Politische Kultur
Was ist heute revolutionär?

Es sind bei weitem nicht nur Vertreter der Linkspartei, die sich bei vielen Gelegenheiten revolutionär gebärden und im Rahmen ihrer öffentlichen Äußerungen, Publikationen etc. ihren stetigen Kampf gegen das „Establishment“ zu belegen versuchen.

Revolutionär

Bild: Chris Corwin / flickr / CC BY SA 2.0

Von Florian Sander

Die dauerrebellischen Jusos, Jugendorganisation der Sozialdemokratie, sind nie um ein Che-Guevara-Shirt verlegen, und auch die Grüne Jugend gibt sich auf ihrer Bundes-Webseite mit dem Slogan „Fight for your right!“ offen rebellisch und fordert mit einer gereckten Faust: „Werde aktiv!“. Im linksalternativen, jugendlichen Spektrum gibt man sich als „Kämpfer gegen die Etablierten“, als diejenigen, die aufbegehren, gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und zahlreiche andere negative politische Vokabeln. Aber ist diese Einschätzung der aktuellen linksgrünen Rolle richtig und zeitgemäß?

Kein Zweifel: So wie Liberale Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrem Kampf für ein vereintes und freiheitliches Deutschland revolutionär waren, so waren es auch über viele Jahrzehnte zunächst die Sozialdemokraten und schließlich zumindest die Sozialisten. Auch die 68er Bewegung, aus der die Grünen letzten Endes hervorgegangen sind, war eine – im Grunde recht heterogene – revolutionäre Bewegung, deren „Marsch durch die Institutionen“ zwar so manche verhängnisvolle, noch heute spürbare Folge mit sich brachte, die jedoch – soviel muss man ihr attestieren – auch so manche gesellschaftlich verkrustete Struktur aufbrach und der damaligen Politik vermittelte, dass die Jugend nicht vor hat, sich als Menschenmaterial für womöglich heiß werdende kalte Kriege zur Verfügung zu stellen. Dieser Wunsch fand auch in der rot-grünen Friedensbewegung der 80er Jahre seinen wiederholten, im Kern revolutionären Ausdruck, da er für ein neues, bis dato nicht etabliertes politisches Klima stand.

Doch wie ist es heute? Grüne, also ökologisch-linksliberale Positionen sind nicht nur etabliert worden, sondern sind gar Bestandteil eines institutionalisierten Zeitgeistes geworden, der sich nicht länger auf die Grünen beschränkt, sondern neben der SPD längst auch die CDU und den linksliberalen Flügel der FDP erfasst hat. Die trotz bequemer Oppositionsrolle kaum verbesserten Umfragewerte der SPD liegen nicht nur in der Existenz der – momentan recht erfolglosen und entzauberten – Linkspartei begründet. Und ebenso wenig, wie die jüngsten Niederlagen der CDU aus heiterem Himmel kamen, ebenso wenig resultieren die katastrophalen Werte der FDP aus deren vermeintlichen „Anti-Europa-Kurs“.

Fakt ist viel mehr, dass sowohl SPD als auch CDU und FDP in den letzten Jahren, besonders aber in den letzten Monaten so gut wie alle Alleinstellungsmerkmale aufgegeben haben und es fast unmöglich ist, noch Punkte zu finden, die sie von den Grünen maßgeblich unterscheiden. Energiepolitik? Seit Fukushima – Fehlanzeige. Außenpolitik? Kaum Differenzen zu finden. Gesellschafts- und Familienpolitik? Die CDU hat sich angepasst. Bildungspolitik? Die nächste Kapitulation der CDU, u. a. manifestiert in Hamburg und im wässrigen „Schulkonsens“ in Nordrhein-Westfalen. In der Integrationspolitik überbot man sich gemeinsam in Anti-Sarrazin-Parolen. Von der Europapolitik müssen wir angesichts der Ereignisse der letzten Wochen an dieser Stelle nicht mehr reden. Und selbst im Bereich der Sozialpolitik besteht ein im Großen und Ganzen übergreifender Konsens, der in Schröders Agenda 2010 seinen Ausdruck fand. Zusammengefasst: Der multikulturell-öko-linksliberale grüne Zeitgeist hat gesiegt. Er ist heute identisch mit dem, was man als politisches Establishment bezeichnet.

Angesichts dieser Erkenntnis ist die Tatsache, dass sich, wie einleitend beschrieben, vornehmlich junge linksgrüne Akteure noch immer „revolutionär“ geben, nicht nur ein Hohn, sondern auch eine Anmaßung. Dank des grünen Siegeszuges ist heute keinerlei Mut mehr erforderlich, um „links“ oder „alternativ“ (alternativ zu was eigentlich?) zu sein. Wer sich lautstark zu Multikulti bekennt, gegen Kernenergie polemisiert und für Einheitsschulen ist, erntet dafür – einige wenige bayrische Kleingemeinden vielleicht ausgenommen – heute überall nur noch gelangweiltes Nicken, in Uni-Seminaren vielleicht noch ein müdes, gnädiges Lächeln, das das Bestehen des Political-Correctness-Tests verkündet. Empörung dagegen löst der aus, der sich gegen den Zeitgeist wendet: Wer auf den deutschen Bedarf an energiepolitischer Souveränität hinweist, vor der Eurokratie warnt, Sarrazin Recht gibt und zum dreigliedrigen Schulsystem steht, wird als „Rechtspopulist“ diffamiert und politisch ausgegrenzt. Offen freiheitlich und konservativ zu sein – dafür braucht es heute Mut. Natürlich besonders in Universitäten.

„Revolution“ als Begriff steht für Wandel und Erneuerung. Wer also revolutionär ist, der steht dafür ein, die bestehenden Verhältnisse ändern zu wollen. Dies will zur Zeit niemand mehr als die vom grünen Generalkonsens gebeutelte, bis auf einige wenige Ausnahmen wie Frank Schäffler, Peter Gauweiler oder Wolfgang Bosbach außerparlamentarische Opposition der Freiheitlich-Konservativen dieses Landes. Eine Opposition, die nun, in Zeiten, in denen Kanzleramtsminister gegenüber gewählten Volksvertretern Gewissensfragen als „Scheiße“ bezeichnen, für sich erkennen sollte, dass sie es ist, der jetzt die Rolle des Revolutionärs zukommt.

Heute wird der Tag der Deutschen Einheit begangen – ein Tag, an dem auch die Befreiung von Leuten gefeiert wird, in deren Tradition Funktionäre wie Ronald Pofalla stehen. Ein guter Anlass, um es sich und anderen klar zu machen: Es wird Zeit, aufzubegehren. Mit allen legalen Mitteln.

Artikelbild: Chris Corwin / flickr / CC BY SA 2.0

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92 Kommentare zu "Politische Kultur
Was ist heute revolutionär?"

  1. Endlich mal wieder ein geistreicher Müller-Text, bin begeistert. Besonders treffend die Frage: “Alternativ zu was?”

    Bei dem grünen Zeitgeist kann ich mich der Meinung des Autors anschließen. Mit den Grünen ist es letztenlich genauso wie mit Apple: irgendwann war das mal was ganz progressiv-alternatives und mehr und mehr wurde es “cool” das dann gut zu finden. Irgendwann konsumiert die gesamte Herde das Produkt und dass Apple mittlerweile größtenteils Fun-Elektroschrott produziert und die Grünen in Kriege ziehen und sich im Parlament von der Bankenlobby kaufen lassen (s. EFSF) interessiert dann erstmal nicht mehr.

    Ob Apple oder Grüne: Unbewusstes Konsumieren/Wählen ist es was dahinter steckt…absurd dass gerade die Grünenklientel, die ja so sehr auf bewusste Auseinandersetzung mit Produkten setzt ihre Verräterpartei so unhinterfragt hinnimmt.

    Da hinter steht sicher auch der Wunsch der Leute sowas wie eine “politische Heimat” zu haben. Damit spielen die Parteien und versuchen sich ein Image zu geben das den Ansprüchen der Klientel entspricht. Um konsequente Sachpolitik geht es dabei längst nicht mehr. Wir leben in der Zeit der Appleisierung der Politik!

    …neben den genannten Partei”rebellen” sollte aber auch auf die seit Beginn des Jahres wachsenden außerparlamentarischen Bewegungen eingegangen werden! Am 15 Oktober wird der zivile Ungehorsam seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen und in einem weltweiten Protesttag münden. Auch in Berlin gibt es eine Demo: https://www.facebook.com/event.php?eid=157195821014727 (13 Uhr, Alex)

    Viele Schreiber ignorieren diese Ereignisse, weil sie die Bewegung nicht wirklich als solche zu fassen bekommen. Ich selbst habe das ganze mal hier versucht zu deuten: http://www.alex11.org/2011/09/15-oktober-%e2%80%93-call-for-action-oder-was-ist-%e2%80%9edie-bewegung%e2%80%9c/

    ..triffts glaube ich ganz gut.

  2. Jürgen Binder sagt:

    Bis auf den Standpunkt, dass die Freiheitlich-Konservative wie Bosach oder Gauweiler “revolutionär” wären, stimme ich mit der Analyse überein, dass ein Grossteil der organisierten Linken, mit der Revolution schon längst abgeschlossen hat, und sich bewusst vollkommen ins kapitalistische System integriert hat. Angefangen von den Sozialdemokraten (deren Integration begann unmittelbar nach ihrer Legalisierung unter Bismarck), über die Grünen bishin zur Linkspartei. Können doch selbst viele einst große kommunistische Parteien, heutzutage bestenfalls als sozialdemokratisch bezeichnet werden.

  3. Linxxnet sagt:

    Wie systemkonform die LINKEN wirklich sind?

    Geht auf ihre Versammlungen und sprecht die maßgeblichen Vertreter öffentlich darauf an,
    DAS haut rein. Nicht auf Demos rennen, geht in die linken Parteiveranstaltungen (sind alle öffentlich)
    und informoiert euch aus erster Hand.
    Dann merkt ihr ob ihr dort was beitragen könnt und wie. Lasst die LINKEN nicht allein.

  4. Ret Marut sagt:

    Und über eines sollte man sich vielleicht noch klar werden, Figuren wie Bosbach, Gauweiler und vom Sarrazin ganz zu schweigen, wollen diese vorherrschende Gesellschaftsordnung ganz gewiss nicht überwinden, sondern werden sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, zu verteidigen wissen.

  5. Solveigh Calderin sagt:

    @”Dank des grünen Siegeszuges”

    Den gibt es nicht, denn nicht CDU, FDP und SPD haben sich den Grünen angepasst, sondern die Grünen haben sich CDU, FDP und SPD angepasst!

    Eine Grüne Partei, die einen Atomstromausstieg, der die Abnahme des Stromes für über zwanzig Jahre GARANTIERT, und die einen Krieg in Jugoslawien unter direkter Beteiligung der Bundeswehr (bei dem übrigens uran-ummantelte Geschosse benutzt wurden!! – und keiner sage mir, sie hätten es nicht gewußt!!) mitverantwortet, hat ihren gesamten Anspruch verraten. Sie haben sich damit selbst ad absurdum geführt. Warum Menschen denen und irgend welchen anderen Parteien überhaupt noch irgend ein Wort glauben bleibt mir schleierhaft. Die Mitgliederverluste und sinkende Wahlbeteiligung sprechen Bände über diesen Vertrauensverlust. Die Parteien sind längst nicht mehr durch “das Volk” zur Regierung des Landes legitimiert. Darum müssen sie ja auch immer wieder vorbeten, wie wichtig es doch ist, zur Wahl zu gehen…

    Ansonsten ist es immer und überall zu beobachten: Was irgendwann mal fortschrittlich war (ich nehme das Wort “revolutionär” in diesem Zusammenhang nicht in den Mund, denn in letzter Zeit wird dieses Wort inflationär benutzt und damit vollkommen umgedeutet und verwässert!), wird rückschrittlich, sobald es Teil des “Establishment” oder gar selbst zum “Establishment” wird. Ist eine fortschrittliche Bewegung zum Establishment (oder Teil von ihm geworden), müssen weitere Veränderungen (=Entwicklung) einsetzen und neue Ideen und Vision müssen geboren und umgesetzt werden. Unterbleibt das (aus Angst des Machtverlustes!!), führt das zur Krise durch Stagnation und schließlich Rückschritt. Immer, wenn sich die Macht habenden (egal, ob Parteien, Banken, Wirtschaftsunternehmen) ihrer Macht und Existenz zu sicher sind, sie sich außerhalb der Gesetze stellen und die Interessen der Menschen nicht mehr berücksichtigen, sondern nur noch um der eigenen Macht willen agieren, sind sie zum Untergang verurteilt. Es scheint für die Macht habenden keinen Weg aus dem Dilemma zu geben, da es mir scheint, dass sie einfach nicht in der Lage sind zu erkennen, was um sie herum geschieht.

    @„Revolution“ als Begriff steht für Wandel und Erneuerung.

    Nein. “Revolution” heißt “Umwälzung”, also vollkommene Abschaffung des Bestehenden und das Erschaffen von etwas vollkommen Neuem. Das kann ich heute nirgends sehen. Ihre Begriffsbeschreibung für “Revolution” zeigt die Verwässerung und Umdeutung des Begriffes, um ihn seiner Kraft zu berauben.

    Der Duden sagt zum Begriff “Revolution”:

    1. auf radikale Veränderung der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz[versuch]
    2. umwälzende, bisher Gültiges, Bestehendes o. Ä. verdrängende, grundlegende Neuerung, tief greifende Wandlung

    http://www.duden.de/rechtschreibung/Revolution

    @”Heute wird der Tag der Deutschen Einheit begangen – ein Tag, an dem auch die Befreiung von Leuten gefeiert wird”

    Ach ja? Welche “Leute” (welch’ ein herablassender und Menschen missachtender Ausdruck!) sind denn wovon befreit worden?

    Ach ja, die gesamte Bevölkerung im Osten Deutschlands, der einmal die DDR war und die durch die damals bestehende BRD mit Unterstützung der USA, NATO und EU auf politischem und ökonomischen Weg annektiert wurde, nachdem ein Herr Gorbatschow die Sowjetunion und das gesamte sozialistische Lager auf einem Acker in den USA im Gespräch mit Herrn Reagan “für ‘n Appel und ‘n Ei” verkauft hat (ca. 1984, ein Jahr bevor der Herr zum Generalsekretär der KPdSU “gekürt” wurde und die “Perestroika” – “Umbau” ausrief), wurde von seiner Landwirtschaft, Industrie und Wissenschaft, von seiner Bildung, seiner Kultur, seiner Geschichte, seiner Identität, und damit von Arbeit befreit. Die Menschen im gesamten Osten wurde mit Hilfe einer gigantischen Lügenpropaganda der Früchte ihrer 40jährigen Arbeit beraubt. Man nennt das auch “Enteignung eines ganzen Volkes”. Wo ist das Vermögen der Betriebe aller Industriezweige der DDR geblieben? Wo ist das Vermögen des Grund und Bodens der DDR geblieben? Wo ist das Vermögen des intellektuellen Kapitals der DDR Bevölkerung geblieben? Wo ist das Vermögen der landwirtschaftlichen Genossenschaften, der Versicherungen und Sparkassen, Genossenschaftsbanken sowie der Staatsbank geblieben? Hat sich alles in Luft aufgelöst oder wie?

    Wer sollte dafür dankbar sein und wie sollten die betrogenen und beraubten Menschen das “feiern”?

    Sie versuchen mit der Formulierung Ihres Satzes den “Tag der Befreiung vom Faschismus”, der übrigens am 8. Mai ist und der eine tatsächliche Befreiung war, umzudeuten und für Ihre Zwecke zu missbrauchen!

    Seit der Vollendung dieses Coups der 80iger Jahre des vorigen Jahrhunderts wird vom “Ende der Geschichte” und von der “Alternativlosigkeit des Kapitalismus und der freiheitlich-demokratischen Ordnung (die weder freiheitlich noch demokratisch ist!)” gepredigt! Ist dieses korrupte, verlogene, menschenverachtende System tatsächlich ohne Alternative?? Ich wage das sehr zu bezweifeln!

    Ich kenne auch die ewige Wiederholung der Leier der Lügengeschichte (was sie NICHT wahrer macht!), über die marode Wirtschaft und bankrotten DDR! Tatsächlich hatte die DDR zum Zeitpunkt ihrer Auflösung weit weniger als die Hälfte der Schulden der BRD (hochgerechnet auf das Volumen der BRD)! Es ist immer gut, die Geschichte von allen Seiten zu betrachten. Die Sieger lügen.

    Ich möchte hier nicht ewig lange auf die Gründe des Scheiterns der DDR und des sozialistischen Systems eingehen (neben dem “Verkauf” durch Herrn Gorbatschow), die ich übrigens zum Teil genau da sehe, wo ich auch das Scheitern und den Verrat der Grünen und aller anderen einst fortschrittlichen Bewegungen und Parteien sehe (siehe oben).

  6. Ret Marut sagt:

    Bei der Linkspartei, ist die Entscheidung längst gefallen, Linxxnet. Nicht nur, dass diese Partei außerparlentarische Aktivitäten vernachlässigt hätte, auf die es letztendlich ankommt, um die bestehenden Verhältnisse zu verändern. Nein, auch durch ihre Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, hat diese Partei unter Beweis gestellt, dass sie der Revolution endgültig eine Absage erteilt hat, und vollkommen auf den sozialdemokratische Inhalte und Programmatik abfährt. Dieser Weg aber, den Kapitalismus mittels Reformen zu überwinden (nichts anderes hat die Linkspartei im Sinn), ist spätestens mit Einkehren des Neoliberalismus gescheitert. Und warum sollen sich revolutionäre Linke, auf ein schon gescheitertes Projekt, auch noch einlassen?

  7. ceterum censeo.2011 sagt:

    Revolutionär ist alles, was den Menschen eine Perspektive auf eine menschliche Zukunft ermöglich.

    Es geht m. E. vor allem darum, ein Bewusstsein für das dem empirischen Alltagsbewusstsein verborgene Veränderungspotential zu schaffen, als um ein Bewusstsein über den von der realen wissenschaftlich-technologischen Entwicklung her längst möglichen gesellschaftlichen Fortschritt, der jedoch von den herrschenden gesellschaftlichen Strukturen aka „System“ verhindert wird.

    Genau dies war kennzeichnend für die Systemkritik der emanzipatorischen Linken in der 68-er-Zeit.

    War die kapitalistisch Ökonomie in ihrem Initialstadium durchaus in der Lage, die wissenschaftlich-technologischen Entwicklung unter den Konkurrenzbedingungen des Marktes zu fördern, so tritt im Spätkapitalismus genau das Gegenteil ein:
    Wissenschaftlich-technologischer Fortschritt setzt nicht mehr in gesellschaftlichen Fortschritt um, also in einen Zugewinn an Freiheit, arbeitsfreier Zeit, Wohlstand und sozialer Sicherheit, sondern verkehrt sich in das Gegenteil.

    Das kapitalistische System wird – gesamtgesellschaftlich gesehen – zur „Anti-Ökonomie“.

    Besonders gut zu betrachten an der Verwendung des Begriffs von „Ökonomisierung“, der nicht mehr bedeutet „ein Mehr an (gesamt)wirtschaftlicher Rationalität“, sondern das Gegenteil, nämlich die Zerstörung von gesamtwirtschaftlicher Rationalität.

    „Ökonomisierung“ bedeutet nur noch die Unterwerfung aller Wirtschaftvorgänge unter den Typus der warenförmigen Vergesellschaftung, die auch nur noch dann geschieht, wenn sich unter den Strukturen betrieblichen Privateigentums ein Profit erzeugen lässt.

    Mit den Folgen, dass TROTZ des wissenschaftlich-technologischer Fortschritts die lohnabhängigen Menschen immer mehr für immer weniger Geld arbeiten müssen und dass immer mehr Menschen aus dem System der Lohnarbeit exkludiert werden, weil sich deren Arbeitskraft für die Privateigentümer der Betriebe nicht mehr profitabel verwerten lässt.

    Daraus entsteht dann zwangläufig eine oligarchische Wirtschaftdespotie mit fortschreitendem Abbau von Demokratie, individuellen und politischen Freiheitsrechten, von Rechts- und Sozialstaat.

    Das ist m. E. der entscheidende Systemwiderspruch, nämlich die unmittelbar vorhandene Möglichkeit einer Gesellschaft mit mehr Freiheit und Wohlstand zu realisieren und der tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung ins Gegenteil.

    Vgl. dazu auch meinen Kommentar
    https://le-bohemien.net/2011/09/27/homo-ignorantis/#comment-3348

  8. “Wer auf den deutschen Bedarf an energiepolitischer Souveränität hinweist, vor der Eurokratie warnt, Sarrazin Recht gibt und zum dreigliedrigen Schulsystem steht, wird als „Rechtspopulist“ diffamiert und politisch ausgegrenzt. Offen freiheitlich und konservativ zu sein – dafür braucht es heute Mut. Natürlich besonders in Universitäten.”

    Hallo? Habe ich jetzt was falsch verstanden?

    Fehlt es mir für an Begeisterung für Vertreter der Atomkraftbefürworter, Sarrazin und selektierenden Schulwesen ob ihrer vermeintlich revolutionären Gesinnung? Ist es neuerdings ‘revolutionär’ für Sarrazin und dem dreigliedrigen Schulsystem zu sein? (Die Eurokratie nehme ich aus, denn die ist im allgemeinen Konsens “political Incorrect” und deshalb (berechtigetem) Widerspruch nicht zu befürchten.)

  9. Ret Marut sagt:

    Da hast du wohl nichts falsches verstanden. Auf diesen größten Denkfehler im Artikel, habe ich ja bereits verwiesen. Dies wäre wohl eine Auseinandersetzung mit dem Autor wert. Hoffe dass dieser sich noch zu Wort meldet.

    • Habe wirklich gehofft, ich hätte das falsch verstanden! Ich konnte und kann es einfach nicht glauben, dass die Befürwortung der Sarrazin-Thesen hier offen als revolutionär zu verstehen gelten soll.

      Wie Du finde ich, dass der Autor zu der von mir zitierten Passage Stellung nehmen sollte. Vielleicht verstehe ich ja doch was falsch.

      Gerne auch vom hochpulsigen, engagierten Streiter Hauschild, der diesen Text ja auch über den Klee gelobt hat.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Für mich ist der gesamte Artikel der verbrämte Versuch jede revolutionäre Bewegung zu defamieren, ad absurdum zu führen, ins Gegenteil zu verkehren und das bestehende System als “alternativlos” zu rechtfertigen, sowie zu versuchen, die Unzufriedenheit der Menschen für die eigenen (nationalistischen und ultrakonservativen) Ziele zu benutzen!

      Darum auch meine genaue Analyse einiger Passagen dieses Artikels.

      Wer zum Beispiel formuliert: “Wer auf den deutschen Bedarf an energiepolitischer Souveränität hinweist…[…] wird als „Rechtspopulist“ diffamiert und politisch ausgegrenzt.” zeigt seinen geistigen Ursprung sehr deutlich! Sehr viel weiter rechts zum National(sozial)ismus?? geht es wohl nicht mehr!

      • Traurig, das man ein Text von Dir beschriebener Gesinnung auf dieser Seite lesen muss.

        Überrascht bin ich über Genossen Hauschild, dessen Meinung ich meistens Teile obwohl ich dessen Diskussionskultur manchmal kritisiere. Von ihm lesen folgendes lesen zu müssen, läßt mich wähnen, ich wäre im falschen Film: “Endlich mal wieder ein geistreicher Müller-Text, bin begeistert.”

        • Wieso eigentlich “Müller-Text”? Heißt der Autor nicht Sander? Gibt ja viele Müller, aber der Albrecht von den “Nachdenkseiten” hätte da wohl auch einiges zu kommentieren…

        • Ja das hatte ich verwechselt..dachte der text ist von Sebastian Müller…Man muss Sander schon unterstellen wollen er finde Sarazin revolutionär, um das so zu verstehen. Was ich da lese ist: Politischer Mainstream wird als kritisch verklärt und alles was dem abweicht wird als radikal oder populistisch abgekanzelt….das heisst nun nicht dass alles mainstreamabweichende richtig ist…trotzdem muss es gesagt werden dürfen. Am Ende setzt sich das richtige schon durch…das kann es aber nicht wenn es Tabus und Zensur gibt oder wenn Leute zwanghaft alles ihrer Meinung abweichende in diskreditierende Denkschubladen einordenen…

  10. Danke für Deine Stellungnahme. Habe ja nichts gegen Pluralismus und dem “Streit der Standpunkte”. Bei aller Selbstkritik empfinde ich mich selbst als nicht zwanghaft und ordne auch nicht alles meiner Meinung abweichende in diskreditierende Denkschubladen.

    Allerdings nehme ich mir das Recht heraus, Sarrazin scheiße zu finden. Und die Leute, die Sarrazin zustimmen finde ich auch scheiße.

    Dich finde ich nicht scheiße.

    Deshalb möchte ich Dich nochmal bitten, den bereits zitierten Auszug aus dem Text zu kommentieren, den Du ja in der Gesamtheit als “geistreich” bezeichnest.

    “„Wer auf den deutschen Bedarf an energiepolitischer Souveränität hinweist, vor der Eurokratie warnt, Sarrazin Recht gibt und zum dreigliedrigen Schulsystem steht, wird als „Rechtspopulist“ diffamiert und politisch ausgegrenzt. Offen freiheitlich und konservativ zu sein – dafür braucht es heute Mut. Natürlich besonders in Universitäten.“

    • Inhaltlich stimme ich dir zu Duderich, und ich muss nicht jeden Satz gut finden um den Text insgesamt als geistreich zu bewerten….ich les aus dem Satz das raus was ich beschrieben habe: Ein Anprangern des Zwangs politischer Angepasstheit. Das Beispiel Sarrazin ist halt doof gewählt weil dessen Thesen inhaltlich nicht haltbar sind…das was Sander da anprangert kennt aber jeder behertzte Kritiker und Querdenker aus eigener Erfahrung….

      • Was mich halt aufregt, ist die Stoßrichtung dieses Textes.

        Hier wird propagiert, dass alles, was “common sense”, schon deswegen nicht revolutionär ist. Sicherlich gibt die Mehrheitsmeinung nicht immer das vor, was als richtig zu betrachten ist.

        Aber jede Scheiß-Meinung (sorry, aber der Text und seine Gesinnung läßt mich in die Fäkaliensprache abdriften) einen revolutionären Touch zu geben nur weil sie gegen die Mehrheitsmeinung spricht finde ich doch ein wenig verkürzt (um mal die Fäkaliensprache zu verlassen).

        Nach diesem Gusto wäre es revolutionär, die Todesstrafe für Homosexuelle zu fordern, Steuerfreiheit für Vermögende, Wahlrechtsentzug für Arbeitslose, usw. Auch “dafür braucht es (sicherlich) heute Mut.

        Und dieser Mut (besonders in Universitäten?) fordert der Autor eindeutig ein! Nix “doof gewählt” bei diesem “geistreichen” Text, der Deine Begeisterung hervorruft! Doofheit ist der Grund, warum manche Sarrazins Thesen anheimfallen. Diese zu propagieren ist keine Doofheit, sondern Absicht.

        Es stände Dir gut zu Gesicht, deine anfängliche Begeisterung zu relativieren, statt einem Text als geistreich zu benennen, der aus “Doofheit”(sic) Sarrazin das Wort spricht und dies dann als “freiheitlich-konserativ” zu ettiketieren.

