Flüchtlingskrise
Das bröckelnde Primat des Geldes

Die Flüchtlingskrise wird nur oberflächlich diskutiert. Dementsprechend wird ihr begegnet: „Refugees welcome“ versus „Refugees go home”

Flüchtlingskrise

Foto: Josh Zakary / flickr / CC BY-NC 2.0

Politik und Wirtschaft wollen die Flüchtlingskrise mit postmodernen Mitteln lösen – dem Geld. Debattiert werden vor allem die finanziellen Herausforderungen der Zuwanderung: Welche Mittel die Kommunen benötigen, um den Ansturm zu bewältigen, welche Ansprüche die Flüchtlinge haben, was sie die sozialen Sicherungssysteme kosten und vor allem – ob und wie sie der Wirtschaft nutzen.

Damit wird die Problematik nicht tiefgreifend, sondern nur oberflächlich angegangen. Reflexhaftes Reagieren statt reflexionsbewusstes Agieren lautet das Motto. Nichts Ungewöhnliches, sondern durchaus gewöhnlich für unsere postmoderne Kultur.

Beginnen wir abstrakt. Theoretisch beschreibt die Postmoderne ein Phänomen, das unter anderem durch Vielheiten, Massenkultur, Dekonstruktionen, Gegensätze und Diskontinuitäten gekenzeichnet ist, – und denen der Einzelne nicht gewachsen ist. Auf einer Metaebene heißt das: Nihilismus und Entwertung stellen sein Charakteristikum dar.

Hilfe- sowie Orientierungspunkt zur Vermeidung einer Konfrontation mit der postmodernen Komplexität – und folglich mit ihrer Unberechenbarkeit – bietet dem Einzelnen das Geld. Aber auch schon zu Zeiten der Aufklärung fungierte Geld als Kompensation zur Auseinandersetzung mit bestimmten Problemen. Kant bemerkte bereits 1784 beißend: „Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; …“. Geld als Allheilmittel.

Jedoch haben sich die Funktionen des Geldes in unserer postmodernen Gesellschaft verändert. Diente es damals vor allem als Mittel zum Zweck und beschränkte sich auf das Wirtschaftssystem, finden sich mittlerweile monetarisierte Vorstellungen und ihre Realisierungen in fast allen Lebensbereichen wieder. Sei es die Ökonomisierung der Bildung, die Ökonomisierung der Wissenschaft oder die Ökonomisierung der Beziehung, respektive der Liebe. Alles wird durch die Brille der Monetarisierung gesehen. Geld stellt also nicht mehr wie nach Niklas Luhmann nur ein Kommunikationsmedium innerhalb des Wirtschaftssystems, sondern ein Kommunikationsmedium für alle Systeme dar.

Geld alleine kann Menschen nicht in die Gesellschaft integrieren

Doch Geld heiligt die Mittel nur bis zu einem bestimmten Punkt. Bis dahin dient es erfolgreich als Kompensation von Unverstand und Inkompetenz. Geld alleine aber reicht nicht aus für den Umgang mit Problemen. Erst die Kombination aus Geld, (Sach)Verstand und Kompetenz ermöglicht dessen sinnvolle Verwendung und bietet somit langfristige, stabile Erfolgsaussichten.

Ein Beispiel dieser typisch postmodernen Vorgehensweise stellt die bisherige Flüchtlingspolitik dar: Anstatt des Versuches einer gelingenden Integration von Migranten werden diese aus ökonomischer Perspektive betrachtet – nämlich als billige, auszubeutende Arbeitskräfte. Und statt Maßnahmen auf ihre Sinnhaftigkeit oder integrativen Erfolge hin zu prüfen, wie zum Beispiel eine koordinierte EU-Flüchtlingspolitik, wurden von der EU seit 2009 1,3 Milliarden Euro in gescheiterte Projekte zur Abwehr von Migranten investiert.

Ob dieses kopflos oder unzureichend kopflastig geschieht, spielt keine Rolle. Kurzfristig war die Taktik der Einwanderungspolitik „erfolgreich“. Die Wirtschaft profitierte von den billigen Arbeitskräften. Lange konnte mangelnde Integration durch kostspielige Maßnahmen überdeckt werden. Doch mit dem jetzigen Flüchtlingszustrom wird die Politik mit einem Problem konfrontiert: dem Erhalt eines stabilen, funktionierenden Gesellschaftssystems.

