Presseschau:

Schmierenjournalismus in der Süddeutschen

Von Florian Hauschild

Zugegeben, die Süddeutsche Zeitung und auch deren Onlineausgabe gehören zu den Glanzlichtern der deutschen Medienlandschaft. Dass aber auch ein Glanzlicht Schatten werfen kann beweist Hans-Jürgen Jakobs mit seinem Artikel „Steuerexperte Paul Kirchhof – Der Herr Professor kann’s nicht lassen“. Ein Griff ins Klo, darf auch mal der Süddeutschen gestattet sein, kann man da argumentieren, bemerkenswerterweise ist Jakobs aber kein einfacher Schreiber bei den Münchnern sondern war bis vor kurzem Chefredakteur der Onlineausgabe der Zeitung.

Der Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof ist der Casus Bellum des am 04. Mai 2011 erschienenen Schmähartikels aus Jakobs Feder. Bereits Titel und Einleitung deuten darauf hin wohin die Reise gehen soll. Da wird zunächst ein renommierter Wissenschaftler und verdienter ehemaliger Verfassungsrichter mit plumper Schröder´scher Wahlkampfpolemik diskreditiert, um dann zeilenweise dessen Körpersprache als zentralen Bewertungsmaßstab seiner Arbeit heranzuziehen. 

Nun ist Kirchhof natürlich eine Reizfigur, war er doch seit 2005 eine Weile als Botschafter des neoliberalen Think Tanks “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) tätig. Auch Kirchhofs Steuermodell, die Ursache aller Aufregung und Polemiken um seine Person, ist durchaus angreifbar. Viele Thesen des parteilosen Juristen sind in Frage zu stellen; so zum Beispiel die der Sozialverträglichkeit seines Modells. Doch solche entscheidenden Fragen wirft Jakobs leider erst gar nicht auf – was ihn als ernstzunehmenden Kritiker letztendlich diskreditiert. 

Auf perfide Weise versucht Jakobs stattdessen gleich zu Beginn seines Beitrags Kirchhof als „verrückten Professor“ zu zeichnen, was ihm selbst dann wohl die Mühe ersparen soll, sich mit den wissenschaftlichen Argumenten Kirchhofs auseinander setzen zu müssen: „Unentwegt sind an diesem Dienstagabend seine Arme in Bewegung. Sie rudern, weisen in den Himmel, greifen aus“, heißt es da in den ersten Sätzen. 

Wir erinnern uns: Paul Kirchhof, bereits vor seiner Annäherung an die aktive Politik ein renommierter Steuerexperte, gehörte im Bundestagswahlkampf 2005 zu Angela Merkels so genanntem Kompetenzteam. Kirchhofs Kompetenz: Die Erarbeitung eines Steuersystems, das verständlich ist und dennoch sozialstaatlichen Maßstäben gerecht werden sollte. Kirchhofs Antwort war recht einfach, wohl zu einfach: 25 Prozent Einkommenssteuer für alle bei relativ hohen Freibeträgen, die die unteren Einkommen von der Steuerpflicht völlig entbunden hätten.

Dazu gäbe es in Kirchhofs Modell keinerlei Absetzbarkeit, keine versteckten und offenen Subventionen, keine Möglichkeit mehr sich vor dem Fiskus arm zu rechnen. Wohl aber drohte sich der Fiskus damit arm zu reformieren: Da laut Berechnungen des DIW mit diesem Modell alle Einkommensklassen – insbesondere aber auch die Besserverdiener – Steuern sparen würden, gingen dem Staat Milliardeneinnahmen verloren. 

Ob also Kirchhofs Modellrechnung so aufgeht, ob mit seinen Vorschlägen – eben auch mit seinen neuen – wirklich eine faire Besteuerung möglich ist, diese Frage sollte seriös debattiert werden. Ein Beispiel wie dies geht, lieferte hierfür im September 2005 die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit einem Musterbeispiel konstruktiver Kritik. Offen spricht der Artikel die Defizite des Kirchhof-Modells an und legt damit eine Grundlage für die Verbesserung grundlegender Schwachstellen.

Denn Fakt ist auch: Das aktuelle Steuersystem nimmt teils aberwitzige Züge an. Steuern zahlt oft vor allem derjenige, dem es an Informationen oder (halb-)krimineller Energie mangelt um sich vor der Zahlung zu drücken. Eine Reform des Gesetzmonsters Einkommenssteuer wäre durchaus sinnvoll, sofern sie denn sozialen Gerechtigkeitsstandards folgen würde.

Auf keine dieser Fragen geht aber Hans-Jürgen Jakobs in seiner Polemik ein. Absatz für Absatz präsentiert er vielmehr neue Beweise für die vermeintliche Verrücktheit Kirchhofs, anstatt dessen Arbeit als Debattenanstoß zu würdigen und sich den Argumenten zu stellen. 

Was Jakobs motiviert? Man weiß es nicht. Als studierter Volkswirt sollte er jedenfalls in der Lage sein, Kirchhofs Vorschläge zur Vereinfachung des Steuersystems adäquat zu analysieren und zu kritisieren. Jakobs scheint jedoch Gefallen daran zu finden stattdessen Paul Kirchhof als Mensch zu diskreditieren und plädiert damit nebenbei in chiffrierter Form für den Erhalt eines Steuersystems, das in der Praxis zu oft von wohlbetuchten Interessensgruppen missbraucht wird, um die eigenen Partikularanliegen in konkrete Politik umzusetzen. 

Zentraler Kritikpunkt also: Jakobs lässt den fairen Umgang mit dem politischen Gegner vermissen und präsentiert eine Form von „Journalismus“ die man bisweilen zwar von der BILD oder Spiegel Online gewohnt ist, die in der Süddeutschen aber hoffentlich nicht zum Maßstab wird. Wer Kampagnenjournalismus – eigentlich eine Stärke der von Kirchhof ehemals unterstützten INSM – kritisiert, sollte auch plumpes Sperrfeuer als Antwort ablehnen. Verlieren kann bei einer solchen Schlammschlacht nur der sachliche Diskurs.

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Ein Kommentar zu "Presseschau:"

  1. opalkatze sagt:

    Darf ich euch den hier noch ans Herz legen? Wo wir einmal bei ‘ins Klo greifen’ sind …

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