Moral und Ethik
Das Desiderat des Marxismus

Marxistisch-leninistische Ethik

Schon früh wurde das Desiderat der Marxschen Theorie, das Fehlen einer Ethik, gesehen und bemängelt. Sozialistische Denker, die dem Neukantianismus nahestanden und für die Theorie und die Politik der Sozialdemokratie maßgeblich waren, allen voran Eduard Bernstein, versuchten, die Marxsche Theorie mit Kants Ethik zu ergänzen und ihr auf diese Weise ein ethisches Fundament zu geben.(21)

Ob allerdings die „Synthese von Marxismus und kantischer Ethik“ noch als genuin marxistisch zu bezeichnen ist, ist mehr als fraglich, denn:

„Mit der Einbeziehung moralischer Gesichtspunkte werden genau jene ´Nebelbildungen` … in den Marxismus reimplantiert, deren Destruktion das ausdrückliche Ziel der Ideologiekritik seiner Urheber war.“(22)

Ein großangelegter Versuch, eine „marxistische Ethik“, genauer: eine „marxistisch-leninistische Ethik“ zu entwickeln, wurde in den sozialistischen Ländern des ehemaligen Ostblocks unternommen. Dort wurde der Marxismus – ergänzt durch die Theorie von Lenin – zur Staatsdoktrin erhoben.

In dem in der DDR von einem Autorenkollektiv verfassten Standardwerk Ethik werden die Grundzüge der „marxistisch-leninistischen Ethik“ dargestellt. In Anlehnung an Marx wird zunächst behauptet, dass Moral Ausdruck von sozio-ökonomischen Verhältnissen, von „Eigentumsverhältnissen an den Produktionsmitteln, der Wechselwirkung der verschiedenen Klassen und Gruppen, der Verteilungs- und Austauschformen“ ist.(23) Die Ökonomie bleibt „in jeder Entwicklungsphase“ die Grundlage der Moral. Jegliche Moral ist Klassenmoral.

„Sozialistische und kommunistische Moral“, eine Moral, die erst nach dem Sieg der proletarischen Revolution auf der ganzen Welt eintreten und alle Menschen betreffen würde, ist dennoch keine allgemeingültige, d.h. für alle Menschen geltende, sondern eine partikulare, auf eine bestimmte Gruppe von Menschen, das Proletariat, bezogene Moral. Mit anderen Worten: Sie soll die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen. An einer anderen Stelle sprechen die Autoren auch vom Moralbewusstsein als der Widerspiegelung der klassenspezifischen materiellen Bedürfnisse und Interessen.(24)

„Sittlich“ ist der „marxistisch-leninistischen Ethik“ zufolge,

„was der Zerstörung der alten Ausbeutergesellschaft und dem Zusammenschluß aller Werktätigen um das Proletariat dient, das eine neue, die kommunistische Gesellschaft aufbaut.“(25)

Der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse schafft die Bedingungen zur Erfassung von „Moralprinzipien“. Zu diesen Prinzipien gehört vor allem die Treue zur marxistisch-leninistischen Partei als der „Vorhut der Arbeiterklasse“.(26) Zu weiteren Prinzipien gehören der militärische Schutz des Sozialismus („sozialistische Wehrmoral“), der Kampf gegen den Imperialismus, Friedenssicherung und gewissenhafte Arbeit zum Wohle der sozialistischen Gesellschaft.(27) Eine besondere Rolle spielt die Arbeitsmoral, zu der Verhaltensnormen wie Disziplin, Pünktlichkeit, Kameradschaftlichkeit, Sauberkeit und Ordnung gehören.

Wir sehen, dass die marxistisch-leninistische Ethik nicht allgemeingültige Normen formuliert und begründet, sondern Direktiven aufstellt. Sie sind Instrumente zur Durchsetzung von partikularen Interessen, d.h. von Interessen einer Parteielite, einer Nomenklatura, die im Namen der Arbeiterklasse zu sprechen vorgibt.

Legitimiert werden solche Direktiven nicht durch moralische oder ethische Grundsätze, sondern durch den Glauben an eine historische Notwendigkeit; um Ziele, die sich aus der notwendigen Entwicklung der Geschichte ergeben, zu erreichen, ist jedes Mittel recht. Das zeigt die Praxis der kommunistischen Machtergreifung und Herrschaft.(28)

Während in dem genannten Standardwerk zur marxistisch-leninistischen Ethik die Menschenrechte nicht behandelt werden, sind sie in dem von dem DDR-Juristen Hermann Klenner verfassten Band Marxismus und Menschenrechte Gegenstand einer ausführlichen Untersuchung. Klenner wiederholt weitgehend die Marxsche Kritik an den Menschenrechten und verweist – auch in Marxscher Manier – auf die Verletzung von Menschen- und Sozialrechten in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern.

