Grüne Befindlichkeiten

“Sozial-ignorante Mittelschicht”

Von Sebastian Müller

Die bisherige Resonanz zur Polemik der Gastautorin Sahba Afradi veranlasst dazu – auch angesichts der Kritik vieler Kommentatoren – den kontroversen Diskurs um die Existenz einer grünen Doppelmoral weiter aufrecht zu erhalten. In die Debatte passt, diesmal aus linker Perspektive, die Kritik von Jutta Ditfurth an den Grünen; zu sehen in der Fernsehsendung Menschen bei Maischberger am 22.2.2011.

Ditfurth war Mitbegründerin der Partei und von 1984 bis 1988 eine der drei gleichberechtigten ehrenamtlichen Bundesvorstandssprecher der Grünen. Neben den “Ökosozialisten” Thomas Ebermann und Rainer Trampert war sie eine der bekanntesten Symbolfiguren des linken Flügels. Nachdem sie bei der Bundestagswahl 1990, bei der die westdeutschen Grünen den Einzug in den Bundestag verfehlten, auf der Liste der bayerischen Grünen für den Bundestag kandidiert hatte, verließ sie die Partei im April 1991 wie viele andere linke Grüne vor ihr aus Protest gegen die „Rechtsentwicklung“ der grünen Bewegung.

Ditfurth galt als scharfe Kritikerin des Realo-Flügels der Grünen um den Arbeitskreis Realpolitik, dem der spätere Außenminister Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit angehörten. Nicht zuletzt führte sie ein eigenes Archiv über die Partei und kritisiert bis heute eine Aufweichung und Entstellung ursprünglicher Ziele der Grünen bis zur Unkenntlichkeit (etwa Friedenspolitik, Anti-AKW-Bewegung) seit 1985. Ihre Abrechnung mit Joschka Fischer und den Grünen veröffentlichte sie 1999 als Fortsetzungsserie in dem politisch konservativen Boulevardmagazin Neue Revue.

Hinzuzufügen sei: In eine ähnliche Kerbe wie Ditfurth bei Maischberger schlug vor dem Hintergrund der historischen Wahlerfolge der Grünen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auch die Junge Welt in ihre Analyse der Wahlergebnisse. Der Politikwissenschaftler Georg Fülberth sprach von einer Schwächung der CDU und FDP als “Hauptparteien des Kapitals”, in deren Funktion nun die Grünen an ihre Seite getreten seien. Weiter konstatierte Fülberth wohl treffend, dass das Thema soziale Gerechtigkeit bei diesen Wahlen keine Rolle gespielt haben dürfte.

Das drückt sich auch in den politischen Positionen und den Themengewichtungen der Wählerschaft der Grünen aus. Atomausstieg und Solarförderung liegen dieser Klientel näher als Mindestlohn und Verteilungsgerechtigkeit. Diese Gewichtung manifestiert sich in dem Programm des Green New Deal, nach Fülberth die Reorganisierung der stofflichen Grundlagen des Kapitalismus. Verteilungsgerechtigkeit aber ist die Kernforderung einer als “links” zu definierenden Politik, wie auch Jens Berger in seinem Artikel Die neue Volkspartei, die keine istdarlegt. Demzufolge können die Grünen mitnichten als “linke” Partei klassifiziert werden – es bleibt die abschließende Zitierung Fülberths: “Insgesamt also: rot-grüner Jubel, nach der Parteien-Arithmetik eine angebliche Links-, in der Sache eher eine Rechtsverschiebung – wie einst 1998.

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13 Kommentare zu "Grüne Befindlichkeiten"

  1. eric sagt:

    führer wie fischer und schröder haben linke parteien und basisdemokratie vernichtet. wo die beiden herren jetzt arbeiten, sagt eigentlich schon alles.

  2. Dolittle sagt:

    Ob die Grünen noch eine linke Partei sind, programmatisch wie realpolitisch, darüber kann sehr ernsthaft diskutiert werden. Genauso kann sehr ernsthaft darüber gestritten werden, was ein ökologisches Bewusstsein ohne Einbeziehung der sozialen Komponente noch wert ist. Wichtig wäre es auch zu wissen, was heute noch “liberal”, “links”, “konservativ” oder “bürgerlich” bedeuten, weil die alten Kennzeichen dieser Adjektive (Gartenzwerg oder lange Haare) schon lange nicht mehr stimmen.

    Doch die Doppelmoral, die den Grünen dabei vorgeworfen wird, die kann allen anderen Parteien genauso vorgeworfen werden: Die Union liebt Familie, Christentum und Werte und zerstört diese gesellschaftlichen Pfeiler durch ihre wirtschaftsfreundliche Politik. Die FDP predigt die Freiheit und meint das Recht des Stärkeren und die Unterdrückung der Armen. Ihre Freiheit ist die Freiheit des Geldes und der Macht. Die SPD hat auf Kosten der Schwächsten den Sozialstaat abgebaut und die Finanzmärkte liberalisiert. Die Linkspartei tut auf “links und frei”, bedient aber neben Arbeitslosen, linksextremen Wirrköpfen auch konservative stalinistische Ossis. In rot-roten Koalitionen in Ostdeutschland ist sie zumeist pragmatischer, anpassungsbereiter und konsensorientierter als die SPD.

    So zu tun, als hätten die Grünen hier ein Alleinstellungsmerkmal, das ist abwegig. Erst recht, wenn es Plattitüden aus dem FDP-Lager sind. Schlechte Verlierer kann ich da nur sagen.

