Selbstdemontage einer Gesellschaft

Immer mehr Menschen genießen den Zugang zu höheren Bildungseinrichtungen. Was auf den ersten Blick erstrebenswert schien, sorgt nun für ein wachsendes Bildungsprekariat und sinkendes Bildungsniveau.

Bildung

Foto: Universität Wien / flickr / CC BY-NC 2.0

Von Deborah Ryszka

Bildung galt und gilt als das Nonplusultra für Chancengleichheit. Wer Bildung genießt, verfügt auch über Möglichkeiten. Die hieraus gezogene Konklusion der Bildungsbefürworter: Möglichst viele Personen sollen einen höchstmöglichen Bildungsabschluss erreichen, um über bessere berufliche Perspektiven und somit über mehr Möglichkeiten zu verfügen.

Der erste Teil des vorherigen Satzes ist realisiert worden. Fast jeder zweite Schüler in Deutschland schließt seine Schulzeit mit dem Abitur ab und auch die Zahl der Studienabsolventen und Doktoranden nimmt stetig zu. Der zweite Teil ist zwar auch eingetroffen, aber nicht in seinem ursprünglich gemeinten Sinne.

Akademikern stehen heute mehrere und buntere Möglichkeiten im Sinne des auszuübenden Berufes nach ihrem Abschluss offen, jedoch außerhalb – genauer gesagt – unterhalb ihrer Qualifikation. So haben immer mehr die Wahl, ob Sie lieber mit ihrem Hochschulabschluss Taxi fahren, an der Kasse sitzen, direkt zur Arbeitsagentur gehen oder beidem kombiniert nachgehen.

Aber warum sollen möglichst viele unter diesen Bedingungen einen hohen Bildungsabschluss haben? Wozu braucht man eine Erzieherin oder einen Kraftfahrer mit Hochschulabschluss? Und warum hält sich die Behauptung, dass ein Studium sichere berufliche Perspektiven bringt?

Aus wirtschaftlicher Perspektive kann man dies verstehen. Denn je mehr Personen über einen hohen Bildungsabschluss verfügen, desto größere Auswahlmöglichkeiten stehen der Wirtschaft zur Verfügung. Sie kann sich die ihrer Meinung nach besten Personen – in ihrem Sinne diejenigen also, die für den geringsten Lohn arbeiten, aber noch über durchschnittliche Fähigkeiten verfügen – aus dem großen Bewerberpool herausnehmen.

Der Plurimi-Faktor und Konglomeratsspezialisten mit Tunnelblick

Jedoch missachten die Unternehmen, dass ein Avancement der Bildung zum Massenkonsumgut diese wiederum wertloser macht. Hier greift der Plurimi-Faktor Botho Strauß’ ein: Das Breite zur Spitze machen wollen, wie Strauß selbst sagt. Notgedrungen muss also das Niveau in Schule und Universität zur Anhebung der Absolventenzahlen heruntergedrosselt und an die „Schwächeren“ oder zumindest dem Durchschnitt der Masse angepasst werden. Hinzu kommen die zunehmenden Diskussionen über die und Zweifel an den pädagogischen Kompetenzen seitens der Eltern und Kindern bezüglich der Noten, was zuletzt den Druck auf genervte Lehrer erhöht und zu einer Noteninflation führt.

Neben dieser Noteninflation ist eine Flut des konglomerierten Spezialistentums entstanden, die aus einer Inflation des “Wissens” resultiert. Es reicht längst nicht mehr aus, ein einfaches traditionelles, konkretes Fach, wie etwa Biologie zu studieren. Stattdessen muss man sich auf höchstem Niveau konglomeratsmäßig (!) spezialisieren, wie zum Beispiel durch Geschlechterstudien/Gender Studies oder Neuro-cognitive psychology. Das heißt, sich am besten so früh wie möglich mit einen Tunnelblick in die Enge des aus verschiedenen Disziplinen zusammengewürfelten Faches begeben. Ohne wirklich fundierte Kenntnisse eines einzigen Faches, sondern mit aus unterschiedlichen Fächern zusammengestückelten Häppchenwissens.