        Sicherlich braucht es an Mut an Universitäten. Eben so sicher nicht den Mut, den der Autor fordert.

  11. ceterum censeo.2011 sagt:

    Es kann durchaus revolutionär sein, Werte zu bewahren.

    Also die individuellen Freiheitsrechte zu bewahren, das Grundgesetz, den Rechts- und Sozialstaat verteidigen. Usf.

    Genau dies ist bei Sarrazin etc. nicht der Fall.

    Heute wird versucht, einen Pseudo-Konservativismus zu propagieren und zu etablieren, der in Wirklichkeit reaktionär ist.

    Ein Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den „gierigen Wenigen“ (Moore) missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zu bürgerlicher Gesellschaftskritik wiederfinden. (Schirrmacher)
    http://www.faz.net/-0229sx

    Schöne Worte, nichts dahinter.

    Gäbe es ein derartiges konservatives, wertgeleitetes Bürgertum noch, würde es mit aller Entschiedenheit z. B. den Rücktritt Pofallas fordern.

  12. ceterum censeo.2011 sagt:

    Die gesellschaftspolitisch reaktionären „Neoliberalen“ hängen sich mal ein (pseudo)progressives, mal ein (pseudo)konservatives Mäntelchen um.

    So die Sozialdemokratie mit „New Labour“ und ihrer Agenda 2010, wo Schröder eine „moderne Wirtschaftspolitik“ propagierte.

    In der rot-grünen Koalition in der Regierung Schröder-Fischer kamen die größten neoliberalen Scharfmacher aus dem Lager der pseudo-progressiven Grünen.

    Jetzt wird versucht, eine reaktionäre Politik mit Pseudo-Konservativismus zu refraimen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Umdeutung_(Psychologie)

    In Wirklichkeit werden „echte Konservative“, wie z. B. Prof. Schachtschneider, aus der Diskussion in den Massenmedien exkludiert und marginalisiert.

    Und was ist an der Linkspartei wirklich progressiv?

    Die schwärmen doch jetzt – wie Wagenknecht – vom Ordo-Liberalismus und erzeugen so eine Retro-Illusion, zu Zeiten eines längst untergegangenen Stadiums des Kapitalismus zurückkehren zu können.

    • Ganz Deiner Meinung!

      Mit der Ausnahme, was Wagenknecht betrifft. Die wäre sicherlich auch dafür, den Kapitalismus (egal welchen Stadiums) zu überwinden – will sich aber politisch nicht gänzlich ins Abseits bringen.

      Schon jetzt wird als Gegenargument Wagenknecht den Parteivorsitz zu überlassen deren “fundemental-sozialistische” Positionen angeführt.

      Leider fehlt es (noch) an Gesamtgesellschaftlicher Alternative.
      Einer Road-Map zur Überwindung des Kapitalismus und hin zu eines Gesellschaftsmodells jenseits des selben. Gangbare Schritte, die als Entwurf genannt werden.

      Damit wirst Du vermutlich (wie ich im übrigen auch) wahrscheinlich auch nicht dienen können.

      Gerne sehe ich die Aufstände des arabischen Frühlings, in den USA und auch hier in Europa. Allerdings – ohne diese abwerten zu wollen, sind diese Ausdruck eines DAGEGENS bestehender Zustände, nicht eines DAFÜRS eines herbeigesehnten Zustandes. Es fehlt an einer Vision einer angestrebten Gesellschaft, die in den Köpfen und Herzen der Menschen, die bestehende Zustände kritisieren einen Samen pflanzt.

      DARÜBER würde ich gerne mal einen Beitrag lesen!

  13. off topic:
    alex21 war Tippfehler. Auch alex11 läßt Browser abstürzen. Hab’s gerade noch einmal probiert. Sehe zwar die Seite, diese friert aufgrund des Browserabsturzes aber sofort ein..
    Task-Manager meldet “keine Rückmeldung”. Mein Rechner läuft ansonsten stabil.

    Jetzt bin ich ja (umso mehr) echt mal auf den Text gespannt… :)

  14. A.S. Flickering sagt:

    Mich beschleicht der Verdacht, dass in diesem Text das Wort “revolutionär” weitestgehend mit einem ganz schlichten Provokationspotential gleichgesetzt bzw. verwechselt wird. Was gerade im Mainstream angesagt ist und was dem widerspricht, hat aber nicht zwangsläufig irgendetwas mit revolutionärem Gedankengut zu tun. Solveigh Calderin hat das oben schon sehr gut ausgeführt.
    Ich stimme dem Autor darin zu, dass die lauten Abgrenzungen von Sarrazin durch führende Politiker natürlich nur ein Anbiedern an einen vermuteten Mainstream darstellen (- wahrscheinlich einen falsch vermuteten Mainstream) – aber: das allein macht Sarrazin nicht revolutionär, obwohl er sicher eine Art “Umsturz” herbeisehnt – aber dabei handelt es sich wohl eher um ein “Zurück ins 19te Jahrhundert”.

    Der Begriff “revolutionär” passt eigentlich nicht so recht in den Kontext der Sarrazin-Debatte.
    Stattdessen geht es in der Debatte ganz zentral um ein Argumentieren mit Ressentiments mit dem Ziel fortschreitender innergesellschaftlicher Entsolidarisierung – und die bedarf wahrlich keiner revolutionären Bestrebungen. Das ist schlichtweg der Lauf der Dinge unter dem herrschenden System.

    In einem Sinn finde ich Sarrazin aber tatsächlich sogar aufklärerisch: Mit dem Zuspruch den er aus gewissen Kreisen erntet, stellen sich jene Kreise aufs schönste selbst bloß – und zwar deutlicher als das jeder Satiriker könnte (- selbst der allseits hochverehrte Herr Schramm verblasst ja neben der Komik geifernder, tosender, föhnfrisierter Perlenkettenträgerinnen bei Sarrazin-Lesungen/Gottesdiensten). Die hässliche Fratze des Deutschen Bürgertums sozusagen.

    Ja, das mit der allen revolutionär gesinnten Menschen einenden Vision ist schwierig. Vielleicht liegt darin auch unser aller Denkfehler, dass wir auf das eine große Ding warten.
    Wahrscheinlich wird es so oder so nötig sein, dass sich die Menschheit beizeiten in möglichst autarke Kommunen aufteilt. Wie soll das vonstatten gehen? Leider keine Ahnung.

    Mir persönlich gefällt als Perspektive die Ressourcen-bassierte Ökonomie nach Jaque Fresco sehr gut. Leider hat sich die jene Idee hauptsächlich promotende Filmreihe (Zeitgeist) trotz ihrer Popularität durch ihre unnötige Verknüpfung mit einigen sehr umstrittenen sogenannten Verschwörungstheorien ziemlich diskreditiert.
    Aber im Endeffekt wissen wir wohl alle, dass wir eh erst zu besseren Lebensbedingungen kommen können, nachdem die jetzigen Eliten ihr gesamtes Pulver verschossen haben werden – und das meine ich leider im wörtlichen Sinn.
    Laut twitter-Meldungen hat sich gerade schon eine Großbank durch eine plötzliche großzügige “Spende” die New Yorker Polizei mehr oder weniger gekauft. So wird das weitergehen.

    Ansonsten ist natürlich alles richtig, was hier über die Grünen gesagt wurde. Ich mag den Ströbele ja noch, aber er ist mittlerweile echt schon lange nicht mehr in der richtigen Partei.
    Ich empfehle zum Thema Grüne sämtliche Abrechnungsbücher der großen Deutschen Nervensäge Jutta Ditfurth. Sehr amüsant und sehr erhellend.

  15. Pistepirkko sagt:

    Ach Leute, wie Hausschild schon sagte, und mehr bedarf es nicht:
    Es fehlte eine Vision, ein Bild, Vorbild wie unsere Gesellschaft werden soll. Wohin gehen wir in Zukunft und wie leben wir zusammen?
    Haben wir ende der 1980iger aufgegeben. Seit diesem Zeitpunkt strebten wir in die Dienstleistungsgesellschaft, die Wissensgeslschaft (bei gleichzeitiger Herabsetzung der Bildungsqualität, Bachelor = Bulimiestudium, kommt viel rein und viel wieder raus und keiner weis wozu und lernt zu denken und das Denken wir immer schmäler in Richtung Kapitalisierung des Lebens)
    Also: Wohin???? Quo Vadis????
    Ich irre ja selbst umher.

  16. Pistepirkko sagt:

    Bachelor = Bulimiestudium, kommt viel rein und viel wieder raus und keiner weis wozu es rauskommt und lernt nicht zu denken und das Denken wir immer schmäler in Richtung Kapitalisierung des Lebens gelenkt

    Wahr zu wenig Kaffee heute Morgen ;-)

    • Solveigh Calderin sagt:

      Wie wär’s mit einer Gesellschaft, in der Mensch den Menschen ehrt? Ein Gesellschaft, in der jeder junge Mensch seinen Weg gehen kann und jeder alte Mensch geachtet ist, eine Gesellschaft, in der ausschließlich die Würde und das Wohlergehen ALLER Mensch das Maß aller Entscheidungen ist?

  17. Solveigh Calderin sagt:

    aller MenschEN natürlich. Wahr wohl auch noch nicht genug Kaffee :-)

  18. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Ralf Stiegler (@DerDuderich) 3. Oktober 2011 um 17:39
    Leider fehlt es (noch) an Gesamtgesellschaftlicher Alternative.
    Einer Road-Map zur Überwindung des Kapitalismus und hin zu eines Gesellschaftsmodells jenseits des selben. Gangbare Schritte, die als Entwurf genannt werden.

    Es bedarf eines Bewusstseins von der Notwendigkeit und der Realisierbarkeit einer gesellschaftlichen Strukturrevolution und den daraus resultierenden Möglichkeiten, anders zu leben und zu arbeiten.

    Diese Bewusstseinsentwicklung ist Voraussetzung für eine Veränderung der politischen Willensbildung.

    Eine politische Bewegung mit gesellschaftstransformativer Zielsetzung sollte daher repräsentieren:

    1. Eine grundlegende Kapitalismuskritik, welche aufzeigt, dass der Kapitalismus zivilisatorischen Errungenschaften, wie individuelle und politische Freiheitsrechte, Rechts- und Sozialstaat, Wissenschaft etc. und natürlich auch den allgemeinen Wohlstand aus seiner Logik heraus zwangsläufig zerstört muss.
    Der Kapitalismus verunmöglicht daher eine freiheitliche und zugleich solidarische Gesellschaft.
    Er vergeudet Ressourcen (vgl. Obsolenzproduktion), betreibt Raubbau an der Natur und kann ohne Kriege nicht existieren.
    Die alles fühlten und wussten jene Menschen, die die 68-er-Bewegung bildeten. Die Studenten skandierten bei ihren Demonstrationen: „Kapitalismus – führt zum Faschismus“. Sie wollten eine Welt mit „love and peace“. Und in Songs kam die Botschaft: „I can´t live in a world without love!”

    2. Ein fundiertes Wissen über die Realisierbarkeit einer Strukturrevolution, insbesondere über die Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Voraussetzungen aka „Produktivkräfte“.
    Der Kapitalismus ist bereits seit langem ins Stadium des „Vergeudungskapitalismus“ (Kozlik) eingetreten.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Kozlik
    Daher die Obsolenzproduktion und psychologische Manipulation der Menschen zu Arbeits- und Konsumidioten mit der Folge einer Welt voller Neurotiker und Süchtiger.
    Daher auch der „Terror der Ökonomie“ (Vivianne Forrester).
    Weil der Kapitalismus ein “falsches System“ darstellt, arbeiten und konsumieren sich die Menschen kaputt, obwohl immer mehr menschliche Arbeit durch Maschinen und Roboter ersetzt wird und noch mehr ersetzt werden kann.
    Daher auch die künstlich geschaffene Arbeit – diese „Hamsterradökonomie“ – im Dienstleistungsbereich und in der „Armutsökonomie“.
    Über diese Zusammenhänge gab es klare Vorstellungen bei den 68-ern.
    Vgl. z. B. die Kritik am „Konsumterror“, die Technologiedebatte etc.

    3. Ein Gefühl und eine Vorstellung darüber, wie eine menschliche Welt jenseits von Kapitalismus und „Realem Sozialismus“ aussehen kann.
    Von den 68-ern wurde der „Reale Sozialismus“ genauso abgelehnt wie der Kapitalismus.
    „Dutschke spricht ausschließlich vom Scheißsozialismus in der DDR“ (wikipedia).

    Die radikale Kritik am „Realen Sozialismus“ ist genauso unerlässlich wie jene am Kapitalismus.
    Denn auch dort herrschte der Terror der Ökonomie, die Menschen wurden wie Leibeigene in einem großen Gefängnis mit der Aufschrift „Arbeiter- und Bauernstaat“ gehalten. Entfremdung und Verdinglichung wurden nicht durchbrochen, denn das wäre nur möglich in einer Gesellschaft mit echter Demokratie, wo sich die Individuen als Subjekt von gesellschaftlicher Gestaltung erleben kann.

    Aus meiner Sicht eröffnet das Internet erstmals in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit – auch in großen Gesellschaften und sogar global – zu direkter Demokratie und damit auch zu neuen Formen von Ökonomie.

    4. Emanzipatorische Veränderungen im Alltag der Individuen.
    Es geht darum, dass Individuen sich selbst befreien von den verinnerlichten Zwangsstrukturen und ihren anti-emanzipatorischen Verhaltensweisen, die sie qua Sozialisation internalisiert haben, und so etwas wie eine eigene, selbstbestimmte Kultur entwickeln, die Ausdruck von Lebenskunst ist.

    So wie die 68-er mit neuen Lebensformen experimentierten. Wie sie bewusst Brüche in ihrer Biographie herstellten.

    Selbstverständlich kann das nur eine Perspektive für eine Minderheit sein.

    Der „homo ignorans“ wird sein Leben im Hamsterrad fortsetzen.

    Aber um eine gesellschaftliche Strukturrevolution zu realisieren, werden auch keine Massen benötigt.
    Diese Vorstellungen von einer „Revolution der Massen“ bzw. einer „Revolution von unten“ sind doch völlig antiquiert.

    • Solveigh Calderin sagt:

      @3. Ein Gefühl und eine Vorstellung darüber, wie eine menschliche Welt jenseits von Kapitalismus und „Realem Sozialismus“ aussehen kann.
      Von den 68-ern wurde der „Reale Sozialismus“ genauso abgelehnt wie der Kapitalismus.
      „Dutschke spricht ausschließlich vom Scheißsozialismus in der DDR“ (wikipedia).

      Die radikale Kritik am „Realen Sozialismus“ ist genauso unerlässlich wie jene am Kapitalismus.
      Denn auch dort herrschte der Terror der Ökonomie, die Menschen wurden wie Leibeigene in einem großen Gefängnis mit der Aufschrift „Arbeiter- und Bauernstaat“ gehalten. Entfremdung und Verdinglichung wurden nicht durchbrochen, denn das wäre nur möglich in einer Gesellschaft mit echter Demokratie, wo sich die Individuen als Subjekt von gesellschaftlicher Gestaltung erleben kann.

      In dieser Analyse gebe ich Dir vollkommen recht – Kuczinsky fasste das in folgendem Satz zusammen: “Die DDR war ein feudalabsolutistischer Staat mit sozialem Anstrich”.

      Nichts desto trotz hat dieser erste Groß-Versuch, eine gerechtere menschliche Gesellschaft zu schaffen ausgereicht, um dem Raubtierkapitalismus eine Konkurrenz zu sein und ihm eine “soziale Komponente” abzustrotzen. Ich wiederhole gern: Schauen Sie, wie ihr Leben vor 1990 war und wohin es sich seitdem entwickelt hat – seit es diese Konkurrenz nicht mehr gibt!

      Das ändert nichts an der Tatsache, dass der Sozialismus, der versucht wurde, nicht funktionieren konnte – und zwar aus den von Ihnen genannten Gründen, aber ebenso auf Grund der “Inselwirkung”, die bewirkt, dass abgeschottete Systeme (auch menschliche Gesellschaften) zunächst in ihrer Entwicklung stagnieren, dann degenerieren und schließlich untergehen. Genau diesem Muster ist das sozialistische System gefolgt!

      Die Abschottung erfolgte ursprünglich übrigens NICHT aus dem sozialistischen Lager heraus (wie es in der Propaganda bis heute gern vorgebetet wird)! Es ist heute und vor allem im Westen ziemlich unbekannt, dass die DDR noch bis in die 1950iger Jahre für ein geeintes Deutschland und einen Friedensvertrag eintrat und mit dem Westen verhandelte! Die Sowjetunion als Sieger- und Besatzungsmacht im Osten stimmte dem zu, und ihre EINZIGE Bedingung war die NEUTRALITÄT Deutschlands und der Abzug ALLER Besatzungsmächte aus Deutschland! DAS wurde vom Westen und der NATO (allen voran die USA und Großbritannien) abgelehnt!

      In diesem Zusammenhang mag es interessant sein zu wissen, dass es bis heute KEINEN Friedensvertrag Deutschlands mit den Siegermächten des 2. Weltkrieges gibt. Jeder mag über die Bedeutung dessen gern selbst nachdenken!

      Durch diese Politik der technischen, ökonomischen, wissenschaftlichen Abschottung, immer initial von West nach Ost, wurde diese Inselwirkung erzeugt (aushungern, nennt man das auch!), die schließlich zum Untergang führen MUSSTE. Alle anderen Probleme des “real existierenden” Sozialismus sind Folgen dieser Ursache!

      DENNOCH:
      Es hat NIEMAND in der DDR gehungert.
      Gesundheit war KEINE Frage des Geldes.
      Es gab KEINE Obdachlosen.
      Bildung war KEINE Frage des Geldes.
      Kultur war KEINE Frage des Geldes.

      DAS bleibt und sollte Vorbild für künftige, bessere Versuche einer gerechten menschlichen Gesellschaft sein.

      • Solveigh Calderin sagt:

        P.S.: Diese Vorstellungen von einer „Revolution der Massen“ bzw. einer „Revolution von unten“ sind doch völlig antiquiert.

        Nein. Eine “Revolution von oben” hat nie funktioniert und wird nie funktionieren – auch das EIN Grund für den Untergang des sozialistischen Lagers!

        Solange “die Massen” nicht aufstehen und ihr Recht nach Menschlichkeit einfordern und die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen dann mittragen, gibt es keine grundsätzliche Änderung des bestehenden Systems. Um “die Massen” in Bewegung zu bringen, bedarf es eines klaren Ziels – und der Unzufriedenheit der Menschen gepaart mit der Unmöglichkeit der Lösung ihrer Probleme in der bestehenden Gesellschaftsform.

        Ich erinnere an Chile und die Unidad Popular, die nur gewinnen konnte, weil sie von den Massen getragen war – und darum ja auch weg-gebombt werden musste! Die einzige Antwort, die in diesem Kapitalismus von den Herrschenden gegeben werden kann. Siehe auch gern die Brutalität der Polizei in New York gegenüber den #occupy wall street Protesten.

    • Der Duderich sagt:

      Danke für die Antwort auf meine Frage, die meistens übergangen wird. Der Wunsch, respektivie die Forderung nach einer Rood-Map ist wahrscheinlich gar zu naiv und wird wahrscheinlich in einer “Graswurzelrevolution” langsam wachsen müssen.

      Vielleicht sollte man die Liste noch mit 5. vervollständigen:
      Das Aus- und Vorleben alternativer Gesellschaftsformen (Beispiel Freistadt Christiania), die weitgehend jenseits wirtschaftlich verwertbarer Prozesse verlaufen.

      und vielleicht 6.:
      Das Etablieren alternativer Währungsformen, wie Freigeld, Regionalwährungen, Talente, usw.

      @ Hauschild:
      Vielleicht könnte man hier, oder auf Deiner Seite eine Platform zum Austausch und der Entwicklung solcher Schritte bieten…
      Fänd’ ich klasse!

  19. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin

    Nichts desto trotz hat dieser erste Groß-Versuch, eine gerechtere menschliche Gesellschaft zu schaffen ausgereicht, um dem Raubtierkapitalismus eine Konkurrenz zu sein und ihm eine „soziale Komponente“ abzustrotzen.

    Es gab Systemkonkurrenz und die beiden Deutschland haben davon profitiert, weil sie jeweils das „Schaufenster“ für die Menschen im anderen System waren.

    Aber der Sowjetkommunismus war keine wirkliche Systemkonkurrenz für den Westen. Im Gegenteil, die Kommunisten mussten ihr Gebiet mit Stacheldraht und Mauer umzäumen, damit ihnen die Menschen nicht weglaufen.

    Der Antikommunismus der Menschen im Westen basierte weniger auf politischer Indoktrination als auf der Ablehnung der Realität des Kommunismus, wie er sich im Osten manifestierte.

    Das ist doch heute noch so. Kaum fällt das Wort „Sozialismus“, sofort kommt die Assoziation: „DDR“.

    Im Grund hat die Existenz des „Realen Sozialismus“ sozialistische Entwicklungen im Westen verhindert, weil dieser Sozialismus die Menschen abschreckte.

    Heute ist der Begriff „Sozialismus“ historisch verbrannt, weil ganz überwiegend nur noch negativ konnotiert.

    Durch diese Politik der technischen, ökonomischen, wissenschaftlichen Abschottung, immer initial von West nach Ost, wurde diese Inselwirkung erzeugt (aushungern, nennt man das auch!), die schließlich zum Untergang führen MUSSTE. Alle anderen Probleme des „real existierenden“ Sozialismus sind Folgen dieser Ursache!

    Diese Argumentation ist bekannt, aber wenig überzeugend.
    Rosa Luxemburg hat bereits 1918 das Scheitern dieses diktatorischen Typs von Sozialismus prognostiziert.
    http://www.mlwerke.de/lu/lu3_106.htm

    Nein. Eine „Revolution von oben“ hat nie funktioniert und wird nie funktionieren – auch das EIN Grund für den Untergang des sozialistischen Lagers!

    Wo war der Sowjetkommunismus wirklich revolutionär?
    Das war von Anfang bis zum Ende eine Diktatur, über einen ganz langen Zeitraum eine Terrorherrschaft.
    Die arbeitenden Menschen waren „Leibeigene“ einer bürokratischen Klassenherrschaft und wurden in geistiger Unfreiheit gehalten.
    Dadurch wurde jede Kreativität unterdrückt und das System zerbrach letztlich an seiner Erstarrung.

    Solange „die Massen“ nicht aufstehen und ihr Recht nach Menschlichkeit einfordern und die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen dann mittragen, gibt es keine grundsätzliche Änderung des bestehenden Systems. Um „die Massen“ in Bewegung zu bringen, bedarf es eines klaren Ziels – und der Unzufriedenheit der Menschen gepaart mit der Unmöglichkeit der Lösung ihrer Probleme in der bestehenden Gesellschaftsform.

    Das ist ein marxistisches Verständnis und Dogma einer sozialen Revolution, was von der Geschichte widerlegt ist.

    Ich erinnere an Chile und die Unidad Popular, die nur gewinnen konnte, weil sie von den Massen getragen war – und darum ja auch weg-gebombt werden musste!

    Als wohl einzige Ausnahme in der Geschichte der entwickelten kapitalistischen Länder gelang es in Chile einer sozialistischen Partei im Rahmen einer formalen Demokratie die Wahl zu gewinnen und die Regierung zu stellen.
    Doch nach einer Wahl die Regierung zu stellen ist das eine, die wirklichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse sind das andere.
    Und auf Basis dieser wirklichen Machtverhältnisse wurde Allende gestürzt.

  20. ceterum censeo.2011 sagt:

    @DerDuderich

    Dazu vielleicht noch als Ergänzung.

    Mit der gesellschaftlichen Entwicklung sind auch alte Politikmodelle und Politikformen obsolet geworden.

    Damit stellt sich auch die Frage, ob im Zeitalter der Postdemokratie traditionelle Parteien im Prinzip nichts weiter als Hamsterräder darstellen?

    Eine Jobmaschine für die Berufspolitiker und eine Kirche für ihre Anhänger, die Trost und Hoffnung spendet?

    • Solveigh Calderin sagt:

      @Damit stellt sich auch die Frage, ob im Zeitalter der Postdemokratie traditionelle Parteien im Prinzip nichts weiter als Hamsterräder darstellen?

      Da gehe ich vollkomen mit!

      Nur: Die “Postdemokratie”:

      “Postdemokratie bezeichnet ein politisches System, in dem es nicht auf die Beteiligung der Bürger (als Input gesehen), sondern nur auf Ergebnisse ankommt, die dem Allgemeinwohl dienen und dem Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit genügen (Outputorientierung). In Bezug auf kollektiv verbindliche Entscheidungen wird dabei demokratischen Verfahren nur instrumentelle Bedeutung zugemessen. Sie erscheinen nützlich, wenn und insofern Mehrheitsentscheidungen oder demokratisch kontrollierte hierarchische Entscheidungen geeignet sind, allgemeinwohlorientierte Politik hervorzubringen.

      Dabei wird im Gegensatz zur Pluralismustheorie angenommen, dass das Allgemeinwohl objektiv bestimmbar sei und Interessenkonflikte nicht in demokratischen Verfahren ausgetragen, sondern durch Verwaltungsvorgänge aufgehoben werden sollten.

      Die gewählten Repräsentanten verlagern dabei ihre Kompetenzen (und damit die Verantwortung) auf Experten, Kommissionen und Wirtschaftsunternehmen. Der Bürger wird dabei nicht als der Souverän betrachtet, in dessen Auftrag entschieden werden muss, sondern der befähigt werden muss, den vorgegebenen Anforderungen des Allgemeinwohls, meist verstanden als die Bedingungen des globalen Marktes, gerecht zu werden.”

      halte ich nicht für sehr erstrebenswert – ist allerdings genau das, was wir heute beobachten und ich würde DAS als Diktatur bezeichnen! http://de.wikipedia.org/wiki/Postdemokratie

      @Das ist ein marxistisches Verständnis und Dogma einer sozialen Revolution, was von der Geschichte widerlegt ist.

      Dann frage ich mich doch, warum die Menschen in Ägypten auf den Plätzen und Straßen waren, als es nicht mehr anders ging? Sie haben doch vierzig Jahre lang die Diktatur eines Herrn Mubarak ertragen? Sie waren aber erst auf den Straßen als es für den überwiegenden Teil der Menschen ums tägliche Brot ging, sie keine Zukunft weder für sich noch für ihre Kinder sahen und die Jungen bei einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 % schon gar nicht – das führte dann zu den uns bekannten Protesten.

      Ich frage mich dann, warum die Menschen in Griechenland bei einer Jugendarbeitslosigkeit von (ich glaube) 40 %? und Wohungsräumungen, weil die Mieten nicht mehr zu bezahlen sind auf den Straße und Plätzen sind bzw. waren, das selbe für Spanien? Warum sind die Menschen in den USA, England und Chile auf den Straßen, aber NICHT in Deutschland? Diese Fakten von HEUTE sehe ich als Nachweis meiner Behauptung! (Den Deutschen geht es NOCH zu gut!)

      Über die Frage des sozialistischen Systems brauche ich mit Dir nicht zu reden, ceterum censeo, denn in der Frage hast Du Deine festen und unverrückbaren Ansichten und ich meine. Da kommen wir nicht zusammen.

