Das Ende vom "change"

Obamas Kapitulation vor der Interessenspolitik

 

Von Sebastian Müller

Barack Obama hat es nicht leicht. Er wollte ein Präsident der Erneuerung sein, jemand der die tiefen Risse, die seit der Ära George W. Bush das Land spalten, kitten würde. Nicht weniger als die Redemokratisierung der USA schrieb er sich auf die Fahnen. Dazu gehörte auch das Angebot an die politische Opposition – im Sinne seines demokratischen Urahnen Franklin D. Roosevelt, dem Präsidenten des großen New Deal – gemeinsam einen Weg für mehr Wohlstand und Gerechtigkeit zu beschreiten. Eben dieser angekündigte change stand für die euphorische Hoffnung von Millionen Amerikanern.

Doch Obamas Politik der “ausgestreckten Hand” fand bei den in unversöhnlicher Totalopposition agierenden Republikanern zu keiner Zeit Anerkennung. Die neokonservativen Kräfte im Land waren lediglich darauf aus, Obamas hochtrabende Pläne mit allen Mitteln zu blockieren. Ihnen stand nie der Sinn nach produktiver Zusammenarbeit, nach einem demokratischen Konsens, sondern nur nach der Zerstörung aller Reformpläne der Demokraten. Der US-Präsident suchte dennoch stets den Kompromiss, mit der Folge, dass sein unablässig propagierter “Change”, demontiert durch den Widerstand und die destruktiv-polemische Kritik seiner reaktionären Gegner, zur Illusion verblasste.

Dem US-Präsidenten hätte es gut gestanden, wie einst Roosevelt die Offensive zu wagen und seine Gegner anzugreifen – es hätte der Befreiungsschlag für eine progressive Politik werden können. Wie Obama, so begegneten auch Roosevelt weite Teile der Geschäftswelt und der Opposition mit rigider Ablehnung, ja mit regelrechtem Hass angesichts seiner ambitionierten Politik eines New Deal.

Roosevelt beging indes nicht den Fehler, seinen Widersachern selbst dann noch die Hand zu reichen, als sie diese schon ausgeschlagen hatten. Stattdessen ging er in einer Rede im Madison Square Garden am 31. Oktober 1936 in die Offensive und nannte Ross und Reiter: Er sehe sich mit dem Protest „der alten Feinde des Friedens“ konfrontiert – „Unternehmens- und Finanzmonopole, Spekulation, skrupellose Banken, Klassenantagonismus, Partikularismus, Kriegsprofiteure“. Diese würden „die Regierung der Vereinigten Staaten als bloßes Anhängsel ihrer eigenen Geschäfte“ betrachten. Und Roosevelt zeigte sich nicht gewillt zurückzuweichen, sondern nahm den Fehdehandschuh auf: „Sie sind einmütig in ihrem Hass auf mich – und ich heiße ihren Hass willkommen.

Vor einer derartigen Entscheidung stand auch Barack Obama. Den Angriffen von rechts hätte er damit begegnen können, dass er die Alternative – De- oder Re-Regulierung des Wirtschafts- und Finanzsektors – glasklar benennt, anstatt die Öffentlichkeit mit immer weiteren Gesprächsangeboten an die Republikaner einzulullen. Diesen change hat er nun verpasst, die Republikaner haben die Kongresswahlen deutlich gewonnen und Obamas Handlungsspielraum weiter eingeschränkt.

Jetzt, da es für einen Befreiungsschlag zu spät ist, droht Obama seine ursprüngliche Linie vollständig zu verlieren und auch in wirtschaftspolitischen Fragen vor dem Druck der Republikaner zu kapitulieren. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach am Montag (10.1.11) von einem Klimawandel der US-Wirtschaftspolitik, davon, dass seit die Republikaner eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus genießen, nicht mehr keynesianische Fiskalimpulse, sondern eine Renaissance der Angebotspolitik im Mittelpunkt stehe. Barack Obama spreche nicht mehr von der Ankurbelung der Nachfrage, sondern will Hemmnisse für Unternehmen aus dem Weg räumen, so die FAZ.

Angesichts der Wild-West-Manier, in der die deregulierten Konzerne in den USA ohnehin schon operieren (siehe das Vorgehen von BP bei Deepwater Horizon), klingt diese schwammige Ankündigung Obamas befremdlich. Selbst nach der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko, die eine direkte Folge der hemmungslosen Deregulierung im Ölgeschäft unter der Bush-Junta war, ließ Innenminister Ken Salazar die Konzerne dort weitermachen, wo sie unter republikanischer Ägide aufgehört hatten.

Das wahrscheinliche Ende der keynesianischen Konjunkturpolitik spiegelt sich hingegen im personellen Wechsel der Wirtschaftsberater wieder, die der Präsident zu Beginn der zweiten Hälfte seiner Amtszeit um sich versammelt hat. Mit Stabschef William Daley und dem Vorsitzenden des nationalen Wirtschaftsrates, Gene Sperling, verfügt Obama nun über zwei Köpfe, die schon in der Ära Clinton für eine rigide Sparpolitik und einen Haushaltsausgleich sorgten – wohlgemerkt unter ganz anderen wirtschaftlichen Vorraussetzungen.

