Kuba ist nicht bloß eine weitere Autokratie, sondern zugleich Ideengeber für demokratische Entwicklungen gewesen. Eine politische Paradoxie, die zu einer differenzierteren Betrachtungsweise auf die Rolle von Fidel Castro verleitet.
Versucht man, Assoziationen mit dem zunächst abstrakt erscheinenden Begriff des Anti-Imperialismus zu wecken, so dauert es nicht lange, bis man bei Fidel Castro und seinem sozialistischen Kuba landet. Der legendäre kubanische Revolutionsführer spielte für eine ganze Generation in einer Liga mit Legenden wie Che Guevara, inspirierte weltweit ganze politische Bewegungen und etablierte in Kuba ein politisches System, das sich wider alle von den USA ausgehenden Versuche, es zu eliminieren, bis heute hält, inzwischen mit Fidels Bruder Raúl Castro an der Spitze.
Das Verhältnis zu den USA wird sich in den nächsten Jahren wohl alles andere als verbessern: Nach einem kurzfristigen Tauwetter im Rahmen der Präsidentschaft Barack Obamas hat der gewählte US-Präsident Donald Trump inzwischen durchblicken lassen, dass er nicht gewillt ist, Kuba als etwas anderes als eine „blutrünstige Diktatur“ zu betrachten – der zumindest außenpolitisch hoffnungsvoll gestartete Trump scheint bereits jetzt vom Establishment seiner Partei aufgesogen zu werden. Und dennoch: Um die Aggressivität der US-Politik gegenüber Kuba zu Zeiten des Kalten Krieges, insbesondere in dessen Hochphase, zu toppen, müsste sich selbst Trump schon sehr ins Zeug legen.
Die zahlreichen gescheiterten Attentate amerikanischer Geheimdienste auf Fidel Castro sind legendär. Ein besonderes Trauma in der Geschichte der „Beziehungen“ zwischen den USA und Kuba ist auch bis heute das Fiasko der Schweinebucht-Invasion unter dem heute zwar vielgerühmten, aber eigentlich ziemlich kriegerischen US-Präsidenten John F. Kennedy im Jahre 1961: Dieser hatte dabei CIA-Planungen fortführen lassen, die noch unter seinem Vorgänger Eisenhower entstanden waren und die den Sturz von Castros Regierung mit Hilfe von Exil-Kubanern zum Ziel hatte. Die Invasion scheiterte und wurde für die USA nicht nur zu einem militärischen, sondern auch zu einem politisch-propagandistischen Fiasko. Nicht wirklich erfolgreicher war die folgende „Operation Mongoose“, die die kubanische Regierung über Sabotage, Propaganda und andere destruktive Methoden beseitigen sollte.
Gerade mit Blick auf jüngere Ereignisse der Weltgeschichte sticht jedoch eine geplante Aktion gegen Kuba zu jener Zeit ganz besonders ins Auge: Die von hohen US-Militärs geplante „Operation Northwoods“, welche sogenannte False-Flag-Terrorangriffe auf zivile Ziele in den USA beinhaltete, welche Castro zugeschrieben werden sollten, um damit eine US-Invasion in Kuba zu legitimieren. Übrigens: Keine Verschwörungstheorie, sondern belegtes historisches Faktum, welches in den späten 90er Jahren im Zuge des „Freedom of Information Act“ ans Licht kam. Letztlich wurde die Operation nicht durchgeführt, weil Kennedy sie schließlich abgelehnt hatte. Wem aber will man es angesichts solcher Entwicklungen noch verübeln, wenn er zumindest in Betracht zieht, dass auch 9/11 ein solcher „Inside Job“ gewesen sein könnte?
Doch zurück zum Ausgangsthema. Der Anti-Imperialismus befand sich mit dem immer stärkeren, weltweiten Glaubwürdigkeitsverlust der Sowjetunion in linken Kreisen in der Krise: Die UdSSR war letztlich als globale Macht einer sozialistischen Utopie diskreditiert – infolge des Stalinismus, infolge internationaler Großmachtpolitik im Kontext des Kalten Krieges, die sich realistisch betrachtet nicht wirklich von der ihres kapitalistischen Gegenparts unterschied. Auch sie bedrohte die Souveränität von Staaten (man denke hier an die Breschnew-Doktrin, die diese Haltung als „Lehre von der begrenzten Souveränität der sozialistischen Staaten“ ganz offen kommunizierte), auch sie setzte auf das vor allem auch Deutschland bedrohende Abschreckungsszenario eines globalen Atomkrieges.
