Apartheid in den USA
Der Mythos Rosa Parks

Vor 60 Jahren wurde Rosa Parks als politische Aktivistin, die ihr ganzes Leben als Teil der anti-rassistischen Bewegung kämpfte, verhaftet. Doch ihr Andenken wird verklärt.

Rosa Parks

Bild: Susan Sermoneta / flickr / CC BY-NC-SA 2.0

Es war einmal eines Tages vor 60 Jahren in Montgomerey, Alabama. Das Jim Crow-System hielt den Süden fest im Griff, die Rechte der Schwarzen wurden mit Füßen getreten… bis eines Tages eine gütige alte Frau sich weigerte, ihren Platz im Bus für einen Weißen aufzugeben. Sie war müde, sie hatte den ganzen Tag hart gearbeitet, aber vor allem hatte sie genug von der Ungerechtigkeit: Lieber ließ sie sich verhaften, als ihren Platz frei zu machen. Dieser spontane Akt der Rebellion war Anlass für einen friedlichen Boykott, der als Startschuss der Bürgerrechtsbewegung schließlich die Rassentrennung überwinden sollte.

So in etwa wird es uns erzählt. Die Geschichte der Rosa Parks ist der perfekte amerikanische Mythos: Ja, es gibt Ungerechtigkeit in den USA, aber es gibt auch gute, gerechte Menschen, die heroisch gegen diese Ungerechtigkeit aufstehen und der nationalen Gemeinschaft die Gelegenheit geben, sich moralisch zu läutern. Alles was wir brauchen, um eine “more perfect union” zu erreichen, sind solche Akte des moralischen Heldentums.

Hillary Clinton drückte es kürzlich, bei einem schamlosen Versuch, den Namen Rosa Parks für sich zu vereinnahmen, so aus: “History is made by ordinary people doing extraordinary things” – “Geschichte wird von gewöhnlichen Menschen gemacht, die außergewöhnliche Dinge tun.” Also wie in Hollywoodfilmen: Ein normaler Mensch wird zum Helden einer ergreifenden Geschichte (oft, nachdem er von einer radioaktiv verseuchten Spinne gebissen wurde), er kämpft, er übersteht Prüfungen – und am Ende ist alles gut. Geschichte in Form rührender, inspirierender Erzählungen: Wir können zwar nicht alle Rosa Park sein, klar, aber können wir nicht auch alle auf unsere kleine Weise gegen Ungerechtigkeit kämpfen – und sei es, indem wir ein paar Dollar für Hillarys Kampagne geben?

Entpolitisierte Theorie des gesellschaftlichen Wandels

Zum Glück ist dieses erbauliche Bild von Rosa Parks falsch. Es ist Ergebnis des Versuches, eine radikale Aktivistin für eine harmlose, unpolitische feel-good story zu vereinnahmen und uns eine Art entpolitisierte Theorie des gesellschaftlichen Wandels zu verkaufen, die niemandem mehr gefährlich werden kann. So wird Rosa Parks zur Erfüllerin der heroischen amerikanischen Geschichte stilisiert, zur Nationalheldin, welche den langen, aber mittlerweile angeblich so gut wie abgeschlossenen Marsch in Richtung Freiheit und Gleichheit mitvollendete.

Ähnlich wie schon bei Martin Luther King müssen dafür die eigentlich politischen Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens in Vergessenheit geraten. Es ist ein weiteres Kapitel in der Reinwaschung amerikanischer Geschichte, auf dass diese vollkommen von ihren radikalen Traditionen befreit werde.

Es fängt schon damit an, dass Rosa Parks persönlich, und insbesondere ihr Moment der Weigerung, zum Kernstück der Legende vom Beginn der Bürgerrechtsbewegung erhoben worden sind. Der Gedanke, dass eine einzelne Handlung eines einzelnen Menschen eine derartige Wirkung entfalten kann, ist vielleicht Stoff für eine kulturindustrielle Heldengeschichte, mit der Wahrheit hat er nichts zu tun. In Wirklichkeit kann ein Einzelner, egal wie mutig er ist, egal wie sehr er die Moral auf seiner Seite hat, gar nichts verändern.

