Letzte Wegscheide Hollande

Das Votum in Frankreich und Griechenland als Auflehnung gegen das Diktat der “Märkte”

Von Sebastian Müller

Mit der Wahl Francois Hollandes zum französischen Staatspräsidenten bezieht der zweite Sozialist nach Francois Mitterand dieses Amt. Entscheidend nicht nur für Frankreich, sondern vor allem für die Zukunft Europas wird sein, ob Hollande es schaffen wird, den Weg der unheilvollen Austerität zu beenden, oder ob er ähnlich wie einst Mitterand den Kurs wechseln und vor Angela Merkel und dem viel zitierten „Sachzwang“ einknicken wird. Diese Frage wird nicht weniger als der letzte große Lackmustest der europäischen Demokratie und ihrer Volkssouveränität sein.

In Frankreich und Griechenland haben die Wähler nicht nur jene Regierungen abgestraft, die bisher den Vorgaben der Troika zum Sparen und Kürzen auf nationaler Ebene gefolgt sind, sondern indirekt auch ein deutliches Votum für eine andere europäische Wirtschaftspolitik gegeben. Das ist weder überraschend, noch hat sich dies erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise abgezeichnet. Dass die Bürger Europas mehrheitlich gegen eine neoliberale Interpretation des europäischen Gedankens sind, wurde bereits mit den Volksentscheiden gegen den EU-Verfassungsvertrag von 2005 deutlich.

Bisher wurde die zunehmende Euroskepsis, die durch den marktliberalen Kurs der EU immer mehr angeheizt wird, von den nationalen Regierungen weitestgehend ignoriert. Die Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages durch die Referenden in Frankreich und den Niederlanden wurde geflissentlich übergangen, indem statt einer neuen Debatte und Ausarbeitung des Vertrages eine marginale Modifizierung in Hinterzimmern stattfand und mit dem Vertragswerk von Lissabon durchgedrückt wurde. Doch der Lissabon-Vertrag ist mit seinen bedenklichen Demokratiedefiziten und seinen vertraglich verankerten marktliberalen Prinzipien ein Meilenstein der heutigen Entwicklung.

Der rigide Sparkurs in Europa wird ohne Rücksicht auf volkswirtschaftliche und politische Verluste umgesetzt – die Vorgaben der Troika in Spanien, Portugal und Griechenland haben nicht nur den beispiellosen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit befördert, sondern bringen auch die Regierungsparteien allenthalben an den Rand des politischen Selbstmordes. Dennoch wurden und werden die Vorgaben unisono über die Köpfe und gegen den Willen der Mehrheit durchgesetzt. Diese Fremdsteuerung der Parteien durch vermeintliche Sachzwänge aber, ist nicht weniger als das Drehbuch zum Untergang der nationalen Volkssouveränität, die von den Interessen der „Märkte“ abgelöst wird.

Gelingt es nun auch Hollande als Präsident der immerhin zweitgrößten Wirtschaftskraft der EU nicht, zumindest einen Teil seiner zentralen Wahlversprechen – wie die Erweiterung des sogenannten Fiskalpaktes durch einen Wachstumpakt oder die Anhebung des Spitzensteuersatzes – durchzusetzen, ist auch das letzte Kapitel auf dem Weg zur Postdemokratie abgeschlossen.

Die Vorzeichen sind doppeldeutig: Auf der einen Seite war gerade den Leitmedien das Entsetzen über das Ergebnis der Wahlgänge in Frankreich und Griechenland anzumerken. Man sieht das Votum als Katastrophe für den Fortgang des – euphemistisch als „Reformen“ bezeichneten – Spardiktates an. Im öffentlichen Diskurs ist der Offenbarungseid allenthalben schon zur Selbstverständlichkeit geworden: Dass das „Vertrauen der Märkte“ mehr wiegt als der Wille des verfassungsmäßigen Souveräns. Das Einbrechen der Kurse in Griechenland und Frankreich bestimmte folgerichtig die Schlagzeilen.

Ob links oder rechts, ob mit oder ohne Euro, die Eliten an der Macht huldigen dem Altar der Sparpolitik. Regierungen dürfen sich hier ein bisschen schräg stellen, dort angedeutete Akzente setzen. Doch niemand wagt es, den Katechismus der Haushaltsdisziplin in Frage zu stellen.“ – Philip Stevens (FT)

Des Weiteren ist auch Hollande selbst zwielichtig. Seinem dezent linken Wahlkampf ließ er beschwichtigende Worte an die Finanzindustrie folgen: „Ich bin nicht gefährlich“ – eine Andeutung die zweifelsohne der mahnenden Erinnerung an Oskar Lafontaine geschuldet sein dürfte, der seinerseits als Finanzminister in der Regierung Schröder von den Medien als „gefährlichster Mann Europas“ bezeichnet wurde. Lafontaine plante damals eine Regulierung der Finanzmärkte und eine Neuordnung jenes internationalen Währungssystemes, dessen spekulative Destruktivität der EU jetzt um die Ohren fliegt – ein Schelm der Böses dabei denkt.