Statt Spezialisten tummeln sich lauter oberflächliche Konglomeratsspezialisten umher. Ein bisschen von hier und ein bisschen von dort. Statt in die Tiefe geht es in die Breite. Berührung von Inhalten statt Eindringen in Inhalte. Und als für sein zusammengewürfeltes Fach als relevant erachtet wird nur, was auch Prüfungsrelevant ist. Ein Blick über den Tellerrand – mit einer professionellen Übersicht eines richtigen Experten auf zumindest einem Fachgebiet – scheint nicht mehr erforderlich.

Angeblich soll mit all dem die interdisziplinäre Zusammenarbeit gefördert werden. Sozusagen eine interdisziplinäre Kooperation von intradisziplinären Konglomeratsspezialisten mit intra-inter-disziplinären Bezug und Ergebnissen. Stattdessen entsteht durch ein sich gegenseitig befruchtendes Halbwissen – oder in Termini des Sozialpsychologen Erich Fromm Halbbildungswissen – ein halbes Halbwissen, also ein Viertelwissen, mit noch mehr Undurchschaubarkeit und chaotischen Zuständen. Fraglich, ob hieraus gezogene Schlussfolgerungen als wissenschaftliche und gültige zu bezeichnen sind. Denn die Gefahr unnötiger Kategorienfehler und dementsprechend ungültiger wissenschaftlicher Ergebnisse steigt unnötig an.

Enorme Kosten verursacht durch proveniente Intelligencija

Dieser Prozess in Kombination der vermassten Bildung bringt noch ein weiteres Resultat hervor. Durch die Senkung des Bildungsniveaus an Schulen und Universitäten wird Personen Zutritt gewährt, welche den Herausforderungen an hiesigen Bildungsstätten nicht gewachsen sind, was wiederum zu einer weiteren Senkung des schulischen und akademischen Niveaus führt. Ein nicht endender circulus vitiosus.

Zusätzlich entwickelt ein Anteil der Absolventen ein gewisses Überlegenheitsgefühl. Einerseits diejenigen, die zum ersten Mal in ihrer Familie einen Abschluss vorweisen können. Denn der Abiturabschluss oder der Hochschulabschluss stellen etwas Besonderes dar, wovon die Eltern oder Großeltern nur träumen konnten. Andererseits sind es auch diejenigen, die aus einem privilegierten Elternhaus – in dem Sinne, dass diese Kinder von ihren Eltern als ein höheres und besseres Wesen im Vergleich zu anderen Kindern betrachtet werden – kommen.

Dieses erweckte subjektive Empfinden einer Expertenüberlegenheit bei tatsächlichem Bestehen eines Halbbildungsiwssens oder Konglomeratspezialistentums, also mehr unwissend wissende Experten, hat aber fatale Konsequenzen. Arbeitgeber können sich zwar unter der provenienten Intelligencija den Klügsten auswählen, aber nur den Klügsten unter den Halbwissenden. Folglich werden Stellen mit nicht für diese Stelle geeigneten Personen besetzt. Dies kostet nicht nur dem Stelleninhaber, sondern auch dem Stellengeber Kräfte (und letztendlich unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel unserem Gesundheitssystem). Und natürlich der Wirtschaft finanzielle Einbußen.

Schlimmer sieht dies in Dienstleistungsberufen mit größerer Verantwortung – insbesondere Verantwortung für andere – aus, wie zum Beispiel beim Arzt, Psychotherapeuten oder Juristen. Hier schaden sich die Personen – im Falle einer Fehlbesetzung – nicht nur selbst oder dem Arbeitgeber, sondern auch dem Hilfesuchenden, welcher sein Vertrauen und seine Gesundheit dem Halbwissenden anbieten muss. Bei Fehlern aufgrund des Halbwissens trägt der Verantwortliche keine Konsequenzen.