Denn die US-Volkswirtschaft ist noch nicht einmal aus ihrem Loch herausgekommen. Zwar wächst die Wirtschaft wieder, doch die seit der Finanzkrise exorbitant angestiegenen Arbeitslosenzahlen wollen nicht sinken. Vor diesem Hintergrund geißelte der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in einer Kolumne die Lernresistenz des ökonomischen Mainstreams. So betont Krugman, dass Obamas erstes Investitionsprogramm  zu klein war und nicht lange genug lief. Es förderte Wachstum, brachte aber kaum Jobs. Unter diesen Umständen bereits eine – zyklische – Sparpolitik zu betreiben wäre vernichtend. Doch Personen wie Krugman scheinen ihren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der Regierung wieder zu verlieren.

Der am Horizont dämmernde Kurswechsel von einer staatlichen Interventions- zur derzeitigen europäischen Austeritätspolitik markiert jedoch nur einen weiteren Höhepunkt in Obamas kontinuierlicher Abkehr von seinen ursprünglich propagierten Zielen. Nachdem seine Amtszeit durchaus vielversprechend begann, ist er innerhalb der letzten Monate in wesentlichen Politikfeldern vor einflussreichen Lobbygruppen oder aber dem Druck der Opposition eingeknickt.

Neben dem Rückfall in eine Israel hofierende Nahost-Politik – die durch die Wiedergewährleistung des illegalen Siedlungsbaus und die Aufstockung der Militärhilfe verdeutlicht wird – ist eine Schließung des illegalen Gefängnisses Guantanamo nicht in Sicht, die Entrechtung der Unlawful Combatants noch in Kraft, wütet die Homeland Security ebenso weiter wie private Sicherheitsdienste.  Die USA verfolgen nach wie vor ohne jede Rechtsgrundlage Menschen rund um die Welt – momentan Aktivisten, die in irgend einer Weise Wikileaks unterstützen (siehe die Maßnahme gegen Twitter).

Die Überwachung von Bürgern ohne konkretes Verdachtsmoment und die systematische Exemption der für schwerwiegende Rechtsverstöße der US-Regierung im In- und Ausland politisch Verantwortlichen bleibt Status quo. Und auch von einer Gleichbehandlung der Unternehmen und Bürger vor dem Gesetz kann keine Rede sein. Obama muss sich vorwerfen lassen, dass das Recht unter ihm genau so gebeugt wird, wie unter der Ägide seines Vorgängers George W. Bush. Weder um eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit noch um eine Erneuerung der demokratischen Kultur hat er bisher gekämpft. Er droht damit, als einer der größten politischen Blender in die us-amerikanische Geschichte einzugehen.

Mit dem Schwenk hin zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und den damit wohl verbundenen Steuervergünstigungen für Unternehmen und Reiche – neben einem immer noch weitestgehend deregulierten Finanzsektor – wäre die Institutionalisierung der programmatischen Bedeutungslosigkeit Obamas vollständig. Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten würde lediglich das wirtschaftliche, geistige und politisch-ideologische Erbe von Bush verwalten.

Der change droht damit endgültig zu einem Tribut an die Hinterlassenschaft von drei Jahrzehnten Neoliberalismus zu verkümmern. Die amerikanische Linke wäre vollends an der Nase herumgeführt, Obamas Wahlvolk enttäuscht. Kurzum, der US-Präsident ist auf dem besten Wege, sich selbst und den Traum von einer alternativen Politik zu verraten. Von seinem Wahlprogramm ist bisher – abgesehen von einer radikal abgespeckten Gesundheitsreform – kaum etwas übrig geblieben.

Mit dem auf Bush-Kurs verharrenden Rechtsruck der Republikaner und dem Erstarken der Tea-Party scheint sich Obama genötigt zu sehen, selbst einen Rechtsschwenk zu vollziehen. Doch für das Einschwenken auf eine gemäßigt republikanische Linie wird er nicht gebraucht. Eine Politik der wirtschaftsliberalen und neokonservativen Renaissance wird den Demokraten wohl kaum eine zweite Amtsperiode bescheren, denn das können die Republikaner als Original ohnehin besser.

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Ein Kommentar zu "Das Ende vom "change""

  1. Michi sagt:

    Vielleicht wäre “Killing Hope” der treffendere Wahlkampfslogan für Obama 2008 gewesen!
    So schätzt Ralph Nader den Zustand der amerikanischen Linken ein::

    http://www.commondreams.org/view/2011/01/03-3

    Aber konnte man von Obama wirklich viel erwarten?
    Er hatte 2008 mehr Wahlkampfspenden bekommen als jeder Präsidentschaftskandidat vor ihm und mehr als doppelt so viel wie McCain!

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