Individuelle Akte der Rebellion mögen uns zwar ein warmes Gefühl ums Herz bescheren, mögen unserem Menschen- und Gesellschaftsbild schmeicheln – in Wirklichkeit sind sie meist vergeblich. 15 Monate vor Rosa Parks wurde die 15-jährige Colvin Claudette aus exakt den gleichen Gründen wie später Parks in Montgomery verhaftet. Aber obwohl Claudette sogar noch mehr Mut an den Tag legte als ihre berühmte Nachfolgerin – als sie abgeführt wurde, berief sie sich laut auf ihre verfassungsgebenden Rechte – ist sie heute vollkommen vergessen.

Der Kampf um Bürgerrechte war eine Arbeiterbewegung

Was Parks von Colvin Claudette unterschied, war die Tatsache, dass sie die Unterstützung der Massen hinter sich wusste. Direkt nach ihrer Verhaftung besuchte E.D. Nixon sie im Gefängnis, der sowohl der lokalen NAACP-Gruppe als auch der Gewerkschaftsgruppe der Brotherhood of Sleeping Car Porters (BSCP) vorstand. Diese erste Gewerkschaft von Afro-Amerikanern war eine der bedeutendsten Gruppen, die schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in Zeiten des größten rassistischen Terrors, den Grundstein für die Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre gelegt hatten.

Auch dies ist ein Aspekt der Geschichte, der heute kaum noch im Bewusstsein ist: Dass der Kampf um Bürgerrechte eine Arbeiterbewegung war und bis zuletzt gewesen ist. Martin Luther King wurde erschossen, als er streikende Arbeiter in Memphis unterstützte. Und besonders in Alabama hatten sich während der Depression viele arme Schwarze in der kommunistischen Partei organisiert, einer der sehr wenigen politischen Gruppen, die zu der damaligen Zeit im Süden für eine Überwindung der weißen Vorherrschaft kämpfte. Rosa Parks selbst war zwar keine Kommunistin, hatte aber einige Parteiveranstaltungen besucht.

Der Mythos von Rosa Parks’ “spontaner” Weigerung verschleiert die Tatsache, dass der Erfolg der langwierigen Boykottkampagne von der disziplinierten Arbeit und der Solidarität Tausender Menschen abhängig war. Er betont den Aspekt des individuellen Mutes, unterschlägt aber die Bedeutung von jahre-, sogar jahrzehntelanger kollektiver Organisation. Die Grundlagen für den Erfolg des Boykotts, wie auch der Bürgerrechtsbewegung insgesamt, wurden über Jahre der schwierigen, fast aussichtslosen Arbeit von einem breiten Netzwerk politischer Aktivisten gelegt.

Auch Rosa Parks selbst war nicht irgendeine Frau, die (wie eine gute Protestantin, allein mit ihrem Gott und ihrem Gewissen) eines Tages einfach spontan beschloss, gegen das Unrecht aufzustehen. Sie war schon 1943 der NAACP beigetreten und konnte auf Jahre des Aktivismus zurückblicken, als sie 1955 verhaftet wurde. Dass sie zur Galionsfigur des Boykotts wurde, war auch Ergebnis einer strategischen Entscheidung, da man kalkulierte, dass sie als ältere, respektable Dame am ehesten Akzeptanz in der rassistischen Öffentlichkeit finden würde. Das entstandene Porträt eines harmlosen Opfers der gemeinen Diskriminierung – sicher auch dem Sexismus einiger ihrer Mitstreiter geschuldet, die sie in dieser Rolle eher akzeptierten, anstatt etwa als Anführerin – bestimmt unser Bild von ihr bis heute.

Plack Panther und Malcom X

In Wirklichkeit war Rosa Parks eine überzeugte politische Aktivistin und blieb dies auch nach Ende des Boykotts, nachdem sie Alabama wegen Morddrohungen und des Verlustes ihres Arbeitsplatzes verlassen musste. Später näherte sie sich selbst militanten Gruppen wie den Black Panthers an. Einer der größten Geschichtskitterungen über die Bürgerrechtsbewegung ist die künstliche Trennung in den frühen (guten) friedlichen Protest etwa des SNCC und Martin Luther Kings, und den späteren (bösen) angeblich gewalttätigen Aktivismus der Black-Power-Bewegung und der Black Panthers.