      Vielleicht ist aber dennoch die Frage erlaubt, WARUM und von WEM das sozialistische System von Anfang an verleumdet, kriminalisiert und dämonisiert wurde? Und es sei die Frage gestattet, ob es nicht auch heute Parrallelen in der Propaganda gibt, die immer dieselben Mittel benutzt. Wer wird HEUTE verleumdet, kriminalisiert und dämonisiert? WARUM wurde der Sozialismus so verunglimpft, dass sich jeder hinstellen kann und sagen: Die Geschichte hat gezeigt: Sozialismus geht nicht. Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus!

      Ich habe in der Schule gelernt, Nachrichten immer auf Grund einer Frage auf ihren Wahrheits- (oder Propaganda-)gehalt zu überprüfen: “Wem nützt es?”

  21. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin
    Nur: Die „Postdemokratie“ …

    Die „Postdemokratie“ ist ein Euphemismus.
    In Wirklichkeit handelt es sich um eine Diktatur von wirtschaftlich Mächtigen und geht immer mehr in Richtung Wirtschaftsdespotie.
    Es ist eine Diktatur bzw. Despotie in formaldemokratischer Verkleidung und garniert mit demokratischem Theater, welches die Illusion von Demokratie vorspielt.

    Die Erzeugung der Demokratieillusion stand von Anfang an hinter dem Konzept von repräsentativer Demokratie, da sie die politischen Akteure – die Politiker – unabhängig vom Wählerauftrag macht.
    Da gibt es kein imperatives Mandat und keinen Recall.

    Das ist so, wie wenn man einen Rechtsanwalt für einen bestimmten Zeitraum mit einem Mandat beauftragen würde, aber keine Chance hat, ihm das Mandat zu entziehen, wenn er gegen die eigenen Interessen handelt.

    Die Parteien und ihre Politiker werden formal mandatiert, aber nicht inhaltlich, und können daher machen, was sie wollen, werden dabei aber versuchen, ihr Tun so zu „verkaufen“, dass sie das nächste Mal wiedergewählt werden.

    Daraus entsteht dann das „demokratische Theater“, ein System aus Täuschung, Lug und Trug, was allerdings schon längst als völlig normal und selbstverständlich angesehen wird und bei kaum einer PolitikerIn Gewissenkonflikte hervorruft, egal in welcher Partei sie ist.

    So empörte sich der damalige Vizekanzler Franz Müntefering (SPD):
    „Wir werden als Koalition an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair!“

    Repräsentative Demokratie als Herrschaftstechnik, das ist alles bereits differenziert wissenschaftlich abgehandelt in dem berühmten Buch von Johannes Agnoli: Die Transformation der Demokratie, weit bekannt zu Zeiten von APO und Studentenbewegung.

    Dann frage ich mich doch, warum die Menschen in Ägypten auf den Plätzen und Straßen waren, als es nicht mehr anders ging?…

    Wir diskutierten hier über Strukturrevolution, dort handelt es sich um Manifestationen von Massenprotest.
    Damit stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit Manifestationen von Massenprotest in der Lage sind, Strukturrevolutionen zu induzieren?

    Warum sind die Menschen in den USA, England und Chile auf den Straßen, aber NICHT in Deutschland? Diese Fakten von HEUTE sehe ich als Nachweis meiner Behauptung! (Den Deutschen geht es NOCH zu gut!)

    Warum die Deutschen nicht auf die Straße gehen?
    Meine Hypothese ist, dass ein wesentlicher Grund in der Erfahrung besteht, dass Proteste und Demonstrationen politisch nichts bewirken.

    In den letzten 40 Jahren gab es unzählige Demonstrationen, für und gegen.
    An manchen Orten war es fast ein wöchentliches Ritual, wie für andere der Kirchgang.
    So gab es riesige Demonstrationen mit zig-tausenden, sogar manchmal hunderttausenden von Menschen gegen AKWs, Lohnpolitik, Arbeitslosigkeit, Firmenschließungen, Startbahn-West, Montagsdemonstrationen gegen HartzIV etc.

    Wurde damit die Politik inhaltlich beeinflusst?

    Über die Frage des sozialistischen Systems brauche ich mit Dir nicht zu reden, ceterum censeo, denn in der Frage hast Du Deine festen und unverrückbaren Ansichten und ich meine. Da kommen wir nicht zusammen.

    Das ist sicherlich so. Nur sollte man fragen, welche Erfahrungen und Motive dahinter stecken.

    Anhänger eines demokratischen Sozialismus und des Marxismus-Leninismus vertreten ja nicht nur unterschiedliche und inkompatible Positionen, sondern haben sich gegenseitig als Todfeinde bekämpft.
    Nirgendwo sind so viele Sozialisten und Kommunisten ermordet worden, wie in der stalinistischen Sowjetunion, wahrscheinlich mehr als in der gesamten übrigen Welt zusammen.

    Was den „Realen Sozialismus“ betrifft, so differieren die Erfahrungen und Bewertungen von linientreuen Kommunisten ganz entscheidend von den oppositionellen. Auch in der DDR (vgl. z. B. Rudolf Bahro).

    Genau dies verstehen die Anhänger und Sympathisanten der Linkspartei nicht, dass diese Partei aufgrund ihrer personellen Kontinuität von ehemals linientreuen SEDlern immer noch als SED-Nachfolgepartei angesehen wird.

    Da gibt es eine Kulturschranke, welche auch nicht durch den Eintritt von Lafontaine und eines Teils von Mitgliedern aus der WASG beseitigt wurde.
    I
    m Gegenteil, diese Kulturschranke wird größer, weil deutlich wird, dass sich die Politik und die Kultur der Linkspartei nicht – zumindest nicht wesentlich – von ihrer Vorgängerpartei, der PDS, unterscheiden.
    Da herrscht – nicht nur in meiner Wahrnehmung – mehrheitlich nach wie vor der alte (Un)Geist der opportunistischen Ex-SED-Apparatschiks und von ML-Betonköpfen.

    Vielleicht ist aber dennoch die Frage erlaubt, WARUM und von WEM das sozialistische System von Anfang an verleumdet, kriminalisiert und dämonisiert wurde? Und es sei die Frage gestattet, ob es nicht auch heute Parrallelen in der Propaganda gibt, die immer dieselben Mittel benutzt. Wer wird HEUTE verleumdet, kriminalisiert und dämonisiert? WARUM wurde der Sozialismus so verunglimpft, dass sich jeder hinstellen kann und sagen: Die Geschichte hat gezeigt: Sozialismus geht nicht. Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus!

    Selbstverständlich ist diese Frage erlaubt. Nur sollte man es sich mit der Antwort nicht leicht machen.

    Wenn ein Rudi Dutschke vom „Scheißsozialismus in der DDR“ sprach, dann doch nicht deshalb, weil er Anti-Sozialist war, sondern weil er für einen anderen, einen freiheitlichen und menschenfreundlichen Sozialismus war.

    Dass dieser „Reale Sozialismus“ für die überwiegende Mehrheit der Menschen im Westen keine Alternative zum Kapitalismus war, zeigen doch überdeutlich die damaligen Wahlergebnisse für die DKP.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kommunistische_Partei#Bundestagswahlergebnisse_seit_1972

    Und über den „Realen Sozialismus“ haben die Menschen, als es ihnen möglich war, mit den Füßen abgestimmt. Klar, viele mit Illusionen in den Köpfen.
    Aber wer will eine DDR 2.0 zurück?

    Das ist kein deutsches Phänomen.

    Sondern es ist ein allgemeines Phänomen, dass der Marxismus-Leninismus und das von ihm vertretene Sozialismus-Modell immer mehr Anhänger verliert und zu einer aussterbenden Traditionslinie wird.
    Und dies trotz der negativen Entwicklungen für die arbeitenden Bevölkerungen in den kapitalistischen Ländern.

    Man kann dies eindeutig an der Geschichte der kommunistischen Parteien sehen.

    Was ist aus der KPI geworden, was aus der KPF?

    Die KPI war einst die mitgliederstärkste Partei (ca. 1,5 Mio.) Westeuropas gewesen, die KPF die zweitstärkste.

    Die KPI existiert nicht mehr, die KPF befindet sich im Niedergang. Mit jetzt 2,5 – 5% der Wählerstimmen hat sie 80 – 90% ihrer ehemaligen Stimmen eingebüßt.

    Soviel als Antwort zu Deiner Frage.

  22. ceterum censeo.2011 sagt:

    Zum Begriff „revolutionär“ und „Revolution“

    Interessanterweise unterscheidet sich die Bedeutung des Begriffs einer „Revolution“ im politischen Bereich von jenem im technischen.

    Niemand würde die Wiedereinführung des Pferdepfluges in der Landwirtschaft als „Revolution“ bezeichnen, weil im technischen Bereich dieser Begriff mit Fortschritt assoziiert ist und darüber weitgehend ein allgemeiner Konsens darüber besteht, was als technischer Fortschritt angesehen wird.

    Hingegen gibt es im Bereich der Politik höchst kontroverse Anschauungen darüber, was als Fortschritt angesehen wird. Was die einen als Revolution ansehen, wird von anderen als Konterrevolution bewertet.

    So sahen sich auch die Nazis als Revolutionäre, deren erklärtes Ziel die „deutsche Revolution“ war.
    Abschaffung der Demokratie, Beseitigung des Liberalismus und der zivilisatorischen Errungenschaften der bürgerlichen Revolution, die kollektive Regression auf eine blutsverwandete Stammesgesellschaft der Arier, die absolute Unterwerfung unter einen Führer – als dies sahen die Nazis und ihre Anhängerschaft als „revolutionär“ an.

    Aus der Retrospektive besteht ein kollektiver Konsens darüber, dass die Nazi-Herrschaft als Zivilisationsbruch und als barbarische Regression bewertet wird, sieht man von den Alt- und Neo-Nazis ab.

    Was aber heute aber nicht gesehen wird und weitgehend kollektiv verleugnet wird, ist, dass auch die „neoliberale Revolution“ eindeutige Züge eines Zivilisationsbruches und einer barbarischen Regression trägt.

    So werden beispielsweise die menschenverachtenden und sozialdarwinistischen Äusserungen eines Herrn S. von seinen Sympathisanten als „revolutionär“ angesehen, wie überhaupt der Sozialdarwinismus – gerade im Bereich der Wirtschaft – eine Renaissance erfahren hat. Der Abbau der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, von Rechts- und Sozialstaat, die Entwicklung zu einer Wirtschaftsdiktatur etc. werden in der Öffentlichkeit als „Modernisierung“ dargestellt.

    Wenn der Autor dieses Artikels schreibt:
    „„Revolution“ als Begriff steht für Wandel und Erneuerung. Wer also revolutionär ist, der steht dafür ein, die bestehenden Verhältnisse ändern zu wollen.“,
    dann verwendet er einen formalen Revolutionsbegriff, bei dem die qualitative Unterscheidung darüber, ob es sich um einen zivilisatorischen Fortschritt oder Rückschritt handelt, völlig weggefallen ist.

    Das entspricht genau dem im kapitalistischen Westen vorherrschenden reaktionären Zeitgeist, welcher zivilisatorischen Rückschritt als „Modernisierung“ darstellt.

    Zutreffend werden diese gesellschaftlichen Veränderungen kritisch auch als „reaktionäre Modernisierung“ bezeichnet.

    Unter dem Aspekt des zivilisatorischen Fortschritts betrachtet, gibt es in den kapitalistischen Gesellschaften nichts, was als „revolutionär“ bezeichnet werden kann.

    Im Gegenteil, hier manifestiert sich das Szenario eines zivilisatorischen Niederganges.

  23. Masereel sagt:

    An dieser Stelle mal wieder ein Dankeschön von Leser zu Mitleserschaft für die interessante(n) Kommentardiskussion(en) hier (und allgemein)! Der Artikel selbst hat in mir eher gemischte Gefühle hervor gerufen, aber dazu hat Ralf Stiegler u.a. bereits alles treffend geschrieben.

    Ich mußte beim Lesen von Calderin Solveigh und Ceterum Censeos Beiträgen immer wieder an die Entwicklungen in den USA denken. Ich finde es sehr spannend, zu beobachten, in welche Richtung die Menschen dort ihre Aktionen treiben werden, da die politische Kultur/Geschichtsauffassung doch nochmal anders ausfallen als hier in Europa (und damit auch die ins Auge gefassten Möglichkeiten/No-go’s). Mir sind, zumindest in den Anfangstagen, vereinzelte Pappschilder mit Parteienbezug ins Auge gefallen; auch die Gewerkschaften scheinen involvierter, bzw. trifft sie wohl nicht die gleiche Ablehnung/Kritik wie etwa in Spanien. (Finde ich an sich im amerikanischen Kontext auch nicht verwunderlich – eher, welche Rolle wird das spielen, bzw. wird es eine spielen?)

    Ich weiß nicht, wie repräsentativ dieses Video ist (hoffentlich gar nicht):

    Aber manche Antworten dort sind recht ernüchternd. (Auch hier wiederum die Frage: werden ‘revolutionary patriots’ vom Schlag Adam Kokesh, und/oder Unterstützer von Ron Paul, Sympathisanten der Libertarians, Survivalists, etc. -und, Zwischengedanke off topic, auch: die indianischen Gemeinschaften-, eine Rolle bei/zu/entgegen den Occupy-XYZ spielen, und welchen Einfluß wird das nehmen?)

    Es illustriert für mich vielleicht die größte Gefahr für diese Bewegungen (überall), oder konstruktiver gesagt, die größte Herausforderung. Eine Art Road Map zu entwickeln ist überaus wichtig, aber eine solche sollte sich aus einer bewußt und konsequent eingenommenen Haltung eigentlich wie von selbst ergeben (und nie in Stein gemeisselt sein). Obwohl allgemein oft das Bild vom Bruch mit alten Systemen und Ideologien bemüht wird, ist es offensichtlich schwer, dem vollständig zu entrinnen. Immer wieder findet man welche, die die Aktionen beglückwünschen und dann die Gründung (oder hierzulande, die Wahl) einer Partei vorschlagen. Immer wieder mischen sich relativ flache Feindbilder ein (Stil: es reicht, die Bankster zu entkernen), was in meinen Augen nicht für ein strukturelles Verständnis (oder ein bewußtes Streben nach strukturellen Lösungen) spricht (Stichwort Schubladendenken und Rechthaberei, das Alte wieder im potentiell Neuen enthalten, Rückschritte vorprogrammiert). Dazu die Frage für jeden Einzelnen, will man einen Bruch, einen fließenden Übergang, eine Reform, vielleicht doch nur einen Impuls – also, wie steht man zum aktuellen System, findet man es lediglich ‘mangelhaft’ oder will man es komplett überwinden? Wo verortet man jeweils persönlich/kollektiv die ‘Ursachen’ der wahrgenommenen Missstände, wie benennt man sie und welche Form (personal/strukturell/…) gibt man ihnen? Wie weit muß man auf das Tagesgeschehen noch Bezug nehmen, darauf reagieren,… oder läßt man es komplett außenvor und konzentriert sich auf den Aufbau von etwas Neuem? Die Fragen beschäftigen sicherlich jeden, kürzer oder länger, mal mehr mal weniger grundsätzlich, der/die zu den aktuellen Vorgängen auch nur die Berichterstattung ließt, und insbesondere alle jene von uns, die dem positiv und hoffnungsvoll begegnen, sich eventuell bereits engagieren (also bereits die nächsten prägenden Erfahrungen erleben und gestalten).

    Je mehr diese Bewegungen anwachsen, um so öfter wird es Momente geben, die die Weichen stellen für die nächsten Schritte. Es wird selten Zeit bleiben, über Entscheidungen lange nachzudenken. Umso wichtiger ist in solchen Momenten, daß diese Masse, egal wo und wie groß, diese Entscheidungen sehr bewußt und aus einem weiteren Verständnis ableitet, und gegen Kurzschlußreaktionen gefeit ist. Das ist die eigentliche Achillesferse. Die Momente, in denen akute Situationen eintreten, die die Menschen plötzlich wieder vor sich hertreiben.

    Das kann der Moment sein, wo eine Demo gewaltsam aufgelöst wird und sich der Wunsch nach Gegenwehr aufdrängt, obwohl man doch friedlich bleiben wollte. Oder der Moment, in dem es vielleicht unbedingt wichtig erscheint, dieses oder jenes zu reglementieren, und im Zeitdruck die Frage nach dem ‘wie’, vielleicht dem ‘ob’, komplett untergeht; ohne die möglichen Folgen zu beachten. Oder, wenn es sehr weit geht, der Punkt, an dem die Frage nach dem ‘angebrachten’ Umgang mit ‘Schuldigen’ sich stellt (oder die Frage, ob/wer ‘Schuldige/r’ darstellt, wo man Grenzen zieht, etc.), oder der Verteidigung gegen Waffengewalt. Eine (oder mehrere) Road Maps können immer nur die Richtung vorgeben, aber die Hindernisse unterwegs sind nicht von vornherein ersichtlich oder immer strikt nach Plan zu bewältigen. Es besteht die Möglichkeit, sämtliche Fehler vergangener Revolutionen/Umwälzungen noch einmal zu wiederholen. Da es aber unrealistisch (und auch nicht zwingend notwendig, manchmal vielleicht sogar kontraproduktiv?) ist, daß ‘alle’ Beteiligten zusammen die jeweiligen Versäumnisse/Fehlreaktionen vergangener ‘Umwälzungen’/-sversuche (bzw. die allgemeinen Probleme und Debatten, die daraus hervorgehen) kennen, scheint mir umso wichtiger, ein möglichst tiefes Bewußtsein zu bilden und mit klarem Kopf zu verteidigen/weiter zu entwickeln.

    Ich bin vor einiger Zeit durch ein Video in einer der Kommentarspalten hier auf diese 3-stündige Diskussion zwischen Walden, Sontheimer, Dutschke, Cohn-Bendit und Nenning (1978) gestoßen:

    Manches darin ist wohl eher rein zeitgeschichtlich von Interesse; aber die sprachliche Kluft zwischen Walden/Sontheimer und Dutschke/CB, die Kluft zwischen den Perspektiven und der Interpretation der bestehenden Verhältnisse/Zusammenhänge hat mich sehr an die Berichterstattung/’Deutung’ (in den Mainstream-Medien) zu den aktuellen Protesten (und auch, ein Stück weit, der Piratenpartei) erinnert. Es scheint, die Anforderungen, was gesellschaftliche Bewußtseinsbildung betrifft, sind nach 30 Jahren die gleichen geblieben, vielleicht sogar wieder angewachsen. Empörung, oder zumindest Wut, ist eine Sache, das kriegen mittlerweile recht viele hin. Aber es besteht ein qualitativer Unterschied, ob das lediglich eine (vielleicht eher emotionale/punktuelle) Reaktion ist/bleibt, oder tatsächlich aus/zu Verständnis erwächst. Mich gruselt manchmal vor Menschen, die jetzt plötzlich in den letzten paar Jahren, oft nach jahrelangem Bashing von allem, was irgendwie ‘links’ oder ‘progressiv’ oder ‘gutmenschlich’ schien, das Kapital gelesen haben, sich aber ansonsten kaum bis gar nicht mit der Geschichte (u.a.) der marxistischen (allgemeiner: sozialen) Bewegungen beschäftigt haben, und mit einer Mischung aus Wut und Halbwissen gegen das System schreien (oder, am schlimmsten, gegen einzelne Böse, ohne Reflektion der eigenen Rolle). Ich habe das Gefühl, davon gibt es viele (liege ich richtig damit, bedeutet das, daß autoritäre Entgleisungen und das Herausbilden neuer Hierarchien bereits an diesem Punkt beginnen – darauf angesprochen finden die Lenin zwar meist genauso schhhade wie ich selbst auch, ihr Denken läuft aber auf den gleichen Bockmist raus und sie sehen das leider nicht einmal). Letzten Endes ist das wieder nur ein simples, unreflektiertes Überstreifen vorhandener Ideen, und in etwa so gefährlich wie eine Bombe entschärfen wollen nachdem man den Streifen mit Stallone gesehen hat. Solange man sich rein als Opfer betrachtet, bleibt man auf einem Auge blind. Man kann sozial/gesellschaftlich ein Opfer sein und trotzdem zwischenmenschlich, im rein privaten, genau den gleichen Mist verbocken (egal wie progressiv/politisch man sein Leben ansonsten auch gestalten mag).

    Insofern bedeutet für mich ‘revolutionär’ oder ‘radikal’ vielleicht schlicht, sich seiner eigenen Position immer bewußter zu werden, und sich jedesmal neu zu reflektieren, sobald die eigene Nasenspitze sich ins Sichtfeld zwängt. Vielleicht könnte man sagen, es ist weniger wichtig, ob/was/daß man ‘etwas mitbringt’, als daß man möglichst viel erstmal ‘zuhause lässt’ und versucht, zumindest in Gedanken eine Art Tabula Rasa herzustellen. Das Selbstbild, das sich diese Gesellschaft die letzten, wenigstens 30 Jahre, gebastelt hatte, bricht derzeit zusammen, wie jedes Selbstbild zuvor. Wir müssen lernen, Bilder zu hinterfragen, vor allem auch wenn sie uns gefallen, und uns nicht mehr zu Bildern machen / machen lassen. Bilder werden aufgehängt ;) und das, was sie bestenfalls bewegen, zieht immer an ihnen vorbei. Dieses Schicksal wünsche ich uns nicht, mal sehn ob wir’s packen…

    • Der Duderich sagt:

      Sehr, sehr guter Beitrag. Eine Perle in diesem Forum-Strang. Habe nur die Befürchtung, dass der Text hier ein wenig untergeht, da er für einen Kommentar recht lang ist (aber von hoher Dichte) und viele nicht die Geduld aufbringen, solch einen langen Kommentar mehr als nur zu überfliegen. Und das wäre wirklich schade.

      Deshalb würde ich Dir empfehlen, ja sogar bitten, hier mal einen Text von Dir einzureichen, oder auf anderen Seiten, die Du sicher kennen wirst.

      Inhaltlich möchte ich auch kurz auf Dich eingehen.
      Den Begriff Road-Map habe ich ja in`s Spiel gebracht. Ich empfinde das Fehlen einer solchen bremst die allseits zu beachtenden Gegenbewegungen schlicht aus. Ein DAFÜR ist besser, kraftvoller und kreativer als ein DAGEGEN. Nur, wie entsteht diese? Wie hat der Prozess auszusehen, in dem diese ausgehandelt, erarbeitet werden? Soll dieser auf der “politischen Bühne” stattfinden? Fragen, über Fragen, die Du ja selbst schon formuliert hast, auf die es zurzeit keine “richtigen” Antworten gibt.

      Aber, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wo denn, plump gesagt, die Reise hingehen soll, wird die systemkritische Bewegung in`s Leere laufen.

      • Masereel sagt:

        Danke lieber Duderich, das überrascht mich etwas, aber freut mich sehr! :) Ich hatte mal ein paar Tage ein Blog, aber hab es schnell wieder geschlossen – ähnlich geht es mir mit Texten. Ich tippe manchmal Kommentare und lösche sie dann wieder, weil ich mich frage, naja, was will ich damit, hat das für andere noch einen Mehrwert oder knall ich denen letzlich nur meinen emotionalen Haushalt vor die Füße. Diese ganzen Proteste haben mich in einem doofen Moment erwischt, weil ich mittendrin bin, viele Dinge in mir selbst zu klären, und mich nicht im Entferntesten so verlässlich fühle wie ich es eigentlich gerne wäre, um so mit zu arbeiten, wie es der Ernst dieser Sache verdient. Vielleicht mach ich den Blog wieder auf, wieso eigentlich auch nicht. In dem Fall danke, das geht dann definitiv auf Deine Ermutigung zurück ;)

        Ich stimme Dir 100% zu – wirklich funktionieren kann nur ein kräftiges DAFÜR und eine zumindest grob umrissene Richtung. In der Hinsicht finde ich, sind die Asamblea-Erfahrungen der Spanier bisher am klarsten durchdacht und der Text, den sie dazu verfasst haben, wohl eines der wichtigsten Dokumente dieses Jahres und dieser ganzen Entwicklungen. Was Handlung betrifft ist auch deren Gang in die Vorstädte und kleineren Gemeinden ein bewußter Schritt, ein Unterfangen, das von der Praxis her absolut Sinn macht und wohl folgen mußte, und gleichzeitig das Anliegen der Bewegung nochmal symbolisch aufzeigt. Allerdings habe ich das Gefühl, durch die Sprachbarriere bleibt ein großer Teil dieser Praxis dem Rest der Welt verschlossen (sofern man das spanische Beispiel als Maßstab ansehen möchte, für mich persönlich trifft das definitiv zu). Einerseits gut, wenn überall dieser Findungsprozess sich frei entfalten kann, andererseits schade, weil dieser reiche Fundus an Erfahrungen sicherlich auch andernorts hilfreich sein könnte.

        Wenn ich nochmal auf das 1978-Video oben Bezug nehme, dann beeindruckt mich diese Klarheit bei Dutschke immer wieder. CB kann ich verstehen, weil ich seine Perspektive verstehe, aber er agiert gerne aus dem Bauch raus, er mag es keck und etwas offensiver – finde ich sehr sympathisch! :), aber er liefert seinen Gegner damit auch leichte Angriffsflächen (bei denen sie locker am Thema vorbei reden oder ihm die Worte im Mund verdrehen können), und verrennt sich manchmal in Details. Dutschke nimmt dann immer wieder die Vogelsperspektive ein und verankert alles im Kontext; da ist dieses Verständnis für das Ganze, von dem sich die Einzelheiten ableiten lassen. Es ist einerseits gut, daß es in diesen neuen Bewegungen keine ausgemachten Köpfe gibt, auf die der Rest der Menschen ein Stück weit das Denken, Reden und Handeln abdelegieren könnte. Andererseits illustriert er sehr gut, was ich meine – da ist eine Grundeinstellung, die sich schwer auf einen einzigen Satz runterbrechen läßt, aber sie ist gleichzeitig so klar und so ‘diffus’, daß sich daraus auf jede Situation eine Position ableiten läßt, zumindest als Ausgangspunkt für die weitere Diskussion. Das hab ich gestern in meinem Text eigentlich gesucht und heute erst gefunden. Ein Kompass, der uns ein Stück aus der Abhängigkeit von Landkarten und Wanderführern befreit. Unsere Zeit ist wie ein riesiger Wald mit zahllosen brennenden Bäumchen, und wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, den gesamten Wald nicht aus dem Blick zu verlieren, als Löschtrupps unsere Wege im Dickicht zu finden ohne uns zu versprengen und gleichzeitig alle diese Brandherde zu bekämpfen und neue Bäume zu pflanzen.

        • Der Duderich sagt:

          Werde heute abend – dann habe ich die Muße – auf deinen Beitrag eingehen.

