Südamerika
“Kriegstreiber” Chávez, die FARC und die Medien

Es kommt den westlichen Medien, die nach immer neuen Stoff für ihren Medienkrieg gegen den venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chávez lechzen, gelegen, dass sich die Situation zwischen den beiden Nachbarn Kolumbien und Venezuela weiter zuspitzt.

Von Sebastian Müller

Seit seinem Amtsantritt 1999 wurde Chávez mit einer zunehmend feindseligen Medienlandschaft konfrontiert. Angeführt von den privaten, fast ausschließlich oppositionellen venezolanischen Medienanstalten, beteiligten sich große Teile der westlichen Medien an unsäglichen Verleumdungskampagnen und Hetzjagten. Diese fanden ihren Höhepunkt im Putschjahr 2002, an dem die CIA als auch die privaten Medienanstalten – in Form von gezielten Fehlinformationen – massiv beteiligt waren.

Zugegeben, Chávez war nicht ganz schuldlos an dieser Entwicklung. Er nahm die Schlammschlacht mit den Medien auf und goss mit seiner teils martialischen Rhetorik immer wieder Öl ins Feuer. Dennoch, mit seriöser Berichterstattung hat das, was selbst die in angesehenen Ruf stehenden Fernsehanstalten und Zeitungen mitunter abliefern, bis heute nichts zu tun. Nun scheint ein Grund gefunden worden zu sein, um den ehemaligen Fallschirmjägeroffizier als Kriegstreiber denunzieren zu können.

Schon seit einigen Jahren sind die Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela angespannt. Seit den Amtsantritt des rechtskonservativen Präsidenten Álvaro Uribe, der sich in den letzten Tagen seiner Amtszeit befindet, begeht Kolumbien einen unachgiebigen Weg der Härte. Uribe betrieb eine massive Militarisierung des Landes und erklärte der linksgerichteten Guerrilla FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) den Krieg. Dabei kooperierte er mit der rechten Guerrilla-Organisation AUC.

Dieser Kurs der Härte wurde auf Kosten von unzähligen Menschenrechtsverletzungen und zivilen Opfern geführt, die in den westlichen Medien kaum erwähnt werden. Laut Untersuchungen der Kolumbianischen Juristenkommission CCJ verschwanden seit dem Amtsantritt Uribes im August 2002 14.000 Kolumbianer oder kamen gewaltsam ums Leben. Der Staat war in 75 Prozent aller Fälle direkt oder indirekt involviert. 17,5 Prozent der Opfer wurden dabei direkt von den regulären Sicherheitskräften getötet. Der überwiegende Rest wird den ultrarechten Paramilitärs angelastet. Zusätzlich kamen von 2002 bis 2008 12.000 Menschen bei Kampfhandlungen ums Leben, so dass sich eine Opferbilanz von 26.000 Menschen ergibt. Desweiteren wird im Schnitt an jedem dritten Tag ein Gewerkschaftler ermordet.

 

Doch die FARC ist für Länder wie die USA, Kolumbien und die EU offiziell eine terroristische Organisation (nicht für Venezuela, Brasilien oder Ecuador), und daher hat Uribe für seinen Kampf gegen die FARC und den Kokainanbau [1] (die FARC finanziert sich zu einem großen Teil aus dem Drogenhandel[2]) den Segen der USA. Von G.W. Bush wurde Uribe mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet.

Hier ist eine Ursache des Konfliktes mit Venezuela zu finden. Zum einem dient Kolumbien als Standort zahlreicher US-Militärbasen, die ein plastisches Zeugnis der amerikanischen Einflussbestrebungen sind. Mit US-amerikanischer Unterstützung wurden auch Regionen im Grenzgebiet zu Venezuela militarisiert. Zum anderem wurde Venezuela wiederholt von den USA und Kolumbien bezichtigt, mit Terroristen zu kooperieren. Viele Medien nehmen auch diesen Vorwurf auf, und machen aus einer Anschuldigung eine Tatsache.

