„Landschaftspflege“

Zwischen Lobbyismus und politischer Korruption

Von Sebastian Müller

Vor dem Hintergrund einer am 2. September erschienenen Reportage “Lobbykratie” auf 3sat, wird nochmals auf den folgenden Artikel vom März 2009 hingewiesen. Anbei die Reportage (Lobbykratie, die inoffizielle Macht im Staat).

Die Macht und der Einfluss der Lobbyisten in Deutschland und Europa ist bedenklich. Fernab von einer linken Lobby-Phobie muss konstatiert werden: Die pluralistische Theorie des Verfassungsstaates wird ad absurdum geführt, die Realität ist bedrohlich demokratiefern.

Seit dem Finanzcrash ist auch das Thema Lobbyismus aktueller denn je, der Einfluss bestimmter Interessensgruppen auf die Politik steht in einem direkten Zusammenhang mit der Krise. Doch vorab sei gesagt, dass die pluralistische Interessenvertretung, das heisst die Einflussnahme verschiedener Gruppierungen auf die Politik, im Grundgesetz verankert ist. Lobbying an sich ist also legal und nichts verwerfliches – zumindest juristisch. Und zumindest solange die Voraussetzung gegeben ist, dass sich entgegengesetzte Interessen auspendeln.

In der Praxis wurde das Ungleichgewicht der Einflussnahme allerdings nicht nur mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust der Gewerkschaften in den letzten 20 Jahren, sondern auch seit dem Antritt der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 1998 verschärft. Bundesinnenminister Otto Schily führte in diesem Jahr ein „Personalaustauschprogramm“ Namens „Seitenwechsel“ ein. Zu den Initiatoren auf Wirtschaftsseite gehörten die Deutsche Bank (darunter mit dem Personalvorstand der Deutschen Bank, Tessen von Heydebreck), BASF, Siemens, SAP, Lufthansa, ABB, Daimler-Chrysler und Volkswagen. Im Zuge dessen sollten Vertreter von Konzernen Posten in den Bundesministerien beziehen, während umgekehrt Bundesbeamte Zugang zu der freien Wirtschaft erhalten sollten. Der Staat gab somit Autonomie und hoheitliche Befugnisse zugunsten von Großkonzernen ab, in dem er Verantwortlichkeiten vermischte. Ideologischer Hintergrund des Ganzen war die Vorstellung der Notwendigkeit eines „schlanken, modernen Staates“ im Zuge der Globalisierung, der zugleich eng vernetzt wird mit den Brainpools und Think-Tanks aus Wirtschaft und Wissenschaft.

Das offizielle Austauschprogramm der Bundesregierung gibt es seit dem 16. Juni 2004. Mehr als 100 Vertreter von deutschen Konzernen aus Industrie, Versicherungen und Bankenwesen sollen seitdem in den Bundesministerien sitzen, zwei von ihnen sogar im Rang eines Referatsleiters.[1] So berichtete auch der Tagesspiegel, dass der Bundesrechnungshof in einer 60 Seiten umfassenden Untersuchung herausgearbeitet hat, „dass zwischen 2004 und 2006 insgesamt rund 300 sogenannte Lobbyisten in den Ministerien des Bundes und in obersten Bundesbehörden beschäftigt waren. Zum Teil waren es Mitarbeiter von großen Konzernen, zum Teil wurden sie von Wirtschaftsverbänden oder wissenschaftlichen Einrichtungen entsandt“.[2]