Auf der anderen Seite ist Hollande nur die derzeit populärste Stimme einer wachsenden Zahl von Akteuren, die der Austeritätspolitik und ihrer vertraglichen Zementierung im Fiskalpakt kritisch gegenüber stehen. Zudem spricht alleine die Vernunft und die empirische Auswertung der verheerenden Wirtschaftszahlen in Europa für einen ökonomischen Kurswechsel. Dies wäre nicht mehr als ein Akt des Pragmatismus – und Hollande ist ein ausgewiesener Pragmatiker. Seine guten Kontakte in die Wirtschafts- und Finanzwelt könnten dem Ökonomen auch zum Vorteil gereichen. Denn eines ist klar: Mit der offenen Feindschaft des Big Business im Rücken lässt sich auch in Frankreich kein Blumentopf gewinnen.

Die spanische Tageszeitung El País bemerkte treffend, dass es Zeiten gebe, in denen schon gesunder Menschenverstand revolutionär anmute. Denn Hollande stemme sich gegen den wirtschaftspolitischen Selbstmord Europas, der von der Sparpolitik erst verursacht werde. Diese sei das Resultat einer falschen Diagnose. Die Wachstumsschwäche Europas sei vielmehr das eigentliche Problem und nicht die Verschuldung.

Es Pfeifen die Spatzen schon seit geraumer Zeit von den Dächern: Wirtschaftlich und wissenschaftlich ist der Neoliberalismus diskreditiert und überholt. Es wird die Herkules-Aufgabe des neuen französischen Präsidenten sein, ihn als Vertreter der Vernunft auch auf der politischen Ebene der EU zu verdrängen. Seine Widersacher sind die mächtigen Profiteure des Status Quo. Wie gesagt – wenn Hollande diesen Kampf verlieren sollte, können die Aussichten für Europa, die Demokratie und den Wohlstand gar schlimmer nicht sein.

Zum Thema:

– Was ist Soziale Marktwirtschaft?

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5 Kommentare zu "Letzte Wegscheide Hollande"

  1. Der Duderich sagt:

    “Diese sei das Resultat einer falschen Diagnose. Die Wachstumsschwäche Europas sei vielmehr das eigentliche Problem und nicht die Verschuldung.”

    Immernoch wird innerhalb der Leitplanken einer Wachstumsgläubigkeit gedacht. Solange kann auch nicht dieses System geändert/gewechselt werden. Wer denkt denn endlich als Alternative ein nur auf qualitatives Wachstum basierendes Wirtschaftssystem?

    Ich empfehle dazu folgenden Text:
    http://heinzsauren.wordpress.com/2012/05/10/wachstum-und-konsolidierung/

    Euer Duderich

  2. Solveigh Calderin sagt:

    …. und wieder wird alle “Hoffnung” auf eine Person gesetzt als sei sie der Heiland?
    Seit wann ändert eine Person irgend etwas am Lauf der menschlichen Gesellschaft?
    Seit wenn ändern Wahlen irgend etwas?
    Ich halte es für grundlegend falsch, die Entwicklung ganz Europas von den Entscheidungen einer einzigen Person abhängig zu machen, das klingt mir zu sehr nach dem Heiland Jesus…

  3. gerdrueger sagt:

    Was die französische Medienlandschaft angeht, wie sie uns auf ARTE manchmal präsentiert wird… siehe Daniel Leconte
    https://le-bohemien.net/2012/05/09/der-geist-des-daniel-leconte/

    (nichts gegen ARTE ansonsten, kaum irgendwo finden sich so klare TV-Bilder gegen die US-Machteliten)

  4. Eric B. sagt:

    Richtig, es geht um Sein oder Nichtsein, Demokratie oder Märkte. Dabei setzt Merkel eindeutig auf die Märkte. Kurz vor dem Treffen mit Hollande in Berlin heizt die Bundesregierung massiv die Angst vor einer Griechenland-Pleite ein – wohl wissend, dass dies die Märkte verunsichert. Aber das ist wohl auch das ziel; so soll Hollande in die Defensive gedrängt und auf eine neoliberale Strategie verpflichtet werden. Ähnlich hat es Merkel schon letztes Jahr mit Sarkozy gemacht… http://lostineurope.posterous.com/merkels-verunsicherungs-taktik

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