Krise der Familienunternehmer
Die AfD und der Mittelstand

Die soziale Basis der AfD bildet nicht allein der reaktionäre Teil der gesellschaftlichen Mittelschicht. Hinzu kommen Teile des ökonomischen Mittelstands, die sich zunehmend um ihre Position sorgen. Eine Analyse.

Foto: Viktor Rosenfeld / flickr / CC BY-NC-SA 2.0 / modifiziert

Von Sebastian Friedrich

Grundsätzlich stehen Unternehmer in Konkurrenz zueinander, doch jahrzehntelang bildeten weite Teile des Kapitals eine politische Einheit und artikulierten ihre Interessen gemeinsam. Mittlerweile differenzieren sich die Kapitalfraktionen zunehmend aus, und es treten divergierende Interessen zutage.

Für die Analyse der AfD relevant sind insbesondere die Widersprüche zwischen Konzernen, die auf europäischen und globalen Märkten agieren, und Unternehmen, die weit mehr auf regionale und lokale Absatzmärkte orientiert sind. Das transnationale Kapital kann in der Regel flexibler auf günstigere Standortbedingungen in anderen Regionen, Ländern und Kontinenten reagieren.

Aus diesen unterschiedlichen Voraussetzungen ergeben sich widerstreitende Interessenslagen. So profitiert ein exportorientierter Konzern vom europäischen Binnenmarkt ebenso wie vom – im Vergleich zur D-Mark – eher billigen Euro, weil er seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Hingegen macht es für ein Unternehmen, das für den Inlandsmarkt produziert, keinen eklatanten Unterschied, ob die Waren in Euro oder D-Markt bezahlt werden.

Aktuelle und erhellende Arbeiten zu den Widersprüchen zwischen und auch innerhalb der unterschiedlichen Klassenfraktionen sind rar gesät. Eine der wenigen Studien haben im Jahr 2013 Frederic Heine und Thomas Sablowski vorgelegt. Sie untersuchten die »Europapolitik des deutschen Machtblocks und ihre Widersprüche« und konnten erste Risse im Machtblock ausfindig machen. Grundlage ihrer Analyse sind Positionspapiere und Pressemitteilungen von Wirtschaftsverbänden zur Krisenpolitik, die zwischen Oktober 2009 und Juli 2013 veröffentlicht wurden.

Vor allem ein Verband stach bei der Analyse heraus: Die Familienunternehmer, früher Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU). Dem Verband gehören 5000 Unternehmer an, deren Betriebe eigentümergeführt sind und ca. 1,7 Millionen Beschäftigte haben; nur einige wenige sind international agierende Unternehmen. Nach eigenem Bekunden repräsentiert der Verband allerdings die Interessen von 180.000 Familienunternehmen in Deutschland, die acht Million Mitarbeiter beschäftigen. Voraussetzung für die Mitgliedschaft sind unter anderem mindestens zehn abhängig Beschäftigte und ein Jahresumsatz von über einer Million Euro.

Die Studie weist darauf hin, dass die Familienunternehmer der einzige Verband war, der sich während der Euro-Krise grundsätzlich gegen die Euro-Rettungspolitik gestellt hat. Er unterstützte zudem die Klage gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus vor dem Bundesverfassungsgericht. Außerdem forderten die Familienunternehmer den Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone. Überdies verlangten sie »eine weitere Verschärfung der fiskalpolitischen Maßnahmen«,
wendeten sich gegen »jede Form von wirtschaftspolitischer Europäisierung« und bedienten sich »einer zum Teil rechtspopulistischen Rhetorik«.

Doch woher kommt die Ablehnung der Eurorettungspolitik? Heine und Sablowski gehen davon aus, dass sich ein aktiver Teil dieser Unternehmer durch eine zunehmende europäische Integration verstärkter Konkurrenz ausgesetzt sehe, die sie mehr gefährde, als sie ihnen nutzen würde. »Daher versuchen sie, diese durch verschiedene politische (und rechtliche) Interventionen aufzuhalten«.

Die Fraktion der international agierenden Unternehmen hingegen orientiert sich auf den europäischen und außereuropäischen Markt. Sie erhoffen sich durch die europäische Währungsunion und eine stabile EU bessere Chancen hinsichtlich einer globalen Expansion. Entsprechend setzen sie auf einen harten Austeritätskurs und die – in ihrem Sinne – Verbesserung der Standortbedingungen, was zum Beispiel bedeutet, durch Flexibilisierungen die Rechte der Arbeitnehmer einzuschränken und die Löhne zu senken.