Die sog. Menschenrechte beziehen sich gemäß Klenner nur auf die „Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft“, d. h. auf den „egoistischen“, auf sein „Privatinteresse“ fixierten und von der Gemeinschaft getrennten Menschen.(29) Sie drücken das Interesse der herrschenden Klasse aus, dienen ihr als Mittel, um politische Ziele zu erreichen. Menschenrechte werden von Klenner immer wieder mit Eigentumsrechten in Verbindung gebracht. Diejenigen, die etwas besitzen, können Menschenrechte in Anspruch nehmen. Die Besitzlosen können es nicht und sind dem Willen der Besitzenden ausgeliefert.

Die verachtende Haltung gegenüber den Menschenrechten drückt folgende Äußerung Klenners aus:

„Nur: so unumgänglich wie die proletarische Revolution und die in ihr sich bildende proletarische Diktatur in die Grundstruktur der bürgerlichen Gesellschaft eingreift, so unumgänglich muß sie auch gegen als Menschenrechte ausgegebene Grundrechte der Gesellschaft verstoßen.“(30)

Im Anschluss an Lenin hebt Klenner hervor, dass es ein „Unding“ ist, den Kapitalisten elementare Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu versprechen oder sie an Wahlen beteiligen zu lassen.

Rechte im marxistisch-leninistischen Sinne sind offensichtlich Partikularrechte, also Rechte, die nur für eine bestimmte Gruppe von Personen, das Proletariat, gelten sollten. Faktisch war es jedoch nicht das Proletariat, sondern die kommunistische Partei, genauer: eine Führungsgruppe innerhalb der Partei, die das Recht bestimmte bzw. im gewissen Sinne über dem Recht stand.

Obwohl die DDR und andere sozialistische Staaten 1975 die Schlussakte von Helsinki unterschrieben haben, in denen sie sich zur Einhaltung von Menschenrechten wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit usw. verpflichtet haben, haben sie gegen die genannten Menschenrechte massiv verstoßen.(31)

Der Grund dafür liegt meines Erachtens in der Ablehnung von Menschenrechten durch die kommunistischen Eliten und letztlich in ihrer Diskreditierung durch die Gründerväter der kommunistischen Bewegung Karl Marx und Friedrich Engels.

An dieser Stelle möchte ich auf eine Richtung eingehen, die als westlicher Marxismus, auch Neomarxismus, bezeichnet wird. Darunter versteht man unterschiedliche Positionen, die sich auf eine undogmatische Weise mit der Marxschen Konzeption auseinandersetzen. Zu ihnen gehören u.a.: die sog. Frankfurter Schule der ersten (T.W. Adorno, M. Horkheimer, H. Marcuse, F. Pollock, W. Benjamin, E. Fromm), der zweiten (J. Habermas, A. Wellmer) und der dritten Generation (A. Honneth), Denker im Umkreis der Frankfurter Schule wie G. Lukács sowie E. Bloch und die sog. PraxisGruppe in Jugoslawien.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, das Verhältnis dieser Positionen zur Ethik zu erläutern. Ich möchte hier nur die Frage stellen, ob die genannten Positionen überhaupt als marxistisch bezeichnet werden können, da sie zentrale Bestandteile der Marxschen Konzeption entweder gänzlich oder zum großen Teil nicht enthalten. Zu den Bestandteilen zählen: der sog. ökonomische Reduktionismus (die Rückführung von Phänomenen aller Art auf ökonomische Verhältnisse), die Analyse der Entfremdung anhand der Warenproduktion, die führende Rolle des Proletariats als des Motors der historischen Entwicklung und das Revolutionskonzept.

Beispielsweise akzeptieren die Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule die ökonomische Analyse von Marx, erweitern den Begriff der Entfremdung um den der Verdinglichung, verzichten jedoch auf die restlichen Bestandteile der Marxschen Konzeption. In der Habermasschen „Theorie des kommunikativen Handelns“ vermag ich keinen einzigen der genannten Bestandteile zu erkennen. Das zwanghafte Insistieren auf „normative Grundlagen der Marxschen Theorie“, die bei den Vertretern der zweiten und dritten Generation der Frankfurter Schule zu beobachten ist, kann nur als ein Versuch gedeutet werde, sich mit Marx zu schmücken, d.h. die eigene Positionen aufzuwerten und sich als besonders progressiv darzustellen.

Seite 3: Linksextremismus und Ethik

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23 Kommentare zu "Moral und Ethik
Das Desiderat des Marxismus"

  1. “Das Kriterium für eine gerechte Verteilung von Gütern soll demnach nicht die Leistung, sondern das Bedürfnis sein. Somit lehnt Marx das Leistungsprinzip ab und ersetzt es durch ein sehr umstrittenes Prinzip, das mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt: Um welche Bedürfnisse handelt es sich genau? Haben Individuen nicht unterschiedliche Bedürfnisse? Und wie können Bedürfnisse überhaupt gemessen werden?”