Rosa Parks kannte so eine Trennung offenbar nicht – vielleicht auch, weil sie aus eigener Erfahrung wusste, dass bewaffnete Selbstverteidigung schon immer notwendiger Bestandteil des Afro-Amerikanischen Lebens gewesen war. In ihrer Autobiografie beschreibt sie zum Beispiel, wie sie als kleines Kind ihren Großvater dabei beobachtete, wie er mit der Schrotflinte an der Haustür Wache hielte, während draußen der Ku-Klux-Klan vorbei marschierte.

In den 60er und 70er Jahren lebte Rosa Parks in Detroit und arbeitete im Büro des neu gewählten schwarzen Kongressabgeordneten John Conyers. Gleichzeitig verehrte sie Malcolm X und setzte sich gemeinsam mit radikalen schwarzen Befreiungsbewegungen für die Aufklärung von Polizeimorden und die Befreiung politischer Gefangener ein. Sie besuchte die Black Panthers in Oakland, um ihnen ihre Unterstützung auszudrücken. Auch als ältere Frau weigerte sie sich, mit dem rassistischen System Frieden zu schließen. In den 80er Jahren protestierte sie gegen das Apartheidsregime in Südafrika und selbst mit fast 90 Jahren, kurz nach dem 11. September 2001, demonstrierte sie noch gegen die Kriegs- und Vergeltungspoltik ihrer Regierung.

Einer der bedeutendsten Aspekte ihres Lebenswerk, auch angesichts der aktuellen Konflikte in den USA, ist ihr Kampf gegen sexuelle Gewalt und die Brutalität und Gesetzlosigkeit der Polizei. Die Historikerin Danielle McGuire hat diesen – bis heute fast bewusst ausgeblendeten – Aspekt ihres Lebens dem Vergessen entrissen.

Vergewaltigungen als Kernstück der Apartheid

Das Recht weißer Männer auf Vergewaltigung dunkelhäutiger Frauen war immer schon ein Kernstück des amerikanischen Apartheidsystems gewesen. Mit der Abschaffung der Sklaverei wurde es zwar formell aufgehoben, blieb aber alltäglicher Bestandteil der rassistischen Gesellschaft. Genauso wie jeder Afro-Amerikaner in dem Bewusstsein leben sollte, jederzeit Opfer tödlicher Gewalt werden zu können, war auch sexuelle Gewalt alltäglicher Bestandteil des Lebens unter Jim Crow.

Rosa Parks war schon früh an mehreren Initiativen beteiligt, die für Gerechtigkeit und eine Bestrafung der Täter kämpften – und gegen die rassistische Justiz. 1949 organisierte sie als Teil einer ähnlich breiten Koalition wie später bei dem Busboykott, bestehend aus NAACP, Gewerkschaften und Kirchengruppen, eine Kampagne für Gertrude Perkins, die von zwei Polizisten erst verhaftet und dann vergewaltigt worden war. Trotz der Proteste, die mehrere Monate lang anhielten, wurden gegen die Polizisten nicht einmal Ermittlungen aufgenommen.

Nur vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass sich der Widerstand gegen die Rassentrennung in Montgomery ausgerechnet an den Bussen entzündete. Danielle McGuire schreibt: “Abgesehen von Polizisten verübten nur wenige so viele Akte der rassistischen und sexuellen Gewalt gegen schwarze Frauen wie die Busfahrer von Montgomery. Sie schikanierten sie Tag für Tag auf brutale Weise. Schlimmer noch, die Busfahrer selbst übten Polizeigewalt aus. Sie trugen Waffen und Schlagstöcke, und alle Afro-Amerikaner, die sich der Jim Crow [Apartheits-]Ordnung widersetzten, wurden von ihnen angegriffen und manchmal sogar ermordet.”