Inkompentene Kompetenzköpfe werden erzogen

Um dieser dargestellten Wertlosigkeit eines qualifizierten Abschlusses mit all ihren negativen Konsequenzen entgegenzuwirken, werden Zusatzqualifikationen, Schulungen und Fortbildungsseminare relevanter und sogar erforderlich. Da man offenbar von einem Hochschulabsolventen nicht mehr erwarten sollte, dass dieser richtig sprechen oder schreiben kann, muss er diese Qualifikationen durch die Besuche eines Rhetorik- oder Schreibseminars nachweisen können. Zusätzlich werden hierdurch Abschlüsse auch von Haupt- und Realschulen degradiert, welches ihren Absolventen jegliche berufliche Perspektiven vorwegnimmt.

Wäre es daher nicht erstrebenswert auch diesen Leuten die Perspektive einer gut bezahlten Arbeit zu ermöglichen? Ein Automechaniker muss nicht unbedingt den Satz des Pythagoras, fünf Sprachen sprechen oder Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre verstehen, um anstandslos ein Automobil zu reparieren. Er muss vielmehr über fundiertes, fachkundiges Wissen von Automobilen zu ihrer Reparatur verfügen. Je früher er mit diesem Wissen in Berührung kommt, desto wissender wird er auf seinem Gebiet. Ob er sich in seiner Freizeit mit Werken Kants und Kollegen beschäftigt, sei ihm überlassen. Und natürlich sollte er entsprechend seines Fachwissens entlohnt werden – so, dass er davon gut leben kann.

Zurück zu den Studenten: Es scheint, als ob heutige Studenten und Absolventen durch das Absinken des Bildungsniveaus – also durch ein Handeln der Bildungspolitik – immer inkompetenter und unqualifizierter (erzogen) werden. Warum sonst die ganzen Bibliotheksführungen oder strukturierten Doktorandenprogramme? Warum müssen Studenten und Absolventen so an die Hand genommen werden? Können Personen, die stets angeleitet werden, zukünftig eigenständig Verantwortung für sich und andere übernehmen? Da verwundert es nicht, dass der Philosoph Odo Marquard als eine der wichtigsten heutigen Kompetenzen die “Inkompetenzkompensationskompetenz” konstatierte – bei der Masse von inkompetenten Kompetenzenköpfen, die einem tagtäglich begegnen.

Massenbildung als Spiegel des langsamen Verfalls einer Gesellschaft

Ob diese Entwicklung für die Gesellschaft förderlich ist, sei fraglich. Positiv aber ist, dass hierdurch offensichtlich wird, dass wir in einer wohlhabenden Gesellschaft leben. Denn Leistung oder Kompetenzen spielen heutzutage keine primäre – oder zumindest eine nebensächliche – Rolle, um den Einzelnen und die Gesellschaft am reibungslosen Leben zu halten. Alles klappt irgendwie und darüberhinaus auch nicht gerade schlecht. Die deutsche Wirtschaft wächst stetig. Wie kräftig aber würde sie wohl ohne inkompetente Kompetenzköpfe wachsen?

Andererseits sollte man auch die langfristigen Konsequenzen dieser Bildungspolitik beachten. So schadet sich eine Gesellschaft durch Erziehung Halbwissender selbst. Wer Schlüsselpositionen ohne die hierfür vorhandene Qualifikation übernimmt, kann fatale Entscheidungen, nicht nur für die eigene Person, treffen.

Daher sollte sich eine Gesellschaft aus mehreren Gründen fragen, ob sie bereit ist, das Bildungsniveau wieder zu erhöhen und somit kompetente, fachkundige Experten zu erziehen. Oder ob sie weiterhin billige, durchschnittliche Arbeitskräfte zum Preis eines langfristigen Verfalls der eigenen Gesellschaft und deren spezifische Standortvorteile durch andere, wachsende Gesellschaften oder Kulturen mit höherem Bildungsniveau in Kauf nehmen möchte.