Auch wenn eine konkrete Krise der Akkumulation bei den Unternehmern in Deutschland noch nicht angekommen ist, geht die Krisenangst um. Und genau hier greift der oben beschriebene National-Neoliberalismus. Während die Politik der Bundesregierung eher die Interessen des transnationalen Kapitals im Blick hat, vertritt das wirtschaftspolitische Programm der AfD überwiegend die regional und lokal ausgerichteten Unternehmen. Entsprechend kommen Heine und Sablowski zu dem Schluss, dass die national-konservativen und orthodox-neoliberalen Kräfte, aus den Kreisen der Familienunternehmer in der AfD ihren parteipolitischen Ausdruck gefunden haben.

Diese Einschätzung wird durch die Unterstützung bestätigt, die die AfD aus dem Umfeld der Familienunternehmer erhält. Bei einer Veranstaltung kurz vor der Bundestagswahl äußerte sich etwa Peer-Robin Paulus, der Leiter Abteilung Politik und Wirtschaft des Verbandes, sehr freundlich über die neue Partei. Der CDU und FDP gegenüber fehle das Vertrauen, und die damaligen Regierungsparteien würden dem gesellschaftlichen Linkstrend nicht entschieden genug entgegentreten, weshalb das Credo gelte: »Wer eine gute CDU will, muss die AfD wählen.«

Ebenso deutlich war das symbolische Statement des Verbands kurz vor den Wahlen zum Europaparlament: Anfang Mai 2014 hielt der Verband ein großes Treffen in Dresden ab. Prominenter Redner war Bernd Lucke, der zu Beginn des zweiten Tages − zur besten Zeit also − eine satte Stunde lang seine Euro- und Europa-Konzepte vorstellen durfte. Keine andere Institution ging mit der AfD so früh auf Tuchfühlung; anlässlich der Einladung erklärte der Hauptgeschäftsführer des Familienunternehmer, Albrecht von der Hagen: »Damit zeigen wir, wie unzufrieden wir mit der jetzigen Bundesregierung sind« und fuhr fort: »Viele Fragen der AfD sind auch unsere Fragen«.

Zur sozialen Basis des AfD-Erfolgs lässt sich festhalten: Zum einen gründet der Aufstieg der Partei auf der Klassenfraktion derjenigen mittelständischen Unternehmen, die sich zunehmend aus dem Interessensverbund mit dem transnationalen Kapital lösen; zum anderen auf den Teil der Mittelschicht und besserverdienenden Arbeiterklasse, der Abstiegsangst und postdemokratisches Unbehagen in reaktionärer Weise verarbeitet.

Bertz+Fischer_Friedrich_Aufstieg-der-AfD_CoverSebastian Friedrich ist Autor und Redakteur von kritisch-lesen.de sowie analyse & kritik und promoviert zum medialen Diskurs über Arbeitslose und Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 2005. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsanalyse, Kritische Soziale Arbeit sowie Kritische Rassismus- und Migrationsforschung. Der Text ist ein Auszug aus seinem Buch Der Aufstieg der AfD
Neokonservative Mobilmachung in Deutschland.

Artikelbild: Viktor Rosenfeld / flickr / CC BY-NC-SA 2.0 / modifiziert

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4 Kommentare zu "Krise der Familienunternehmer
Die AfD und der Mittelstand"

  1. normalo sagt:

    Deutschland braucht eine Partei für die Mittelschicht nicht für den Mittelstand.

  2. rote_pille sagt:

    man muss sich auch um seine position sorgen wenn das land durch die systemparteien an die wand gefahren wird. ein familienunternehmer kann nicht mal eben sein kapital ins ausland verlagern und die steuern umgehen, wie es die konzerne tun. darum muss er besorgt sein, wenn die politik das geld für asylanten und eurorettungen aus dem fenster wirft- denn die steuern dafür wird auch der kleine unternehmer bezahlen. die beschreibung “reaktionär” ist völlig fehl am platz. die unternehmer kämpfen ja nicht um die erhaltung ihres besitzes auf kosten der anderen, sondern nur um bedingungen, in denen man normal wirtschaften kann ohne vom staat ausgepresst zu werden.

  3. um missverständnisse zu vermeiden:

    es handelt sich um einen auszug aus dem buch. das fazit am ende des hier veröffentlichten ausschnitts fasst das komplette vierte kapitel des buches zusammen. veröffentlicht an dieser stelle wurde lediglich nur ein teil des kapitels.

    im vierten kapitel wird sich zum einen der abstiegsbedrohten mittelklasse gewidment und zum anderen dem unternehmerischen mittelstand. im hier veröffentlichen abschnitt geht es ausschließlich um letzteren.

    zur erläuterung, warum im buch von einer reaktionären verarbeitung von abstiegsangst und postdemokratischem unbehagen ausgegangen wird, siehe das komplette kapitel im buch oder einen auszug des entsprechenden teils aus dem neuen deutschland: http://www.sebastian-friedrich.net/?p=287

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