    • @Dolittle
      Ich gebe dir natürlich vollkommen recht, man sollte all dies keinesfalls ausblenden! Der grundsätzliche Verrat am Auftrag der Wähler in unserer repräsentativen Demokratie ist ein grundlegendes Problem und lässt sich mit dem Phänomen der “Postdemokratie” sehr schön umschreiben.

  3. Seattledirk sagt:

    Natürlich sind die Grünen nicht links und sind eigentlich nie eine klassische linke Partei gewesen, sondern eine aufstrebende moderne Partei mit realpolitischen Ansätzen. Die deutsche Linke ist derzeit ohnehin nicht Politikfähig und ein moralistischer Haufen, der Ideologien aus dem letzten Jahrhundert nachtrauert. Ich wünsche den Grünen viel Erfolg in der Modernisierung unserer Gesellschaft.

  4. P. Weiß sagt:

    Weitere Argumente der Grünen-Kritik nach Ditfurth in diesem SPON-Interview (auch wenn SPON leider zu politischem Boulevard verkommen ist oder von Anfang an war, erlaube ich mir, hier den Link zu setzen):
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,745943,00.html

  5. Korrekturen:

    1. Ditfurth war von 1984 bis 1988 (nicht 89) Sprecherin der Grünen.
    2. Sie gehörte auch nicht dem „ökosozialistischen“ Flügel an, sondern der radikalökologischen Strömung. Das ist durchaus ein Unterschied, was die Politikkonzepte anbelangt.
    3. Joseph Fischer war niemals “Parteivorsitzender” der Grünen.

    • Vielen Dank, zur Kenntnis genommen und korrgiert. Wobei sich mir der zweite Punkt aus den Quellen nicht so ganz erschließt, wo Ditfurth einerseits tatsächlich den radikalökologen zugeordnet wird, andererseits aber auch in einen Topf mit den ökosozialisten geworfen wird…

      • Welche Quellen verwenden Sie denn? So wie Sie es jetzt geschrieben haben stimmt es auch nicht ganz, denn Ebermann und Trampert waren Ökosozialisten, Ditfurth und Co. Radikalökologen, alle gemeinsam kann man als Parteilinke bezeichnen.

  6. Dolittle sagt:

    Vielen Dank für das Ditfurth-Interview!

    Die Grünen haben spätestens 1998 bis 2005 ihre Unschuld verloren, als sie an der Bundesregierung beteiligt waren. Pazifistisch durch den Kosovo-Krieg, sozial durch Hartz IV und ökologisch durch die Windenergie, die zu einem weiteren großen Geschäft für die Stromkonzerne wurde. Nie warfen sie sich bei den großen Schweinerein der Schröder-Regierung in die Presche, achteten aber peinlichst darauf, dass ihre Minister scheinbar ohne Feld und Tadel regierten. Staatstragend, verantwortungsbewusst, pragmatisch.

    Doch das hat ihnen alles nicht geschadet. Ströbele erhielt den Nimbus der pazifistischen Bürgerrechtspartei, trotz enger Zusammenarbeit mit den USA nach dem 11.9.2001 und trotz der repressiven Schily-Gesetzgebung. Mit all dem hatten die Grünen nichts zu tun. Die Nichtbeteiligung am Irakkrieg (I´m not convienced!) sollte das Trommeln für den Kosovo-Krieg vergessen machen – und den Grünen ist es gelungen. Mit dem Unterschied, dass man ihnen nun zutraute, deutsche Interessen auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Während die SPD vom Graben zwischen sozialem Anspruch und sozialer Wirklichkeit fast zerstört wurde und wird, wurden die Grünen ab 2002 stärker und stärker.

    Ob Grünenwähler für sich ein gewisses Maß an moralischer Überlegenheit in Anspruch nehmen, ist dabei nicht entscheidend. Das tun der CDUwählende Christ oder der SPDwählende Sozialpädagoge wohl auch. Aber den Grünen gelingt es derzeit wie keiner anderen Partei, Wohlgefühl und gutes Gewissen zu verkaufen. Nett abgefüllt und verpackt in recyclebaren Dosen, ohne Gefahr für die eigenen Interessen und ohne die Angst, zum Teilen, Abgeben oder Verzicht verpflichtet zu werden.

  7. @ Uwe-Jürgen Ness

    Chaos:-) Klar, Ebermann und Trampert waren Ökosozialisten, jetzt habe ich sie aus Versehen alle in eine Kategorie gesteckt. Bin mit meinem Kopf schon ganz woanders…

  8. masterplan sagt:

    Gelb (Liberale) + Blau (Bertelsmänner) = Grün (Ökos). Wunderbar! Alle Probleme mit einem Gau gelöst. Sämtliche Unterschiede beseitigt. Endlich können wir alles in einen Topf werfen. Das war auch zwingend notwendig. PEACE!

  9. Walter B sagt:

    In der Schweiz haben sich die Grünliberalen von den Grün-Grünen – den Gurken-Grünen: aussen grün, innen grün – abgesgespaltet (mit beachtlichem Wählererfolg), was ihnen ermöglicht, ökologische Anliegen zu verfolgen, ohne das Gesellschaftsmodell grundsätzlich in Frage zu stellen, ja, mit ökologischen Anliegen einen zusätzlichen Impuls für die Wirtschaft zu propagierten. Den Grün-Grünen eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Ob sie die Chance auch wahrnehmen, ist noch offen …

  10. LG sagt:

    Chon-bandit un neo-con Juif des plus immondes ! Il soutient D Strauss-Khan, pour la candidature en France, un juif sioniste neo-con pro USA, pro Israël !

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