Deborah Ryszka (Jahrgang 1989) ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin sowie Doktorandin an der Universität Potsdam.

Artikelbild: Universität Wien / flickr / CC BY-NC 2.0

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19 Kommentare zu "Selbstdemontage einer Gesellschaft"

  1. Ute Plass sagt:

    Dieser allgemeine Rundumschlag auf sog. Massenbildung und sinkendes Bildungsniveau hilft Eltern nicht weiter, denen ständig suggeriert wird, das ihre Kinder nur mit höchsten Schul/Studienabschlüssen im vorherrschenden Konkurrenzbetrieb bestehen können.
    Gerne hätte ich konkreter erfahren, was die Autorin selbst unter Bildung versteht welche Bildung sie wem und wie zugestehen mag?

    Ein wenig erinnert mich dieser Beitrag an Nida-Rümelins “Der Akademisierungswahn”. Vielleicht tue ich aber auch der Autorin Unrecht, wenn ich sie damit in die Nähe einer selbst ernannten Elitebildungsschicht rücke, die um ihre Pfründe fürchtet.

  2. neuland sagt:

    Die beste Bildung, die Eltern ihren Kindern heutezutage zuteil werden lassen können, ist Selbstvertrauen & Selbstbewusstsein und das Vermögen, sich unter schwierigen und ungewöhnlichen Lebensbedingungen zurechtzufinden. Fitness und eine ausgezeichnete körperliche Verfassung, die Fähigkeit, in Wald- und Wildnis zu überleben und asiatische Kampfsport- und Meditationstechniken gehören ebenfalls dazu. Mens sana in corpore sana ist wieder topaktuell. Und war es übrigens immer, nur dass man das denen, die für eine Laufbahn in Schulknechtschaft vorgesehen sind, nicht unbedingt auf die Nase bindet.

    Und falls doch alles ganz anders kommt: Das bisschen, was man in einer hochspezialisierten Arbeitswelt für einen konventionellen Job benötigt, schafft sich ein Kind mit gerartigen Grundlagen im Bedarfsfalle schneller drauf, als Sie gucken können…

  3. Hui, was für eine Arroganz. Ein Studium hat noch nie verhindert, dass auch Idioten Akademiker sein können. Vielleicht ist die Autorin ein Beispiel?

    Ich bin gerade an der Universität. Mit 45 Jahren habe ich mich wieder eingeschrieben. Inkompetenz konnte man auch schon vor 15 Jahren an den Unis treffen, daran hat sich meiner Ansicht nach nichts geändert. Das Interesse der Autorin am Gemeinwohl scheint mir vorgeschoben.

    Was hier durchklingt ist nämlich eine weitere Vermarktwirtschaftlichung der Lehre und eine wirtschaftsorientierte Machtpolitik. Gut ist nur wer im Sinne des Profites und der Effizienz “Funktioniert” und optimal für die Profitinteressen der Wirtschaft verwendbar ist.
    Was, frage ich, ist das für ein Bildungsbegriff?

    Wer Teilt ein wer ins Töpfchen oder ins Kröpfchen gehört? Das Problem an Selektion von “Elitestudenten” war und ist immer schon, dass dies ein Instrument in den Händen einer Machtelite darstellt. Diese Elite ist sicher nicht Kompetenter, aber nutzt deses Machtinstrument um ihre Sprösslinge zu bevorzugen.

    Die “Bibliothekskurse” gibt es, weil heute viele Studenten erst 17 oder 18 Jahre alt sind. Ähnlich wie in den USA stellt das eine Universität auch vor neue pädagogische Herausforderungen. Es ist gut, dass die Unis sich dieser Herausforderung stellen. Das macht die Absolventen aber nicht zu Halbwissenden. Ich halte die Lehre die ich erfahre für gut.

    Die Erosion der geanten akademischen Berufe, so es sie gibt, (den Beweis bleibt die Autorin schuldig, schlechte Wissenschaft?) hat meiner Ansicht nach ausschliesslich mit der Marktideologie zu tun, die auch immer mehr die universitäre Lehre beeinflusst. Eine Gesellschaft die nur bestimmte Berufe gerecht entlohnt, muss sich nicht wundern wenn jeder Idiot diesen Beruf ergreifen will.

