Zur Krise eines Wissensstandortes

Klamme Unis, ausgebeutete Dozenten, Profitinteressen und ein sich schlank sparender Staat: Das alles hängt zusammen. Nur kaum einer will das wahrhaben – schon gar nicht die FDP.

Hochschulpolitik

Foto: Dirk Ehlen / Flickr / CC BY 2.0

Von Sebastian Müller

Innerhalb der nordrhein-westfälischen FDP-Basis, genauer in Bielefeld, wurde jüngst in hier und hier online gestellten Leserbriefen über die Hochschulpolitik diskutiert. Hintergrund ist die knappe Finanzlage der Hochschulen und die zunehmende Prekarisierung des akademischen Mittelbaus, die zuletzt auch immer wieder in der SZ thematisiert wurde.

Die Regionaldebatte ist deshalb so interessant und erwähnenswert, weil sie erstens überregional derzeit weitestgehend totgeschwiegen wird, und zweitens dennoch symptomatisch ist. Das letzte Rauschen im Blätterwald gab es Mitte September nach einer Stellungnahme der wissenschaftspolitischen Sprecherin der FDP-Fraktion in NRW, Angela Freimuth, zum umstrittenen Hochschulzukunftsgesetz (HZG). Das wurde wenige Tage zuvor verabschiedet, und räumt der Ministerialbürokratie NRW unter anderem mehr Kontrolle über die Finanzplanung der Hochschulen ein.

Daran reiben sich sowohl Freimuth als auch Daniel Steiner, Mitglied des Bielefelder Studierendenparlaments und stellvertrender Vorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen NRW, die im HZG eine Schwächung des Wissenschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen sehen. Doch das ist nicht viel mehr als Kampfrethorik. Tatsächlich dreht sich der ganze hochschulpolitische Streit um das HZG nicht zuletzt um das Paradigma der „unternehmerischen“ bzw. der „entfesselten“ (Detlef Müller-Böling vom bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)) Hochschule gegen das Leitbild einer demokratischen und sozialen Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung. Dieses Paradigma steht in einem direkten Wirkungszusammenhang mit der knappen Finanzlage. Dazu später mehr.

Vor allem wurde und wird neben dem bedenklichen Leitbild der “unternehmerischen Hochschule” eine weitere zentrale Problematik unisono nicht aufgegriffen. Damit dreht sich die Debatte um sich selbst. Symptomatisch ist sie, weil sie insgesamt für eine FDP steht, die einfach nicht in der Lage ist, ihren in fast allen Belangen neoliberalen Dogmatismus zu überwinden, und damit auch nicht die Gründe für ihren Niedergang begreifen wird. Das zumindest erkennt Florian Sander, leBoh-Autor, als einer der Diskutierenden immerhin selbst:

“Einher geht diese Ignoranz mit einem Freiheitsbegriff, der bis auf einige wenige thematisch verengte Wirtschaftsliberale niemanden mehr anspricht und den auch niemand braucht, da er das Individuum ausklammert und sich in wahltaktischem Klienteldenken erschöpft. Es bleibt ein Rätsel, wie eine Partei, die selbst auf lokaler Ebene eine solche Politik der politischen Konkursverwaltung verfolgt, sich jemals wieder erholen will.”

Längst muss die Ursache der Unterfinanzierung der Hochschulen trotz geschnürter Milliardenpakete des Bundes, und damit das zentrale und übergreifende Problem für die Infrastruktur des Wissensstandortes Deutschland in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Dieser wurde – wahrscheinlich unwissentlich – im Zuge der Diskussion zwar von Steiner kurz erwähnt, ohne aber auch nur in einem Halbsatz kritisch darauf einzugehen: Die 2009 durch Bundestag und Bundesrat verankerte “Schuldenbremse” – und mit ihr auch die im größeren Umfang von der FDP in Regierungszeiten mit unterstützte Austeritätspolitik der Bundesregierung!

Diese beiden Daumenschrauben erlauben den Ländern und Kommunen keine seriöse Haushaltspolitik mehr; sprich auch die Möglichkeit, in Bildung zu investieren, anstatt dort immer mehr Kürzungen vorzunehmen. Denn es ist nichts neues, dass es immer Kultur und Bildung sind, die als erstes zu leiden haben, wenn die Gelder klamm sind.

Im Grunde genommen wird nun allenthalben über jene Folgen auf Kommunal- und Landesebene geklagt, die durch eine jahrelange Spar- und Steuersenkungspolitik selbst geschaffen wurden. Das Problem also ist längst übergreifend, und lässt sich angesichts einer chronischen Unterfinanzierung nicht über eine hochschulpolitische Diskussion lösen. Fakt ist, dass die Frage, ob dem Zweig nun mehr Autonomie zugestanden werden soll oder nicht, belanglos ist, wenn am ganzen Ast gesägt wird.

Denn durch die rigide Spar- und Kürzungspolitik untergräbt Deutschland seine einst so guten Voraussetzungen als Wirtschaftsstandort insgesamt. Mittlerweile verrottet die Infrastruktur allenthalben, Gelder zur Instandsetzung von Brücken etc fehlen. Schulen, Büchereien und Schwimmbäder müssen geschlossen, der ÖPNV ausgedünnt werden und so weiter und so fort. Länder und Gemeinden schaffen es dabei immer weniger, ihren hoheitlichen Aufgaben nachzukommen. Stichworte: Outsourcing, Privatisierung, PPP, Cross-Border-Leasing, Subunternehmen.