Bekräftigt wurden diese Anschuldigungen, als der FARC-Sprecher Rául Reyes 2008 in Ecuador von kolumbianischen Militär (unterstützt von den USA) getötet wurde. Ein sichergestelltes Laptop von Reyes sollte angeblich Dateien enthalten, die bewiesen, dass die FARC vom venezolanischen Staat unterstützt würden. Doch 25 US-Wissenschaftler erklärten im Vorfeld der Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes durch Interpol in einem offenen Brief, dass die kolumbianische Regierung deren Inhalt wesentlich übertrieben habe und dass viele der kolumbianischen Anschuldigungen sich bereits in weiten Teilen als unglaubwürdig erwiesen hätten. Auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza erklärte am 10. April 2008, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Venezuela die FARC unterstützt hätte und dass bislang kein Mitgliedsstaat der OAS – auch nicht die USA – entsprechende Beweise vorgelegt habe.

Später veröffentlichte Untersuchungen durch Interpol  ergaben, dass in der Zeit zwischen Beschlagnahme der Computer und Übergabe derselben an die kolumbianische Polizei 1479 Systemdateien neu geschrieben, auf 1703 System- oder Benutzerdateien zugegriffen, 5240 Systemdateien verändert und 103 Dateien gelöscht wurden. Der Vorfall trug auch zwischenstaatliche Konsequenzen mit sich. Ecuador sah durch den kolumbianischen Luftschlag seine Hoheitsrechte verletzt und brach die diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien, genauso wie Venezuela und Nicaragua, ab.

Vor etwa einer Woche warf Uribe dem Sozialisten Chavez vor, die FARC auf venezolanischen Staatsgebiet operieren zu lassen, um das Land international an den Pranger zu stellen. Daraufhin hat Venezuela die diplomatischen Beziehungen mit Kolumbien erneut abgebrochen und das Militär im Grenzgebiet zu Kolumbien verstärkt.

Tatsächlich wurde die Präsenz von kolumbianischen Paramilitärs bereits 1997 in Venezuela nachgewiesen, allerdings von Mitgliedern der AUC. Im Jahr 2000 entführten die AUC den venezolanischen Industriellen Richard Boulton.  2002 bestätigte Castaño, der damalige Chef und Gründer der kolumbianischen AUC-Paramilitärs, eine venezolanische Partnerorganisation namens AUV auszubilden. Deren Kommandant „Antonio“ erklärte im Dezember 2003, seine Gruppe könne auf 2500 Bewaffnete zählen. Ihr Ziel sei, Hugo Chávez und seinen Vizepräsidenten José Vicente Rangel zu erschießen und bald in den Städten zu agieren. Ein hochrangiger Funktionär des kolumbianischen Geheimdienstes DAS erklärte, seine Behörde, rechte Todesschwadronen, die Uribe-Regierung und venezolanische Oppositionelle hätten gemeinsam auf einen gewaltsamen Sturz von Chávez hingearbeitet. Es habe sich dabei um eine „von ganz oben“ abgesegnete Politik gehandelt.

In Anbetracht der beschriebenen Fakten und Bedrohungsszenarien ist eine Verstärkung der Präsenz der venezolanischen Streitkräfte an der kolumbianischen Grenze aus sicherheitspolitischen Motiven durchaus rational. In der deutschen Berichterstattung hingegen scheint man Chávez als einem im Affekt handelnden Irren darstellen zu wollen, der Kolumbien zum Krieg nötigen will. Ohne zur Kenntnis zu nehmen, das auch Kolumbien seine militärische Präsenz an der Grenze massiv verstärkt hat und nicht zuletzt durch US-amerikanischen Einfluss schon lange Säbelrasseln zu hören ist, suggerieren die Schlagzeilen lediglich einen venezolanischen Truppenaufmarsch. So die FR: Venezuela lässt Truppen aufmarschieren, Die NZZ: Nach Drohgebärden von Venezuelas Staatschef Chávez: Kolumbien bemüht sich um Entspannung, und Focus: Chavez ruft zu Kriegsvorbereitungen auf; die Beispiele wären noch weiter fortzuführen, und sind ein Indiz dafür, dass es hier, wenn überhaupt, nur noch zweitrangig um Berichterstattung im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um die gezielte Diskreditierung Chávez und der venezolanischen Außen- und Innenpolitik geht.

Während Chavez jede noch so uninteressante Bagatelle zur Last gelegt wird, wurde Uribe, der alles andere als ein lupenreiner Demokrat ist, von den Medien und den USA mehr oder weniger protegiert. Als Chávez die 2007 abgelaufene Lizenz des Privatsenders RCTV nicht verlängern wollte – der Sender unterstützte mit seiner manipulierten Berichterstattung offen den Putsch – sah die Welt die Pressefreiheit in Venezuela bedroht. Das ein kolumbianischer Journalist, als er seine Recherchen über Uribe veröffentlichte, nach Anonymen Drohungen das Land verlassen musste, scheint dagegen weniger erwähnenswert.

Ungeachtet dessen geht die reale Politik weiter. Chávez kündigte unlängst an, mit Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos Gespräche aufzunehmen zu wollen, um die Situation zu entspannen. Auch die FARC zeigt sich bereit, mit Santos in den Dialog zu treten, um unter bestimmten Bedingungen den bewaffneten Konflikt zu beenden. Das könnte sich jedoch als schwierig erweisen, steht der Nachfolger doch in der Tradition seines Vorgängers.

[1] Während es Uribe schaffte, die FARC weit zurückzudrängen, trifft dies aber nicht auf den Drogenanbau zu. Auf der einen Seite hat die Regierung von Uribe so viel Kokain  beschlagnahmt und so viele Felder vernichtet, wie nie zuvor in der Geschichte Kolumbiens, auf der anderen Seite weitete sich die Fläche, auf der Koka angebaut wird, im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent aus. International fällt der Preis des Kokains.
[2] Seit der Zerschlagung der beiden großen Drogenkartelle  Ende der 1990er Jahre haben die FARC ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit der Kokainproduktion verstärkt. Anstatt lediglich Hilfs- und Schutzleistungen für die Drogenproduzenten anzubieten, haben die FARC angeblich selbst damit begonnen, unter Eigenregie Koka  anzubauen und eigene Labore für die Weiterverwertung zu betreiben. Die FARC dementieren diese Aussage. Sie sagen vielmehr, dass sie die wirtschaftlichen Aktivitäten in ihren Regionen besteuern, also auch den Koka-Anbau. Sie dulden den Koka-Anbau, um den Bauern (die FARC entspringt selbst einer Bauernmiliz) nicht die Lebensgrundlage zu entziehen. Die Anbaufläche von Koka in Kolumbien hat sich während der 1990er Jahre auf rund 120.000 Hektar versechsfacht.

Zum Thema:

– Ein Zeit-Interview bricht mit der inszenierten Berichterstattung über Chavez

– Amtsantritt von Juan Manuel Santos. Zum Ende der Ära Álvaro Uribe in Kolumbien

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4 Kommentare zu "Südamerika
“Kriegstreiber” Chávez, die FARC und die Medien"

  1. Wolfgang sagt:

    Die Farc möchte Gespräche mit Santos, ich lach mich schlapp.
    Und das nur unter sozialistischen Vorzeichen. Wann endlich sehen die Menschen dieser Welt endlich einmal ein,
    das der Sozialimus absolut keine alternative Gesellschaftsordnung ist?
    Uribe hin oder her, er hat es erst möglich gemacht, das die Lufthansa wieder Touristen nach Kolumbien fliegt.
    Das wir hier leben können.
    Aber Venezuela, nein Danke!
    Der Chavez gehört endlich einmal weg und zwar schnell.
    Seine Bevölkerung hat doch nun schon genug gelitten.

    Und die Farc gehört ausgeräuchert, schnell und effektiv.
    Oder sie bieten Gespräche an, die sich an den Interessen der meisten Kolumbianer orientieren.
    Und die wollen Frieden, aber keinen Sozialismus!

  2. @Wolfgang
    Nun, was soll man dazu sagen? Da haben Sie wohl nicht sehr genau gelesen. Und auf Basis solcher platten Stereotypen und plumpen Vorurteilen, wie Sie sie abliefern, kann man sich auch nur schwer auf eine sinnvolle Diskussion einlassen.