    Lehre kann nur funktionieren wenn man unausgegorene, politische Einflüsse, wie die in diesem Artikel formulierten, as der Lehre fernhält. Lehre sollte Wissen schaffen. Das ist schon schwer genug. Wann immer Politik sich einschaltet leidet sie.

    Vor allem wenn sie so Arrogant über die Köpfe anderer Aburteilt wie die Autorin dies in diesem Artikel tut.

    • Ute Plass sagt:

      @AlienObserver – auf den Punkt gebracht. Danke. :-)

    • Ich kann dem Kommentar von Alien Observer ebenfalls nur zustimmen!

    • Oliver Osranek sagt:

      @AlienObserver
      Sie teilen die Meinung und Darstellung der Autorin nicht. Die ist ihr gutes Recht. Aber warum diese persönlichen Angriffe und Unterstellungen?
      Sie stellen die Möglichkeit der schlechten wissenschaftlichen Arbeit in den Raum.
      Mir scheint es fast so, als ob sie sich persönlich von der Autorin angegriffen fühlen. Und so reagieren Sie auch, und das Herr AlienObserver zeugt ganz und gar von schlechter Wissenschaft!

      Es stimmt, die Autorin zeigt DInge auf, bei denen man merkt, das sie weder vom Fach ist, noch ausreichende Recherche betrieben hat.
      Mit diesen Fakten kann man in einen fachlichen, sachlichen und wissenschafltlichen Dialog treten. Wobei meiner Meinung nach sich aber eine Kommentarfunktion eher als untauglich darstellt.

  4. nasenschleifer sagt:

    Die Bildungsmisere beginnt doch bereits in oder mit der Schule! Das Abitur als Hochschulreife ist ziemlich ramponiert – längst ist dort das totale Mittelmaß eingezogen. Hängt aber wohl stark mit den vermeintlichen Demokratieverständnis zusammen: Bildung quasi als Grundrecht. Dagegen ist nix einzuwenden. Nur sollte dabei bedacht werden, dass ein bestimmtes Leistungsniveau erbracht werden muss, um die Hochschulreife zu erwerben. Da geht es eben nicht mit einem Notendurchschnitt von 2,5, … 4,0! Eine ziemlich verlogene Geschichte. Es wird zudem nicht besser, wenn Qualifikation permanent entwertet wird. Das ist eine Sache. Eine andere ist es, wie denn eine Gesellschaft genuines Wissen organisiert, verbreitet etc. in der Millionen an den Rand gedrängt wurden. Ganz zu schweigen von den wenig transparenten Herrschaftsmechanismen – da stört Bildung resp. Wissen doch nur. Kurzum. Wirklich gebildete Menschen werden eigentlich nicht gebraucht.

  5. Thomas sagt:

    Der Punkt hierbei ist mal wieder, dass Bildung und Information verwechselt wird.
    In hyperspezialisierten Studiengängen wird nicht Bildung sondern mehr oder weniger „verwertbare“ Information vermitteln. Ob diese Tendenz in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, kann ich nicht beurteilen. Wichtig ist aber, dass echte menschliche Kompetenz (also eine umfassende Bildung, das Durchschauen von fächerübergreifenden Zusammenhängen, politische, ethische, ökologische und soziale Kompetenz etc.), wie es der Autorin offenbar vorschwebt, schon immer unabhängig von Studiengängen erworben werden mussten. Auch in meinem Studium vor 35 Jahren musste ich dafür schon allein sorgen. Dafür aber benötigt man vor allem: frei verfügbare Zeit, entsprechendes Interesse und selbstbewusste Aufmerksamkeit, also gerade das Gegenteil von ökonomistischer Ausrichtung auf materiellen Erfolg, finanzielle Effizienz und Arbeitsmarktoptimierungen. Mit anderen Worten, man benötigt eine gewisse innere Unabhängigkeit von den engführenden Mechanismen aktueller Ökonomisierung. Es gibt eben noch eine andere Welt außerhalb von Geld, Eigentum, Arbeit und Markt und die könnte man, mit etwas Phantasie, Bildung nennen.