Dass die „hearts and minds“ einer friedensbewegten, revolutionären, anti-imperialistischen Jugend damit nicht oder nur in stalinistisch gesinnten Ausnahmefällen zu gewinnen waren, verwundert nicht. Die UdSSR zum Vorbild einer solchen Grundhaltung zu machen, hätte fürwahr bedeutet, den souveränitätseinschränkenden Bock zum anti-imperialistischen Gärtner zu machen – eine absurde Vorstellung. Und: Umso mehr ein Beleg der Unsinnigkeit des damals von eben dieser Jugend oft gehörten Satzes „Dann geh doch nach drüben“. „Drüben“ stand eben nur der andere Imperialist, lediglich mit einer anti-imperialistischen Semantik.
Das Kuba Fidel Castros bot – neben anderen, vergleichbaren linken Ikonen (Ho Chi Minh, Che Guevara) – einen Ausweg aus diesem weltanschaulichen Dilemma. Obwohl besonders zu Zeiten der Kuba-Krise Verbündeter der Sowjetunion, war der kubanische Sozialismus unverbraucht, ja „authentisch revolutionär“ und frei vom Verdacht des Imperialismus. Fidel Castro verkörperte nicht nur politisch, sondern auch biografisch authentisch das Bild vom Revolutionär, der die geknechteten Massen mutig von der Geißel des Kapitalismus befreit. Und das in dieser verrückten geopolitischen Situation! Der geografische Kampf „David gegen Goliath“ verschaffte – und verschafft – dem Verhältnis „Kuba vs. USA“ eine geradezu biblische Komponente. Das wirkte – und schweißte nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt ganze Bewegungen zusammen.
Es ist das zentrale Verdienst des Fidel Castro, über diese fast mythologisch anmutende Kombination den anti-imperialistischen Gedanken (wenigstens mit-)gerettet zu haben. Bis heute übt der Name weltweit eine Faszination aus, die u. a. sogar bis ins deutsche sozialdemokratische Lager reicht, welches nun wahrlich nicht mehr als „sozialistisch“ oder „anti-imperialistisch“ bezeichnet werden kann. Allein der Name weckt selbst bei vielen seiner Gegner eine Art politische Nostalgie in Bezug auf eine Ära, in der der „Feind“ noch ein weltlich denkender Idealist war und nicht religiöse Fanatiker, die Menschen bei lebendigem Leibe verbrennen und Frauen als Sklavinnen verkaufen.
Die Regierung Castros – sowohl die Fidels als auch die seines Bruders Raúl – hat sich derweil auf dem lateinamerikanischen Kontinent auch Respekt erworben, der über die – teils naive – Bewunderung einer europäischen Akademiker-Jugend deutlich hinausgeht. Das kubanische Gesundheitssystem ist, auch weniger wohlwollend betrachtet, denen anderer, gegnerischer amerikanischer Staaten um Längen voraus. Zugleich bot Kuba auch Bevölkerungen wie denen Venezuelas oder Boliviens ein stetiges Vorbild, was in der Konsequenz zu einer demokratisch-sozialistischen Wende in den betreffenden Staaten geführt hatte. Kuba ist also nicht bloß einfach eine weitere Autokratie, sondern zugleich de facto ein Ideengeber für demokratische Entwicklungen gewesen. Fürwahr eine politische Paradoxie – aber in jedem Fall eine, die zu einer differenzierteren Betrachtungsweise auf den kubanischen Staat und die Rolle Castros verleiten sollte.
Fidel Castro stand für die klugen Worte: „Ein Kämpfer kann sterben – nicht aber seine Ideen“. Und so wird es in seinem Falle sein: Er selbst mag gestorben sein – die anti-imperialistische Idee einer globalen Emanzipation von einem Kapitalismus, der über seine staatlichen Mächte Souveränität und Selbstbestimmung untergräbt, wird weiter leben.
Nur ganz kurz: Fidel Castro war ein glühender Verfechter der Oktoberrevoltion, und der Sowjetunion. In vielen seiner Reden und Beiträgen ist dieses offen und klar von ihm kommuniziert worden, und das nun irgendwie in eine andere Richtung drehen zu wollen, und in Frage zu stellen wird der großen Errungenschaft Kubas an sich,mit einem der besten Gesundheitssysteme in der Welt, nicht gerecht, neben vielen anderen Errungenschaften. Castro hat aus einem “Bordell” der Amerikaner etwas geschaffen, dass immer eine Bedeutung haben wird, unabhängig von den Widersprüchen in den Zeiten der Geschichte der Sowjetunion. Und die Oktoberrevolution, die den Arbeitern ihre Würde zurückgegeben hat wird ihren Platz in der Geschichte finden, und die Geschichte wird sie freisprechen, ebenso stand Fidel Castro auf der richtigen Seite der Geschichte,für die gequälten, erniedrigten, geknechteten und gedemütigten Menschen, wie Marx es genannt hat.
http://frankfurter-erklaerung.de/2016/11/fidel-castro-ein-nachruf/
Florian Sander macht plausibel, dass Kuba den Menschen, die in noch schlechteren Verhältnisse gelebt haben, durchaus zum Vorbild taugen konnte.