          Liebe Grüße

        • “Danke lieber Duderich, das überrascht mich etwas, aber freut mich sehr! :) Ich hatte mal ein paar Tage ein “Blog, aber hab es schnell wieder geschlossen – ähnlich geht es mir mit Texten. Ich tippe manchmal Kommentare und lösche sie dann wieder, weil ich mich frage, naja, was will ich damit, hat das für andere noch einen Mehrwert oder knall ich denen letzlich nur meinen emotionalen Haushalt vor die Füße. Diese ganzen Proteste haben mich in einem doofen Moment erwischt, weil ich mittendrin bin, viele Dinge in mir selbst zu klären, und mich nicht im Entferntesten so verlässlich fühle wie ich es eigentlich gerne wäre, um so mit zu arbeiten, wie es der Ernst dieser Sache verdient. Vielleicht mach ich den Blog wieder auf, wieso eigentlich auch nicht. In dem Fall danke, das geht dann definitiv auf Deine Ermutigung zurück ;)”

          Na, wenn ich durch meinen Post erreichen würde, dass jemand, der, ich intepretiere es mal so – in einem Selbstfindungsprozess ist – seine Gedanken (und die machst Du Dir offensichtlich) Anderen mitzuteilen… Mann, das würde ich aber ziemlich geil finden! :)
          Ich glaube, die, die auf dem Weg sind und noch nicht angekommen sind – die haben doch am meisten zu vermitteln! Wenn Du auf einem wie auch immer gearteten Scheideweg bist, wenn Du nicht damit abgeschlossen hast, wie Du die Weichen stellen willst, wenn Du Fragen stellst, statt Antworten hast, na dann spricht das doch eher für die Betreibung eines Blogs, statt dagegen. Kann doch hilfreich sein für die eigene persönliche Entwicklung, oder Neuorientierung, oder Selbstfindung, oder was auch immer, wenn man seine Meinung, seine Standpunkte anderen zugänglich macht und sich mit den Reaktionen darauf auseinandersetzt. Widerspruch kann dabei manchmal sogar wertvoller sein, als Zustimmung. Ein Weltbild sollte nie ein fertiges Gebäude sein, sondern immer eine Baustelle.

          Ich selbst habe beispielsweise bei Politik.de öfter mal Texte reingestellt, und stand meist im neoliberalem Gegenwind. Das macht mich stärker statt schwächer. Die Auseinandersetzung damit, die Erfahrung habe ich gemacht, macht mich stärker. Bestätigt mich in meiner Haltung. Wer Windmühlen sieht, sollte Rosinande die Sporen geben und die Lanze erheben, solange man glaubt für das Gute zu kämpfen.

          “Ich stimme Dir 100% zu – wirklich funktionieren kann nur ein kräftiges DAFÜR und eine zumindest grob umrissene Richtung. In der Hinsicht finde ich, sind die Asamblea-Erfahrungen der Spanier bisher am klarsten durchdacht und der Text, den sie dazu verfasst haben, wohl eines der wichtigsten Dokumente dieses Jahres und dieser ganzen Entwicklungen. Was Handlung betrifft ist auch deren Gang in die Vorstädte und kleineren Gemeinden ein bewußter Schritt, ein Unterfangen, das von der Praxis her absolut Sinn macht und wohl folgen mußte, und gleichzeitig das Anliegen der Bewegung nochmal symbolisch aufzeigt. Allerdings habe ich das Gefühl, durch die Sprachbarriere bleibt ein großer Teil dieser Praxis dem Rest der Welt verschlossen (sofern man das spanische Beispiel als Maßstab ansehen möchte, für mich persönlich trifft das definitiv zu). Einerseits gut, wenn überall dieser Findungsprozess sich frei entfalten kann, andererseits schade, weil dieser reiche Fundus an Erfahrungen sicherlich auch andernorts hilfreich sein könnte.”

          Findet sich denn niemand, der diesen Text in’s deutsche übersetzt? Beherrscht jemand in diesem Forum die spanische Sprache und hat die Muße und Motivation?

          “Wenn ich nochmal auf das 1978-Video oben Bezug nehme, dann beeindruckt mich diese Klarheit bei Dutschke immer wieder. CB kann ich verstehen, weil ich seine Perspektive verstehe, aber er agiert gerne aus dem Bauch raus, er mag es keck und etwas offensiver – finde ich sehr sympathisch! :), aber er liefert seinen Gegner damit auch leichte Angriffsflächen (bei denen sie locker am Thema vorbei reden oder ihm die Worte im Mund verdrehen können), und verrennt sich manchmal in Details. Dutschke nimmt dann immer wieder die Vogelsperspektive ein und verankert alles im Kontext; da ist dieses Verständnis für das Ganze, von dem sich die Einzelheiten ableiten lassen. Es ist einerseits gut, daß es in diesen neuen Bewegungen keine ausgemachten Köpfe gibt, auf die der Rest der Menschen ein Stück weit das Denken, Reden und Handeln abdelegieren könnte. Andererseits illustriert er sehr gut, was ich meine – da ist eine Grundeinstellung, die sich schwer auf einen einzigen Satz runterbrechen läßt, aber sie ist gleichzeitig so klar und so ‘diffus’, daß sich daraus auf jede Situation eine Position ableiten läßt, zumindest als Ausgangspunkt für die weitere Diskussion. Das hab ich gestern in meinem Text eigentlich gesucht und heute erst gefunden. Ein Kompass, der uns ein Stück aus der Abhängigkeit von Landkarten und Wanderführern befreit. Unsere Zeit ist wie ein riesiger Wald mit zahllosen brennenden Bäumchen, und wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, den gesamten Wald nicht aus dem Blick zu verlieren, als Löschtrupps unsere Wege im Dickicht zu finden ohne uns zu versprengen und gleichzeitig alle diese Brandherde zu bekämpfen und neue Bäume zu pflanzen.”

          Hatte leider noch nicht die Zeit, mir das Video anzuschauen. Sicherlich beneiden wir beide den damaligen Dutschke um seinen Kompass. Dieser K. der einen das Vertrauen gibt, auf dem richtigen Weg zu sein. Die Nadel, die einen in die richtige Richtung führt. Auch die Fähigkeit, im richtigen Moment die ‘Vogelperspektive’ einzunehmen, bzw. auf die Meta-Ebene zu switchen. Wie Du sicher gemerkt hast, fehlt mir das in der heutigen Auseinandersetzung mit den gegebenen Zuständen: Zu wissen, wo ‘Norden’ ist, um damit einen Bezugspunkt zu haben, wo genau ich eigentlich hin will.

          Möglicherweise, ist das aber nicht unsere Schwäche, sondern unsere Stärke.

          Zu suchen und nicht zu finden.

          Zu fragen und nicht zu antworten.

          Zu lernen, statt zu wissen.

          Die Menschheit steht am Scheideweg. Es gibt kein “weiter so”. Es gibt mehr Ungewissheiten statt Gewissheiten. Das momentane System scheitert führt uns per One-Way-Ticket in den Abgrund. Ökolgisch, ökonomisch und moralisch/ethisch.

          Immer mehr Menschen verstehen das und begehren auf. Unabhängig von der Geographie. Wir bewegen uns in Richtung “Weltgemeinschaft”. Durch die Vernetzung der Informationsgesellschaft gibt es keine Grenzen mehr und das gemeinsame Interesse auf eine bessere, gerechtere Welt solidarisiert und schweißt zusammen.
          Griechenland, Spanien, Ägypten, USA, Libyen, Deutschland, usw.

          Wir haben alle das gleiche (Un-)Gerechtigkeitsempfinden. Die Ausbeutung ökonomischer, ökolgoscher, sozialer Ressourcen schweißt uns zusammen und läßt uns aufbegehren.

          Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. In einer Zeit des Ungewissen.

          Ich empfinde das als Privileg!

        • Masereel sagt:

          Danke für die lange, aufmerksame Antwort, Ralf! Tut mir leid, daß ich erst so spät antworten kann.

          Erstmal der Link zum Asamblea-Text:
          http://www.echte-demokratie-jetzt.de/wp-content/uploads/2011/07/quickguide_volksversammlung_de11.pdf

          Vielleicht machen wir uns das mit diesem Kompass auch unnötig kompliziert. Eine Nadel zieht sich doch immerhin durch die meisten Kommentare hier – das Drumrum ist verschiedenartig und wird diskutiert, aber im Kern erkenne ich immer den Wunsch, das Wohl von Mensch und Umwelt an erste Stelle zu setzen? Auch der Konsens, auf welchen Wegen man das wahrscheinlich/überhaupt nicht erreichen kann, scheint mir relativ breit.

          Also eigentlich genau das, was Solveigh (übrigens, tut mir leid, daß ich Deinen Namen letztes Mal falsch rum schrieb :)) weiter unten bei ‘Ich erkenne eins’ auch bereits sagt. Oder auch was A.S. Flickering im Kommentar davor anspricht, wo vom vereinenden Moment des ‘Dagegen’ die Rede ist. Wenn wir gegen das sind, was Mensch und Umwelt zerstört, müssten wir eigentlich automatisch für alles sein, das Mensch und Umwelt befreit/schützt (und uns bei Entscheidungen ‘lediglich’ immer wieder ehrlich und ergebnisoffen dieser Frage stellen – wir tun das bis heute ja nicht ernsthaft, als Allgemeinheit, und an dieser Inkonsequenz muß jede Revolution ganz einfach scheitern). So weit, so gut. An dem Punkt tritt dann das ein, was Ceterum Censeo unter dem Titel ‘Zur Roadmap’ so treffsicher zusammengefasst hat. Die Köpfe im Sand einerseits, die fliegende Quacksalber-Karawane andererseits. Das setzt einerseits einen gewissen Rahmen (das, was allgemein als die ‘unumstößliche Realität’ angebetet wird, dabei ist sie komplett von Menschenhand erzwungen und somit eh auf Sand – ah, so verdammt absurd!), in den man sich etwa hineinzwängt um ihn zu brechen, oder man will ihn umgehen und hat es dabei nicht weniger schwer. Hinzu kommt, was bei der Arbeitssuche gilt (am besten noch vorm ersten Praktikum bitte 3 Jahre Berufserfahrung aus dem Hut zaubern), ist die Totschlaganforderung an alles, das es wagt, hier irgendetwas in Frage zu stellen oder zu bemängeln. Alles soll bitteschön garantiert sein, am besten auf Hochglanzpapier. Man muß schon wissen, wie schnell man die 100 Meter schafft, noch bevor der Startschuß gefallen ist. Gleichzeitig nimmt selbst die Hardcore-Vogelstrauss-Fraktion das doch wohl kaum tatsächlich ernst (aber, eben: hin).

          “Zu suchen und nicht zu finden.
          Zu fragen und nicht zu antworten.
          Zu lernen, statt zu wissen.”

          Genau wie Du schreibst. Erinnert mich den Zapatista-Spruch: Preguntando caminamos, zu deutsch etwa ‘Fragend schreiten wir fort’. Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen (auch ein Buchtitel, John Holloway).

          Ich bin versucht, zu denken, es ist nicht in erster Linie die Abwesenheit einer besonders detailliert ausformulierten Vorgehensweise, die uns zurückhält, sondern vielmehr das allgemeine Misstrauen bzw. Nicht-Vertrauen. Die Menschen/ihre Strukturen beim Wort nehmen wollen ist heutzutage, unter den vorherrschenden Bedingungen, nicht unbedingt förderlich für die Gesundheit ;) Jeder Mensch hat damit seine schlechten Erfahrungen gemacht und schottet sich ein Stück weit ab, einfach aus Selbstschutz. Um eine Welt zu schaffen, in der diese Form der kollektiven Selbstverstümmelung nicht mehr nötig ist, müssen wir es aber wagen, aus dieser Abwehrhaltung heraus zu kommen, und uns einmal in großer Masse unbedingtes Vertrauen schenken. Wir leben aber weltweit in Systemen, die uns immer zum genau entgegen gesetzten Handeln drängen. Es sind Windmühlen, buchstäblich. Vielleicht sollten wir unsere Energie gar nicht so sehr in den Sturm auf diese Windmühlen verpulvern, sondern sie links liegen lassen, oder durch sie durch reiten als wäre es Luft. Wenn wir sie für die Zukunft nicht mehr wollen, wieso halten wir sie durch Beachtung und ständige Bezugnahme durch Erdenken von Gegenpositionen (das gibt ihnen doch erst Macht, Substanz, Relevanz) künstlich am Leben? Ich denke an Aikido, wo man die Kraft des Gegners zur Abwehr nutzt, und sich die eigene Kraft für wertvollere Vorhaben aufspart…

          LOL das ist schon wieder keine Lösung :S

          Was meinen persönlichen Punkt im Leben betrifft (und den ersten Teil deiner Antwort) – ich will gerade nicht weiter darauf eingehen; es passt nicht unbedingt hierhin und ich kann es nicht so recht in Worte fassen…

          lg, Jeff

        • Ich finde den Kommentar auch sehr gut und eigentlich ist es wirklich eher ein Artikel….ich würde dir gerne anbieten ihn auf dem babyshambler zu veröffentlichen. Denke da passt er gut hin. http://the-babyshambler.com/

          Kannst mir ja einfach mal eine mail schreiben: the-babyshambler@gmx.de

          Die Einleitung des Textes könnte man dann ja noch bisschen anpassen. :-)

          VG

          Florian Hauschild

      • Solveigh Calderin sagt:

        Aber, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wo denn, plump gesagt, die Reise hingehen soll, wird die systemkritische Bewegung in`s Leere laufen.

        Das ist es.

  24. ceterum censeo.2011 sagt:

    Zur Roadmap

    Die frühere „Roadmap“ der revolutionären Linken war das marxistische Konzept einer „proletarischen Revolution“, in dem die „Arbeiterklasse“ als potentiell revolutionäre Klasse angesehen wurde.

    Dass dieses Konzept historisch gescheitert ist, ist jedoch bei einem Teil der Linken nicht ins Bewusstsein gelangt. Denn noch immer gibt es ein Spektrum von linken Politsektierern, insbesondere leninistischer und trotzkistischer Provenienz, die an eine „Arbeiterrevolution“ glauben. Die verfolgen eine historisch obsolete Roadmap des „Klassenkampfes“.

    Andere glauben, dass sich der Gesellschaftsprozess durch gewählte Regierungen steuern lässt. Ihre Roadmap zielt darauf, parlamentarische Mehrheiten zu erringen und dann mit einer linken Regierung durch die Verfügung über den Staatsapparat die Gesellschaft steuern zu können.
    Das ist die sozialdemokratische Illusion, die gleichermassen immun ist gegenüber historischen und soziologischen Erkenntnissen.
    Auch dieses sozialdemokratische Konzept begreift nicht die Realität des Gesellschaftsprozesses, versteht nicht, wie es kommt, dass die Sozialdemokratie, wenn sie in der Regierung ist, sich einer „Sachzwanglogik“ unterwirft und ihre Klientel sowie ihre Ziele verrät. 1914, 1933, 1969ff, 1998ff, um besonders markante historische Konstellationen zu benennen.
    Die praktische Politik der Linkspartei folgt genau dieser Logik, wie sich unschwer dort aufzeigen lässt, wo die Linkspartei Teil der Regierung war oder ist.

    Der Gesellschaftsprozess von kapitalistischen Gesellschaften weist eine Eigenlogik auf, die regelmässig zu Zivilisationsbrüchen und Zivilisationskatastrophen führt, welche dann in der Retrospektive als gesellschaftlich irrationale Prozesse oder gar Formen eines kollektiven Wahnsinns erscheinen, wie die Weltkriege, Faschismen etc.

    Der Hauptgrund liegt darin, dass das kapitalistische Bewusstsein gespalten ist.
    Die Individuen begreifen sich als von der Gesellschaft getrennt:„Hier bin ich, da ist die Gesellschaft“. Sie erleben sich nicht als Teil des Gesellschaftsprozesses bzw. “”Menschheitsprozesses”, welchen sie selbst durch Tun oder Unterlassen mitbeeinflussen.
    Das ist ähnlich wie dem Phänomen eines Staus, wo im Bewusstsein der Individuen, die anderen den Stau bilden, der sie an ihrer Fortbewegung hindert.

    Individuen, Betriebe und Machtgruppen handeln im Rahmen einer a-sozialen und a-humanen Eigenlogik, die ihnen jedoch als rational erscheint.
    Ihnen erscheint alles rational, was ihren Erfolg oder Gewinn optimiert, wie beispielsweise Obsolenzproduktion oder die verblödende Unterhaltungsproduktion. Und sie sehen ihre “Rationalität” durch empirische Evidenz bestätigt, wenn sie als Individuen damit im Rahmen des Systems erfolgreich sind.
    Die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen verdrängen und verleugnen sie.

    Auch Zivilisationsbrüche erscheinen ihnen daher als rational, wie z. B. die Agenda 2010. Und selbst Atombombenabwürfe auf Zivilbevölkerungen erleben sie als rational und nicht als Zivilisationsbruch, wenn sie dies als Geschehen innerhalb der Rationalität einer Kriegslogik interpretieren.

    Im Erleben der 68-er-Linken war ein entscheidender Zivilisationsbruch die gewaltsame und barbarische Beseitigung der demokratisch gewählten Allende-Regierung und ihrer Anhängerschaft.
    Das widersprach völlig dem zivilisatorischen Grundkonsens des Westens, wie er in der Öffentlichkeit als Konzept einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vermittelt wurde.

    Die mit dem Pinochet-Putsch und nachfolgendem Terror vermittelte Botschaft war klar: Jeder Versuch einer sozialistischen Transformation im Westen, auch wenn er von einer demokratisch gewählten Regierung erfolgt, ist chancenlos und wird gegebenenfalls gewaltsam beseitigt.

    Am Beispiel von Chile wurde die unter den zivilisatorischen Strukturen des Westens verborgene Gewalt manifest, vor deren Provokation Habermas in seinem – später zurückgenommen – Vorwurf des „Linksfaschismus“ an die revolutionäre Linke gewarnt hatte.

    Die „zivilsatorische Matrix“ des Westens ist dünn und wird immer dünner.

    Gegenwärtig steuern die westlichen Gesellschaften mit der „neo-liberalen Politik“ auf die nächste Zivilisationskatastrophe hin. Sozialdarwinistischen Denken und Handeln greifen immer mehr um sich.

    Zugleich wird diese Entwicklung des gesellschaftlichen Prozesses auf die nächste große Zivilisationskatastrophe von den meisten Individuen verdrängt und verleugnet.

    Das ist m. E. der Kern des Phänomens des Phänomens des „homo ignorans“.

    Die Individuen spüren diese Entwicklung, stecken aber den Kopf in den Sand.
    Es ist ein kollektiver Prozess von Realitätsverdrängung und –verleugnung, mit denen die Individuen ihre Ängste zu minimieren versuchen.
    Sie verhalten sich a-politisch und konzentrieren sich auf ihre Privatsphäre und darauf, in der Gegenwart möglichst viel Spass zu haben. Sie verweigern den gesellschaftlichen Meta-Diskurs.
    Ein großer Teil der Gesellschaft kann diese Verdrängung nur noch mit Suchtmitteln oder der Entwicklung von nicht-stofflichen Formen süchtigen Verhaltens aushalten, welche psychologisch Formen der Flucht in Scheinrealitäten darstellen.

    Die Basis einer Roadmap – so meine These – sollte daher zunächst die Wahrnehmung und das Aushalten der Wahrheit über den stattfindenden Gesellschaftsprozess sein, der – wie es scheint – unaufhaltsam in die nächste große Zivilisationskatastrophe steuert. Unaufhaltsam auch vor allem deshalb, weil er verdrängt und verleugnet wird und deshalb auch überhaupt nicht thematisiert wird, auch nicht im Mainstream der „Linken“.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Jeder Versuch einer sozialistischen Transformation im Westen, auch wenn er von einer demokratisch gewählten Regierung erfolgt, ist chancenlos und wird gegebenenfalls gewaltsam beseitigt.

      Warum wohl?

    • @ ceterum censeo.2011
      Viele deiner obigen und noch folgenden Ausführungen kann ich nur bestätigen bzw. teilen. Aber an manchen Stellen musste ich doch stutzen, zb hier:

      “Andere glauben, dass sich der Gesellschaftsprozess durch gewählte Regierungen steuern lässt. Ihre Roadmap zielt darauf, parlamentarische Mehrheiten zu erringen und dann mit einer linken Regierung durch die Verfügung über den Staatsapparat die Gesellschaft steuern zu können.
      Das ist die sozialdemokratische Illusion, die gleichermassen immun ist gegenüber historischen und soziologischen Erkenntnissen.”

      Damit willst du suggerieren, dass dies zu keiner Epoche der Nachkriegsgeschichte funktioniert hätte? Es mag durchaus sein, dass dies heute, angesichts der fortschreitenden selbstzerstörerischen Mutation des Kapitalismus, der wieder kurz vor dem nächsten Zyklus des gesellschaftlichen Bruches steht, nicht mehr möglich ist. Doch ich möchte nur an die sozial-liberale Koalition der Brandt-Ära erinnern, welche tatsächlich noch mit sozialen und gesellschaftlichen Reformen die Republik nach linker Defintition positiv veränderte.

      “Auch dieses sozialdemokratische Konzept begreift nicht die Realität des Gesellschaftsprozesses, versteht nicht, wie es kommt, dass die Sozialdemokratie, wenn sie in der Regierung ist, sich einer „Sachzwanglogik“ unterwirft und ihre Klientel sowie ihre Ziele verrät. 1914, 1933, 1969ff, 1998ff, um besonders markante historische Konstellationen zu benennen.” 1914, einverstanden. 1933 – wieso? hat sich nicht die SPD als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz ausgesprochen? 1969? Verstehe ich auch nicht ganz, siehe oben. 1998, wieder einverstanden.

  25. A.S. Flickering sagt:

    Ich möchte noch mal etwas auf die Diskussion hier eingehen…
    1. zum Widerstreit zwischen FÜR etwas oder GEGEN etwas zu sein:
    Wenn ich mir die Kommentarspalten in amerikanischen Medien zu den Wall Street-Protesten so anschaue, muss ich sagen, dass es der Mobilisierung immer weiterer unterstützender Gruppierungen unbedingt zuträglich war, dass erst einmal keine klaren gemeinsamen Forderungen im Raum standen. Denn nur so kann man überhaupt die “kritische Masse” aus unzähligen einzelnen Menschen mit völlig unterschiedlichen Interessen mobilisieren, die es braucht um in der Medienberichterstattung überhaupt erst einmal stattzufinden.
    Insofern sind klare Ziele von Anfang an eher tödlich für eine aufkeimende Bewegung.
    Ich möchte das GEGEN etwas sein auch nicht diskreditieren – es ist für das Überleben einer Protestbewegung unersetzlich, denn das mobilisierende FÜR etwas sein erledigt sich spätestens nachdem die Gegenseite konkrete Forderungen abgeschmettert hat.

    Und wem gegenüber will man den heute als Bewegung etwas fordern, also FÜR etwas eintreten?
    Will man vor den Kapitalpalästen schreien “Wir fordern, dass ihr eure Macht abgebt?” Na dann Viel Erfolg.
    Es ist zunächst einmal sehr wichtig, dass überhaupt einmal von all den Mitsklaven und von den Mächtigen gesehen wird, dass die Menschen nicht mehr bereit sind, sich alles gefallen zu lassen. Das macht auf der einen Seite Mut und Hoffnung, auf der anderen sendet es das Signal “Ganz so ungestört können wir jetzt wohl nicht mehr verfahren.”

    Davon abgesehen führt doch eine einheitliche Bewegung mit einer Liste von zu erreichenden Zielen auch wieder nur in ein System, in dem jeder möglichst auf Linie bleiben soll. Es ist nun mal so, dass von den Leuten, die jetzt in Amerika protestieren, ganz viele ganz unterschiedliche Ziele haben – als einheitliche Bewegung kann man dann entweder alle diese unzähligen Ziele auf seine Forderungsliste setzen oder man wählt eben wieder aus, unterdrückt also wieder diejenigen, die nicht dem Mainstream innerhalb der Bewegung entsprechen.

    Ich denke die Bewegung muss in ihrem DAGEGEN vereint auftreten, aber im FÜR etwas sein muss sie sich so oder so ausdifferenzieren – es werden sich also Gruppierungen bilden, die jeweils gemäß ihrer eigenen Vorstellungen versuchen werden, in kleinerer Gemeinschaft ein besseres Leben zu gestalten.

    Es geht nur in kleineren Gemeinschaften. In der Anthropologie ist es erwiesen, das das menschliche Zusammenleben am besten und harmonischsten in kleineren Gruppen wie etwa Kommunen oder Dorfgemeinschaften funktioniert, weil nur da die bindende Kraft der Empathie aufgrund persönlicher Beziehungen wirken kann. Der alle einende Staat funktioniert doch immer weniger und das überhaupt nur noch auf Basis des Geldes, das er noch verteilt. Wenn die Staaten im Zuge der kommenden Finanzkrisen ausgeblutet sein werden, brechen sie eh in sich zusammen.

    Um das nochmal deutlich zu machen: Gebt euch keinen Illusionen hin, indem ihr denkt, man bräuchte nur Forderungen und Ziele vorlegen, um eine grundlegende Änderung im Herrschaftssystem zu erreichen. Die Herrschenden haben das Geld, sie haben die Armeen, die Polizei und die Waffen. Die werden nicht einlenken.

    Als Chance bleibt nur, sich die Eliten selbst zu überlassen und das System dadurch zu schwächen, dass man sich möglichst autark macht und damit weniger unterdrückt und weniger erpressbar wird. Das geht am besten in überschaubaren Gemeinschaften.

  26. Solveigh Calderin sagt:

    Ich erkenne eins:

    Die Machthabenden dieses kapitalistischen Systems haben ein gemeinsames Ziel:

    Profitmaximierung um jeden Preis.

    Darin ist die Inhumanität und Asozialität des Systems bereits begründet.

    Wir hier prügeln uns (verbal) um Wege und unter welcher Flagge wir das ändern können.

    Da wird gegen Marx genauso gewettert wie seine Thesen dargelegt, der eine will kleine autarke Dorfgemeinschaften bilden, der andere will alle Menschen zusammenbringen…

    Soviele Personen, soviele Vorstellungen über den einzig richtigen Weg – den es erwiesener Maßen nicht geben kann, denn es gibt keine einzige Wahrheit.

    Wie wäre es, wenn wir uns auf ein gemeinsames Ziel einigen können:

    Der Mensch ist das Maß aller Entscheidungen.

    Ich bitte zu verstehen, dass ich niemanden der Kommentatoren angreife. Es ist nur möglich, eine gemeinsame Lösung zu finden, wenn wir alle unsere Gedanken offen entwickeln und darlegen.

  27. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin
    „Jeder Versuch einer sozialistischen Transformation im Westen, auch wenn er von einer demokratisch gewählten Regierung erfolgt, ist chancenlos und wird gegebenenfalls gewaltsam beseitigt.
    Warum wohl?“

    Das war lediglich die “Botschaft”, die damit vermittelt wurde..
    Das ist keine allgemeingültige Aussage.

    Chile war doch nur ein kleines Land innerhalb der Einflusssphäre eines damals übermächtigen Imperiums. Vor allem sollte damit ein Domino-Effekt in Südamerika verhindert werden.

    Ähnlich war es doch bei der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 durch die Sowjetunion.

    Die Frage. ob eine Systemtransformation auf einem weitgehend friedlichen und demokratischen Wege möglich ist, lässt sich nicht theoretisch entscheiden.

    Warum soll es völlig unmöglich sein, wenn sich die Macht- und Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft bzw. in der Welt entsprechend geändert haben?

    • Solveigh Calderin sagt:

      Chile war doch nur ein kleines Land innerhalb der Einflusssphäre eines damals übermächtigen Imperiums. Vor allem sollte damit ein Domino-Effekt in Südamerika verhindert werden.

