Triumph des Neoliberalismus
Von Sebastian Müller
In der Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise, der Schuldenkrise und drohenden Staatsbankrotte ist etwas bemerkenswertes geschehen. Von Intellektuellen, Ökonomen, Journalisten und Politikern – letztendlich von der überwältigen Mehrheit der Öffentlichkeit – wurde die globale Finanzindustrie und die dahinterstehende Ideologie des Neoliberalismus als die Schuldigen der Krise ausgemacht. Im groben war die Diagnose durchaus richtig – die Finanzblase entstand u.a. durch eine Anhäufung von Vermögen auf Kapitalseite, das auf virtuellen Märkten – abgekoppelt von der Realwirtschaft – zur Spekulation verwendet wurde. Dieser Praxis wurde durch eine Deregulierungs- und Umverteilungspolitik von unten nach oben Vorschub geleistet. Als Konsequenz geriet der Neoliberalismus noch mehr in Verruf, als er es ohnehin bereits war. In den Zeitungen und Polit-Magazinen wurde ein Epochenwechsel angekündigt. Das Zeitalter des Neoliberalismus sei zu Ende.
Doch ist es das wirklich? Mitnichten. Im Gegenteil, die neoliberalen Rezepte – publizistisch eigentlich schon zerlegt – feiern einen realpolitischen Triumph.
Wie gesagt, es ist bemerkenswert: Mit Wut und Empörung wurde von der Weltöffentlicheit nach den Schuldigen gesucht und nach Alternativen zum gegenwärtigen, durch sich selbst diskreditierten System gerufen.
Doch von der Politik – die von der übermächtigen Lobby der Finanz- und Wirtschaftsindustrie in Schach gehalten wird (wie sich jetzt um so mehr zeigt) – wird das alte System gestützt, und seine historisch längst gescheiterten Instrumente zur Krisenbewältigung angewendet.
Fangen wir mit einem Blick auf das Vorhaben der Regulierung der Finanzmärkte an. Fast nichts ist bisher geschehen. Das Ziel einer Finanztransaktionssteuer oder Bankenabgabe wird international wohl scheitern. Auf nationaler Ebene wird dies, bspw. in Deutschland durch Wolfgang Schäuble, überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Eine Spekulationssteuer wird erst gar nicht mehr erwähnt.
Die Regulierung der Finanzmärkte, als auch die Zerschlagung der Großbanken, wäre das erste Gebot der Stunde gewesen, doch mittlerweile sind 2 Jahre der Untätigkeit vergangen – ohne Aussicht auf Veränderung. Man scheint doch zur Einsicht gelangt zu sein, dass Deregulierung, bzw. der Status quo immer noch der richtige Weg sei.
Schauen wir auf Griechenland. Im Zuge des drohenden Staatsbankrottes hat die griechische Regierung unter dem Druck der EU (allen voran Deutschland) und des IWF, als Bedingung für finanzielle Hilfe, einem drastischen Sparprogramm zugesagt. Dieses Sparprogramm, wird Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, des Sozialetats, der Gehälter und – wie der griechische Finanzminister Giorgos Papakonstantinou plant – die Privatisierung des griechischen Tafelsilbers zur Folge haben. Ähnliche Privatisierungsmaßnahmen sind auch in Portugal geplant.
Sparen um jeden Preis, mit dem Ziel der Verringerung der Staatsquote – die Konditionen (Sanktionen) die Griechenland auferlegt wurden, sind durch und durch neoliberal, und werden vor allem die Armen und die Mittelschicht treffen. Der IWF macht mit seinen Forderungen zur Strukturreform dort weiter, wo er in Südamerika Ende der 90er Jahre aufgehört hat.
Die gesamte Europäische Union macht es nicht besser. In den meisten Mitgliedsländern, von Italien, über Spanien und Portugal bis Deutschland, unterwerfen sich die Regierungen drakonischen Sparmaßnahmen. So unkoordiniert, wie das vonstatten geht, wird die Konjunktur in Europa bzw. die europäische Binnenwirtschaft abgewürgt. Vor allem das exportfanatische Deutschland wird dies langfristig zu spüren bekommen.
Hier ist ein weiteres Phänomen neoliberaler Wirtschaftspolitik zu sehen. Ein Konkurrenz- und Unterbietungswettlauf im Zuge des Standort- und Produktivitätswettbewerbes. Es ist ein alternativloser Teufelskreis des Lohn- und Steuerdumpings. Wenn sich alle Euroländer so “vorbildlich” verhielten wie von Deutschland gefordert, also die selbe exportorientierte Wirtschaftspolitik betrieben, würde sich die europäische Wirtschaft in eine Katastrophe manövrieren. Wohin sollen die Exporte gehen, wenn es nur noch Exporteure gibt? Auf diese Frage hat die neoliberale Wirtschaftsdoktrin immer noch keine Antwort. Stattdessen wird auch nach der Finanz- und Wirtschftskrise – als Rezept zu seiner Bewältigung – ein schonungsloser Wettbewerb gefordert, statt endlich einen politisch koordinierten, gemeinsamen solidarisch – europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen.
Doch eine solche Einsicht wird besonders von der Regierung Merkel, im Interesse der rein mikroökonomisch bzw. betriebswirtschaftlichen denkenden Wirtschaftslobby, ignoriert. So droht das Szenario, dass fast alle EU-Staaten sich konkurrenzfähig zu Sparen versuchen. Fataler Weise hat sich die Bundesregierung über die Schuldenbremse den Zwang zu Sparen in der Verfassung selbst verankert.
Und wer finanziert diesen aufs neue Blüten treibenden Irrsinn der drastischen Haushaltskonsolidierung (die auf diese Weise misslingen wird)? Weder die Banken, noch die Reichen, weder die Schuldigen noch die Starken. Die Lasten werden einmal mehr – dass beweist auch die aktuelle Haushaltsklausur in Deutschland – auf die Schwächsten abgewälzt werden.
Die Apologeten und Profiteure des neoliberalen Systems haben nicht geschlafen. In der Zeit, wo seine Legitimität auf der Kippe stand, ist ihnen ein Husarenstück gelungen. Sie haben es durch Lobby und PR-arbeit geschafft, die Krise für den Neoliberalismus zu instrumentalisieren – mit einem Angriff auf den Sozialstaat. Die Mär vom “faulen Griechen” war der Propagandaauftakt, die Methapher das europäische Pendant zur “sozialen Hängematte”. Jetzt werden nur acht Jahre nach der Agenda 2010 und Hartz IV die Sozialsysteme weiter geschleift werden, europaweit. Die soziale Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge in den Kommunen und Gemeinden wird demontiert. Der Staat wird “schlank”, die progressive wird immer mehr zu einer regressiven Umverteilung. Der Bock hat sich zum Gärtner gemacht.
Zum Thema: