Entzerrt

Zur Debatte um Diskurshoheit, Sozialstaat und die “Linke”

Von Jan Mollenhauer

Ich bin links. Die Frage nach „linker“ Politik grassiert als reflexartiger Automatismus in der politischen Debatte. Verzweifelt scheinen die Regierungsgegner und -skeptiker nach Alternativen zur bedrückenden Dysfunktionalität und schamloser Klientelpolitik der Bundesregierung zu suchen. Jedoch, auch der politische Gegner schwebt im Windschatten öffentlichen Verdrusses im Vektor theoretischer Leere.
Die scharfe Polemik der Auseinandersetzung, das „bashing“, verdeckt hierbei, dass Lösungsansätze entweder nicht praktikabel oder aber abgegriffen und schlechterdings nicht erfolgsversprechend sind. Vielmehr bedarf es einer Neuorientierung, was denn eigentlich „links“ heißt. Sonst blüht den Aspiranten auf die Regierungsbank nach Ankunft auf eben jener das gleiche Schicksal wie der selbsternannten „bürgerlichen“ Koalition.

Was ist links?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn in den unterschiedlichsten Ländern definieren sich Gruppierungen unterschiedlichster Konsistenz und Substanz selbst als „links“ oder werden vom politischen Gegner in eine „linke“, d.h. schmutzige Ecke gestellt. Die Bewegungen reichen dabei von sozialdemokratischen bis hin zu stramm orthodox-sozialistischen, mithin gar zu vulgärmarxistischen Prägungen. In Deutschland werden seit jeher vor allem die SPD und die kommunistische(n) Partei(en) als links definiert. Ihnen gemein ist hierbei eine auf die wie auch immer Benachteiligten fokussierte Politik, die sich zum Ziel setzt, deren Lage zu verbessern. Typisch „linke“ Projekte sind ein starker Staat, meist in Gestalt eines Umverteilungsapparates (z.B. Sozialstaat), offene Bildungsinstitutionen, Emanzipation jeglicher sozialer Gruppen, v.A. Minderheiten. Gerne verweisen „linke“ Organisationen, vor allem die reformorientierten Sozialisten in Gestalt der sich immer mehr domestizierenden Sozialdemokratie auf historische Leistungen, die meist unter enormen Anstrengungen und Opfern bis hin zum Tod erreicht wurden.

Doch, spätestens nach elf Jahren sozialdemokratischer Regierung muss man anerkennen, dass sich die sozialdemokratischen Parteien, namentlich die deutsche selber ins Aus regiert haben.
Am mangelnden Reformwillen liegt es sicher nicht – schließlich war es doch gerade der, der der SPD den Kopf und gut 400.000 Mitglieder gekostet hat. An dieser Stelle soll nicht über Sinn, Unsinn oder Alternative der Agenda 2010, der Rente mit 67 oder derlei mehr diskutiert werden. Vielmehr waren diese Reformen ein Ausdruck des Vakuums, des ideellen Vakuums in einer sich rasant verändernden, globalisierten Welt.

„Links“ ist nach alter Definition nicht mehr gebräuchlich. Große Emanzipationsprojekte wären nur auf globaler Ebene noch möglich, dazu fehlt aber zunächst die global governance. Ein Schelm, wer nun sofort nach mehr Supranationalität schreit; er hat nicht begriffen, dass die fragilen Gebilde der europäischen Nationalstaaten dies ohnehin in einem Prozess vorantreiben werden, so wie es auch diejenigen Staaten machen müssen, die über keine Ressourcen verfügen. Das verlangt der globale Markt, dessen originäres Interesse eine durch öffentliche Instanz vorgegebene Kontrolle ist.
Es wächst schließlich noch immer zusammen, was zusammen gehört. Vielmehr muss es im Nationalstaatlichen um eine ideelle Neuorientierung gehen.

Punkt 1 – Arbeit und Steuer
Im Rahmen der Finanzkrise gruben nahezu alle linken Parteien die Steuererhöhung wieder aus. Sehr beliebt war auch das Schaffen neuer Steuern.
Ideologiefrei gesehen müssen wir konstatieren, dass es weder zuviel Steuer(n) gibt, noch zu wenig.
Die Steuerlast ist einfach grob falsch verteilt. Arbeit zu belasten, wo doch nur noch ein geringer Teil überhaupt der Arm ist, an dem die öffentliche Hand dranhängt, grenzt an Wahnsinn. Nun durch Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder gleich aller Steuersätze oder durch erhöhte Sozialabgaben noch mehr Schröpfen? Nein, sicher nicht.
Erbschaft. Vermögen. Kapitalertrag. Das sind die Felder, auf denen zu gering besteuert wird. Bei den Sozialabgaben haben wir ein ähnliches Bild. Die duale Versicherungsstruktur aus Armen und Kranken in öffentlichen und Reichen und Gesunden in privaten Versicherungen ist schlicht grotesk. Bürgerversicherung und die des Sozialismus nicht verdächtige Schweizer Rente.

Punkt 2 – Freiheit
Der Dreh- und Angelpunkt linker Politik ist seither die Freiheit. Die Freiheit von als auch die Freiheit zu. Ein Staat aber, der durch Arbeitszwang oder Einkommenssteuer in die Privatsphäre eindringt, missachtet diese Freiheit. Es muss jedem Bürger (citoyen) die Möglichkeit eröffnet werden, sich auszusuchen, was er tun möchte oder nicht. Die einzige Möglichkeit hierzu ist ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Hierzu: ein Film
und ein Video

Alle Beiträge zur Debatte:

– Stellungnahme: Das trojanische Pferd und der Kampf gegen den Wohlfahrtsstaat

– Bürgerlichkeit und Beharrung

– Umfrage: Dominieren Linksintellektuelle den politischen Diskurs?

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