Problematisch dabei ist, dass die „Leihbeamten“ in den Ministerien ihr Gehalt weiterhin von den Konzernen beziehen.[3] Diese Entwicklung hat eine nachvollziehbare Konsequenz: Der Einfluss der jeweiligen Konzernvorstände auf das Regierungshandeln nimmt enorm zu; gleichzeitig erhalten sie große Kenntnisse über interne Vorgänge in den Ministerien selbst. Und diese Tatsache ist nicht gesetzeswidrig, die Konzerne kaufen sich auf diese Weise ganz legal in staatliches Handeln ein. Und nicht nur durch diese Initiative haben die Unternehmen einen enormen Zugewinn an Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten auf politische Ebene erhalten, die das System des Interessenausgleiches in Schieflage geraten lässt. Die Großkonzerne und Wirtschaftsverbände, die – durch einen privilegierten Zugang zu den Parteien, Abgeordneten und Ministerien – große wirtschaftliche, finanzielle und damit auch über machtpolitische Ressourcen verfügen, verdrängen weniger Einflussreiche Verbände, Initiativen oder NGO´s aus der politischen Willensbildung.

Wenn aber eine ausgeglichene Interessensvermittlung – die nur durch die Unbefangenheit der politischen Vertreter und der staatlichen Hoheit in Bezug auf die Gesetzgebung gewährleistet werden kann – im Zuge einer wachsenden Verzahnung von Politik und Wirtschaft nicht mehr vorhanden ist, ist auch eine wesentliche Säule des deutschen politischen Systems nur noch eine Chimäre.

Unter diesen Bedingungen kann man von einer Plutokratisierung der Einflussnahme und damit auch der Politik sprechen. Und wenn selbst die – rechtlich gesehen – legitime Einflussnahme zur Erodierung eines ausgeglichenen Systems führt, und somit die normative Idee der Interessenvermittlung bzw. des Interessenausgleichs untergräbt und damit zu ihrer Delegitimierung beiträgt, kann von Korruption gesprochen werden. „Wenn die verschiedenen Interessen sich in ihrer Summe nicht auspendeln, sondern gerade die wichtigsten Belange leicht auf der Strecke bleiben, müssen finanzielle Zuwendungen von Interessenten an Abgeordnete weiterhin als das bezeichnet werden, was sie sind: Korruption zulasten der Allgemeinheit.“ (Hans Herbert von Arnim).

Genauso wäre dann auch der Sachverhalt der Existenz von der Privatwirtschaft bezahlten „Experten“ in den Bundesministerien einzuordnen. Denn es findet eine Normabkehr in zweierlei Hinsicht statt: Zum einem wird das Prinzip der staatlichen Hoheit in der Gesetzgebung und im Gesetzgebungsprozess untergraben – es findet also wie gesagt eine bedenkliche Vermischung von Autonomie statt – zum anderen widerspricht es damit auch dem Verständnis der staatsbürgerlichen Gleichheit – „One man, one Vote“. Nach dieser Definition kann man von einer tiefdringenden Korruption auf Regierungsebene sprechen. Diese demokratiefeindliche Entwicklung ist aber in der EU, vor allem in der Kommission, noch viel dramatischer. In allen Entscheidungsprozessen und Gesetzgebungsverfahren, die ohnehin demokratisch nicht legitimiert sind, sind “Expertengruppen” aus der Privatwirtschaft oder der Finanzbranche (mit)bestimmend.

Die Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft und der Finanzmärkte – als auch der Rückbau der Sozialsysteme seit Anfang der 80er-Jahre – wäre ohne den starken Druck seitens der großen Konzerne und Banken kaum vorstellbar. Jetzt, als die Banken und Hedgefonds im Folge der Finanzkrise unter Druck gerieten, weiteten sie ihre Ausgaben für Lobbytätigkeiten massiv aus. Und die EU-Expertenkomission für die Ausarbeitung von Entwürfen der Bankenrettungsgesetze besteht hauptsächlich aus Größen der Finanzindustrie. Wenn also der Bock die nötigen finanziellen Ressourcen besitzt, wird er zum Gärtner gemacht. Damit besteht die große Gefahr, dass eine Gesetzgebung wider den Interessen der Allgemeinheit fortgeführt wird.

[1] Laut Information der Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto
[2] Der Tagespiegel
[3] Ebenso Sascha Adamek und Kim Otto

Anhang: 3sat Reportage

Teil I:

Teil II:

Teil III:

Teil IV:

Quelle: 3sat

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