbesondere Unterordnung der gesamten Gesellschaft, darunter die Öffentlichen Güter Gesundheit und Bildung, unter ökonomische Effizienzkriterien;

– Neue Kapitalanlagemöglichkeiten durch Privatisierungen

– Modernisierung“ der öffentlichen Verwaltung durch die Einführung des „New Public Management“ bzw. des „Neuen Steuerungsmodells“;

– Einführung autonomer Hochschulleitungen ohne hochschulinterne Partizipation in Verbindung mit einem Controlling-Paradigma der internen Steuerung der Hochschulen;

– Ökonomisierung, Teilprivatisierung, „Verbetriebswirtschaftlichung“ (bzw. Unternehmens-, Markt- und Wettbewerbsorientierung) und Hierarchisierung des Bildungswesens als Reaktion auf die Überakkumulationsproblematik sind die konkreten Merkmale einer grundlegenden Veränderung, die als „formelle Subsumtion unter das Kapital“ bezeichnet werden kann.

– Das sich neu herausbildende  Hochschulsystem ist kein öffentliches Gut mehr; zu erwarten ist daher, dass seine ausgeprägte soziale Selektivität noch stark zunehmen wird.

– Das diesen Transformationsprozess treibende Interesse ist Erschließung und Aneignung der gesellschaftlichen Wissensressourcen.

– Wissen wird als verwertbarer Rohstoff aufgefasst, der angeeignet, in Wert gesetzt und dann verwertet werden kann – was dann als  „Wissensgesellschaft“ bezeichnet wird.

Wissenschaft, ein zwar methodischer und rationaler, aber dennoch oft ungewisser und kreativer Entdeckungs-, Reflexions-,  Erkenntnis- und Entwicklungsprozess, ist von diesem Interessenstandpunkt her einzig im Hinblick auf greifbare Resultate relevant. Wissenschaft liefert ökonomisch verwertbares Wissen oder eben nicht. Und tut sie es nicht, dann verursacht sie unnötige Kosten, die nach betriebswirtschaftlicher Logik gekürzt gehören.

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3 Kommentare zu "Die Zukunft der Hochschulen"

  1. Georg sagt:

    Ein sehr guter und informativer Beitrag. Dennoch sollte man darauf hinweisen, dass er bereits 5 Jahre alt ist (Nov. 2007).

  2. Günter Buchholz sagt:

    Danke! Der Hinweis ist berechtigt und notwendig. Zur Erstveröffentlichung

    => siehe hier:

    http://f4.hs-hannover.de/fileadmin/media/doc/f4/Aktivitaeten/Veroeffentlichungen/2007/176.pdf

    Ich sehe bisher nicht, dass ich aufgrund der Erfahrungen der letzten fünf Jahre an der Analyse etwas zu ändern hätte. Hinzugetreten sind allerdings Veränderungen, wie z. B. die fast vollständige Rücknahme der Studiengebühren – nicht zuletzt aufgrund des politischen Widerstandes der Studenten. Aber die Studenten zu diesem Widerstand zu motivieren, das war seinerzeit eines meiner Motive, diesen Aufsatz zu schreiben.

  3. Günter Buchholz sagt:

    Man lese zur aktuellen Lage (d.h. hier im Dezember 2012) im Bereich der Hochschulpolitik:

    “Ausgrenzung des hochschulpolitischen Programms des DGB aus der öffentlichen Debatte” :

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=15460

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