Am 7. und 8. Juni werden sich die Staats- und Regierungschefs der größten Industrienationen auf Schloß Elmau über Außenpolitik, Weltwirtschaft, Klima und „Entwicklung“ beratschlagen. Ein Gespräch mit der Expertin für Grundrechte, Elke Steven.
Die „Gruppe der Sieben“ beansprucht für sich die maßgebliche Steuerung der Geschicke der Welt. Ihre nach marktliberalen Paradigmen ausgerichtete Politik stößt dabei erwartungsgemäß auf zivilgesellschaftlichen Protest, dem allerdings vor allem mit Repressionen begegnet wird. Jens Wernicke sprach hierzu mit Elke Steven, Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie und Mitherausgeberin des soeben erschienenen Grundrechte-Reports.
Frau Steven, das Komitee für Grundrechte ist auch im Rahmen der Proteste gegen den G7-Gipfel involviert, in dessen Kontext es wieder einmal nicht nur massive Sicherheitsvorkehrungen, sondern auch präventive Kriminalisierungsversuche sowie Einschüchterungen wider die Demonstrierenden gegeben hat. Wie bewerten Sie das Vorgehen von Politik, Medien und Polizei? Sprechen wir von notwendiger „Gefahreneindämmung“ wider eine Schaar von Gewaltbereiten, wie dies sooft kolportiert wurde und aktuell wird?
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat bei solchen Gipfeltreffen immer wieder Demonstrationsbeobachtungen organisiert. Diesmal sind wir nur von der Ferne begleitend in die Proteste gegen den G-7-Gipfel in Elmau involviert.
Diese Treffen der mächtigsten Staaten dieser Welt, deren Politik aus vielfältigen Perspektiven und grundlegend kritisiert werden muss, haben immer zu einer Welle der Kriminalisierung von Proteste im Vorfeld geführt: Vor dem Gipfel in Heiligendamm wurden zwei Ermittlungsverfahren gegen angeblich terroristische Vereinigungen eingeleitet. 900 Polizisten durchsuchten damals 40 Wohn- und Geschäftsräume in sechs Bundesländern. Diese Ermittlungen fielen danach in sich zusammen. Es ging ja auch nicht um Strafverfolgung, sondern um ein polizeiliches Durchdringen sozialer Netzwerke, darum, die Öffentlichkeit fügsam zu machen und jede noch so willkürliche Aktion der Polizei zu rechtfertigen. Damals zumindest hatte diese Polizeiaktion aber einen unerwünschten Effekt: Die Empörung über staatliche Willkür und Kriminalisierung des Protestes führte zu Solidarisierung und Mobilisierung.
Heute wird, um die drohende Gefahr auszumalen, immer auch auf die Blockupy-Proteste in Frankfurt am 18. März 2015 verwiesen. Der weitaus überwiegende Teil der Demonstrierenden hat dort allerdings friedlich demonstriert. Für die Stadt Frankfurt bestand sicherlich keine Gefahr. Die Bilder mit den rauchenden Säulen aus der Stadt entstanden ja auch, weil die brennenden Barrikaden nicht gelöscht wurden. Das Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1985 ist auch in dieser Hinsicht erfrischend deutlich:
„Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, dann muß für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ,umzufunktionierenʻ und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen; praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ,Erkenntnisseʻ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.“
Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit sind also nur dann tolerierbar, wenn habhafte Belege für Gefahren für Sicherheit und Ordnung vorhanden sind. Bisher führt die Polizei in Bezug auf den aktuellen G7-Gipfel aber nur Befürchtungen und Vermutungen an.
Und wenn sich dem so verhält, wieso kommt das bei den Bürgern dann dennoch so anders an?
Die tausendfach wiederholten Bilder aus Frankfurt, die Berichte der Polizei, die – so belegen alle Untersuchungen – gerade die erste Berichterstattung in den Medien stets dominieren, lassen die Bürgerinnen und Bürger der Polizei schlicht glauben schenken.
Und auch konkret vor Ort, im Werdenfelser Land, werden seit Monaten die Ängste der Bevölkerung vor den kommenden Chaoten geschürt. Die Polizei hat eigentlich die nüchterne Aufgabe, die Öffentlichkeit sachgerecht zu informieren. Sie soll keine eigene Politik betreiben. Tatsächlich aber wird ihre PR-Arbeit immer differenzierter und dreister. Sie will mit ihrer Information gar nicht informieren, sondern die Öffentlichkeit in ihrem Interesse beeinflussen.