    Warum soll es sich mit dem Prinzip der “Leistung” anders Verhalten? Um welche Leistung handelt es sich genau, und vor allem: WIe kann Leistung überhaupt gemessen werden? Hier ist Marx` Kriterium letztendlich eigentlich berechtigt, auch weil sich das Bedürfnisprinzip anders als Leistungsprinzip – ganz in nichtmarx´schen Sinne – humanistisch ist.

    • QuestionMark sagt:

      @Sebastian Müller
      Die Leistung wird in der Marktwirtschaft über Angebot und Nachfrage ermittelt. Entsprechend wird verteilt. Wenn man die Bedürfnisse stattdessen zur Grundlage einer Verteilung machen würde, dann reicht in einem alternativen System eben nicht die Aussage: “Es wird nach Bedürfnissen verteilt.”

      Folgendes Beispiel dazu: Ich könnte das Bedürfnis haben 100 Menschen irgendeinem Sonnengott zu opfern.
      Die Umsetzung eines solchen Bedürfnisses wäre wohl nicht so progressiv. Was folgt daraus? Das reine Vorhandensein von Bedürfnissen ist offensichtlich nicht ausreichend um die Verteilung zu organisieren. Es muß auch ein qualifizierter Entscheidungsmechanismus (und da sind wir dann wieder bei der Moral) gegeben sein.

    • Alexander Ulfig sagt:

      “Warum soll es sich mit dem Prinzip der “Leistung” anders Verhalten? Um welche Leistung handelt es sich genau, und vor allem: WIe kann Leistung überhaupt gemessen werden?”
      Leistung kann nach den Ergebnissen der Arbeit gemessen und miteinander verglichen werden.
      Beispiel: Ein Wissenschaftler schreibt in einem Jahr 10 Artikel, ein anderer einen Artikel. in demselben Zeitraum. Hier kann die Leistung festgestellt (gemessen) und verglichen werden. Gut, das ist zunächst ein rein quantitatives Leistungskriterium. Über die Qualität der Artikel entscheiden dann Fachleute, also Personen, die über die Qualität der Artikel urteilen können, anhand von Kriterien wie logisch-argumentative Stringenz, Überprüfbarkeit der Thesen, neue Erkenntnisse, Originalität, Wirkung auf die Fachwelt usw.
      Ein anderes Beispiel: Ein Handwerker produziert am Tag 5 Tische, ein anderer unter ähnlichen Arbeitsbedingungen (z.B. in demselben Betrieb) 2 Tische. Auch hier kann Leistung festgestellt (gemessen) und miteinander verglichen werden. Das sagt noch nichts über die Person des zweiten Handwerkers aus, oder darüber, unter welchen gesamtgesellschaftlichen ökonomischen Bedingungen beide Handwerker arbeiten.

  2. Erst die Anerkennung und die Abdeckung universeller (Grund?) Bedürfnisse per Existenz / Geburt verschafft das Potential unbedingter menschlicher Gleichheit? Jede an Leistung gebundene Doktrin postuliert den Wahn der Ungleichheit, verbreitet die Keime von “Wertem” und “Unwertem” Leben, verhindert die Kooperation als Grundlage menschlichen Daseins.

    • Ralf Dahrendorf sagt:

      @ Werner Fröhlich

      “Jede an Leistung gebundene Doktrin postuliert den Wahn der Ungleichheit, verbreitet die Keime von “Wertem” und “Unwertem” Leben, verhindert die Kooperation als Grundlage menschlichen Daseins.”

      Freiheit und materielle Gleichheit sind nicht miteinander vereinbar. Der klassische Liberalismus fordert die Gleichstellung aller Menschen vor dem Gesetz. Unter dieser Bedingung muß aber deren natürliche Ungleichheit in Begabung und Charakter dazu führen, daß sie in ihrer Arbeit sehr unterschiedliche Ergebnisse erzielen, die sich in ungleichen Einkommen und Vermögen äußern. Unter Voraussetzungen, die für alle gleich sind, kommt in einer freien Gesellschaft die angeborene Ungleichheit zum Ausdruck. Die juristische Gleichheit produziert materielle Ungleichheit.