„Refugees welcome“ und „Refugees go home“ – zwei Seiten einer Medaille

Warum wiederholen sich Szenarien von abgebrannten Asylunterkünften aus den 90er-Jahren abermals? Weil dieses wie so viele andere gesellschaftliche Probleme oberflächlich und symptomatisch behandelt wurde. Die tiefgreifenden Denkmuster und Sozialtriebe des Einheimischen, geprägt von Vorurteilen und Intergruppenkonstellationen, wurden an weitere Generationen übergeben. So archaisch und tiefverwurzelt sind diese, dass sie nur durch den steigenden Wohlstand sowie der Bildung als Massenkonsumgut und Massenunterhaltung übertüncht wurden. Eine oberflächliche Betäubung und Ruhigstellung der menschlichen Konstitution.

Die Dosis dieser Betäubung scheint nun aber zu gering geworden zu sein. Erste Symptome von gesellschaftlichen Unfrieden und Dissens manifestierten sich bereits in zwei diametralen Positionen: Einerseits all jene des Gutmenschentums, die voller Liebe und Offenherzigkeit alle „Refugees welcome“ heißen und andererseits diejenigen, die voller Hass, Angst und Geschlossenheit allen „Refugees go home“ wünschen.

Da stellt sich auf Seiten der „Refugees welcome“-Unterstützer die Frage, was denn die deutsche Willkommenskultur bis heute gebracht hat? De facto ist eine Integration von Migranten erster und darauffolgender Generationen weitgehend gescheitert. Vernünftiger wäre daher, anstatt weitere Menschen gedankenlos in ein allzu oft vorprogrammiertes Scheitern willkommen zu heißen, präventive Bedingungen für eine gelingende Integration zu schaffen. Es gibt bereits unzählige Flüchtlinge und Migranten, die seit Jahrzehnten in Parallelgesellschaften leben. Lange aus den Augen, aus dem Sinn, potenziert sich nun aber die Integrationsproblematik.

Und was die andere Seite, also die „Refugees go home“-Befürworter aufgrund offenkundiger geistiger Unflexibilität nicht sehen wollen, ist, dass die Verantwortung für die Flüchtlingswellen bei den politischen Akteuren liegt. Anstatt die Bundesregierung beispielsweise für das völkerrechtswidrige Engagement in Syrien verantwortlich zu machen, schieben sie die Verantwortung auf die Opfer dieser politischen Entscheidungen. Sie lassen ihre Wut oder Frustration an jenen aus, die vor den Folgen eines vom Westen verursachten Flächenbrandes fliehen.

Was die „Refugees welcome“- und „Refugees go home“-Unterstützer vereint, sind somit ihre Antezedenzen: Gedankenlosigkeit und Wirklichkeitsfremdheit. Der Nährboden ideologischen Gedankenguts.

Der Urheber der ideologischen Aussage ist nicht imstande, den Tatsachen ins Auge zu sehen, sondern deutet sie seinen Interessen gemäß um. Er ist der Getäuschte, nicht der Täuschende.“ – Theodor Geiger

Unsicherheit als Nährboden für Vorurteile und Fremdenhass

Um diese Mechanismen im Kontext der Flüchtlingsdebatte zu verstehen, lohnt es sich, sozialpsychologische Konzepte, wie die der Vorurteile, näher zu betrachten. Da die Kategorisierung von Dingen zur menschlichen Natur gehört, verwundert es nicht, dass dieser Mechanismus auch auf andere Personen beziehungsweise Personengruppen übertragen wird (die sogenannte soziale Kategorisierung). Dieses wiederum resultiert in einen Ethnozentrismus, das heißt einer Tendenz, die Eigen- der Fremdgruppe als überlegen zu betrachten.

Auf die hiesige Situation bezogen, kann man den “deutschen Bürgern” grundsätzlich unterstellen, dass sie sich den Flüchtlingen überlegen fühlen. Sei es nun positiv im Sinne des Gutmenschentums während kurzschübiger Rausche exzessiver Hilfeleistungen, oder negativ als kurzzeitig physisch aggressiv, in brutaler Abwertung und Demütigung.

Dieser natürliche Mechanismus des Ethnozentrismus wird heutzutage jedoch durch gesellschaftliche Prozesse verstärkt, die den Kontrast zwischen beiden Positionen noch deutlicher ausfallen lässt. Aufgrund des Anstieges gesellschaftlicher Komplexität und der daraus resultierenden schwierigen Vorhersagen ist nichts mehr sicher: ob Ehepartner, Arbeitsplatz, Wohnung oder Wohnort. Das einzige was sicher erscheint, ist die Sicherheit über die Unsicherheit.