Wie meinen Sie das, die Polizei mache immer differenziertere und dreistere PR? Führen Sie das doch bitte ein wenig aus…
Nun, beim Gipfel in Heiligendamm 2007 war die „Besondere Aufbau Organisation Kavala“ auch für die Pressearbeit zuständig. Der damalige Polizeipressesprecher, Axel Falkenberg, beschreibt die Situation in einem Interview mit der taz ein Jahr später wie folgt:
„Die Öffentlichkeit fühlte sich von mir oft falsch informiert – und zwar zu Recht“.
So wurden etwa noch Tage später grundlegend falsche Angaben zu verletzten Polizeibeamten bei Auseinandersetzungen am Rande der Großdemonstration in Rostock gemeldet. Es galt schließlich, das Bundesverfassungsgericht von der Notwendigkeit eines weiträumigen Verbots zu überzeugen. Die Polizei berichtete von 433 verletzten Polizeibeamten, mindestens 33 davon schwer verletzt. Diese Zahlen und weitere erlogene Berichte über Gewalttäter in anderen Demonstrationen an den folgenden Tagen konnten das Bundesverfassungsgericht dann auch überzeugen. Schon kurz nach dem Gipfel berichtete Innenminister Lorenz Caffier in der Innenausschusssitzung dann nur noch von 43 Polizeibeamten, die nach den „Krawallen“ am Samstag vorübergehend dienstunfähig gewesen seien. Von den vermeintlich „schwer verletzten“ Polizisten war lediglich einer über Nacht in einer Klinik gewesen. Zusätzlich gilt, dass auch alle diejenigen, die irgendwo im Einsatz stolpern oder die von Pfefferspray und CS-Gas aus den eigenen Reihen verletzt werden, zu den im Einsatz verletzten Beamten zählen…
„3.600 Gullydeckel hat die Polizei für den G7-Gipfel 2015 auf Schloss Elmau zu Sicherheitszwecken entlang der offiziellen Protokollstrecke der Staats- und Regierungschefs vom Flughafen im Erdinger Moos bis nach Elmau versiegelt.“
„50 Strafverteidiger halten in Garmisch-Partenkirchen in der Bayernhalle, sonst Heimat der Trachtler, die Stellung – sie stehen Krawallmachern, die festgenommen werden, juristisch zur Seite. Gleich um die Ecke, im sogenannten General Abrams Komplex, bis vorigen Sommer im Besitz der US Army, wurde ein Schnellgericht geschaffen. Heute gehört der Komplex dem Bund.“
„110 Richter und fast 20 Staatsanwälte werden vor Ort eingesetzt – sie entscheiden im Schichtbetrieb (eine dauert 12 Stunden) über Festnahmen und Untersuchungshaft. Für die Gipfelzeit wurde für alle untergeordneten Richter des Landgerichts München II, also auch für Amtsrichter aus Dachau oder Miesbach, Urlaubssperre verhängt. Unter den Richtern für den G7-Gipfel 2015 ist auch Rupert Heindl, der den ehemaligen FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis schickte.“
Artikel: „Der G7-Gipfel in 34 Zahlen“
Die Polizei lügt also? Gibt es dazu Beispiele, einen Beleg…?
Ja, die Polizei lügt wie gedruckt. Der Einsatz etwa von „szenetypisch“ verkleideten Polizeibeamten in den Blockaden am Zaun um das Gipfelgelände rund um Heiligendamm wurde von der Polizeipressestelle konsequent geleugnet, obwohl jeder vor Ort längst wissen konnte, dass die Entdeckung dieser Beamten der Realität entsprach.
Und von eben dieser Polizeipressestelle wurde lange auch gemeldet, dass die Seifenlauge der Clowns Army eine gefährliche, Polizisten verletzende Flüssigkeit sei. Sie können sich vorstellen, wie derlei Meldungen nicht nur die Stimmung der Bevölkerung, sondern auch jene unter den Beamtinnen und Beamten beeinflussen. „Aufheizen“ ist da sicher das passende Wort.