      Genau. Weil bereits das Beispiel, nur der Versuch einer gerechten Gesellschaftsordnung, die versucht, den Menschen in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen, gefährlich ist. Vor allem, wenn es wie am Beispiel Chile Früchte trug und scheinbar funktionierte! (Chile hatte übrigens nicht die Absicht, dem Beispiel des “real-existierenden” Sozialismus zu gehen. Chile wollte seinen eigenen Weg gehen, was auch vollkommen richtig ist.)

      Aber bereits dieses Beispiel muss mit äußerster Gewalt eliminiert werden, um ein Fanal zu setzen, damit sich ja niemand wagt, diesem Beispiel zu folgen!

      Insofern ist das Beispiel Chile durchaus allgemeingültig!

      Ich diskutiere hier nicht, ob das sozialistische Modell tragfähig ist oder nicht, das steht nicht zur Debatte.

      Die Frage. ob eine Systemtransformation auf einem weitgehend friedlichen und demokratischen Wege möglich ist, lässt sich nicht theoretisch entscheiden.

      Warum soll es völlig unmöglich sein, wenn sich die Macht- und Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft bzw. in der Welt entsprechend geändert haben?

      So ungern ich es schreibe und so sehr ich die friedlichen Demonstrationen begrüße und mir von ganzem Herzen wünsche, dass es einen friedlichen Wandel gibt, zeigt gerade #occupy wallstreet, dass die Herrschenden ihre Macht nicht freiwillig abgeben. Und es wird gezeigt, von wem die Gewalt ausgeht. Das haben wir schon seit Tahrir Place beobachten dürfen. Es ist das immer selbe Bild.

      Dass die DDR friedlich unterging, ist dem Umstand geschuldet, dass Herr Gorbatschow deutlich gemacht hatte, dass er im Fall einer gewaltsamen Auseinandersetzung die DDR-Regierung nicht unterstützen würde (was eine offene Kriegserklärung an die DDR-Regierung war) und dass sich auf der anderen Seite die BRD-Regierung und die sie dirigierenden Kräfte bereits die Hände über den unbeschreiblich hohen Gewinn rieb, der mit der zu erwartenden Annektion der DDR zu erwarten war.

      Diese Dokumentation zu einer Doktorarbeit wirft einen grelles Licht auf das, was im Zusammenhang mit der Annektion der DDR durch den Westen abgelaufen ist, der den Raub des Eigentums nicht nur der Bevölkerung der DDR zur Folge hatte:

      Auch das ist keine Diskussion, ob das System der DDR überhaupt tragfähig war oder nicht, sondern ich zeige hier auf, dass die DDR-Bevölkerung betrogen, belogen und beraubt wurde, wie es heute die Bevölkerung der gesamten BRD wird.

  28. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin

    Der Versuch einer sozialistischen Revolution in Chile unter Führung Allendes entsprach dem Typus einer „Revolution von unten“. Als Feinde und Gegner hatte er nicht nur die oberen Schichten, sondern große Teile der Mittelschichten.

    Modell dieses Typs von Revolution ist die französische. Aber dort revoltierten bürgerliche Schichten für Freiheit, Gleichheit und Eigentum, also für eine selbständige wirtschaftliche Existenz als Bauer, Handwerker, Händler etc.

    Ohne hier differenziert eingehen zu können, möchte ich nur die These formulieren, dass dieser Typus von Revolution in einer entwickelten, hocharbeitsteiligen Industriegesellschaft historisch obsolet ist. Es gibt dafür auch kein einziges Beispiel für eine gelungene Revolution.

    Damit sind wir wieder an dem Punkt, dass die Vorstellungen von einer „Revolution der Massen“ bzw. einer „Revolution von unten“ antiquiert sind (vgl. oben im Thread 4.10.1911 – 11:33).

    Ossip K. Flechtheim hat dies in seinem Buch: „Futurologie – Der Kampf um die Zukunft“ (1970) klar ausgesprochen.

    Im Übrigen war diese These nach dem Scheitern der Arbeiterbewegung 1914 und ihrem Untergang 1933 bei linken Theoretikern weit verbreitet, mit Ausnahme jener aus dem ML-Bereich. Letztere hingegen haben die marxistischen Illusionen von einer „proletarischen Revolution“ weiter aufrechterhalten.

    Dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen auf ewig im kapitalistischen System gefangen blieben müssen. Im Gegenteil, es wird sich zeigen, dass der kapitalistische Vergesellschaftungsmodus historisch an sein Ende gelangt ist und vor seinem Kollaps steht.
    Es wird daher zu einem Systemwechsel kommen müssen, und zwar wahrscheinlich innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahrzehnte.

    Die meisten Staaten des kapitalistischen Westens befinden sich bereits heute in einer Epoche der Wirtschaftsdiktatur mit fortschreitendem zivilisatorischen Niedergang.
    Vermutlich wird diese Phase von Wirtschaftsdiktatur und –despotie aber nur eine relativ kurze Zeit dauern, da andere Länder, insbesondere die BRICS-Staaten, eine gegenläufige Entwicklung aufweisen.

    Wie ist ein Systemwechsel denkbar?

    Der Systemwechsel in der Sowjetunion folgte einem ganz anderen Typus, nämlich dem einer „Revolution von oben“. Ihre Protagonisten waren führende Leute aus dem „Apparat“, an der Spitze zunächst Gorbatschow, nach der kurzen Phase der Verbrecherherrschaft unter Jelzin folgte dann Putin.

    Das Beispiel Sowjetunion zeigt, wie ein erstarrtes System immer dysfunktionaler wurde, so dass die Funktionseliten einen Systemwechsel einleiteten und durchführten.

    Ein ähnliches Phänomen gab es in den USA unter Führung von Roosevelt. Auch den „New Deal“ kann man unter dem Aspekt einer „Revolution von oben“ betrachten.

    Ein noch früheres Beispiel für eine „Revolution von oben“ sind die Bismarckschen Sozialreformen, welche das „sozialdemokratische Zeitalter“ einleiteten, wobei die Bezeichnung „Bismarcksches Zeitalter“ zutreffender wäre.

    Es macht einen entscheiden Unterschied, ob ein soziales System auf der Basis eines „Klassenkompromisses“ funktioniert oder – wie der Neo-Liberalismus – als „Klassendiktatur“.

    • Solveigh Calderin sagt:

      @ceterum censeo – Nome est Omen – http://en.wiktionary.org/wiki/ceterum_censeo

      So ganz komme ich, ehrlich gesagt, mit Deinen Ausführungen nicht mit. – Das Du ist hier nicht abfällig oder Vertraulichkeit heischend gemeint, sondern lediglich einfacher, wenn es Dir unangenehm ist, kann ich gern zum Sie übergehen.

      Wenn wir von Russland und Gorbatschows “Revolution von oben” sprechen, die (scheinbar) verkrustete Strukturen aufbrach, um neuen (zurück zum Kapitalismus) Platz zu machen, so war und ist diese Entwicklung auch – wie überall auf unserer Erde heute – ausschließlich zum Nachteil des überwiegenden Teils der Bevölkerung geschehen.So sind auch alle “Palastrevolutionen” letztendlich keine grundsätzliche Verbesserung für die Bevölkerung, sondern geben immer nur soviel an die Bevölkerung, wie gerade nötig ist, um sie ruhig zu halten (man kann auch sagen, sie wird einfach korrumpiert) und genau so weit unten zu halten, dass sie als Arbeitsvieh weiterhin zu gebrauchen sind und nicht auf die Idee kommen, ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen zu wollen.

      Deshalb hieß ja Bismarcks Solgan auch: “Zuckerbrot und Peitsche” – und sein “Deutschland” hat er mit “Blut und Eisen” zusammengeschmiedet. Soll ich das nachahmenswert finden?

      Tut mir leid, wenn ich Dich falsch verstehe, aber ich habe so den Eindruck, dass Du versuchst, mir klar zu machen, dass die Bevölkerung einfach zu dumm und nicht geeignet ist, die eigenen Geschicke in die Hand zu nehmen und die Macht im Staate selbst zu übernehmen. Ich habe den Eindruck (und darum habe ich auch aufgehört, auf Deinen Kommentar einzugehen), dass Du alles, was “von links”, “von unten” und “aus den Massen” kommt von vornherein ablehnst und als “unmöglich” darstellst. Du begründest das mit dem Niedergang kommunistischer Parteien, dem Scheitern des sozialistischen Systems, dem Scheitern (?) – wohl eher dem Zerstören – durch einen nichterklärten Krieg der USA gegen Chile. Wer aber sagt, dass dieses Scheitern nicht notwendig war, um zu lernen, wie eine wirklich gerechte Form des menschlichen Zusammenlebens zustande zu bringen ist? Wie oft fällt ein Kind hin, bevor es laufen kann? Wie oft muss ein Läufer verlieren, bevor er auf dem Siegertreppchen steht? Ist unser gesamtes Leben nicht vom Lernen – und zwar aus unseren Fehlern! – geprägt? Das heißt nicht, dass ich alles in Bausch und Bogen verdamme, wenn etwas nicht zu dem gewünschten Ziel geführt hat, sondern dass ich alles analysiere, um feststellen zu können, wo, ab wann, warum welche Entwicklung in die falsche Richtung lief, damit es beim nächsten Versuch besser gemacht werden kann. Wenn ein Läufer aufhört zu trainieren, weil er dreimal verloren hat, wird er nie den Weltmeistertitel erringen können! Nur, wenn er in der Lage ist, sein Laufen zu analysieren und zu verbessern, wird er es schaffen.

      Eine “Revolution von oben” halte ich für nicht endgültig tragbar, weil sie das System nicht verändert, sondern lediglich ein paar kosmetische Reparaturen vornimmt.

      Zu den Zielen der occupy oder asamblea oder democracy now oder echte Demokratie jetzt – Bewegungen habe ich gestern ein Video gefunden, in dem das erste gemeinsame Manifest der occupy wallstreet Bewegung verlesen wurde. Dem kann ich mich vollkommen anschließen – jenseits aller Ideologie, die immer nur trennt statt zu vereinen.

      Das Video gibt es nur auf Englisch.

      • Solveigh Calderin sagt:

        Ich bitte für eventuelle Rechtschreibfehler um Entschuldigung, es ist zu dumm, dass ich einen Kommentar nicht korrigieren kann.

  29. A.S. Flickering sagt:

    @ Solveigh Calderin

    “Wie wäre es, wenn wir uns auf ein gemeinsames Ziel einigen können:

    Der Mensch ist das Maß aller Entscheidungen.”

    Darin stimme ich Dir uneingeschränkt zu.
    Etwas worauf sich wirklich alle einigen können ist als vereinendes Ziel für diese aufkeimende globale Bewegung völlig ausreichend. Alles andere in Form von festgesetzten Programmen oder Roadmaps treibt eine solche Bewegung nämlich wieder auseinander, die sich meiner Einschätzung nach dadurch auszeichnet, dass den allermeisten Protestierenden klar sein wird, dass sie konkrete Forderungen eh nicht durchsetzen können – zumindest gegenwärtig noch nicht.

    Es ist eine Bewegung der Ohnmächtigen mit dem legitimen Ziel, die Ohnmacht der Bevölkerung sichtbar zu machen. Von ihnen eine Art Parteiprogramm zu verlangen ist einigermaßen absurd und in den US-Medien ein beliebtes Mittel um die Bewegung zu diskreditieren. Das Problem ist doch, dass die Sphären der Macht völlig abgekoppelt von den Massen in virtuellen Geldströmen und Hochsicherheitspalästen existieren. Da kann man doch fordern was man will und die lachen sich eh bloß ins Fäustchen.

    Wie Du auch angemerkt hast – die Herrschenden werden ihre Macht nicht freiwillig abgeben. Deshalb können wir träumen wovon wir wollen und theoretisieren soviel wir wollen ohne jemals etwas damit zu erreichen.
    Wir wissen alle noch nicht, wie wir diese Macht brechen können, aber die Bewegung muss erst einmal weiter wachsen und sichtbar bleiben, sonst hat die Gegenseite eh schon gewonnen.

    Ansonsten gilt der alte Spruch “Denke global, handle lokal.”
    Lokal kann man zu den Demos gehen oder auch schon mal Gemüse für sich und die zukünftigen Armen anpflanzen.
    Die Bewegung sollte vielleicht global auch zu den chinesischen Wanderarbeitern durchdringen, die ja die Drecksarbeit fürs Kapital erledigen müssen. In Amerika oder Deutschland oder Griechenland bewirken ja Generalstreiks gar nix mehr, weil das Kapital schlichtweg nicht mehr von der Arbeitskraft in diesen Ländern abhängig ist. Ein globaler Generalstreik wäre da schon ein wirksameres Druckmittel, dabei bin ich mir aber im Klaren darüber, dass dafür viele mit ihrem Leben bezahlen müssten – und das will ich auch nicht in Kauf nehmen. Also gemeinsam weiter nach anderen Wegen suchen. Es herrscht Ratlosigkeit, ja – aber keine Hoffnungslosigkeit mehr dank der Menschen, die sich jetzt überall erheben.

  30. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin

    Die Einführung des Sozialstaats war das Resultat einer „Revolution von oben“.

    Damit stellt sich ganz konkret die Frage:
    Stellt der Sozialstaat einen historischen Fortschritt dar – oder nicht?

    Wie es scheint, siehst Du in den Bismarckschen Sozialreformen keinen Fortschritt und im Akzeptieren des „Klassenkompromisses“ und dem Verzicht auf revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft durch die Sozialdemokratie einen historischen Fehler, vielleicht sogar Verrat.

    Die Alternative wäre jedoch Klassenkampf bis hin zum Bürgerkrieg gewesen, mit dem Versuch der Errichtung einer „Diktatur des Proletariats“.

    Das ist die logische Konsequenz aus Deiner Position, wenn Du den Weg eines Klassenkompromisses ablehnst.

    Fakt ist, dass die Mehrheit der sozialdemokratischen Partei und Bewegung sich nach den Sozialreformen gegen einen revolutionären Klassenkampf entschieden hatte.

    Nun, das ist alles Geschichte. Lang, lang ist es her.

    Fakt ist auch, dass der revolutionäre Impetus der 68-er so gut wie gar keine Resonanz in der arbeitenden Bevölkerung gefunden hat. Die wollten nichts von Kapitalismuskritik wissen und schon gar nicht eine Revolution.

    Selbstverständlich liegt eine „Revolution von oben“ im Interesse derer, die sie durchführen.
    Aber muss sie sich zwangsläufig gegen das Interesse von jenen „unten“ richten?

    Tut mir leid, wenn ich Dich falsch verstehe, aber ich habe so den Eindruck, dass Du versuchst, mir klar zu machen, dass die Bevölkerung einfach zu dumm und nicht geeignet ist, die eigenen Geschicke in die Hand zu nehmen und die Macht im Staate selbst zu übernehmen.

    Warum benutzt Du hier den soziologisch völlig undifferenzierten Begriff „Bevölkerung“?

    „Bevölkerung“ sind alle, von „unten“ bis „oben“.

    Heute ist arbeitende Bevölkerung segmentiert und hierarchisch gegliedert.

    Was ist mit den Mittelklassen? Mit der Intelligenz? Mit dem Management, mit der Bürokratie?

    Die gehören doch alle zur arbeitenden Bevölkerung.

    Ich habe den Eindruck (und darum habe ich auch aufgehört, auf Deinen Kommentar einzugehen), dass Du alles, was „von links“, „von unten“ und „aus den Massen“ kommt von vornherein ablehnst und als „unmöglich“ darstellst.

    Das ist wieder so eine undifferenzierte, pauschalierende Betrachtungsweise, die auf Projektion und Unterstellungen basiert.

    Richtig ist, das ich Vieles an „linken“ Vorstellungen ablehne, weil ich diese für historisch obsolet oder für falsch halte: Die Marxsche Revolutionstheorie, den Marxismus-Leninismus, „Arbeiter-Marxismus“, alte und neue Illusionen sozialdemokratischer Provenienz, linken Aktionismus, linken Terrorismus etc.

    So auch die linke Vorstellung, dass „unten“ die Guten und „oben“ die Bösen seien. So als bestünden gesellschaftliche Eliten nur aus Ausbeutern und Verbrechern, so als gäbe es nicht in der „Mitte“ und „oben“ menschenfreundliche und vernünftige Menschen, die für einen Systemwandel sind.

    So als gäbe es bei den Massen nicht massenhaft reaktionäre und faschistoide Vorstellungen. So als seien Bildzeitungsleser und Sarrazin-Anhänger alles Verführte, wobei man doch bei kritischer Reflexion zum Schluss kommen könnte, dass die Bildzeitungsleser gerade deshalb diese Zeitung kaufen, weil sie dort ihre Meinungen und Vorurteile wiederfinden und bestätigt sehen.

    Im Übrigen ist diese Ablehnung derartiger „linker“ Vorstellungen kennzeichnend für eine – allerdings weitgehend untergegangene – „Neue Linke“, wie sie von Personen wie Rudi Dutschke oder Hans-Jürgen Krahl repräsentiert wurde.

    Der Mensch ist das Maß aller Entscheidungen.

    Was heisst dies konkret?

    Alle behaupten doch, im Interesse „des Menschen“ Politik zu machen.

    Die Sozialdarwinisten behaupten, der Kapitalismus entspreche der Natur des Menschen. Der Kapitalismus sei daher die menschengerechte Ordnung.

    Auch ein Mielke behauptete, er liebe alle Menschen.

    Also bitte, was soll das gemeinsame Ziel sein, und zwar nicht nur nebulös formuliert, sondern konkret?

  31. ceterum censeo.2011 sagt:

    Mein Eindruck ist, dass eine große Hoffnung besteht, mittels „Basisdemokratie“ und „Schwarmintelligenz“ eine egalitäre Gesellschaft der Zukunft erzeugen zu können.

    Solche Prozesse können zur Lösung der Zukunftsaufgaben beitragen, „die“ Lösung werden sie nicht sein.

    Auch wenn in Zukunft Maschinen und Roboter weitgehend die einfachen, repetitiven Arbeiten übernehmen werden, so wird der zur gesellschaftlichen Reproduktion notwendige menschliche Arbeitsaufwand zwar erheblich geringer werden, aber die Arbeit wird nicht verschwinden.

    Auch in Zukunft wird sich der gesellschaftliche Reproduktionsprozess arbeitsteilig vollziehen. Arbeitsteilung bedeutet, dass es der Spezialisten bedarf. Und arbeitsteilige Prozesse mit Spezialisten bedürfen einer Differenzierung und Hierarchisierung.

    Kein Gesundheitswesen kann so funktionieren wie die „Sachsenklinik“ in der Serie „In aller Freundschaft“, wo ein kleines Ärzteteam von orthopädischen OPs über Herzoperationen bis hin zur Hirnchirurgie alles Kann und ausführt.
    Völlig unmöglich, so etwas gibt es nur im Fernsehen und ist Massenverdummung.

    Nahezu sämtliche Prozesse in der Arbeitswelt sind nach fachlichen Kompetenzen hierarchisiert, in den Betrieben, in den Behörden und in der Wissenschaft.

    Der Mensch wird nicht allwissend geboren, und die Entwicklung von Wissen und Können ist heterogen und wird es immer bleiben. Glücklicherweise, denn nur so kann die Vielfalt des menschlichen Lebens aufrechterhalten und erweitert werden.

    Als ich dieses Buch 1995 schrieb, waren weltweit 800 Millionen Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt. 2001 waren es schon mehr als eine Milliarde. Die Entwicklung ist eindeutig. …
    Bis 2010 werden nur noch zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Fabriken gebraucht. Bis 2020 werden es weltweit nur noch zwei Prozent sein. …
    Die Zeiten der Massenarbeit ist vorbei. Wir werden nie wieder Tausende von Leuten sehen, die aus den Fabriktoren strömen. In Zukunft wird Arbeit etwas für die Eliten sein. Für besondere Aufgaben wird man immer noch die Top-Ärzte, Top-Anwälte oder Top-Designer brauchen. Aber Durchschnittsqualität kann ein Computer oder ein Roboter billiger liefern.
    (Interview mit US-Ökonom Jeremy Rifkin)
    http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/916564_0_9223_-interview-langfristig-wird-die-arbeit-verschwinden-.html

    Unabhängig davon, ob diese Entwicklung in der Geschwindigkeit ablaufen wird, wie es Rifkin hier prognostiziert, der gesellschaftliche Trend ist eindeutig.

    Selbst in China werden Millionen von Arbeitskräften in relativ kurzer Zeit durch Roboter ersetzt werden.

    Innerhalb der nächsten drei Jahre will der taiwanische Technikhersteller Foxconn eine Million Industrieroboter anschaffen. Die Fertigungsautomaten sollen einen Teil der Mitarbeiter ersetzen, berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,777555,00.html

    Ein anderer Aspekt:
    Der Anteil antibiotikaresistenter Infektionen durch multiresistente Erreger nimmt ständig zu. Selbst die Systempresse kann den Kausalzusammenhang zur industriellen Fleischproduktion nicht mehr leugnen. Ein erheblicher Teil des in den Verkehr gebrachten Fleisches ist heute bakteriell kontaminiert.
    http://www.anne-franke.de/wp-content/uploads/2011/09/MRSA-Antibiotika-110921.pdf

    Nur der Kausalzusammenhang zwischen kapitalistischer Ökonomie und diesem Phänomen wird derzeit noch in den Massenmedien verschwiegen.

    Zu erwarten ist, dass medizinisch nicht beherrschbare Massenepidemien auftreten.
    Das Auftreten und die Verbreitung der EHEC-Infektionen in diesem Jahr gibt hier einen Hinweis.

    Erreger unterscheiden nicht zwischen dem Sozialstatus von Menschen.
    Auch Reiche werden an zunehmend an antibiotikaresistenten Infektionen sterben. Denn mögliche Übertragungswege sind vielfältig – nicht nur durch Nahrungsaufnahme – und es gibt keine speziellen Antibiotika für Reiche.

    Die einzige Möglichkeit zu einer Lösung ist die Neuorganisation des Wirtschaftsprozesses, jenseits von betrieblicher Profitlogik.

    Die genannten Probleme sind nicht kapitalismusimmanent bzw. in einem marktwirtschaftlichen System zu lösen. Nicht durch einen Mindestlohn, nicht durch ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, nicht durch eine höhere Besteuerung der Reichen. Etc.

    Die systemintegrierte Umverteilungslinke ignoriert diese Probleme.

    Nur im Rahmen einer Neuorganisation der Ökonomie durch ein neues, gemeinwirtschaftliches System ist eine Lösung möglich.

    Das werden auch immer größere Teile der Funktionseliten begreifen und die Notwendigkeit eines Systemwechsels einsehen.

    Die Plutokratie – jene rund 1000 Milliardäre und Multimilliardäre – und ihre privilegierten Geldverwalter, Polit-Marionetten und Ideologen wird man nicht überzeugen können.

    Aber die machen insgesamt vielleicht 1% der Bevölkerung aus. Ihre Macht besteht im Wesentlichen aus Geldmacht, mit denen sie Teile der Funktionseliten korrumpieren, und ihre privaten Verfügung über die Massenmedien, mit Ausnahme des Internets.

    Die sogenannte 68-er-Bewegung wurde hauptsächlich von Intelligenzschichten getragen, die sogenannten Arbeiterschichten und ihre Organisationen – die etablierten Arbeiterparteien und Gewerkschaften – standen dieses Bewegung mit Unverständnis gegenüber und waren gegen diese ablehnend bis feindlich eingestellt.

    Die entscheidenden Impulse für eine Strukturrevolution werden aus den Intelligenzschichten kommen und entscheidenden Anteil an der Transformation werden jene Teile aus den gesellschaftlichen Eilten haben, die begriffen haben, dass dieses System keine Zukunft mehr hat, sondern sich immer mehr in Richtung einer Zivilisationskatastrophe bewegt.

  32. ceterum censeo.2011 sagt:

    Dein Kommentar wartet auf Freigabe.

    Warum?

  33. ceterum censeo.2011 sagt:

    Da mein Kommentar immer noch auf Freigabe wartet, ein erneuter Post mit weniger Links:

    Mein Eindruck ist, dass eine große Hoffnung besteht, mittels „Basisdemokratie“ und „Schwarmintelligenz“ eine egalitäre Gesellschaft der Zukunft erzeugen zu können.

    Solche Prozesse können zur Lösung der Zukunftsaufgaben beitragen, „die“ Lösung werden sie nicht sein.

    Auch wenn in Zukunft Maschinen und Roboter weitgehend die einfachen, repetitiven Arbeiten übernehmen werden, so wird der zur gesellschaftlichen Reproduktion notwendige menschliche Arbeitsaufwand zwar erheblich geringer werden, aber die Arbeit wird nicht verschwinden.
    Auch in Zukunft wird sich der gesellschaftliche Reproduktionsprozess arbeitsteilig vollziehen. Arbeitsteilung bedeutet, dass es der Spezialisten bedarf. Und arbeitsteilige Prozesse mit Spezialisten bedürfen einer Differenzierung und Hierarchisierung.

    Kein Gesundheitswesen kann so funktionieren wie die „Sachsenklinik“ in der Serie „In aller Freundschaft“, wo ein kleines Ärzteteam von orthopädischen OPs über Herzoperationen bis hin zur Hirnchirurgie alles Kann und ausführt.
    Völlig unmöglich, so etwas gibt es nur im Fernsehen und ist Massenverdummung.

    Nahezu sämtliche Prozesse in der Arbeitswelt sind nach fachlichen Kompetenzen hierarchisiert, in den Betrieben, in den Behörden und in der Wissenschaft.

    Der Mensch wird nicht allwissend geboren, und die Entwicklung von Wissen und Können ist heterogen und wird es immer bleiben. Glücklicherweise, denn nur so kann die Vielfalt des menschlichen Lebens aufrechterhalten und erweitert werden.
    Als ich dieses Buch 1995 schrieb, waren weltweit 800 Millionen Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt. 2001 waren es schon mehr als eine Milliarde. Die Entwicklung ist eindeutig. …
    Bis 2010 werden nur noch zwölf Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Fabriken gebraucht. Bis 2020 werden es weltweit nur noch zwei Prozent sein. …
    Die Zeiten der Massenarbeit ist vorbei. Wir werden nie wieder Tausende von Leuten sehen, die aus den Fabriktoren strömen. In Zukunft wird Arbeit etwas für die Eliten sein. Für besondere Aufgaben wird man immer noch die Top-Ärzte, Top-Anwälte oder Top-Designer brauchen. Aber Durchschnittsqualität kann ein Computer oder ein Roboter billiger liefern. (Interview mit US-Ökonom Jeremy Rifkin)

    http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/916564_0_9223_-interview-langfristig-wird-die-arbeit-verschwinden-.html
    Unabhängig davon, ob diese Entwicklung in der Geschwindigkeit ablaufen wird, wie es Rifkin hier prognostiziert, der gesellschaftliche Trend ist eindeutig.
    Selbst in China werden Millionen von Arbeitskräften in relativ kurzer Zeit durch Roboter ersetzt werden.
    Die die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete vor einem Vierteljahr, dass der taiwanische Technikhersteller Foxconn eine Million Industrieroboter innerhalb der nächsten drei Jahre will anschaffen. Damit soll einen Teil der Mitarbeiter ersetzen werden.