“Ideengeber für demokratische Entwicklungen” war Kuba aber sicher in keiner Weise, bestenfalls Ideengeber für soziale Mindeststandards, wo noch nicht einmal diese erreicht worden waren bzw. sind.
Fidel Castro hatte mit seiner revolutionären Bewegung wirklich eine Diktatur besiegt und dies war es, was ihn neben den biederen Figuren aus den Ostblock-Staaten herausragen ließ.
Als 1978 in der DDR von Che Guevara “Episoden aus dem Revolutionskrieg” als Reclam-Buch erschien, wurden sie auch von den Gegnern des DDR-Staates begierig gelesen.
Wer Fidel Castro historisch gerecht werden will, sollte vor allem bedenken, dass sein jugendlicher Kampf gegen die Diktatur kein pro-kommunistischer war, sondern ein explizit bürgerlicher und nationaler Befreiungskampf. Andernfalls hätte er gar keine Chance zum Siege gehabt.
Hätte die historische Lage eine zu klugem und ausgewogenem Urteil fähige US-Administration zu bieten gehabt, wären die kubanischen Revolutionäre vermutlich gute Partner der westlichen Welt und der USA geworden und hätten sich nicht der fernen Macht Sowjetunion andienen müssen. Angesichts der Option, Partner der Sowjetunion werden zu müssen, war die Möglichkeit zu demokratischer Entwicklung freilich erledigt und die Geschichte der Polarisierung ist bekannt. Barack Obama dürfte auch – neben anderen Verdiensten – als der US-Präsident in die Geschichte eingehen, der die Chance zur Überwindung der kubanischen Diktatur geboten hat.
Allein die Tatsache, dass Fidel Castro nicht käuflich war, macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung und zum natürlichen Feind der herrschenden, korrupten Politikerkaste.Winkt ein Aufsichtsratposten wird jeder Anstand über Bord geworfen.Wer Castros Reflexionen liest, wird schnell den herausragenden Intellekt Castros erkennen.Hat der Commandante alles richtig gemacht? Wer könnte das von sich behaupten?Wenn Obama und Merkel nur noch Randnotizen in den Geschichtsbüchern sein werden, wird der Stern von Fidel Castro noch strahlen.Genau wie der von Nelson Mandela.
kaum zu glauben, was der Autor und die Kommentatoren hier einen glauben machen wollen. Wer von Ihnen hat auf Kuba selbst mit ganz normalen Kubanern mal gesprochen? Haben Sie die ganzen Mißstände in der DDR und ihre Ursachen und Konsequenzen und Parallelen zu Kuba mal analysiert?
Es lobt sich immer so einfach über den Atlantik weg, wenn man nicht die soziale bzw sozialistische Misere selbst spüren muss. Was immer die USA an negativem getan haben, die Diktatur Castros ist selbst verantwortlich für die Misere. Gegenbeispiel gefällig? Taiwan ist auch eine kleine Insel nur wenige Meilen einer feindlichen Supermacht gegenübergelegen, hat es aber geschafft, sich dem chinesischen Griff zu entziehen und die vormalige Diktatur in eine Demokratie mit funktioniender Wirtschaft umzuwandeln.
90% der jüngeren Kubaner wollen lieber heute als morgen auswandern, zum Erzfeind am liebsten…
Volle Zustimmung! Mindestens ich bin wohl missverstanden worden.
Mir liegt lediglich daran, eine bürgerlich-freiheitliche Revolution zu würdigen, deren nachfolgende Entwicklung durchaus offen war.
Die Hinwendung und Abhängigkeit Kubas zur Sowjetunion war auch eine Folge diplomatischen Versagens der einstigen US-Administration.
Fidel Castro war durchaus nicht von Anbeginn “ein glühender Verfechter der Oktoberrevolution und der Sowjetunion” (Ulrike Spurgat). Seine ständige Berufung darauf, er werde nur durch die Geschichte gerechtfertigt werden, ließe sich auch als Eingeständnis auffassen, in eine historische Sackgasse geraten zu sein, für die er sich nicht allein verantwortlich machen lassen möchte.
Dies zu erinnern, bietet bessere Möglichkeiten für die Überwindung der Diktatur auf Kuba. In diesem Sinne verstand ich die Diplomatie Obamas als kluge Strategie, auch auf Seiten der in Kuba herrschenden Funktionärselite der Staatsklasse einem Ausstieg aus dem anti-kapitalistischen Ressentiment den Weg zu bahnen.