Und diese Unsicherheit reflektiert die prekäre Situation auch in Deutschland: Erstmals seit der Nachkriegszeit wächst die Armut wieder. De facto existiert ein Kampf um Ressourcen. Dieser Kampf stellt den Angelpunkt der Theorie des realistischen Konfliktes nach dem amerikanisch-türkischen Psychologen Muzafer Sherif dar. Er erklärt das Aufkommen von Vorurteilen und Diskriminierung aus einem realen Interessenkonflikt um Ressourcen zwischen Gruppen.

Daher verwundert es nicht, dass sich die Fronten zwischen „Wir, die Deutschen“ und „Ihr, die Fremden“ verhärten. Zunächst zeigt man sich mit „seinesgleichen“ solidarisch, dann kommt das Fremde. Oder in Brechts Worten: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral“. Erst muss es mir subjektiv gut gehen, bevor ich irgendjemand anderem helfe. Meine Existenz darf nicht gefährdet sein.

Verzweifelte Suche nach einem beschützenden Messias

Aber diese Existenz befindet sich tagtäglich in einem bedrohlichen Kampf. Wenn schon nicht unmittelbar, dann erinnern uns daran zumindest die Medien. Nicht nur die Berichterstattung in der Zeitung oder im Fernsehen, sondern auch Facebook, Twitter und Co. im Sekundentakt. Kaum beginnt die eine Katastrophe auf dem einen Kontinent, schon kommt die nächste Gefahr aus dem nächsten Kneipeneck. Und diese Erinnerung der existentiellen Gefährdung ist es, die nach der Terror Management Theory nicht nur das Aufkommen von Vorurteilen, und Stereotypen, sondern auch die Unterstützung von charismatischen Führerpersönlichkeiten sowie Aggressionen gegenüber Fremdgruppen erhöht.

Um mit einer Angst, – die nicht nur mit einer zunehmenden Prekarisierung wächst -, zurecht zu kommen, verhärtet sich zum einem der Glaube an die Absolutheit der eigenen Weltsicht, zum anderen der Glaube an deren Umsetzung. Die Folge sind Intoleranz, Ideologisierung sowie die Hoffnung auf einen neuen Messias, der einem all diese Ängste und Bedrohungen nimmt. Anstatt eines freien Herumflottierens dieser Angst im Raum, soll diese von einer Person aufgefangen und in ihr gebündelt werden.

Daher haben mannigfaltige Gruppierungen großes Potential, als Auffangbecken für all die Hilfe- und Sichselbstsuchenden zu fungieren. Der gesuchte Messias präsentiert sich in den unterschiedlichsten Gewändern. Für den einen mag es die Ideologie der Naturverbundenheit, des Veganismus, des Genderismus oder die Hetzerei hinter der eigenen Karriere, für den anderen aber die Abwertung alles Fremden sein. Die Einen möchten ihre moralische Überlegenheit, die Anderen ihren sozialen Status vorführen.

Solange diese Selbstsuche nach Halt und Sinn nicht in einer Abwertung des Nächsten mündet, ist alles in Ordnung. Doch durch das Flüchtlingsaufkommen verschiebt sich diese Ideologisierung und Suche nach einem neuen Heilsbringer auf die politische Ebene. Das Phänomen des Rechtspopulismus und die zahlreichen Anschläge auf Asylunterkünfte können als ostentative Verzweiflung eines fehlenden Messias betrachtet werden. Und wie gewöhnlich versuchen politische und wirtschaftliche Akteure das Problem symptomatisch zu behandeln: mit Geld in Form von eiliger Flickschusterei.

Doch die Komplexität der Flüchtlingskrise, bringt, ob der Ungewissheit ihrer Folgen, für alle Beteiligten und Betroffenen die Problematik einer diffusen Entfremdung mit sich, die allein mit Geld oder Verweisen auf den volkswirtschaftlichen Mehrwert nicht zu lösen sein wird.

Artikelbild: Josh Zakary / flickr / CC BY-NC 2.0

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2 Kommentare zu "Flüchtlingskrise
Das bröckelnde Primat des Geldes"

  1. Ute Plass sagt:

    Passend zu diesem Beitrag: “Kapitalismus im Kopf”
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=30031#more-30031

  2. Elitsa sagt:

    Wir suchen flüchtlingspolitisch interessierte Menschen, die uns als Lokalberichterstatter regelmäßig aus ihrer Umgebung berichten. Wie ist die gegenwärtige Unterbringungssituation? Wie ist die aktuelle Stimmung? Gibt es Anwohnerproteste oder Willkommensinitiativen? Wie berichtet die lokale Presse? Gab es in jüngster Zeit Übergriffe? Welche flüchtlingsbezogenen Themen bewegen Dich? Dies und mehr sind Fragen, die uns brennend interessieren!

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