    Ein anderer Aspekt:

    Der Anteil antibiotikaresistenter Infektionen durch multiresistente Erreger nimmt ständig zu. Selbst die Systempresse kann den Kausalzusammenhang zur industriellen Fleischproduktion nicht mehr leugnen. Ein erheblicher Teil des in den Verkehr gebrachten Fleisches ist heute bakteriell kontaminiert und damit eigentlich nicht zum menschlichen Verzehr geeignet..

    Nur der Kausalzusammenhang zwischen kapitalistischer Ökonomie und diesem Phänomen wird derzeit noch in den Massenmedien verschwiegen.

    Zu erwarten ist, dass medizinisch nicht beherrschbare Massenepidemien auftreten.
    Das Auftreten und die Verbreitung der EHEC-Infektionen in diesem Jahr gibt hier einen Hinweis.
    Erreger unterscheiden nicht zwischen dem Sozialstatus von Menschen.
    Auch Reiche werden an zunehmend an antibiotikaresistenten Infektionen sterben. Denn mögliche Übertragungswege sind vielfältig – nicht nur durch Nahrungsaufnahme – und es gibt keine speziellen Antibiotika für Reiche.

    Die einzige Möglichkeit zu einer Lösung ist die Neuorganisation des Wirtschaftsprozesses, jenseits von betrieblicher Profitlogik.

    Die genannten Probleme sind nicht kapitalismusimmanent bzw. in einem marktwirtschaftlichen System zu lösen. Nicht durch einen Mindestlohn, nicht durch ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, nicht durch eine höhere Besteuerung der Reichen. Etc.

    Die systemintegrierte Umverteilungslinke ignoriert diese Probleme.

    Nur im Rahmen einer Neuorganisation der Ökonomie durch ein neues, gemeinwirtschaftliches System ist eine Lösung möglich.

    Das werden auch immer größere Teile der Funktionseliten begreifen und die Notwendigkeit eines Systemwechsels einsehen.

    Die Plutokratie – jene rund 1000 Milliardäre und Multimilliardäre – und ihre privilegierten Geldverwalter, Polit-Marionetten und Ideologen wird man nicht überzeugen können.
    Ihr „harter Kern“ besteht aus einer verschwindend kleinen Minderheit, die umgeben sind von einer Schicht von korrupten Opportunisten. Die „Personaldecke“ ist aber dünn, wie man bei den politischen Talkshows beobachten kann, wo die immergleichen Figuren auftauschen.

    Die Macht der Mächtigen besteht im Wesentlichen aus Geldmacht, mit denen sie Teile der Funktionseliten korrumpieren, und in ihrer privaten Verfügung über die Massenmedien, mit Ausnahme des Internets. Auf diesem Wege steuern sie jene Polit-Marionetten, welche die entscheidenden Funktionsstellen im Staatsapparat besetzen.

    Die sogenannte 68-er-Bewegung wurde hauptsächlich von Intelligenzschichten getragen, die sogenannten Arbeiterschichten und ihre Organisationen – die etablierten Arbeiterparteien und Gewerkschaften – standen dieses Bewegung mit Unverständnis gegenüber und waren gegen diese ablehnend bis feindlich eingestellt.

    Entscheidende Impulse für eine Strukturrevolution werden aus den Intelligenzschichten kommen und entscheidenden Anteil an der Transformation werden jene Teile aus den gesellschaftlichen Eilten haben, die begriffen haben, dass dieses System keine Zukunft mehr hat, sondern sich immer mehr in Richtung einer Zivilisationskatastrophe bewegt.

    Was die Intelligenzschichten betrifft, so habe ich die wiederholt Erfahrung gemacht, das es einen entscheidenden Unterschied macht, wie sie in der Öffentlichkeit kommunizieren und wie sie tatsächlich denken. Während sie in der Öffentlichkeit das Bild eines apolitischen„homo ignorans“ abgeben, zeigt sich im vertraulichen Gespräch, dass sie durchaus politisch interessiert sind und dass bereits viele zur Erkenntnis gelangt sind, dass dieses System keine Zukunft mehr hat. In der Öffentlichkeit halten sie sich jedoch an das Gebot von „political correctness“.

    Ein wichtiger Punkt ist daher, politisch keine falschen Fronten aufzubauen. Was auch bedeutet, antiquierte und falsche Deutungsmuster marxistischer Provenienz zu kritisieren.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Die sogenannte 68-er-Bewegung wurde hauptsächlich von Intelligenzschichten getragen, die sogenannten Arbeiterschichten und ihre Organisationen – die etablierten Arbeiterparteien und Gewerkschaften – standen dieses Bewegung mit Unverständnis gegenüber und waren gegen diese ablehnend bis feindlich eingestellt.

      Das ist mir klar, denn schließlich wurde auch an ihrer Macht gerüttelt. Darum auch wurde der “Prager Frühling” mit Panzern verhindert.

      Übrigens wurden die Demonstrationen gegen Hartz IV von den Gewerkschaften, SPD, der damals noch PDS und der DKP von innen her ausgehöhlt und zerstreut. Ich habe das hautnah miterlebt! Spätestens hier ist mir klar geworden, dass *keine* Partei – egal welcher couleur, Interesse hat, das bestehende System zu verändern.

      Diese Erkenntnis und auch die Erkenntnis, warum das sozialistische System scheitern musste bewegt mich jedoch nicht dazu, alles in Bausch und Bogen abzulehnen, was jemals von Marx oder Lenin geschrieben wurde.

      Auch wenn das Beispiel mehr als hinken mag: Die Bibel sollte auch nicht in Bausch und Bogen verdammt werden, nur weil die etablierten Kirchen sie missbrauchen, um die eigene Macht über Menschen und Ressourcen zu erhalten.

      Ansonsten stimme ich mit Deinem Kommentar, sowohl in der Analyse als auch in der Schlussfolgerung überein. Übrigens hat auch Marx schon vorhergesagt: “Eines Tages wird es so wenig Arbeit geben, dass sich die Menschen darum prügeln werden.”

      Wenn wir uns jetzt noch darauf einigen können wirklich niemanden am Gestaltungprozess auszuschließen, was nicht heißen muss, dass es nicht jemanden gibt, die Ergebnisse des Gestaltungsprozesses in Worte gießt, so dass alle damit einverstanden sein können, dann sind wir im selben Boot.

      Jeremy’s Rifkins Denkansatz kenne ich bereits seit einiger Zeit und ich würde fast sagen, er ist der Vater der heutigen Bewegungen, denn wie er mal in einer Rede bei google sagte: Wir haben keine Zeit mehr und wir haben keinen Plan B. Hier eine Zusammenfassung seiner Idee (leider nur auf Englisch):

    • A.S. Flickering sagt:

      “Entscheidende Impulse für eine Strukturrevolution werden aus den Intelligenzschichten kommen und entscheidenden Anteil an der Transformation werden jene Teile aus den gesellschaftlichen Eilten haben, die begriffen haben, dass dieses System keine Zukunft mehr hat, sondern sich immer mehr in Richtung einer Zivilisationskatastrophe bewegt.”

      Diesbezüglich eine kleine Bitte zur Konkretisierung: Wenn in der 68-Bewegung verändernde Impulse von den sogenannten Intelligenzschichten ausgingen – ich nehme an, dass hier der universitäre oder auch der wissenschaftliche Bereich gemeint ist – welche Intelligenzschichten wären das heute? An den Universitäten und den wissenschaftlichen Instituten findet man sicher zahlreiche Stimmen für einen Strukturwandel, aber welchen Einfluss auf die Gestaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen haben diese Kreise heute? Oder reden wir von Leuten wie Gertrud Höhler, also einflussreichen Publizisten, Beratern und Mitgliedern von Think Tanks?

      Warum halten sich besagte Intelligenzschichten in der Öffentlichkeit an ein Gebot der political correctness. statt die Öffentlichkeit auf einen überfälligen Strukturwandel vorzubereiten? Wenn in besagten Kreisen also bereits Erkenntnis herrscht,dass sich grundlegend einiges ändern muss, verstehe ich nicht, warum das dann nicht auch öffentlich kommuniziert wird – von wem auch immer.

      Werden von den Intelligenzschichten angestoßene Veränderungen dann von Staatsseite implementiert werden oder werden die internationalen Großkonzerne damit beginnen, sich selbst in den Dienst der Menschheit zu stellen?
      Ich interessiere mich für das angedeutete Insiderwissen.

      Mir scheint es gegenwärtig so zu sein, dass die politische Klasse eher eines Weckrufes durch diese gerade im Wachstum befindliche soziale Bewegung bedarf. Ich sehe zumindest keine einflussreichen Eliten am Werk, welche die politische Klasse zu einer neuen Denkrichtung animieren würden. Aber vielleicht wissen andere, mit einem Zugang zum Spiel hinter den Kulissen, diesbezüglich anderes.

  34. ceterum censeo.2011 sagt:

    „Ein erheblicher Teil des in den Verkehr gebrachten Fleisches ist heute bakteriell kontaminiert und damit eigentlich nicht zum menschlichen Verzehr geeignet.“

    Dazu als Link;
    Vorkommen von gefährlichen MRSA-Erregern in Bayern
    http://www.anne-franke.de/wp-content/uploads/2011/09/MRSA-Antibiotika-110921.pdf

  35. A.S. Flickering sagt:

    @ ceterum censeo.2011

    Mir sind sämtliche Punkte, die Du auflistest vertraut – das geht sicher vielen so, weshalb vielleicht auch eine gewisse Hilflosigkeit in Anbetracht konkreter Ziele für eine Bewegung gegen das alte und für ein neues System besteht.

    Natürlich braucht es einen globalen Systemwechsel, der sicherlich nur durch die Instanzen implementiert werden kann, die im jetzigen System die Entscheidungs- und Gestaltungsmacht haben.
    Insofern gebe ich Dir auch recht, dass eine Revolution von unten nicht viel bringen kann, wenn es um grundlegende nötige Systemänderungen geht.

    Sicher wird es auch weiterhin spezialisierte Arbeitskräfte brauchen, egal in welchem System.
    Das Konzept der ressourcenbasierten Ökonomie, die ja auf den bereits vorhandenen technischen Errungenschaften und deren Weiterentwicklung aufbaut, erscheint mir wirklich realistisch machbar. Das Problem ist nur, dass die oben genannten Instanzen mit Entscheidungs- und Gestaltungsmacht keinerlei Bereitschaft zeigen, in eine solche Richtung auch nur denken zu wollen.

    Wenn Du diesbezüglich optimistisch bist, dass in den Sphären der Macht hinter vorgehaltener Hand durchaus die Notwendigkeit eines Systemwechsels erkannt wird, kann ich nur hoffen, dass dem tatsächlich so ist.
    Aber warum wird dann nach außen immer noch die Alternativlosigkeit des jetzigen zerstörerischen Systems gepredigt?

    Da Du vom Vorhandensein von Intelligenz in diesen Sphären ausgehst, die ich den Beteiligten auch keinesfalls absprechen will, werden jene, die öffentlich den Status Quo feiern und verteidigen, doch wissen, dass sie den Menschen damit nur Qual bereiten, sie in Angst und Schrecken halten, statt sie am Erarbeiten einer neuen Ordnung teilhaben zu lassen.
    Warum müssen denn die Völker dumm gehalten werden? Das ist sicher nicht in allgemeiner Philanthropie der Mächtigen begründet. Deshalb sehe ich bis zum Beweis des Gegenteils keine wirkliche Bereitschaft jener Instanzen zum Systemwechsel.

    Was ich gegenwärtig bei den Regierenden dieser Welt sehe ist ein hilfloses Buhlen um das Wohlwollen des staatenlosen Großkapitals. Von den Völkern wird nur gefordert: “Strengt euch an und nehmt allerlei Entbehrungen hin, damit uns das Großkapital gewogen bleibt.”
    Ich sehe zumindest auf Seiten der Regierungen keine Fähigkeit, über die Abhängigkeit von besagtem Großkapital hinaus zu denken – etwa dahingehend, nationale Strukturen für eine von internationalem Handel und von der Marktlogik unabhängige Grundversorgung (etwa durch staatlich finanzierte Nahrungsmittelkooperativen) der eigenen Bevölkerung zu entwickeln.

    Den allermeisten Menschen in den einstigen Industrienationen ist wohl klar, dass es nie mehr genug Arbeit für alle geben wird, was ja auch wahrlich keine Katastrophe ist – sofern ein menschenwürdiges Leben auch für jene garantiert ist, die eben keine Arbeitnehmer mehr sein können.
    Demgegenüber haben wir hier im Lande aber eine Kanzlerin, die immer noch die Vollbeschäftigung propagiert und alle anderen Szenarien als Träumerei abtut. Und dann haben wir eine Frau von der Leyen, die ihre Verachtung für Erwerbslose kaum verbergen kann und die meint, man bräuchte die ganzen Harz IV-Bezieher nur zu erziehen und zu disziplinieren und dann würde das schon irgendwie klappen mit der Vollbeschäftigung. Arbeit um wirklich jeden Preis ist doch immer noch das Credo innerhalb der Regierung, egal ob das nun eine SPD- oder eine CDU-Regierung ist. Wir haben ein gewaltiges Personalproblem. In anderen Ländern ist das nicht anders, wie man an Obama sieht, der auch nur hilflos versucht, mit Kosmetik am Status Quo herumzubasteln. Was unsere Regierungseliten betrifft, bin ich ehrlich gesagt sehr pessimistisch, weshalb sich auch die Frage stellt, ob in repräsentativen Demokratien jemals ein Systemwandel stattfinden wird. Deshalb glaube ich auch, dass die Menschen in kleinerem Rahmen versuchen müssen, sich möglichst unabhängig von Staat und Wirtschaft zu machen – etwa in privat organisierten Nahrungsmittelkooperativen.

    Die Chancen dieser neuen Bewegung sind sicher klein – es ist einer reine Artikulation von Unzufriedenheit und davon, dass wir alle wissen, dass es nur Märchen sind, die uns die Regierenden da erzählen – von der möglichen Vollbeschäftigung etwa oder von den lohnenden Anstrengungen und Entbehrungen, welche die Bürger zu ihrem eigenen Wohle hinzunehmen haben.

    Das müssen die Regierenden ja überhaupt erst einmal wahrnehmen – dass die Menschen eben nicht so stupide sind. Vielleicht tut sich dann ja mal wirklich was und es wird endlich über einen Systemwechsel geredet. Aber diesbezüglich bin ich wie gesagt pessimistisch.
    Besser als nichts ist diese Bewegung allemal, nicht im Sinne einer Revolution von unten – aber vielleicht im Sinne eines längst überfälligen Anstoßes, die Regierungen zu zwingen, sich die Notwendigkeit des Systemwechsels endlich einzugestehen und das auch ihren Bevölkerungen mitzuteilen.

    • Solveigh Calderin sagt:

      vielleicht im Sinne eines längst überfälligen Anstoßes, die Regierungen zu zwingen, sich die Notwendigkeit des Systemwechsels endlich einzugestehen und das auch ihren Bevölkerungen mitzuteilen.

      Ja. Allerding habe ich – ähnlich wie Du – die Befürchtung, dass die heute Regierenden (ich meine hier die Allgemeinheit, nicht einzelne Menschen darin) per se kein Interesse haben, das bestehende Machtsystem zu ändern – sie würden sich ja ihrer Macht selbst berauben!

      Die Verleumdung der vielen Millionen Menschen, die in der Zwischenzeit “von Arbeit befreit” sind, muss als Versuch des Machterhalts verstanden werden – Teile und Herrsche. Hetze jeden gegen jeden auf und “sie” (die blöden Menschen) bemerken nicht, dass es sich hier um einen grundsätzlichen Systemfehler handelt, das System als Ganzes also abgeschafft werden muss, um diese “Qual” zu beenden. Zu dieser Taktik gehört auch das Vertuschen der wirklichen Zahlen der Arbeitslosigkeit – man kann es auch ein Fälschen der Statistik nennen – die nach meiner Einschätzung weit höher als 9,1 % ist. Es gibt eine Enschätzung, dass der “soziale Frieden” ab einer Arbeitslosigkeit von 20 % “gestört” wird. Es ist also für die Herrschenden essentiell, diese Zahlen runterzurechnen. Jeder glaubt anhand der Zahlen: “So schlimm ist das alles doch gar nicht. Was die (Protestierenden, Arbeitslosen, etc.) nur wollen, die sind doch nur zu faul…” – die ewige alte Leier.

      Ich bin überzeugt, dass es notwendig sein wird, neue Strukturen – ich würde sie “Koordinierungsstrukturen” nennen wollen – zu schaffen, einfach weil die vorhandenen den neuen Umständen nicht unbedingt angepasst werden können – ich meine hier eher die Art und Weise des Besetzens der “lukrativen” Pöstchen und den damit verbundenen “Neben-“Verdienst in den diversen Aufsichtsräten der Unternehmen, wodurch die Korruption erzeugt wird. Das heißt nicht, die gesamte Verwaltungsstruktur zu zerstören, das wäre selbstmörderisch! Es ist nämlich genauso absurd, davon auszugehen, dass eine andere Gesellschaftsform ohne Koordinierung der notwendigen Arbeiten, Verteilung der Ressourcen, Organisieren notwendiger Arbeiten für die Gesellschaft (Infrasturktur) auskommen wird (um nur ein paar Aufgaben dieser Verwaltungsstrukturen zu nennen). Die Frage ist lediglich, wie diese Strukturen erzeugt werden, welche Befugnisse sie erhalten und wie sichergestellt wird, dass sie sich nicht verselbständigen und sich zu neuen Machtstrukturen entwickeln, die über den Rest der Menschen herrschen wollen.

      Ich sehe nur einen Weg dorthin: Es darf kein Privileg sein, diesen Verwaltungsstrukturen anzugehören, sondern es muss eine Arbeit wie jede andere sein. Nur das fachliche Können und die Integrität der Menschen darf Kriterium der Auswahl sein, aber nicht ein Parteibuch oder sonstige Zugehörigkeit zu irgendwelchen Gruppen oder Strömungen… und es muss verhindert werden, dass durch diese Arbeit andere Privilegien geschaffen werden (siehe oben).

      Die kleinen autarken Gruppen, von denen Du sprichst, mögen als Versuchsfeld dienen, solche Strukturen zu schaffen, ohne Korruption zuzulassen. Vielleicht stellen sie sich auch die Frage, ob ihre Erfahrungen auf größere Gesellschaften übertragbar sind?

  36. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin
    Spätestens hier ist mir klar geworden, dass *keine* Partei – egal welcher couleur, Interesse hat, das bestehende System zu verändern.

    Das ist die eine der zwei wichtigsten Erkenntnisse darüber, was regelmäßig zum Scheitern von emanzipatorischen Strömungen und Bewegungen führt.

    Parteien sind Apparate, die den kreativen Geist gefangen nehmen. Es sind Systeme, die eine Eigengesetzlichkeit haben, in welche sie die Individuen hineinzwängen und sie zu Gefangenen bzw. Lakaien der Partei machen. Und in den Parteien setzen sich „Aufsteiger“ durch, die nach gelungenem Aufstieg ihre gewonnene Macht und ihre Privilegien verteidigen und zum Teil eines reaktionären Establishments werden.

    Die wissenschaftliche Formulierung dieser Erkenntnisse ist bereits genau 100 Jahre alt. Vgl. Robert Michels: Zur Soziologiedes Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens (1911).

    Da ist nicht nur die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrreich.

    Sondern auch das Scheitern der 68-er-Bewegung, die von ihrem Wesen her eine kulturrevolutionäre war, ist entscheidend auf die Bildung von Parteien zurückzuführen, welche diese Bewegung spalteten und in Sackgassen führte.

    Weitere Beispiel sind die Geschichte der Grünen und in letzter Zeit die Geschichte der WASG.

    Die Fixierung auf eine Parteigründung zerstörte die kreativen und kommunikativen Prozesse – das geistige Leben – in der WASG-Strömung und führte zur Sackgasse in Form der Linkspartei, welche inzwischen wieder nichts weiter ist als eine normale Partei; in deren Zentrum nichts weiter steht als der Zugewinn von Stimmen in den nächsten Wahlen mit dem Ziel einer Regierungsbeteiligung.

    Die zweite entscheidende Sackgasse für emanzipatorische Bewegungen ist die Ausrichtung auf Gewaltstrategien als Mittel politischer Veränderung. Das führt in eine Kriegslogik, welche jede emanzipatorische Bewegung scheitern lässt.

    In Westdeutschland begann es mit den „Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968“ (s. Wikipedia) und setzte sich fort mit der Gründung von Gruppen, die einen „bewaffneten Kampf“ führen wollten. Nicht zufällig wurden die Waffen von Agents provocateurs aus den Reigen der Geheimdienste geliefert (vgl.
    Bommi Baumann: Wie alles anfing).

    Cohn-Bendit war übrigens ein „Totengräber“ der 68-er-Bewegung.
    Der turnte schon wichtigtuerisch und großsprecherisch beim „Frankfurter Brandstifter-Prozeß“ herum und wurde von vielen kritischen Leuten danach als Teil der linken Terrorszene angesehen.
    Warum kam er damals strafrechtlich völlig unbehelligt davon?
    Oben im Video sieht man diesen großmäuligen, egozentrischen Selbstdarsteller.
    Nicht zufällig war er in diesem Jahr einer der Befürworter und Scharfmacher für den NATO-Krieg gegen Libyen.

    Eine andere Figur aus der linken Terrorszene ist jener Joschka-Fischer, der – filmdokomentiert – an einem Mordanschlag mittels Molotowcocktails auf Polizeibeamte beteiligt war und dann ganz überraschend aus der U-Haft entlassen wurde. Und dann später einen Aufstieg in höchste Staatsämter machte. Warum wohl? Was liegt näher als der Schluss, dass er schon längst die Fronten gewechselt hatte?

    Beides – Parteigründungen und Gewaltstrategien – zerstören jede emanzipatorische Bewegung.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Ich bin mit Dir vollkommen einverstanden!

      Zu Deiner zweiten wichtigsten Erkenntnis bin ich durch Nachdenken gekommen und habe das für mich in die Worte gefasst: “Es ist nich möglich, dass ich mich bluttriefend auf einen Berg von Leichen stelle und von hier aus behaupte, ich würde nun eine bessere, humanere Gesellschaft erschaffen.” (Denn ich habe mich durch diese Gewalt längst selbst korrumpiert und entmenschlicht).

      Es bleibt ständige Aufgabe, der Gewalt von Seiten der heute Herrschenden (und die wird es ganz bestimmt geben, wie New York zeigt – und da wurde die Polizei mal eben schnell eingekauft, um dem “Spuk” ein schnelles Ende zu bereiten!) in bester Gandhi Manier Gewaltlosigkeit entgegenzusetzen. Ich hoffe sehr, dass es gelingt. Das ist, wie Du schreibst, essentiell für einen möglichen wirklichen Wandel der Gesellschaft.

      Wir können auch davon ausgehen, dass versucht wird – wie in den 68ern – die beginnende Umwälzung von innen her auszuhöhlen durch Individuen, die entweder wieder auf den Weg der Parteien locken oder die Gewalt als unverzichtbares Mittel proklamieren.

      Joscka Fischer war mir übrigens von Anfang an suspekt – ich habe sehr früh seinen Siegelring gesehen. Jesuitenschüler.

      Meine Mutter äußerte, als er seine Rede im Bundestag hielt und die kleine Kiefer dabei hatte: “Das ist der Hitler von morgen, der will es genau wie der allen Recht machen und hat doch nur Macht und Herrschen im Sinn.” Nun ja, so ganz weit weg von dem, wohin er sich dann entwickelte, war sie mit ihrer Analyse ja nicht… Befürwortung und direkte Beteiligung am Jugoslawienkrieg, Beteiligung am Krieg in Afghanistan sind einige Stichpunkte seiner segensreichen Politik als Außenminister der BRD. Seine heutige Tätigkeit als Berater eines der größten Energiekonzerne runden dieses Bild dann nur noch ab.

  37. ceterum censeo.2011 sagt:

    @A.S. Flickering

    Im Augenblick erscheint das gesellschaftliche Establishment als homogen, weil von dort keine oder nur wenige Impulse zur gesellschaftlichen Veränderung kommen.

    Wobei der Bürgerprotest, wie bei Stuttgart 21, zeigt, dass es auch dort schon Widerstand gegen die gesellschaftliche Entwicklung gibt, wenngleich noch nicht als Systemkritik.

    Jene Menschen, die durch ihr Wissen und Können höhere und führende Positionen in den gesellschaftlichen Hierarchien einnehmen, stehen vor dem Problem, dass sie sich nicht trauen, ihre Kritik öffentlich zu äußern, weil sie sich Konformitätszwängen ausgesetzt sehen und nicht in eine Dissidentenrolle hineingeraten wollen und von Exklusion bedroht zu werden.

    Diese Exklusionsprozesse sind gesellschaftliche Realität.

    Ein(e) Systemkritiker(in) hat heute keine Chance, eine Professur zu erhalten, als Journalist(in) bei den Systemmedien tätig zu werden, beim Fernsehen eine Job zu erhalten, in der Bürokratie oder im Rechtswesen aufzusteigen oder ins leitende Management eines Betriebes zu gelangen.

    Diese Menschen betreiben Mimikry, auch wenn sie selbst zu einem anderen Bewusstsein gelangt sind.

    In den Führungspositionen der etablierten Parteien finden sich nur Systemapologeten.

    Das ist doch längst ähnlich wie in der DDR.

    Und ganz oben herrschen mafiöse Strukturen. Wer dort ausschert, riskiert sein Leben. Wie John F. Kennedy, Alfred Herrhausen, Aldo Moro – um nur einige zu nennen.

    Das ist gesellschaftliche Realität.

    Wenn jemand diese gesellschaftliche Realität thematisiert, dann kommt sofort der Vorwurf: „Verschwörungstheoretiker!“

    Aber in der Gesellschaft gibt es Gegenbewegungen.

    Wer wusste vor 10 Jahren etwas über das „fiat-money-system“? Oder dass der Kapitalismus ein „Ponzi-System“ ist und die FED eine private Bank im Besitz der Plutokratie? Wer wusste, dass Staatschulden ein Mittel der Umverteilung von unten nach oben sind? Usf.

    Diese Aufklärung haben wir gebildeten und mutigen Individuen zu verdanken, die im Internet oder in Büchern publizieren.

    Es gibt auch eine Vielzahl praktischer Projekte, die in diesem Thread bereits angesprochen wurden, welche in Richtung kommunaler oder regionaler Autarkie gehen.

    So schreibst Du oben:
    Als Chance bleibt nur, sich die Eliten selbst zu überlassen und das System dadurch zu schwächen, dass man sich möglichst autark macht und damit weniger unterdrückt und weniger erpressbar wird. Das geht am besten in überschaubaren Gemeinschaften.

    Wo dies realisierbar ist, ist dies auch aus meiner Sicht ein sinnvoller Weg.

    Andere Menschen haben bereits „mit den Füßen abgestimmt“, indem sie auswanderten.
    So haben beispielsweise die Demonstrationen der Ärzte für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne überhaupt nichts bewirkt. Aber als dann tausende von ihnen ins Ausland gingen und es zu einem Ärztemangel kam, erst dann sahen sich Arbeitgeber und Regierungen veranlasst, bessere Bedingungen anzubieten.

    Wir befinden uns in einer globalisierten Welt mit gegenläufigen Entwicklungen
    In Asien, in Russland, in Brasilien geht es aufwärts, in den erzkapitalistischen Ländern wie USA und Großbritannien geht es abwärts. Die Obama-Administration hat keinen „Change“ eingeleitet, obgleich es ihr proklamiertes Ziel war.

