Kampf gegen WikiLeaks

Wenn die Demokratie ihre eigenen Kinder frisst

Von Sebastian Müller

Im Grunde genommen war die Internetplattform Wikilieaks die Probe auf das Exempel für den Zustand der westlichen Medien, der Pressefreiheit und der westlichen Demokratien insgesamt. Und die staatliche Feindseligkeit, als auch die mediale Skepsis, die dieser Enthüllungsorganisation entgegenwirkt, malt ein düsteres Bild. Es ist zu befürchten, dass die Bereitschaft der Geheimdienste, dem Wikileaks-Gründer Julian Assange das Handwerk zu legen, auch drastische Methoden (bis zum Mord) nicht ausschließen werden.

Scheinheilig und zynisch argumentiert die US-Regierung, dass die Enthüllungen Wikileaks zum Irak- und Afghanistankrieg die nationale Sicherheit bedrohen würden. In Wirklichkeit aber ist einmal mehr offensichtlich geworden, dass der normative Anspruch der westlichen Allianz, sich als rechtsstaalicher Gralshüter der Menschenrechte zu wähnen, durch die Realität der Terrorbekämpfung, als auch durch die systematische Bekämpfung von Wikileaks Hohn gesprochen wird.

Die westlichen “Demokratien” haben nun neben dem internationalen Terrorismus einen zweiten, weitaus gefährlicheren Feind: die Wahrheit. Während unter dem Deckmantel der terroristischen Bedrohung – spätestens seit dem 11. September 2001 – immer mehr bürgerliche Freiheitsrechte durch repressive überwachungstaatliche Maßnahmen ersetzt werden, greift diese repressive Gewalt nun auch gegen ein wesentliches demokratisches Recht: das Recht auf Information. Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (AEMR) sichert das Recht auf Information und freie Meinungsäußerung.

Doch während die Organisation der Reporter ohne Grenzen immer wieder UN-Mitgliedstaaten anprangern, die dieses Recht tatsächlich oder angeblich unterdrücken, verliert sie den Blick auf die Zustände in den Mutterländern der Pressefreiheit. Überraschen kann dies indes nicht, haben sich die Reporter ohne Grenzen als ein vom CIA finanziell unterstütztes Propagandasprachrohr des Westens selbst diskreditiert. Mit mangelnder Information und Transparenz aber ist die Saat für einen inneren Fäulnisprozess der demokratischen Institutionen gelegt.

Der Krieg gegen den Terrorismus wird währenddessen immer mehr zur Farce – die Enthüllung, die Wikileaks zu verdanken sind, relativieren den Kampf von Gut gegen Böse faktenreich. Was der Westen zudem am meisten fürchtet: Die Informationen die Wikileaks liefern, sind wie Öl im Feuer einer potentiellen neuen Antikriegsbewegung und mehren eine desillusionierte Heimatfront. Zudem wird der Westen unter Druck gesetzt, eines Tages die eigenen Kriegsverbrechen aufarbeiten und sich somit auch mit dem Zustand des eigenen Rechtsstaates auseinandersetzen zu müssen. Um dies zu verhindern, hat sich die westliche Staatengemeinschaft nun nicht mehr nur gegen den Terrorismus, sondern auch gegen Julian Assange verschworen.

Assanges Antrag einer Aufenthaltsgenehmigung in Schweden – dort befinden sich die Hauptserver von Wikileaks – wurde durch die Behörden abgelehnt. Zuvor wurde von der schwedischen Staatsanwaltschaft mit zweifelhaften Vergewaltigungsvorwürfen aufgewartet. Als erstes formal demokratisches Regime hat zudem Israel den Zugang zu der Website bereits gesperrt. Derzeit geht Assange selbst nur von drei Ländern aus, in denen Wikileaks sicher sei, wie er in einem Interview mit dem schweizer Fernsehsender TSR verlautete. In einem dieser Länder – der Schweiz – wird Assange nun womöglich politisches Asyl beantragen.

Um so bedauerlicher ist es da, dass sich die freien Medien kaum mit Wikileaks solidarisieren, obwohl sie von den Insiderquellen der Plattform profitieren. Tragisch ist es auch, dass sie von den veröffentlichen Informationen zwar oberflächlich gebrauch machen, aus diesen Quellen aber kaum eine kritisch-öffentliche Debatte zu initiieren imstande zu sein scheinen. Diese wichtige Debatte wird fast ausschließlich von den alternativen Medien und der Blogosphäre geführt – ein Versagen der altehrwürdigen Kaste, die einst Skandale wie die Watergate-Affäre aufdeckte. Kein Wunder, dass “heiße” Informationen kaum mehr im Postfach der etablierten Medien, sondern eben in dem von Wikileaks zu landen scheinen.

Immerhin gibt es nun einen – wenn auch bisher nicht großen – Solidaritätsaufruf als Reaktion auf  die vorangegangene mediale und politische Kritik. Journalisten aus 34 Ländern haben eine Petition zur Unterstützung von Wikileaks unterschrieben. In dem vom Global Investigative Journalism Network (GIJN) initiierten Aufruf haben sich bisher 152 Journalisten eingetragen. Der englische Wortlaut ist ein Manifest für die Pressefreiheit und eine Abrechnung mit den Kriegsverbrechen und Folterungen des US-Militärs:

Journalists’ statement on attacks on WikiLeaks

Julian Assange, founder of the whistle-blowing organization Wikileaks, is being angrily criticized and threatened for his part in huge leaks of military documents on the wars in Afghanistan and Iraq (the ‘War Diaries’). He is being accused of irresponsibly releasing confidential military information, of endangering lives of people named in the leaked military reports and even of espionage. Some media organizations have joined in this criticism.

We, journalists and journalist organizations from many countries, express our support for Mr Assange and Wikileaks. We believe that Mr Assange has made an outstanding contribution to transparency and accountability on the Afghanistan and Iraq wars, subjects where transparency and accountability has been severely restricted by government secrecy and media control. He is being attacked for releasing information that should never have been withheld from the public.

We believe Wikileaks had the right to post confidential military documents because it was in the interest of the public to know what was happening. The documents show evidence that the US Government has misled the public about activities in Iraq and Afghanistan and that war crimes may have been committed.

Has Wikileaks endangered lives? There was legitimate criticism of Wikileaks for not vetting the Afghanistan documents fully enough, with some names such as informers being released. Fortunately there is no evidence that anyone has been injured or killed as a result. We note that Wikileaks learned from that mistake and has been much more careful with the Iraq documents. Overall, Wikileaks’ factual reporting of numerous undisputed abuses and crimes is of far greater significance than the widely criticized mistakes over inadequate redacting.

Mr Assange is being personally pressured because of his involvement in the military leaks, including threats of espionage charges. Mr. Assange is no more guilty of espionage than any journalist or any whistleblower. This is a terrible precedent and one that is contrary to open government.

If it is espionage to publish documents provided by whistle blowers, then every journalist will eventually be guilty of that crime. Mr Assange deserves our support and encouragement in the face of the attacks.

Since it was launched in 2006, Wikileaks has been an extraordinary resource for journalists around the world, furthering transparency at a time when governments are reducing it. Although it is not part of the media, and does not purport to be, its mission of informing the public and reducing unjustified secrecy complements and assists our work. As grateful beneficiaries of Wikileaks and Mr Assange’s work, we stand in support of them at this time.

Der symbolische Akt der Solidarität kommt vor dem Hintergrund des enormen Drucks auf Julian Assange gerade zur rechten Zeit. Wenn das erklärte Vorhaben der CIA, die Zerstörung von Wikileaks, Erfolg haben sollte, wäre dies ein entscheidender Schritt zu einem schleichenden Ende der Presse als kritisch-investigative Institution und Vierte Gewalt.

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5 Kommentare zu "Kampf gegen WikiLeaks"

  1. WASG Leipzig sagt:

    In der Dialektik der Aufklärung versuchen sich Adorno und Horkheimer an einer differenzierten Betrachtung des Prozess der Rationalisierung, des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes. Sie zeigen, wie ambivalent und widersprüchlich dieser Vorgang ist. Den blinden Fortschrittsoptimismus des orthodoxen Marxismus lehnen sie ab. Aufklärung war wohl die ursprüngliche Intention des Menschen, sich aus der Herrschaft der Natur zu befreien, jedoch ist Selbstentfremdung der Preis dafür, dass Menschen die Natur bändigen konnten. Durch den Odysseus-Mythos illustrieren Adorno und Horkheimer, dass nur der gefesselte, beherrschte Mensch die Natur beherrschen kann, nur als Gefesselter kann der Mensch den Verlockungen der Natur widerstehen.

    Während das mythische Zeitalter die Natur beseelte, wird in der Moderne die Natur, die Seele verdinglicht. Wir sehen nur Physis und Chemie. Alles was, über das rein Ökonomische, Technische hinausgeht, muss sich der Mensch an sich selbst abschneiden, wenn er die Souveränität über die Natur behalten will. Selbstentfremdung ist so der Preis für die Bändigung der Natur.

    Was im Prozess der Aufklärung zum Durchbruch kommt, ist nicht die Vernunft, ist nicht das Selbstbewusstsein des Menschen, sondern nur eine verkürzte Form des Denkens, nur die instrumentelle Vernunft, die alles dem Diktat des nutzenorientierten Kalküls unterwirft.

    Der Faschismus war für Adorno und Horkheimer kein Zivilisationsbruch, kein Rückfall in die Barbarei (wie die gegenwärtige herrschende Meinung will), sondern es war der äußerste Ausdruck, der extremste Ausdruck dieser Dialektik der Aufklärung. Es war und ist der Umschlag von gesellschaftlicher Rationalität in Irrationalität auf höchstem technischem und tiefstem menschlichem Niveau.

    Faschismus ist die totale Reduzierung des Menschen auf eine Sache, auf einen Fall (SGB II). Jederzeit verfügbar (und im globalen Krieg jederzeit eliminierbar) ist der Mensch ein reines Objekt der bürokratischen Verfahren und der Macht. Im permanenten Ausnahmezustand angelangt, wird der Geldmachtapparat um sich zu tarnen, jedes Unrecht als Recht proklamieren. Die entscheidungsfähigen politischen Dienstleister werden erpresst. Nur der mündige, der autonome, der selbstkritische Mensch hat überhaupt die Chance, sich gegen die Anfechtungen einer totalitären Macht zu schützen. Die Menschen dabei zu unterstützen, mündig, autonom und sich ihrer menschlichen Bedürfnisse bewusst zu werden, ist die eigentliche Aufgabe und Pflicht aller Sozialisten und Kommunisten.

    Wir müssen uns leider eingestehen, dass die LINKE, unter den jetzigen Herrschaftsverhältnissen handlungsunfähig ist und auch bleiben wird. Der Betrug besteht darin, anderen und sich selbst vorzugaukeln, dass Wahlen daran etwas ändern könnten. Diese Partei sollte den Menschen erklären, WIE sie die Herrschaft der Finanzoligarchie, der Konzerne, des Militärs (Nato), der Geheimdienste und der informellen antidemokratischen Strukturen überwinden will.

    Es könnte ja sein, dass es gar nicht gewollt ist.

    WASG Leipzig

  2. Gute Arbeit! Ich mag es, wenn Journalusten zum selbstständigen Denken auffordern!

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