Es ist also verständlich, dass gerade Frauen für eine Entmachtung dieser Tyrannen kämpfen wollten. Schon ein Jahr vor der Verhaftung von Rosa Parks drohte JoAnn Robinson, Leiterin des “Women’s Political Council” mit einem Boykott der Busse, sollte das Problem nicht behoben werden. Die Regierung von Montgomery aber weigerte sich. Auch JoAnn Robinson, die seit 1950 jahrelang für die Rechte von Frauen in den Bussen von Montgomery gekämpft hatte, kommt, wie viele weibliche Bürgerrechtlerinnen dieser Zeit, in den Geschichtsbüchern kaum vor.

“Der Kampf geht weiter”

Diese Realität der alltäglichen Gewalt räumt auch mit einem anderen (typisch liberalen) Missverständnis über den Boykott auf, mit der Annahme nämlich, dieser habe sich vor allem gegen die Trennung der Sitzbereiche, gegen eine formale Diskriminierung also, gerichtet. Es verbirgt sich dahinter eine völlig falsche Vorstellung von Herrschaft, als ließe sich diese durch eine Aufhebung schlechter und diskriminierender Gesetze schon aufheben. In Wirklichkeit war die Rassentrennung bloß ein formaler, fast oberflächlicher Ausdruck eines Herrschaftssystems, das sich auf nackte Gewalt einerseits und eiserne politische Hegemonie andererseits stützte.

Mit einer Aufhebung diskriminierender Gesetze war zwar ein wichtiger Schritt im Kampf gegen dieses System getan, besiegt war es allerdings noch lange nicht. Oder wie Rosa Parks es einmal im Alter von 80 Jahren gedankenverloren auf eine Papiertüte kritzelte, die jetzt mit vielen anderen ihrer Dokumente in der Library of Congress aufbewahrt wird: “Der Kampf geht weiter … Der Kampf geht weiter … Der Kampf geht weiter …”.

Das glaubte Rosa Parks bis an ihr Lebensende. Anders als etwa Hillary Clinton es gerne hätte, wird Geschichte nämlich nicht einfach von irgendwelchen normalen, sie wird von radikalen Menschen gemacht. Wenn machtlose Menschen sich zusammen schließen und gemeinsam das System in Frage stellen, das sie beherrscht, können sie die Welt verändern – das ist die eigentliche Lehre der Geschichte von Rosa Parks.

Artikelbild: Susan Sermoneta / flickr / CC BY-NC-SA 2.0

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5 Kommentare zu "Apartheid in den USA
Der Mythos Rosa Parks"

  1. Waldemar sagt:

    Wieder was gelernt. Danke.

  2. Marcus Cyron sagt:

    Gibt es Niemanden, der solche Artikel nicht vorher mal gegen liest? Oder hat wirklich Jemand den Satz “Sie die Black Panthers in Oakland, um ihnen ihre Unterstützung auszudrücken” verstanden?

    Und “Colvin Claudette” heisst “Claudette Colvin”. Der Fehler ist ja nicht nur einmal passiert. Sie ist im übrigen alles andere als “vergessen”, es gibt unter anderem Wikipedia-Artikel in nicht weniger als acht Sprachversionen. https://www.wikidata.org/wiki/Q468897

    • Die Artikel werden durchaus gegengelesen. Fehler lassen sich hier dennoch leider genauso wenig wie in den großen Tageszeitungen vermeiden. Mit dem Unterschied, dass die Redaktion hier erheblich kleiner ist;-). Aber vielleicht haben Sie ja mit Ihrem Fundus an Expertise Interesse, uns bei der Arbeit zu unterstützen?

    • Paul Simon sagt:

      Ja, “fast vollkomen vergessen” wäre tatsächlich eine bessere Formulierung gewesen. Gerade in Zeiten des Internets fällt ja niemand vollständig dem Vergessen anheim. Bloß Rosa Parks kennt eben jedes Schulkind. Ansonsten danke für das aufmerksame Lesen ;-). Das fehlende Wort ist übrigens “besuchte”, sie besuchte die Black Panthers in Oakland.

  3. Ute Plass sagt:

    “Wenn machtlose Menschen sich zusammen schließen und gemeinsam das System in Frage stellen, das sie beherrscht, können sie die Welt verändern – das ist die eigentliche Lehre der Geschichte von Rosa Parks.”

    Ja, eine Botschaft die nichts an Aktualität verloren hat. Danke.

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