    Weiter schreibst Du:
    Aber im Endeffekt wissen wir wohl alle, dass wir eh erst zu besseren Lebensbedingungen kommen können, nachdem die jetzigen Eliten ihr gesamtes Pulver verschossen haben werden – und das meine ich leider im wörtlichen Sinn.

    So ist es. Die alten Herrschafts- und Machtstrukturen müssen erst „verfaulen“, also gesellschaftlich dysfunktional werden und damit schwach werden. So wie es im Ostblock geschah.

    Das kapitalistische Imperium befindet sich in einem unaufhaltsamen Prozess der Selbstzerstörung. Das diktatorische Stadium aka Wirtschaftsdiktatur ist nur ein Übergangsstadium, es verliert ständig an Konsens auf Seiten der Bevölkerungen.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Das ist doch längst ähnlich wie in der DDR.

      Genau

      Andere Menschen haben bereits „mit den Füßen abgestimmt“, indem sie auswanderten.

      Auch das eine Erscheinungsform wie vor dem endgültigen Zusammenbruch der DDR.

      In Asien, in Russland, in Brasilien geht es aufwärts

      Nach den mir möglichen Beobachtungen jedoch mit starken sozialen Verwerfungen. Unvorstellbare Armut auf der einen und unvorstellbarer Reichtum auf der anderen Seite – das ist Zündstoff! “Es geht [ökonomisch] aufwärts” kann – wie wir hier in Europa gerade erkennen – nicht ausschließlich an den ökonomischen Kennziffern gemessen werden.

      So ist es. Die alten Herrschafts- und Machtstrukturen müssen erst „verfaulen“, also gesellschaftlich dysfunktional werden und damit schwach werden. So wie es im Ostblock geschah.

      Das kapitalistische Imperium befindet sich in einem unaufhaltsamen Prozess der Selbstzerstörung. Das diktatorische Stadium aka Wirtschaftsdiktatur ist nur ein Übergangsstadium, es verliert ständig an Konsens auf Seiten der Bevölkerungen.

      Ja. Viele haben das in der Zwischenzeit erkannt. Die ungehinderte und unkontrollierbare Verbreitung der Informationen durch das Internet und die logische Konsequenz daraus in Form von Wikileaks nehmen da eine herausragende Stellung im Erkenntnisprozess ein.

      Allerdings würde ich “Wirtschaftsdiktatur” mit “Diktatur der Finanzoligarchie” ersetzen, denn die hat die Wirtschaft im gleichen Maße zerstört wie sie die sozialen Strukturen der Gesellschaft zersört. Sie (die Finanzoligarchie) erschafft den unaufhaltsamen, sich immer schneller vollziehenden Niedergang und die Auflösung des gesamten gesellschaftlichen Gefüges, dass sie doch zu beherrschen glaubt.

  38. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin
    Allerdings würde ich „Wirtschaftsdiktatur“ mit „Diktatur der Finanzoligarchie“ ersetzen, denn die hat die Wirtschaft im gleichen Maße zerstört wie sie die sozialen Strukturen der Gesellschaft zersört. Sie (die Finanzoligarchie) erschafft den unaufhaltsamen, sich immer schneller vollziehenden Niedergang und die Auflösung des gesamten gesellschaftlichen Gefüges, dass sie doch zu beherrschen glaubt.

    Empirisch-oberflächlich betrachtet, scheint dies so.

    Aber die weit verbreitete Meinung, dass das böse Finanzkapital – insbesondere die Bankster in „Wallstreet“ und „London City“ – schuld sei an dem wirtschaftlichen Niedergang, ist falsch und irreführend.
    Das ist das gleiche, falsche Deutungsmuster, wie die Unterscheidung in ein „raffendes Kapital“ und ein „schaffendes Kapital“.

    Der Kapitalismus ist ein System, welches ein arbeitsfreies Einkommen durch Eigentum an Geld ermöglicht. Der Kapitalist lässt „sein Geld arbeiten“, was natürlich ökonomisch Unsinn ist, da Geld nicht arbeitet.

    Jede Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums erfolgt einzig durch menschliche Arbeit. In dieser Analyse ist Marx nach wie vor hochaktuell.

    Der Kapitalist setzt sein Geld dort ein, wo er meint, dass es ihm den größten Profit bringt, die gesellschaftlichen Folgen sind ihm gleichgültig.

    Solange entsprechende Profite in der Realwirtschaft zu machen sind, investiert der Kapitalist dort. Ist dies nicht mehr oder nur noch zum Teil möglich, dann entsteht der Kasinokapitalismus. Seine Funktion ist, die Möglichkeit einer Geldvermehrung für die Kapitalisten zu schaffen, welche – mangels realwirtschaftlichen Wachstums – nur durch eine Umverteilung des vorhandenen(!!!) Vermögens auf Seiten der Bevölkerungen auf dem Wege von „Finanzoperationen“ und „Finanzkonstrukten“ zu realisieren ist.

    Der „Finanzkapitalismus“ ist nichts weiter als ein durch die Eigenlogik des Kapitalismus bedingtes Stadium des Kapitalismus, welches durch „Umverteilung“ von „unten“ nach „oben“ gekennzeichnet ist, wobei es aber die „Mitte“ relativ am stärksten trifft, denn dort ist noch am meisten zu holen.

    Zu diesen „Finanzoperationen“ zum Zwecke der Umverteilung gehört insbesondere die Staatsverschuldung, welche die Bevölkerung – mittels staatlicher Kreditaufnahme – zu Gläubigern und damit zu Schuldnern macht. Es ist eine Methode der Enteignung insbesondere der Mittelschichten.

    Jener Teil des Kapitals, welcher realwirtschaftlich investiert ist, versucht mit seinen – betriebswirtschaftlichen – Methoden eine entsprechende Profitrate zu realisieren, indem er die Menschen immer intensiver und länger arbeiten lässt für immer weniger (Real)Lohn. Daraus resultiert dann der „Terror der Ökonomie“ in der Arbeitswelt.

    Beides – die Steigerung des „Terrors der Ökonomie“ in der Arbeitswelt und die Ausweitung des Kasinokapitalismus – laufen parallel, es ist ein System, dessen Zweck es ist, ein arbeitsfreies Einkommen für die Vermögensbesitzer zu generieren.

    Zum Teil handelt es sich um eine tragikomische Geschichte. Jene Mittelschichten, die „Schwarz-Gelb“ gewählt haben, weil sie glaubte, die würden eine “Politik für die Mitte“ – und zwar mit gnadenlosen Sozialkürzungen gegen die Exkludierten – machen, werden mit dem Schwindel der „Rettungsaktionen“ gnadenlos enteignet.

    Wer anderen eine Grube gräbt bzw. graben will …

    • Solveigh Calderin sagt:

      Ich danke Dir, @ceterum censeo, dass Du mich darauf aufmerksam machst, wie wichtig es ist, genau zu formulieren, denn natürlich kennst Du meine Gedanken hinter meinen Formulierungen nicht.

      Ich wollte die “Wirtschaftsdiktatur” in “Diktatur der Finanzoligarchie” umbenannt wissen, eben weil ich die (alleinige) “Wirtschaftsdiktatur” durch die “Diktatur der Finanoligarchie” nicht vollständig aber zu einem großen Teil abgelöst sehe, da die höchsten Profite heute nicht mehr aus der lohnabhängigen Arbeit (lies dem Schaffen und Verkaufen von Produkten), sondern einfach aus dem Nichts heraus generiert werden, wie Du treffend beschreibst. Selbstverständlich ist mir auch klar, dass beide Formen nebenher bestehen, jedoch ist die Diktatur der Finanzoligarchie heute deutlicher als die der Wirtschaftsdiktatur.

      Ein gutes Beispiel für die noch bestehende “Wirtschaftsdiktatur” ist die auf Hochtouren laufende Kriegsproduktion (die Deutschland z.B. die “guten” Exportzahlen beschert!), die genau wie die “Kasinomentalität” der Finanzoligarchien die Kraft aus der zivilen Ökonomie zieht und die Menschen dadurch in die Armut treibt. Nein, ich bin keine Anhänger des “schaffenden vs. raffendes Kapitals”, kann aber die Zusammenhänge nicht anders ausdrücken. Natürlich folgt auch die Kriegsproduktion den Gesetzen des Profites – also niedrige Kosten durch längere Arbeitszeiten und niedrige Löhne, Übernahme weiter Teile der Produktion durch Maschinen und Nutzen des Heeres der Arbeitslosen als Erpressung für die “noch” Arbeitenden, um die Löhne noch weiter zu drücken und die Arbeitszeiten noch weiter auszudehnen, etc. Ich denke wir haben beide den “Terror der Ökonomie” gelesen.

      Wer spricht schon von den Riesengewinnen, die aus jedem Krieg – der Produktion der Kriegsgüter und deren Verbrauch gezogen werden. Die Kosten dieser Kriege sind natürlich auch von den Menschen insgesamt zu bezahlen – über Steuern, Abgaben, etc., wobei heute der Name “Kriegsanleihe” tunlichst vermieden wird, während die Gewinne ausschließlich von den beteiligten Konzerne eingestrichen werden. Wer spricht heute von den Kriegen, die ausschließlich um der Profitmaximierung willen geführt werden? Ich halte die Begründung für das Führen der Kriege wegen der Dominanz über die (Energie-)Ressourcen für fragwürdig, denn die Technologien, andere (Energie-)Ressourcen zu nutzen sind bereits entwickelt. Sie schmälern aber natürlich den hohen Profit der Energiekonzerne enorm, oder verhindern sie fast vollständig. Darum werden diese Technologien unter Verschluss gehalten, der Lächerlichkeit Preis gegeben, diffamiert, als “spinnert” abgetan, damit mit Hilfe der alten Energie-Ressourcen a) Kriege geführt werden können und b) bei diesen Kriegen in Massen verbraucht werden, was notwendig ist, um die Profite zu generieren. Dass dabei die umkämpften Energie-Ressourcen verbraucht und vernichtet werden, zeigt die Schizophrenie der Kriegsbegründung und des ganzen Systems. Ganz abgesehen von den hohen menschlichen Verlusten, die – davon bin ich fest überzeugt – nicht veröffentlicht werden, um in der Öffentlichkeit den Eindruck von “lokalen kleinen Konflikten” zu erhalten.

      Zusätzlich entsteht durch die Kriege der Effekt der künstlichen “Verknappung” der Energieressourcen, was Preissteigerungen = Profitsteigerungen erlaubt, denn die Kosten der Herstellung bleiben natürlich die selben.

  39. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Solveigh Calderin

    Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Aspekt, nämlich Krieg als „Geschäftsmodell“ des militärisch-industriellen Komplexes, wo es gar nicht darum geht, den Krieg zu gewinnen, sondern um einen „Verbrauch“ von Rüstungsgütern.

    Daher wird versucht, derartige Kriege möglichst lange laufen zu lassen.

    Der Vietnam-Krieg ist ein erstes, typisches Beispiel dafür.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Weitere sind Afghanistan, Irak, Israel – Palästina (läuft seit den 60er Jahren!!!), und der gesamte “Weltweite Krieg gegen den Terror”, der am 9. September 2001 begann. Das “Schlüsselereignis” zur Begründung dieses Krieges ist dem Ereignis des Sender Gleiwitz gleichzusetzen, wobei dieser “Kriegsgrund” im Verhältnis harmlos gegen 9/11 wirkt (von der Anzahl der Toten bei diesem fingierten Anschlag). Übrigens war 9/11 für einige Unternehmen selbst ein Riesengeschäft, man nennt das auch “heiße Sanierung”. Was zählen da schon so ein paar tausend Menschenleben?

      Neuerdings kam Libyen dazu, gegen Iran wird gehetzt und Pakistan scheint nun, da sich die USA aus Afghanistan zurückziehen – natürlich nicht, ohne bewaffnete Kräfte auszubilden und auszurüsten, so dass der dortige Krieg ohne offene Beteiligung der USA hübsch weiter geführt werden kann und der Dollar auch weiterhin rollt – ebenfalls ein mögliches Kriegsland zu sein, wenn ich der Kriegshetze so zuhöre.

  40. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Masereel et al.

    Inzwischen habe ich mir das Video der Diskussion mit Dutschke, Cohn-Bendit et al. noch einmal angeschaut, das letzte Mal liegt schon sehr lange zurück, ich denke, es war 1998.

    Dieses Video sollten sich alle als „Lehrfilm“ anschauen, welche gesellschaftliche Veränderung anstreben, insbesondere jene, welche eine „Strategie der Straße“ intendieren. Die Diskussion über diese Strategie wäre allerdings ein gesondertes Thema.

    Ich möchte mich auf einige zentrale Aspekte beschränken, zumal ich nicht weiß, inwieweit überhaupt ein Bedürfnis nach Diskussion darüber besteht. Zudem wäre eigentlich für eine Diskussion über das Video ein eigener Thread sinnvoll.

    Aber weil dieses Video in einen Thread mit den Titel: „Was ist heute revolutionär?“ eingebracht wurde, sollte es nicht gänzlich undiskutiert bleiben, gerade weil es ein wichtiges Dokument ist, aus dem einiges zu lernen ist.

    Dutschke und Cohn-Bendit argumentieren dort vehement gegen die These, dass die 68-er-Bewegung gescheitert sei, sondern meinen, dass sich diese Bewegung sich außerparlamentarisch sowie in parteilich institutionalisierter Weise – und zwar in der Partei der Grünen – in Form einer öko-sozialistischen Bewegung fortsetzen würde. Letzteres wird im Video zwar nicht so explizit ausgesprochen, wie es von mir hier formuliert ist, aber wer die politischen Diskussionen in der damaligen Zeit verfolgt hat, weiß, dass es darum ging.

    Tatsächlich sind die Grünen sehr schnell von einer öko-sozialistischen zu einer öko-kapitalistischen und später neo-liberalen Partei mutiert.

    Insgesamt kann man die These aufstellen, dass ein großer Teil dieser „68-er-Generation“ links begonnen hat und rechts gelandet ist, nicht wenige beim neoliberalen Sozialdarwinismus und einige sogar beim neo-nazistischen Rechtsextremismus.

    Da ist eine politische Generation „umgekippt“. Die 68-er-Generation ist weitgehend zu einer „Generation der Konvertiten“ geworden.

    Ob bewusst oder unbewusst intendiert, die Entwicklung der grünen Partei erweist sich aus der Retrospektive als eine Art „Resozialisierungsprojekt“.

    Was im Video deutlich wird, ist, dass exponierte 68-er – wie Dutschke und Cohn-Bendit – damals gesellschaftlich exkludiert waren, und zwar durch wirtschaftliche Exklusion vermittels von „Berufsverboten“.

    Für viele der derart Exkludierten, ob eher anarchistisch orientiert, wie z. B. Mitglieder der Gruppe „Revolutionär Kampf“, oder ob in den sogenannten K-Gruppen organisiert, war die grüne Partei eine Chance, ihre Exklusion zu überwinden und gesellschaftlich ins Establishment bis hin zu höchsten Positionen aufzusteigen. Diese sammelten sich dann zahlreich im „Realo-Flügel“ und übernahmen die grüne Partei, und zwar mit dem primären Ziel ihres persönlichen Aufstiegs.

    Wie alle Konvertiten mussten sie ihre früheren Positionen als falsch darstellen, sich selbst als geläutert und gereift „vermarkten“ und das Loblied auf den Kapitalismus und die „Zivilgesellschaft“ singen. Sie erfanden das „rot-grüne Projekt“, mit dem sie ihre gläubige Anhängerschaft an der Nase herumführten. Wobei letztere ein Bedürfnis danach hatten, wollten sie selbst doch nichts mehr von Kapitalismuskritik wissen und das Leben eines grünen „homo ignorans“ führen.

    Geblieben ist bei Leuten wie Fischer und Cohn-Bendit ihre 68-er-Rhetorik, wo sie sich selbst als die „guten Menschen“ und ihre Kriegsbefürwortungen als humanitäre Notwendigkeit darstellen, angefangen beim Jugoslawienkrieg bis heute beim Libyen-Krieg.

    Zum o. g. Video sollte man sich daher den heutigen Cohn-Bendit anschauen:

    Wenn aus der Retrospektive die Exklusionsprozesse bei der 68-er-Generation betrachtet werden, so kommt man bei objektiver Analyse m. E. nicht darum, dass diese zu einem erheblichen Teil selbstverschuldet war, weil diese Bewegung keine bzw. kleine klaren Grenzen gezogen hat, und zwar weder gegen die Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung noch gegen politische Gewalttäter und Terroristen.

    Die historische Lehre daraus ist, dass sich eine emanzipatorische Bewegung nicht exkludieren lassen darf und klare Grenzen ziehen muss.
    Ansonsten produziert sie jene Konvertiten, dann zu Zerstörern und Totengräbern dieser Bewegung werden.

    • Masereel sagt:

      @CeterumCenseo:
      Ich kann gerade nur kurz eingehen, bin etwas knapp in der Zeit. Ich habe die weitere Diskussion hier im Kommentarbereich die letzten Tage weiter verfolgt, mitgedacht und einiges dabei gelernt oder nochmal klarer bedacht; in vielerlei Hinsicht hat sich der Dialog in meinem Kopf mit dem zwischen Euch dreien (hauptsächlich) gespiegelt – was mir beim Lesen des einen Posts durch den Kopf ging fand ich meist im nächsten angesprochen, und generell viel kompexer/klarer auf den Punkt gebracht als ich das selbst hingekriegt hätte (ich denke, ich schreibe selbst eher allgemein, vielleicht kann man sagen, eher aus dem Gefühl raus, mit allen potentiellen Nachteilen die das sicherlich birgt) – insofern, bitte mein Heraushalten nicht als Desinteresse/Verabschiedung missverstehen (falls so geschehen)…

      Ich stimme Deiner Analyse zu, vor allem was die nicht erfolgte oder misserfolgte Abgrenzung betrifft. Ich kann nicht beurteilen, wie sich das ‘damals’ im Moment selbst angefühlt hat, ich war da noch nicht geboren und habe eine ähnliche Situation gleichen Ausmaßes bisher noch nicht erlebt. Ich finde es gut und wichtig, daß Du darauf hinweist (und andere auch; aber ich beziehe mich jetzt hauptsächlich auf den Kommentar hier von Dir, da Du Dich ja auch direkt (u.a.) an mich gewandt hast) und warnst; denn es scheint mir, das läßt sich ziemlich auf alle Situationen beziehen, in denen ein Umbruch scheiterte oder eine Bewegung in sich zerfiel – und bleibt somit immer eine Gefahr. Ich denke gerade zBsp an den Streit über Mitarbeit in der Regierung bei den Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg, das war eine ähnliche Situation, in der einerseits theoretisch die Position doch immer klar gewesen war und dann trotzdem plötzlich in Frage stand in gewissen Kreisen, bedingt eben durch die Entwicklungen. Es gibt etliche Beispiele, die Du ja auch benannt hast, und die sicher auch unter den ’68ern’ bekannt waren, oder wo man denken würde, das hätten die doch sehen müssen. Umso mehr unterstreicht es Deine Überlegungen dazu. Darum ging es mir an sich (u.a.) auch in meinem ersten Kommentar oben, in dem ich das Video postete und von der Gefahr schrieb, überstürzt zu agieren und dabei in Richtungen geraten, die man eigentlich hatte meiden wollen.

      Ich merke aber auch an mir selbst, daß das schnell gehen kann wenn man auch nur kurz nicht aufpasst (wobei ich mir mit der Aussage nicht dafür automatisch in aufmerksameren Moment eine besondere Klarheit anmaßen will). Es ist ein permanenter Lernprozess, und es schmerzt im Nachhinein zu merken, wenn man auf dem Holzweg war (vor allem, wenn die Erkenntnis im Nachhinein sich mit der von Vorher auch noch deckt). Aber immerhin besser, als es nicht zu bemerken/beachten. Und wertvoll, wenn man mit Menschen ist, denen das auffällt und einen darauf hinweisen können.

      Zur Person Cohn-Bendit, bleibt nichts zu sagen als wiederum ‘Ja’, auch wenn ich mir dabei langsam blöd vorkomme ;) Ist aber so, mein Kommentar war da ziemlich undifferenziert. Das ZDF-Video kannte ich, und hab auch andere von ihm gesehen, mit ähnlichem Effekt.

      “Die historische Lehre daraus ist, dass sich eine emanzipatorische Bewegung nicht exkludieren lassen darf und klare Grenzen ziehen muss.
      Ansonsten produziert sie jene Konvertiten, dann zu Zerstörern und Totengräbern dieser Bewegung werden.”

      Wie würdest Du das denn in den derzeitigen Bewegungen angehen (kein polemische Frage!)? Ich kann Deinen Gedanken durch die Posts durch folgen, aber am Ende bleibt die (wohl realistische) Feststellung, daß es weder durch die Institutionen, noch ausserhalb der Institutionen einen (oder besser vielleicht: den) Weg gibt, jedenfalls nie ohne Stolpersteine und fiese Gabelungen. Hm. Okay, das springt wieder ganz nach oben, zur Frage nach einer Road-Map, nach einer klareren Positionierung, die uns nun schon ein paar Tage lang hier beschäftigt hat.

      • Solveigh Calderin sagt:

        Ganz salopp und etwas ironisch könnte man sagen: “Der Weg ist das Ziel” – allerdings ist dieses Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, denn vorher heißt es, dass Du Dein Ziel bestimmen musst (sonst verlierst Du nämlich die Richtung). Aber dann – nach der Zielbestimmung – gibt es keinen festgelegten, ausgetretenen Pfad. Wir müssen uns selbst einen Weg bahnen – das ist dann “Der Weg ist das Ziel”, denn der ist – wie Du vollkommen richtig sagst – ein ständiger Lernprozess. Was heute richtig ist, kann morgen schon falsch sein! Und darin liegt natürlich auch die Gefahr der Fehler und des Scheiterns. Jedoch: Wir lernen nur durch unsere Fehler und unser Scheitern. Es ist also nichts Schlimmes. Nichts und niemand ist perfekt!

        Gerade, weil wir bisher immer nur ausgetretene, alte Pfade, von denen wir ja wissen, dass sie in die falsche Richtung führen, benutzen, kommen wir ja nicht vorwärts, sondern drehen uns wie irre immer im Kreise und es scheint, als würden wir zwanghaft versuchen, “ein neues, besseres Ergebnis zu erreichen, indem wir dauernd den selben Mist wiederholen.” Das ist übrigens eine Definition, die ich neulich irgendwo gelesen habe und die ziemlich genau den Zustand unserer Gesellschaft beschreibt. Außerdem ist es auch die Beschreibung einer psychischen Krankheit, bei der Menschen zwanghaft ständig die selben Verhaltensmuster wiederholen. Und dieses Attest würde ich auch der Gesellschaft, in der wir heute leben ausstellen: geisteskrank, irre.

        Aus meiner eigenen Erfahrung:

        Wir durften am Ende der DDR für etwa acht Wochen (vom 6. November 1989 bis Januar 1990, als die Wahlpropaganda mit dem Geld der BRD begann) Demokratie von unten ausprobieren: Die Runden Tische. Die Aufgaben und Zielstellungen wurden in den Gemeinden gesammelt und diskutiert, Übereinstimmung erzielt. Jede Partei und Gruppierung hatte “Gesandte” an den “Runden Tischen”. Hier wurde das, was aus der Bevölkerung zusammengetragen wurde, besprochen und auf Machbarkeit geprüft. Was regionalen Charakters war, wurde – wenn möglich und/oder nötig – sofort umgesetzt. Was überregional war, wurde an den nächst “höheren” “Runden Tisch” weitergegeben. Da die selbe Prozedur, bis die Themen, die das ganze Land betrafen, am zentralen “Runden Tisch” angekommen war, die natürlich auch eigene Themen hatten, von den sie annahmen, dass sie alle interessieren würden – der ganze Prozess von “oben” nach “unten” zur Willensbildung und dann zur Entscheidung wieder von “unten” nach “oben”. Alles war öffentlich, jeder konnte am “Runden Tisch” teilnehmen und/oder sich einbringen. Die Vertreter der Parteien und Gruppierungen hatten – unabahängig von ihrer (zahlenmäßigen) Stärke – EINE Stimme, die bei den Abstimmungen gezählt wurde. Das schönste an dieser Sache war, dass es funktionierte! Innerhalb dieser acht Wochen wurde vieles erreicht!

        Das durfte aber natürlich keine Schule machen. Wäre ja noch schöner!

        Mir hat diese kurze Zeit echter Demokratie gezeigt, dass sie a) tatsächlich funktioniert und b) sich selbst organisierende Systeme die einzigen sind, die grantieren, dass die Interessen der Mehrheit der Menschen für Entscheidungsfindungen in einem Land/Staat berücksichtigt werden. ALLE Interessen werden wohl nie berücksichtigt werden können, oder?

  41. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Sebastian Müller 11. Oktober 2011 um 02:53
    Viele deiner obigen und noch folgenden Ausführungen kann ich nur bestätigen bzw. teilen. Aber an manchen Stellen musste ich doch stutzen ….

    Es geht hierbei um die sozialdemokratische Illusion, eine Systemtransformation über das Erringen einer parlamentarischen Mehrheit erreichen zu können oder zumindest den kapitalistischen Gesellschaftsprozess im Interesse der Allgemeinheit GEGEN die Macht der Plutokratie steuern zu können.

    Von Seehofer ist der Spruch übermittelt: „Wer gewählt wird hat nicht die Macht, wer die Macht hat, wird nicht gewählt.“

    Eine Wahl zu gewinnen ist das eine, die tatsächlichen gesellschaftlichen Machtverhältnisse sind das andere.

    Allgemein könnte man die Frage stellen, ob Gesellschaftsveränderungen vermittels Wahlen GEGEN die Interessen des Kapitals möglich sind?

    Für Deutschland ist diese Frage jedoch lediglich eine theoretische.

    Eine linksrevolutionäre Partei hat in der deutschen Geschichte noch nie eine parlamentarische Mehrheit gewonnen. Eine politische Konstellation wie in Chile bei der Allende-Regierung gab es in Deutschland noch nie.
    Die SPD hat noch nie eine Politik gegen die Interessen der Herrschenden gemacht, egal was sie vorher alles an Sozialismus und Friedenserhalt ihren Parteimitgliedern und Anhängern versprochen hat.

    Auf die Politik der SPD während der Weimarer Republik, angefangen mit der Niederschlagung der deutschen Revolution, ihre Rolle als „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ bis hin zur kampflosen Kapitulation vor den Nazis, kann ich hier nicht eingehen. Zudem ist dies nur noch von historischem Interesse.

    Zu 1969ff ist nur anzumerken, dass die SPD nicht ihr Parteiprogramm umgesetzt hat, was eine Verstaatlichung der Banken sowie Schlüsselindustrien und eine grundlegende Steuerreform zum Ziel hatte. Zudem hatte sie zuvor in der Großen Koalition 1968 die Notstandgesetze mitverabschiedet und hat dann 1972 durch den „Radikalenerlass“ die Berufsverbote eingeführt.

    Die SPD hat in der Geschichte der Bundesrepublik nie einen ernsthaften Versuch gemacht, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu Gunsten ihrer Klientel zu ändern, sondern lediglich Modernisierungsreformen im Interesse des Kapitals durchgeführt. Wobei bei Reformen mit korporativistischer Zielsetzung durchaus auch Vorteile für die Arbeitnehmerseite resultierten.