  3. Lemmy Caution sagt:

    Ich werd wirklich müde, all diesen Unsinn noch in einen realistischeren Kontext zu stellen.
    Über den “Putsch” im Jahre 2002 existiert ein sorgfältig recherchiertes Buch “The silence and the scorpion”.
    Oder schau dir dieses CNN en español” video an, in der ein Polizei-Präsident und ein Oppositions-Politiker versuchen mit Andres Izarra über die dramatisch angestiegenen Mordraten in Caracas zu diskutieren.
    http://edition.cnn.com/video/?/video/spanish/2010/08/11/WEBth.cnn
    Die ist heute 7 mal höher als in Bogotá, Kolumbien! Izarra lacht einfach, obwohl diese Zahlen nun wirklich eine ernsthafte Reaktion der Regierung erfordern.
    – Venezuela in dieser Finanzkrise das einzige Land mit einer Bankenkrise in Lateinamerika. Es betraf zum größten Teil Banken, die politischen Freunden von Chávez gehörten.
    – Der Ölboom bescherte Venezuela für eine Reihe von Jahren gute Wachstumsraten. Allerdings war das nicht nachhaltig, da sehr wenig in produktive Bereiche investiert wurde. Wir haben jetzt in praktisch jedem Land der Region ausser Venezuela, Nicaragua und Kuba wieder ein hohes Wachstum.
    – Wir haben in praktisch jedem Land der Region niedrige Inflationsraten. Venezuela belegte im letzten Jahr den 3. Platz der Länder mit der höchsten Inflationsrate.
    – die Regierung unterinvestiert in die öffentliche Infrastruktur. Die Sicherheitslage für die Bürger wird immer schlechter. Die Straßen haben immer mehr Schlaglöche. Die bereits vor Chávez gratis zur Verfügung bereitgestellte Gesundheitsversorgung wird immer schlechter. Infektionskrankheiten wie Dengue Fieber breiten sich immer mehr aus.
    – die Produktion innerhalb und ausserhalb des Ölsektors nimmt immer mehr ab.
    – die Regierung nimmt vom Ausland Kredite zu extrem hohen Zinssätzen auf. Chile finanziert einen kleinen Teil der Folgekosten des Erdbebens mit einer Anleihe von 1.5 Mrd $. Davon ist ein Drittel in Chilenischen Pesos gezeichnet. Die Anleihe in Dollar ist mit 3,84%, die in Peso mit 5,5%. Venezuela nimmt Anleihen mit 12% und mehr Zinsen auf. Wer soll die zurückzahlen?
    – wir regen uns zu Recht auf, wenn die EU subventionierte Lebensmittel in Afrika verklappt. Der Chavismo nimmt einen Großteil der Erdöleinnahmen, kauft Lebensmittel im Ausland und verkauft sie zu einem subventionierten Preis. Zum Schaden der innländischen Landwirtschaft. Das Geld sollte doch wohl besser im Inland investiert werden, oder etwa nicht? Und dann hat eine interne Untersuchung regierungsnaher Kreise IN VENEZUELA festgestellt, dass von diesen importierten Lebensmitteln NUR 14% beim Endverbraucher ankommt. Der Rest versickert wegen Korruption oder verschimmelt im Hafen!
    – Venezuela akzeptiert Rückzugslager der FARC und der ELN. Sie dominieren mittlerweile die östlichen Bundesstaaten und nehmen dort venezoelanische Bürger als Geiseln. Der Chavismo macht nichts. In Kolumbien lehnen weit über 95% der Einwohner die FARC ab. Die FARC zwingt campesinos zu Zwangsarbeit, deren Töchter als Sexsklavinnen und entführt Politiker und auch einfache Bürger. Extreme Chavistas errichten Marulanda (FARC Gründer) Denkmäler und malen FARC-verherrlichende Wandbilder in Caracas.
    Schau dir mal diese Reportage an:
    http://play.cuatro.com/on-line/#/portada/reporteros-cuatro-rec/ver/los-guardianes-de-chavez

    Es reicht. Viele Länder Lateinamerikas durchlaufen in den letzten Jahren einen stetigen Entwicklungsprozess. Begleitet von funktionierenden Sozialprogrammen der Regierungen. Natürlich ist da noch eine Menge zu tun, aber es gibt einen gewissen Fortschritt. Im Gegensatz dazu verschlechtert sich die Situation in Venezuela immer mehr. Der Chavismo erinnert mich immer mehr an eine Geisterbahnfahrt in die für die Region sehr üblen 70er und 80er.
    Wer sich nicht mit berechtigter Kritik auseinandersetzt, den bestraft das Leben…
    Vas a ver.