Das alles ist auch FDP-Vokabular. Und die Geschichte vom Rückzug des sparenden Staates hat ihre eigenen Kapitel. Das Jüngste ist die von misshandelten Menschen in einem Flüchtlingsheim im nordrhein-westfälischen Burbach. Die Täter: Angestellte des “sozialen Dienstleisters” European Homecare (EHC). Es ist ein Beispiel der vielen möglichen Folgen, wenn die öffentliche Hand immer mehr Aufgaben privaten Unternehmern überlässt.

Man kann jetzt fragen, was das alles mit Bildungs- und Hochschulpolitik zu tun hat. Mehr als man denkt. Denn nicht nur eine Privatisierungspolitik, sondern auch der steigende Einfluss von Unternehmen auf Bildung und Forschung ist zu beobachten und offenbar politisch gewünscht. Zu der zunehmenden Ökonomisierung und deren Folgen hatte einst auch Florian Sander unter dem bezeichnenden Titel “Die Ökonomisierung der Bildung ist unliberal” Stellung genommen:

“Die deutschen Studierenden sollen vor allem als Humankapital für die Wirtschaft fit gemacht werden: Die Abschlüsse sollen vergleichbarer werden, das Studium kürzer, die Inhalte „praxisnäher“, die Organisation „effizienter“. Die neu installierten Hochschulräte, ausgestattet mit erstaunlich weitreichenden Kompetenzen, wirken in ihrer Zusammensetzung nicht selten wie operative Kopplungen, über welche das Wirtschaftssystem seine (Profit-)Interessen besser in die Wissenschaften projizieren kann.”

Dass eine solche Entwicklung um so mehr gefördert wird, je knapper die öffentlichen Mittel werden, scheint dabei aber im blinden Fleck des deutschen Liberalismus zu liegen. Die von den Liberalen so hofierte Wettbewerbsfähigkeit und Standortkonkurrenz sind längst jene ideologisch aufgeladenen Kampfbegriffe, die auch zum Leitbild für die „unternehmerische“ oder „entfesselte“ Hochschule geworden sind. Deren Forschung und Entwicklung soll angesichts rückläufiger oder bestenfalls stagnierender staatlicher Grundmittel mehr und mehr durch den Wettbewerb um die Einwerbung zusätzlicher Drittmittel gesteuert werden, die inzwischen teilweise bis zu 40 Prozent am Gesamtbudget der Hochschulen ausmachen.

Ohne nun auf die Gefahren eines wissenschaftlich-industriellen-Komplexes einzugehen, zeigt das alles, dass eine klein-klein-Diskussion über Hochschulorganisation wenig bringt, wenn man die Ursachen des Problems auf der Makroebene nicht benennt: Das Eingeständnis, das eben Schuldenbremse und Austeritätspolitik mitten in der Krise (prozyklisch) nicht nur krisenverschärfend wirken, sondern auch in jederlei Hinsicht zukunftsschädigende Folgen haben. Das Eingeständnis also, dass diese fiskalpolitischen Instrumente, die die FDP bis heute unbeirrt mit trägt, rein gar nichts mit seriöser Haushaltspolitik zu tun haben.

Es ist im weitesten Sinne eine bildungspolitische Frage: Wenn die FDP argumentiert, dass der Staat, wenn er Schulden mache, dies auf Kosten der zukünftigen Generationen tue, ist das zwar reine Polemik, aber leider auch Common-Sense geworden. Tatsächlich sind Investitionen in Infrastrukturprojekte – und Hochschulen zählen dazu – eine Investition gerade zu Gunsten zukünftiger Generationen.

Solange hier kein Umdenken stattfindet, ist die Diskussion über eine fragwürdige Hochschulfreiheit im Sinne der Privilegien von Rektoren nicht wirklich zielführend. Sie kann jedenfalls nicht das Problem der Prekarisierung des akademischen Mittelbaus lösen. Dieses Problem ist ohnehin eine konsequente Fortentwicklung eines wachsenden Phänomens in Zeiten schrumpfender Mittelschichten: Das Bildungsprekariat.

Artikelbild: Dirk Ehlen / Flickr / CC BY 2.0

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2 Kommentare zu "Zur Krise eines Wissensstandortes"

  1. Trader Joes sagt:

    So so, die Schuldenbremse schadet also unseren Hochschulen. Nur mal um vielleicht den Blick dafür zu schärfen, in welchen Dimensionen wir uns finanziell bewegen:

    NRW hat im Haushalt 2013 gut 4 Milliarden Euro allein für Schuldendienste verplant, während das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung Ausgaben von rund 7,5 Milliarden Euro veranschlagt hat. Und Sie wollen noch mehr Schulden machen? Ohne diese jahrzehntelange SPD-Politik der “Investition durch Verschuldung” hätte allein das Land NRW heutzutage 4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, die es gerne in die Hochschulen stecken dürfte.

    Stattdessen geht das Geld an die Banken, 4 Milliarden jedes Jahr. Die Schuldenbremse könnte der nächsten Generation dieses Schicksal ersparen.

    Während der schwarzgelben “Austeritätspolitik” wurden übrigens die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung von 3,4% auf 4,2% des Gesamthaushaltes angehoben (und der Bundeshaushalt ist gewachsen).

    Aber was sind schon solche Zahlen, wenn man das klare Feindbild des “Neoliberalen” vor sich hat? Dann lieber Allgemeinplätze von sich geben statt Fakten zu präsentieren..

  2. Johannes sagt:

    NRW könnt man im Artikel auch durch “Sachsen” ersetzen. Hier nannte sich das Ganze letztes Jahr ‘Hochschulfreiheitsgesetz’. An Wortwitzen mangelt es der Legislative in Deutschland jedenfalls nicht.

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