    Entgegen den realen gesellschaftlichen Machtverhältnissen vermittelt die sozialdemokratische Ideologie das Bild von einem klassenneutralen Staat, mit dem man im Allgemeininteresse den Kapitalismus steuern kann, wenn man nur die „richtige Politik“ machen würde.

    Lafontaine hatte vor der 1998-Wahl einen Politikwechsel versprochen, wenn die SPD die Regierung stellt. Schröder hingegen erklärte nach der Wahl, mit ihm sei eine Politik gegen die Wirtschaft nicht zu machen.

    Mit der Sozialdemokratie war noch nie eine Politik gegen die Kapitalinteressen zu machen. Oder gibt es dafür irgendein Beispiel?

    Inzwischen erzählt Lafontaine die gleiche Story bei der Linkspartei: Im Falle einer linken Mehrheit, komme es zu einem Politikwechsel.

    Bis auf ein paar Prozent der Wähler, die es immer noch nicht begriffen haben und auf den Verbalradikalismus hineinfallen, nimmt das niemand der Linkspartei ab. Im Gegenteil, sie verliert Stimmenanteile. Zu offensichtlich ist, dass die Politik der Linkspartei in der Regierung – entgegen ihrer linken Rhetorik – sich nicht oder nur kaum von jener der SPD unterscheidet (s. z. B. „rot-rote“ Regierung in Berlin).

  42. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Masereel 11. Oktober 2011 um 17:55
    Ich stimme Deiner Analyse zu, vor allem was die nicht erfolgte oder misserfolgte Abgrenzung betrifft. Ich kann nicht beurteilen, wie sich das ‘damals’ im Moment selbst angefühlt hat, ich war da noch nicht geboren und habe eine ähnliche Situation gleichen Ausmaßes bisher noch nicht erlebt.

    Teil der Bewegung zu sein, hat sich damals unglaublich gut angefühlt. Es gab ein ganz starkes Wir-Gefühl. Das waren zum großen Teil auch wunderbare Menschen, nonkonformistisch, offen, mutig, kreativ, intelligent und vor allem solidarisch. Da gab es echte Freiheit und Brüderlichkeit.

    Mit der Gewaltszene hatte ich persönlich nie etwas zu tun.
    Auch wenn man sich nicht mit den Gewalttätern, Desperados und ihren Taten identifizierte, sondern verurteilte, so war die Einstellung ihnen gegenüber doch anders als gegenüber rechtsextremen Gewalttätern, wo es sicherlich keine Hemmschwelle gegeben hätte, diese bei den Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen. Nach meiner Kenntnis wurde erst 1972 erstmals ein RAF-Mitglied, nämlich Ulrike Meinhof, von einem linken Lehrer bei der Polizei angezeigt.

    Das hätte von Anfang an konsequent geschehen müssen. Aber in so einer Bewegung verschwimmen die Grenzen, insbesondere auch deshalb, wenn und weil die Gewalt von außen hineingetragen wird. Denn dadurch erfolgt ein ganz anderes Refraiming, weil dann Gewalt als Gegen-Gewalt erlebt wird.

    Noch zum damaligen Gefühl.

    Meine These ist, dass das Lebensgefühl als vorbewusste Wahrnehmung der Bewusstwerdung vorausgeht, ja überhaupt erst die Bereitschaft zu Bewusstwerdung schafft.

    Das Lebensgefühl als Jugendlicher in unserer Peergroup während der Schulzeit war, dass das Leben irgendwie falsch läuft, nämlich langweilig und immergleich. Mit rigiden Konformitätszwängen, die Eigensinn, Geistigkeit und Kreativität töten. Bereits früh war in unserer Generation eine starke Sehnsucht nach einem anderen Leben entstanden, die sich auch in der neuen Musik ausdrückte.
    Das Leben der Erwachsenengeneration bestand aus unserer Sicht im Wesentlichen aus einem Kreislauf von fremdbestimmter Arbeit und fremdbestimmten Konsum. Diese Fixierung auf Arbeit, die Konsumorientiertheit und ihre Bereitschaft zur konformistischen Anpassung sahen wir als falschen Lebensweg an. Dagegen protestierten wir mit anti-autoritärem Verhalten sowie mit provokanter Konsumverweigerung, wie mit dem Tragen Levis-Jeans – damals billige „Arbeiterhosen“ – und gebrauchten Army-Parkas. Die implizite Botschaft war, dass nicht Äußerlichkeiten den Wert eines Menschen ausmachen. Ganz entscheidende Werte waren für uns humanistisch-emanzipatorische Bildung, moralisches Verhalten, kritische Urteilskraft und Zivilcourage. Das prägte unsere (Sub)Kultur.

    Seit den 70-er Jahren ist das bei den nachfolgenden Generationen völlig ins Gegenteil gekippt. Die sind der Überzeugung, dass Äußerlichkeiten, wie Markenklamotten, Tätowierungen, Apple-Produkte etc., ganz entscheidend sind. Die haben sogar so weit den Gebrauchswertbezug verloren, dass sie für teures Geld kaputte Hosen kaufen.

    Um die damalige 68-er-Bewegung zu verstehen, muss man wissen, was deren zentralen Motive waren. Ich sehe vor allem drei.

    1. Der Wunsch nach Selbstgestaltung des Lebens, aus dem ein Kampf für Liberalisierung resultierte. Gegen die repressive Sexualgesetzgebung, gegen Abtreibungsverbot, für Meinungsfreiheit, gegen Informationsmonopole, gegen psychologische Manipulation durch Werbung etc.

    2. Der Widerstand gegen die Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die Notstandsgesetzgebung und Abbau der Verfassungsrechte. Daraus entstand die APO mit dem Ziel der Verteidigung der individuellen Freiheitsrechte.

    3. Es gab ein Gefühl menschlicher Verbundenheit. Man wollte eine friedliche und brüderliche Welt („love and peace“) für alle Menschen.
    Man demonstrierte nicht für die eigenen Interessen, sondern gegen den Vietnamkrieg, gegen das Schah-Regime, also für die Menschen in Vietnam und Persien.
    Gegen die Ausbeutung in der Dritten Welt. Für höhere Preise zu deren Gunsten.

    Das war Ausdruck eines neuen Stadiums menschlicher Identität, nämlich zu demonstrieren für andere, persönlich unbekannte Menschen und sich dabei sogar der Gefahr auszusetzen, verprügelt zu werden.

    Aus meiner Sicht macht dies den besonderen Charakter der 68-er-Bewegung aus, nämlich sich für eine menschliche Revolution – einer globalen Revolution des Bewusstseins und der Kultur – zu engagieren.

    Nicht alle Menschen in der 68-er-Bewegung besaßen die gleichen Motive.
    Einem Teil ging es nur oder primär um die Erweiterung ihrer persönlichen Freiräume, also um Liberalisierung. Aber auch die waren gegen die Notstandsgesetze. Und keineswegs anti-sozial.

    Die Protestbewegung war anfänglich sehr gutgläubig, sie glaubte an Demokratie und Rechtsstaat.

    Ihnen gegenüber stand eine staatliche Gewalt, deren leitende und führende Personen allesamt im Nazi-Regime sozialisiert waren und von denen viele noch als Nazi-Schergen tätig gewesen waren. Die glaubten weder an Demokratie noch Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit, sondern für die war – in typischer Nazi-Manier – nur die Unterscheidung in Freund oder Feind relevant. Die hatten gar kein demokratisches und rechtsstaatliches Bewusstsein, sondern für die war „legal“ oder „illegal“ – scheissegal. Hauptsache für diese war, dass ihr Vorgehen politisch abgesichert war und dass ihnen selbst keine negativen Konsequenzen drohten.

    Es interessierte damals den Rechtsstaat nicht; dass es sich bei der Schah-Demonstration am eine legale Demonstration handelte und die Art des Polizeieinsatz und insbesondere das Zulassen von persischen Geheimdienstleuten als bewaffnete Prügler völlig illegal waren.

    Da wurde ein völlig friedlicher und unbewaffneter Student von hinten durch einen Polizisten erschossen – und dieser Polizist wurde vor Gericht freigesprochen.

    Dass ein Agent provocateur im Auftrag des Geheimdienstes der Protestbewegung Waffen, Sprengstoff etc. liefern und zu Mord- und Terrorakten anstiften würde, das war – zumindest für mich – unter den damaligen Bedingungen der Bundesrepublik undenkbar.
    Denn in der Schule wurde uns gelehrt, dass wir nunmehr in einem Staat mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit leben.
    Niemand hat uns darüber aufgeklärt, was Verfassungsschein ist und was die gesellschaftliche Realität wirklich ist.

    Politisch lebten wir in einer illusionären Welt einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie, die Konfrontation mit der politischen Realität war daher so traumatisierend, dass viele geradezu paranoid darauf reagierten.

    SPIEGEL: Es fing mit Rock”n”Roll, langen Haaren und Drogen an, aber schließlich haben Sie Bomben gelegt. Warum?

    Baumann: Weil der 2. Juni ”67 kam. Die Kugel aus der Knarre von diesem Kriminalbeamten Kurras, die Benno Ohnesorg tötete – die hat wirklich alles verändert. Als sich noch in derselben Nacht viele Leute im SDS-Zentrum am Ku”damm trafen, schrie Gudrun Ensslin: “Das ist die Generation von Auschwitz. Damals haben sie die Juden umgebracht, jetzt fangen sie an, uns umzubringen. Wir müssen uns wehren. Wir müssen uns bewaffnen!”

    SPIEGEL: Und dieser hysterische Auftritt einer Pfarrerstochter hat Sie überzeugt?

    Baumann: Moment mal. Wir waren immer schon angepöbelt worden: “Euch Langhaarige müßte man vergasen.” Aber zu einem Rentner, der so einen debilen Spruch abläßt, kann man noch “Idiot” sagen und weitergehen. Am 2. Juni ”67 haben wir gesehen: Die meinen es ernst. Da lag ein Toter, den konnte man nicht mehr wegdiskutieren. Als ich den Sarg sah, bei Ohnesorgs Überführung nach Hannover – da habe ich einen Knacks gekriegt.

    Reiche: Ich dachte auch: Jetzt ist es wieder soweit. Die erschießen uns jetzt. Die schießen auf uns alle.
    (aus: „Die schießen auf uns alle“ DER SPIEGEL 26/1997)

    Mir ist nicht bekannt, dass jemals einer dieser Geheimdienstagenten sowie ihrer Hintermänner und politischen Auftraggeber jemals wegen Anstiftung und Beihilfe zu Mordtaten und Terrorakten angeklagt wurde, geschweige denn strafrechtlich belangt wurde.

    Es ist ganz offensichtlich, wer die rechtsstaatlichen Grenzüberschreitungen damals begann und für die daraus resultierende Morde und den Terror die Verantwortung trägt: Es sind staatliche Organe, die im Auftrag von Politikern handelten. Selbst heute – über 40 Jahre später – ist da nichts aufgeklärt.

    Das ist seit Jahrzehnten verdrängte und tabuierte politische Realität.

    Zweck des Einsatzes der Agents provocateurs war es, diese entstehende, neue politische Bewegung zu kriminalisieren, um sie mit staatlichen Repressionsorganen besser als „gewöhnliche Polit-Kriminelle“ bekämpfen zu können.

    Jede politische Protestbewegung muss sich im Klaren darüber sein, dass diese Strategie von Geheimdienstorganisationen nach wie vor angewendet wird und inzwischen weiter perfektioniert wurde. Heute werden die Agenten in den Spitzen von Organisationen und Bewegungen positioniert (vgl. NPD-Prozess).

    In jeder Bewegung gibt es Gewaltmenschen, Verirrte, Psychopathen und Idioten. Dazu sind auch jene Akteure zu rechnen, die am 2. April 1968 in Frankfurt am Main politisch motivierte Brandstiftungen in Kaufhäusern vornahmen. Zwei der Täter, nämlich Andreas Baader und Gudrun Ensslin, wurden dann zu Gründungsmitgliedern der RAF, einer Terrorgruppe, welche der emanzipatorischen Bewegung unendlich geschadet hat.

    Hinsichtlich der politischen Psychologie einer Protestbewegung ist auf die unterschiedliche Innen- und Außenwahrnehmung hinzuweisen.

    Die Individuen in der Bewegung rechnen sich Grenzüberscheitungen und Straftaten nur dann zu, wenn sie irgendwie aktiv daran beteiligt waren. Da von außen durch Politik und Medien eine Kollektivzuschreibung vorgenommen wird, ist die Außenwahrnehmung völlig anders. Jeder in der Protestbewegung sieht sich dann damit konfrontiert, dass ihm Taten vorgehalten werden, mit denen er persönlich überhaupt nicht zu tun hat. Das läuft dann nach dem Prinzip „guilty by association“.

    Eine Bewegung darf sich nicht kriminalisieren lassen, weder durch Agents provocateurs noch durch Grenzüberschreiter in der Bewegung.
    Die Logik der Kriminalisierung trägt immer das Moment einer Eskalation in sich. Da gibt es dann jene, die kriminelle Handlungen begangen haben oder denen derartige Handlungen zugeschrieben werden, und auf der anderen Seite die Strafverfolgungsbehörden. Wenn die ersteren dann bewaffneten Widerstand leisten, um nicht ins Gefängnis zu kommen, dann entwickelt sich eine Eskalation nach der Eigenlogik eines Krieges.

    Der linke Terrorismus stellte eine Perversion der Bewegung dar. Denn hier wurden unschuldige Menschen durch Terror bedroht, geschädigt oder sogar getötet. Das war Linksfaschismus, der die Bevölkerung zum Feind nicht nur des Linksterrorismus, sondern der Linken insgesamt gemacht hat.
    Mogadischu 1977 war das definitive Ende der linken Bewegung.

    Das größte Problem für die emanzipatorische Bewegung waren die „Berufsverbote“.
    Diese sind im Zusammenhang mit den Meinungs-, Gesinnungs- und Propagandadelikten zu betrachten.

    Hier muss zwischen Strafbarkeit und sozialer Exklusion unterschieden werden.

    Strafbar sind beispielsweise die Holocaust-Leugnung und der Gebrauch von NS-Symbolen.
    In einigen post-kommunistischen Staaten gelten heute die Verharmlosung des Kommunismus und der Gebrauch seiner Symbole als Straftat.
    Letzteres war zu Zeiten der 68-er-Bewegung in der BRD nicht der Fall.
    Wer als Kommunist oder Marxist-Leninist die „Diktatur des Proletariats“ propagierte, setzte keine Strafverfolgung in Gang, aber eine Überwachung durch die Staatsschutzorgane, weil er sich als Verfassungsfeind outete.

    Grundsätzlich ist dabei festzuhalten, dass die Überwachung von – rechten oder linken – Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht nur gerechtfertig, sondern auch notwendig ist.

    Ob damit ein „Berufsverbot“, also die Exklusion aus dem Gesamtbereich des Öffentlichen Dienstes, gerechtfertigt ist, ist eine völlig andere Frage.
    Vgl. z. B. Wikipedia, Stichwort: Radikalenerlass.

    Die entscheidende Frage ist, wo und wie die Grenzziehung zwischen Verfassungskonformität und Verfassungsfeindlichkeit gezogen wird.

    Es gab die antidemokratischen und antiliberalen Verfassungsfeinde im Establishment, sogar in höchsten Positionen, die bereits sozialdemokratische Anhänger des demokratischen Sozialismus zu Verfassungsfeinden abstempeln wollten, weil diese für „Systemveränderung“ waren. Bereits Systemkritiker wurde als verfassungsfeindliche „Schreibtischtäter“ beschuldigt, als geistige Anstifter zum Terrorismus.
    Damit ist es gelungen, die linke Intelligenz einzuschüchtern und sie zu Konvertiten zu machen.

    Dass sich Verfassungsfeinde als Verfassungshüter aufspielen und ihre politischen Gegner als Gefahr die freiheitliche Verfassung darzustellen und zu exkludieren versuchen, gehört zur Normalität einer antagonistischen Gesellschaft.

    Da all dies heute bekannt und damit antizipierbar ist, sollte eine emanzipatorische Bewegung ihre Grenzziehungen in einem Manifest öffentlich machen und sich konsequent daran halten.

    Denn dass eine emanzipatorische Bewegung mit Agents provocateurs infiltriert wird, dass sich dort Gewaltmenschen, Desperados, Verirrte, Psycho- und Soziopathen, pubertäre Wichtigtuer und politische Idioten einfinden, kann keine Bewegung verhindern, sondern nur mit diesem Problem bewusst und intelligent umgehen. Es muss eine klar erkennbare „Kultur“ dieser Bewegung existieren.

    Sind die Führungspersonen in der Bewegung dazu nicht in der Lage oder wollen sie es nicht, vielleicht weil sie Agenten der Gegenseite sind, dann müssen sich die intelligenten Menschen von der Bewegung distanzieren, und in der Öffentlichkeit klar begründen, warum sie sich distanzieren.

    • Solveigh Calderin sagt:

      Danke.

      Stimmt.

      • Masereel sagt:

        Danke!

        Du hattest weiter oben schon mal geschrieben: “Ich möchte mich auf einige zentrale Aspekte beschränken, zumal ich nicht weiß, inwieweit überhaupt ein Bedürfnis nach Diskussion darüber besteht. Zudem wäre eigentlich für eine Diskussion über das Video ein eigener Thread sinnvoll.
        Aber weil dieses Video in einen Thread mit den Titel: „Was ist heute revolutionär?“ eingebracht wurde, sollte es nicht gänzlich undiskutiert bleiben, gerade weil es ein wichtiges Dokument ist, aus dem einiges zu lernen ist.”

        Ich fände beides (ein Artikel zu dem Video, der es, oder ‘1968’ im weiten Sinn, so wie hier ausführlicher passiert, in den Kontext von heute zusammenbringt – sowie einer, der den Austausch, den hauptsächlich Ihr beiden hier zusammengebracht habt, vielleicht zu bündeln sucht, für Leser_innen die von der Länge der Kommentarspalte vielleicht abgeschreckt werden, bzw weil ich denke, wer jetzt erst ‘einsteigt’ und beginnt zu lesen, sitzt sicher über eine Stunde davor – und dafür ist das Ganze zu interessant, es wäre schade drum wenn es mit der Zeit und dem Post nach hinten und aus dem Blick rutscht) wäre als eigener Post/Artikel begrüssen – ich weiß nicht, wie es mit Zeit und Muße steht? Nur ein Vorschlag :)

        Danke auch für das Stichwort der Runden Tische, da such ich jetzt mal mehr dazu!

  43. ceterum censeo.2011 sagt:

    @Masereel

    Der Thread ist schon sehr lang geworden, meine Ausführungen haben dort viel Raum eingenommen, für meinen Geschmack schon viel zu viel Raum.

    Zur Frage der Roadmap hatte ich noch ein paar Gedanken formuliert, aber ich denke auch, dass es sinnvoll ist, diese nicht mehr zu posten.

    Daher möchte auch ich mich aus diesem Thread verabschieden und allen danken, die mitdiskutiert haben.

  44. Palandiriel sagt:

    Ein Haufen Schrott mit Fünkchen Wahrheit.

    Der Autor scheint dieser für Deutschland erschreckend normalen “man darf ja noch sagen” Mentalität verhaftet zu sein, die rassistisch-antiislamische und teils sogar demokratiekritische Parolen verbreitet, indem man sich gegen einen angeblich linksgrün-gerichteten Mainstream auflehnt. Furchtbar, wie unreflektiert man hierzulande mit politischen Statements umgeht!

    Tatsächlich ist der in diesem Kontext vielgenannte politische Mainstream nicht mehr und nicht weniger was tatsächlich im Parlament sitzt. Hier hat der Autor sogar einmal voll ins Schwarze getroffen: irgendwie steht niemand mehr auf seiner Position. Eher alle zusammen gegen die Vernunft hinter dem Establishment.

    Die Union rückt vor allem im kommunikativen Bereich –eher weniger in den konkreten Themen– nach links, diese Strategie hat bisher ja immer funktioniert um die Macht zu sichern.
    Die “liberalen” haben zu wenig Einfluss, geistige Tiefschläger à la Überwachungskameras, Staatstrojaner etc. zu blockieren, aber durch das Bündnis mit den Konservativen genug Einfluss, um Neoliberalen Unfug wie Extrem-Sparkuren für Euro-Staaten, Wasserprivatisierung und beiläufige Korrekturen an Regierungsberichten wie dem Armutsreport durchzuführen.

    Die SPD brüstet sich mit alten Glanztaten und festgefügten Vorstellungen der Partei der Arbeiterschicht, ist aber auch sonst eher in den letzten 60 Jahren stecken geblieben. Ein sozialer Abklatsch der Status-quo-Parteien also, der mich mit mulmigem Gefühl an die Blocklisten im Osten erinnert…

    Ein wenig weiter abseits von der grauen Masse stehen Grüne und Linke. Hier werden nämlich junge Intellektuelle abgesetzt und als Ideologisten abgestempelt. Sackgasse, Leute!

    Und mit den Piraten, die sich noch im Aufblühen selbst gefällt haben ist wohl auch die letzte sinnvolle Alternative gegangen.

    Deutschland läuft in eine unangenehme Richtung. Und scheinbar möchte niemand das wahrhaben.

  45. El Vasco sagt:

    Nunja, um noch einmal auf die Eingangsfrage zurueckzukommen: was ist revolutionaer? Ausser Sander scheint Ihr ja alle der Meinung zu sein, dass revolutionaer heisse, gegen den “Kapitalismus” zu sein. Doch schint wir das gegenwaertige System, gegen das aufzubegehren das Wesen eines Revolutionaers ausmachen wuerde, mit der Bezeichnung “kapitalistisch” nur unzureichend beschrieben zu sein. Man sei sich bewusst, dass etliche Lehrer, Sozialpaedagogen, Psychologen, und Studenten im Geiste von 1968 sich im Rahmen ihrer Berufe gegen Kapitalismus aussprechen und dennoch keine Sanktionen deswegen fuerchten muessen, ja sogar vom Staat besoldet werden. Nach einer “Diktatur des Kapitals” bzw. “der Kapitalisten”, wie ihr es nennt, scheint mir das nicht auszusehen. Andrerseits scheint mir auch die “political correctness”, die von den 1968ern in deutsche Lande eingefuerht wurde (und damit den Prozess der americanization weiter fortschreiten liess) ebensowenig ein Systemmerkmal zu sein: wer den Universitaets- und den Medienbetrieb kennt, weiss, dass die politische Korrektheit sich nur noch auf die literaturwissenschaftlichen Fakultaeten und die Feuilletons linksliberaler Blaetter beschraenkt, in den ueberigen Fakultaeten und Zeitungteilen aber, auch in denen der linksliberalen, wird vor allem in den politologischen und oekonomischen Teilen froehlich und ungestoert ein Kulturrassismus gepredigt, der mit Samuel Huntington seinen neuen Anfang nahm. Ich wage die Behauptung, dass auch Sarrazin ungeschoren davongekommen waere, haette er seinen Kulturrassismus nicht ins biologistische ausgedehnt. Womit wir der Eingangsfrage nach dem Wesen des Systems naeherkommen: wenn es etwas gibt, was Linksliberale und Rechtsliberale vereint und was hierzulande nicht uebertreten werden darf, ist jener “demokratische Grundkonsens”, der aus dem Bekenntnis zur Demokratie und zu deren Staatsreligion, dem Auschwitz-Kult mit seinen (demokratischen) Heiligen und Maertyrern und seinen (antidemokratischen) Daemonen. Nur wer dagegen aufbegehrt, ist heutzutage ein wahrer Revolutionaer. Das waere meine These.

  46. fakeraol sagt:

    > Es wird Zeit, aufzubegehren. Mit allen legalen Mitteln.

    Ist das Ironie?
    Wie sehen denn “legale Mittel” aus?
    “Winkelemente” schwenken, selbstverständlich in polizeilich genehmigter Größe und Beschaffenheit,
    geordnet und friedlich an den Macht Ausübenden vorbeidefilieren (freilich genau wie in der DDR nur in unkritischer, nichts infrage stellender Entfernung zu diesen) und seinen Unmut zumindest mal kundgeben dürfen,
    und danach wieder brav nachhause gehen und sie zur nächsten Wahl wieder legitimieren (alternativlos, da “nicht legitimieren” einfach mit “politikverdrossen” übersetzt wird, nicht mit Ablehnung)?

    Was ist da noch der Unterschied zur DDR? Was ist der Unterschied von “Nationaler Front – DDR” zur “Nationalen Front der ‘Primat des Marktes’ und der ‘parlamentaristischen Demokratur’ – Verteidiger – West”?

    Freilich sehen Zootiere in ihren weiträumigen, (wasser)grabenbegrenzten Gehegen viel “freier” aus, als Massentierhaltungsfleischlieferanten mit ihren Halsketten und Nasenringen, aber ist das wirklich die “Freiheit”, die Ihr wollt (?), eine längere, unsichtbare Kette und die Auswahl zwischen mehr als einem, in Zusammensetzung und Menge von Anderen vorselektiertem Menü?
    Menü= SPD oder CDU, mit Grünen oder FDP als Steigbügelhalter, aber kein Recht, Euer Leben komplett eigenverantwortlich mit Euren Mitmenschen zusammen, und ohne den von Machterhaltungsinteressen bestimmten Fremdeinfluß, gleich welcher Lobbygruppe, zu organisieren?

    Die bestimmen doch genauso selbstherrlich, was für Euch angeblich gut sei, wie Honecker & Co., alles was Ihr entscheiden dürft ist, wer die Rahmenbedingungen kontrolliert, die Euch aufgezwungen werden, wer Eure Mahlzeit nach seinen Rezepten kochen darf, aber ein Recht auf eigene Rezepte habt Ihr nicht. Atomkraftwerke, Waffenlieferungen in Krisengebiete und an Diktaturen, BND/Verfassungsschutz-Datenkracke, immer mehr Überwachung, gegen immer mehr Bürger (auch die “unverdächtigen”, zu deren “Schutz”), das sind die Zutaten aller Menüs, und Ihr habt kein Recht darauf, selber zu kochen, Ihr könnt nur wählen, wer das kochen darf.

    Wer glaubt, daß er “Mit allen legalen Mitteln.” daran irgendetwas effektiv (= wirksam = dauerhaft) wird ändern können? Der glaubt auch an Lichtnahrung, und daß Kamele durch Nadelöhre passen.

  47. Oliver Kloss sagt:

    “Und selbst im Bereich der Sozialpolitik besteht ein im Großen und Ganzen übergreifender Konsens, der in Schröders Agenda 2010 seinen Ausdruck fand. Zusammengefasst: Der multikulturell-öko-linksliberale grüne Zeitgeist hat gesiegt. Er ist heute identisch mit dem, was man als politisches Establishment bezeichnet. […] Offen freiheitlich und konservativ zu sein – dafür braucht es heute Mut. Natürlich besonders in Universitäten.”

    Ist das wahr? War nicht, wer sich der “Agenda 2010” verschrieb, bereits auf dem Niveau von Sarrazin?
    Wozu braucht es an Universitäten Mut, wenn man dort bereits im Jahre 2000 konstatieren durfte, “unter Bundeskanzler Schröder sei es nun nicht mehr ehrenrührig, sich als Student für die CDU auszusprechen, denn die SPD bekomme auch nicht mehr auf die Reihe”.

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