    • Ute Plass sagt:

      @Thomas – “Der Punkt hierbei ist mal wieder, dass Bildung und Information verwechselt wird.”

      Ich habe nicht den Eindruck, dass die Kommentare, die sich auf diesen
      Beitrag beziehen, Bildung und Information verwechseln, Ihnen jedoch eher zustimmen dürften, wenn Sie sagen:

      “Es gibt eben noch eine andere Welt außerhalb von Geld, Eigentum, Arbeit und Markt und die könnte man, mit etwas Phantasie, Bildung nennen.”

      Diese Sichtweise, die auf das altmodisch-schöne Wort “Herzensbildung”
      hindeutet, kann ich bei der Autorin dieses Beitrages leider nicht entdecken,
      wenn sie von “Erziehen zu kompetenten, fachkundigen Experten” spricht, die eine Gesellschaft als “Standortvorteil” im globalen Konkurrenzbetrieb anstreben sollte.
      Ob die Psychologin und Doktorandin sich bewusst ist, welche Motive und Absichten sie zu solchen Äußerungen antreiben?

      • Thomas sagt:

        @Ute Plass,

        meine Kritik war durchaus als Reaktion auf den ursprünglichen Artikel und nicht als solche an den bisherigen Kommentatoren gemeint. Ich stimme Ihnen zu. “Herzensbildung” ist exakt, was ich meinte, solange man den rationalen und Wissens-Aspekt dabei mitberücksichtigt. Nur als “Gesamtkunstwerk” ergeben Wissen, Denken, Spüren und Einsicht einen echten Sinn.

        • Ute Plass sagt:

          @Thomas – Danke für die Klarstellung. Bildung als “Gesamtkunstwerk” finde ich sehr schön. :-)

  6. Idahoe sagt:

    Tja, was ist denn Bildung, was versteht der einzelne Mensch darunter?
    Eine formale Ausbildung, die eher Fachidiotentum hervorbringt oder in der der Mensch lernt zu lernen?
    Das ist ein erheblicher Unterschied, denn die Wiedergabe von Daten nach dem Nürnberger-Trichter-Prinzip ist das intellingent?
    Beispiel
    Was ist bei Wirtschaftswissenschaften Wissen?
    Die Ökonomik verwendet Mathematik zur Beschreibung des wirtschaftens Aller, des Marktes. Kaum einem Ökonomen ist überhaupt klar, daß der Hauptakteur Mensch mathematisch nicht beschrieben werden kann, sondern nur eine tote Maschinerie.
    (Bei Interesse Gode & Sunder 1993, 0% Intelligence)

    Alles soll bewertet werden, nun Frau Psychologin, ist eine Wertung nicht ein rein emotionaler Vorgang? Ich werte nach Möglichkeit überhaupt nicht, denn dies ist nur erforderlich, wenn ich über ein Thema NICHTS weiß. Wenn ich über Wissen verfüge, muß ich auch keinerlei Entscheidung treffen, denn es ist klar, was ich dann mache.
    Das erfordert allerdings die Fähigkeit des abstrakten Denkens, um größere Zusammenhänge überhaupt in Übereinstimmung bringen zu können.
    Mathematik ist aber eine reduzierte Betrachtung der Wirklichkeit und keine abstrakte. Formale Logik ist nicht logisch im Bezug zur Wirklichkeit.
    Wissenschaft ist schon lange auf statistische Auswertung reduziert, die sich ständig weiter von der Wirklichkeit entfernt und nur noch soziokulturelle Realitäten schafft.
    Eines der Hauptprobleme ist Sprache und das Mißverständnis, daß diese der Information gleichgesetzt wird. Sprache ist aber nur der Informationsträger und nicht die Information selbst. Schon daher wäre es viel wichtiger, das ganze Fachchinesisch abzuschaffen und eine allgemein verständliche Sprache zu verwenden.

    Das tödliche für Wissenschaft entsteht, wenn die Fähigkeit der Kommunikation zunehmend durch schwachsinnige formale Ausbildung ersetzt wird. Aus einer Form ergibt sich kein Wissen und keine Bedeutung.
    Menschen sind keine Maschinen, sie führen nur noch Regelprozesse aus, was nicht anderes als Ritualismus ist:

    Regentänze statt Wissenschaft.

  7. Andreas Säger sagt:

    Eigentlich hasse ich es, (YouTube-) Links zu mehr oder weniger passenden Beiträgen anderer Medien zu posten, aaaaber das Radiofeature über Buckminster Fuller unterstreicht und verdeutlicht den ungeheuren Verlust an akademischer Kultur und Lebensfreude.
    Fuller war ein Original und Universalgenie, das mittels Vortragsreisen und zahllosen Interviews im analog-elektronischen Zeitalter Millionen Menschen das Feuer der eigenen Neugier entfachen konnte.
    Mit rechts-click auf den Abspielbutton (>) und “Speichern unter…” lässt sich das mp3 sogar herunterladen. Die klangliche Gestaltung des Features ist durchaus ansprechend.

    • Ute Plass sagt:

      “das Radiofeature über Buckminster Fuller unterstreicht und verdeutlicht den ungeheuren Verlust an akademischer Kultur und Lebensfreude.”

      Können Sie näher erläutern, was Sie damit meinen?

  8. TT sagt:

    Über das Inhaltliche möchte ich mich hier jetzt nicht groß auslassen – dazu wurde in den Kommentaren genug gesagt. Die mitunter krude Gedankenführung der Autorin bestätigt aber auch diese von ihr ausgemachte Halbbildung.
    Der Name der Autorin läßt mich vermuten, daß sie nicht unbedingt “Muttersprachlerin” ist. Um so wichtiger wäre dann jedoch ein Korrekturlesen, welches die gröbsten sprachlichen und grammatikalischen Verfehlungen erkennt.

    – Ohne wirklich fundierte Kenntnisse eines einzigen Faches, sondern mit aus unterschiedlichen Fächern zusammengestückelten Häppchenwissens.
    – Und als für sein zusammengewürfeltes Fach als relevant erachtet wird nur, was auch Prüfungsrelevant ist.
    – Dies kostet nicht nur dem Stelleninhaber, sondern auch dem Stellengeber Kräfte (und letztendlich unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel unserem Gesundheitssystem). Und natürlich der Wirtschaft finanzielle Einbußen.
    – Zusätzlich werden hierdurch Abschlüsse auch von Haupt- und Realschulen degradiert, welches ihren Absolventen jegliche berufliche Perspektiven vorwegnimmt.

    TierTheo@googlemail.com

  9. Carl Hauser sagt:

    Bildung ist selber eine gigantische Industrie, deren Protagonisten sich selber vermarkten, also schützen. Und ist die Grundschule ausgereizt, werden jegliche Zusatzverkäufe privat nachgeschoben, welche dann von der phantasielosen Privatwirtschaft zelebriert werden, was dann wiederum andere nötigt unnötig Zeit in überspannte Programme zu investieren; und Geld.

    Dabei muss man nur offen durch das Leben gehen, ohne Noten, dafür im Willen des Verstehens und Anwendens. Mit dem Internet, als erste omnipotente und -verfügbare Weltbibliothek, sollte man sich diese ‘Industrie der Passiven’ schon überdenken.

    Man vergisst in diesem Artikel, dass Bildung nicht nur in jedem Beruf Spass macht, sondern auch am Stammtisch, im Leben, in der Arbeitslosigkeit. Ebenfalls braucht es Menschen mit viel Halbwissen, diese sind der Kit der Disziplinen.

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