Auch der Pressesprecher selbst war hier allerdings nur „ausführendes Organ“ und Opfer des Dienstweges geworden. Dass er den Einsatz von vermummten Zivilpolizisten im Outfit von „Autonomen“ tagelang geleugnet hatte, kommentierte er ein Jahr später dann nämlich so:
„Es war eine Peinlichkeit hoch drei, so vorgeführt zu werden.“
Verkleidete Polizisten? Sie sprechen von Polizei-Provokateuren, die gezielt für Krawalle sorgen, um hiernach einschreiten und kriminalisieren oder die Versammlungen auflösen zu können?
Nein, ganz so einfach ist die Sache nicht – zu Straftaten auffordern darf die Polizei selbstverständlich nicht. Es ist aber immer davon auszugehen, dass zivile Polizeibeamte in einer Demonstration mit dabei sind und dabei auch „szenetypisch“ gekleidet sind.
Sie sollen eher Straftaten beobachten und gezielte Festnahmen ermöglichen. In diesem Fall hatten die Polizisten aber zu aggressiverem Vorgehen aufgerufen und wurden von anderen Demonstrierenden dann als Zivilbeamte enttarnt.
Wenn die Polizei aber lügt, dann werden offenbar ja nicht nur Grundrechte widerrechtlich beschnitten, sondern ist hierbei auch Vorsatz im Spiel? Wozu das Ganze: Wozu die Lügen und die Zunahme an Einschränkungen bei Versammlungsfreiheit etc. pp.?
Das Beispiel des Polizeisprechers macht deutlich, wie viele Interessen und Informationen hier zusammenwirken. Es war eben nicht der einzelne Polizeisprecher, der gelogen hat. Die Polizei steht ja auch von Seiten der Politik unter maßlosem Druck, alles für die Sicherheit zu tun. Die „Lüge“ liegt vielmehr im System begründet: Die Polizei soll so tun, als schütze sie die Grundrechte, zugleich soll sie aber jeden sichtbaren Protest, auch die kleinste Störung im herrschaftlichen Ablauf verhindern.
Die Falschmeldungen von damals ermöglichen es, sich heute erneut auf das damalige Narrativ zu beziehen und das polizeiliche Vorgehen nochmals damit zu begründen. Wer weiß heute noch, dass das Oberverwaltungsgericht Greifswald im August 2012 in letzter Instanz geurteilt hat, dass das Verbot des Sternmarsches auf Heiligendamm rechtswidrig war? Und was wäre eigentlich so schlimm, wenn die Gipfelteilnehmer den Protest auch wahrnehmen könnten? Nur wenn man „Sicherheit“ über alle anderen Freiheitsrechte stellt, kann man die jetzt wieder geplante Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nachvollziehen. Die Herrschenden wollen ihre Politik reibungslos durchziehen können – und das organisiert man für sie.
Welche Grundrechte sind in Bezug auf den aktuellen Gipfel denn staatlicherseits bisher missachtet worden oder in Gefahr?
Die Freiheitsrechte wurden rund um Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald insgesamt außer Kraft gesetzt. Dort herrscht der Ausnahmezustand, eine allgemeine Bewegungsfreiheit gibt es nicht mehr. Eine vier Quadratkilometer große Sicherheitszone um Schloss Elmau darf bereits seit einer Woche vor dem Gipfel nicht mehr betreten werden.
Vorrangig aber werden die „besonderen“, weil politischen Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausgehebelt. Die Begründungen in der Allgemeinverfügung wie auch in den diversen weiteren Auflagen machen dabei deutlich, dass diese Grundrechte angesichts des Gipfels keinerlei Gültigkeit mehr haben. Formal wird zwar beteuert, die friedlichen Demonstrierenden seien willkommen. Aber schon eine Unterbringungsmöglichkeit wird ihnen verwehrt, indem das geplante Camp verboten worden ist. Gut, dass das Verwaltungsgericht München sich dann doch am Recht orientierte und dieses Verbot wieder aufhob.
Und wenn man diese verteidigen wollte: Was rieten Sie, was kann jeder und jede zum Schutz dieser Grundrechte tun?
Zum Schutz der Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit muss man sie vor allem in Anspruch nehmen und darf sich nicht von der Art der polizeilichen Berichterstattung abschrecken lassen.
Das „Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“, schreibt das Bundesverfassungsgericht in seinem Brokdorf-Beschluss.
Das erscheint mir die sinnvollste Orientierung zu sein, wenn man verhindern will, dass Hochsicherheitszonen mehr und mehr das Bild bestimmen und das dann auch noch Demokratie genannt wird.
Ich bedanke mich für das Gespräch.
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