  4. Lemmy Caution sagt:

    Nichts schlimmes…
    Der erste Link zeigt auf ein 3 Personen Interview von CNN en español. Es nahmen Teil:
    – der Polizei-Chef des opositionell regierten Bundesstaats Miranda
    – ein Oppositionspolitiker
    – ein chavistischer Politiker.
    Politisch würd ich CNN en español als ziemlich ausgewogen bezeichnen. Schon Ted Turner vertrat eine in den USA aussergewoehnlich positive Haltung gegenueber Fidel Castro. Über Themen wie die Verstrickung Uribes Umfeld in kriminelle Machenschaften wird ausführlich berichtet. Auch etwa über die komplexe Situation der Mapuche in der Región de Los Ríos (früher IX Region). Und das Video zeigt 3 Personen, die vom CNN Moderator befragt werden und alle ausreichend Redezeit bekommen.

    Der zweite Link zeigt auf eine inzwischen recht beruehmte Dokumentation des spanischen Fernsehsenders El Cuatro vom Anfang dieses Jahres. Es besteht weitgehend aus Interviews in Venezuela.

    Jeder kann sich natürlich zu allem äußern. Ich persönlich kann es aber auch gleichzeitig für ein wenig problematisch halten, dass sich Leute, die in ihrem Leben noch nie in ein lateinamerikanisches Kollektiv-Taxi bestiegen haben, mit starken Meinungen zu lateinamerikanischen Themen äußern.

    Globovision ist sicher polarisiert. Allerdings sind dies die inzwischen deutlich mehrheitlichen und in weiten Regionen ausschliesslich empfangbaren staats-nahen Sender eben sicher auch.

    Bestimmt existiert in der lateinamerikanischen Medienlandschaft das Problem, das linke Medien deutlich weniger Werbeeinnahmen erwirtschaften als tendentiell eher liberal-konservative Medien. Es gibt aber gottseidank linke Medien. Bin beispielsweise regelmässiger Leser und Spender für die linke “The Clinic” in Chile (online von Deutschland), die dort übrigens an praktisch jedem Zeitungskiosk vertrieben wird. Nur kann man eben die eher obere Mittelschichts-nahen Medien eben nicht unbedingt als Propaganda-Institutionen verstehen. In Venezuela ist das sicher polarisierter, nur liegt das halt auch am polarisierenden Kurs von Chávez.

    Sozialreformorientierte und nicht polarisierende Regierungen wie die von Lula da Silva, Michelle Bachelet, Lugo und inzwischen auch Rafael Corea und Evo Morales wirken heute wesentlich erfolgsversprechender als Chávez. Bachelets Concertación Nachfolger ist zwar nicht gewählt worden, aber Sebastián Piñeras Umfragewerte bewegen sich nun der 40% Marke zu. Trotz sehr guter makroökonomischer Daten wird heute von der Mehrheit auf eine Rückkehr Bachelets 2014 gehofft.
    Chávez war eigentlich nie ein Linker. Sein Kurs ist durchsetzt von Elementen, die eher an faschistische Vorbilder erinnern (der Bolivar Kult, der Glaube, dass sich das “wahre Wesen eines Volkes in aussergewöhnlichen Personen wie ihm selber manifestiert). Chávez hat nie Marx gelesen. Er nennt Marx fast immer in einem Atemzug mit Jesus Christus.
    Aus meiner Sicht schalten sicher Lateinamerika-kundige Publizisten wie Harald Neuber problematischen Aspekte von Chávez und seiner Regierung systematisch aus. Diese Strategie feuert mittelfristig zurück. Wenn ich jemanden von den sehr linken aktuellen Publizisten vertraue, dann ist es Raul Zelik. Und der wird zunehmend Chávez-kritischer.
    Lateinamerika benötigt DRINGENST eine Aufweichung der oft sehr harten Klassengegensätze. Die Regulierung der aus der Not geborenen Improvisitationsfähigkeiten der Unter- und Mittelschichten hin zu geordenteren Sozialstaatlichen Verhältnissen. Das gilt auch für das “Wunderland” Chile, mit dem ich stark verbunden bin. Aber glaubt nicht diesen falschen Heiligen. Kritik ist ganz sicher notwendig und jedwege Kritik als eine Medienverschwörung abzutun kanns auf die Dauer nicht sein…

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