      Umgekehrt gilt aber auch: materielle Gleichheit erfordert juristische Ungleichheit. Durch Bevorzugung der Schwachen und Benachteiligung der Starken kann die Mehrheit in einer Demokratie mit staatlichen Zwangsmitteln die Ergebnisse des freien Spiels der Marktkräfte korrigieren, z. B. durch progressive Steuersätze. Da materielle Gleichheit sich nicht spontan einstellt und deshalb in Freiheit niemals anzutreffen ist, kann dieses Ziel nur durch Einschränkung der Freiheit erreicht werden. Je mehr Gleichheit, desto weniger Freiheit. Wir haben nur die Wahl zwischen Gleichheit in Unfreiheit oder Ungleichheit in Freiheit.

      Politisch verordnete Gleichheit nivelliert, ebnet ein, uniformiert die Menschen, erzwingt ihre Konformität mit einer von außen gesetzten Norm. Ohne politische Eingriffe bilden sich spontan verschiedenartige Gruppen, gemäß der unterschiedlichen Natur der Menschen. Diese Klassen im Namen der Gleichheit politisch zu unterdrücken bedeutet, den Menschen die Freiheit des Ausdrucks ihrer jeweiligen Persönlichkeit zu nehmen.

      “…wir finden im menschlichen Herzen auch einen verderbten Gleichheitstrieb, der bewirkt, daß die Schwachen die Starken zu sich herunterziehen wollen und daß die Menschen die Gleichheit in der Knechtschaft der Ungleichheit in der Freiheit vorziehen.”

      Alexis de Tocqueville

      • @ Ralf Dahrendorf

        Wer bitte spricht davon, das die individuelle ‘natürliche Ungleichheit menschlicher Anlagen und Fähigkeiten’ sich ‘mehr Wert’ nieder zu schlagen hat? Von ‘gesetzlich verordneter’ Gleichheit schrieb ich nicht, sondern unmissverständlich von menschlicher Gleichheit per Geburt.

        Verderblich ist die Überheblichkeit des Leistungswahns, weil er Kooperation (Arbeitsteilung & gemeinsame Bedürfnisdeckung) in Konkurrenz = Feindschaft verwandelt.

        Die Vorstellung ‘mehr’ besitzen / nutzen zu müssen, verklärt Narzissmus zur ‘Freiheit’, produziert arrogante Knechte des Leistungswahns?
        Diese Zwangsvorstellung benötigt sodann ‘Politik’ zur Absicherung des Wahnes von der Ungleichheit?

        Arbeit zur Abdeckung menschlicher Bedürfnisse oder zur Erzielung von Gewinn – Selbsterfahrung durch direkte Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, oder durch das perverse Konstrukt angeblich unumgänglicher Gewinnerzielung?

        »Das Grundgesetz im Kapitalismus heißt ’du oder ich’, nicht ’du und ich’«
        Karl Liebknecht

        • Ralf Dahrendorf sagt:

          @ Werner Fröhlich

          “…sondern unmissverständlich von menschlicher Gleichheit per Geburt.”

          “Die geistige Ungleichheit kommt unmittelbar von Gott, und der Mensch wird nicht verhindern können, daß sie sich immer wieder einstellt.”

          Sie können Gott auch gerne durch die Natur ersetzen.

          Klassenkampf ist auch nur eine andere Form des “Teile und herrsche” Prinzips. Das “du oder ich” ist in Ihrer Ideologie doch genauso zuhause, wie im Liberalismus. Oder was stellt die Ausgrenzung oder Nivellierung ganzer Klassen sonst da? Hier das “Gute”, dort das “Böse”?

          Wenn Sie ein gerechtes Gesellschaftssystem wollen, dann müssen Sie ALLE bekannten Ideologien (Christentum, Nationalsozialismus, Sozialismus, Kommunismus, Massendemokratie und Liberalismus) über Bord werfen. Sie arbeiten alle mit dem Prinzip des “Teile und herrsche”, bringen die Menschen nur gegeneinander auf. Die Menschen streiten sich, und im Hintergrund machen die wirklich Mächtigen weiter ungestört ihre Geschäfte auf Kosten der Menschen.

          Das ist der ganze Sinn des unsäglichen Dualismus.

          Die herrschenden Kreise sehen ihren Vorteil darin, dass sich mit dem Marxismus für alle Gegner und Opfer der kapitalistischen Verhältnisse recht wenig anfangen lässt. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich ein heftiger Widerstand gegen die Verelendung der breiten Massen durch die kapitalistische Industrialisierung. Streiks und gewaltsame Gegenwehr bis hin zu den Anschlägen der Anarchisten gegen Autokraten, Regierungsmitglieder, Industrielle und Bankiers wurden gefürchtet. Seit Marx und Engels die ideologische Führung der Kommunisten übernahmen, sind die Revolutionäre friedlich mit der Wertformanalyse beschäftigt statt mit Dynamit. Der Kampf gegen die Anarchisten war das wichtigste Anliegen von Marx in der Ersten Internationale.

          Nicht wenige Marxisten wurden sogar in den USA und England auf Lehrstühle der Universitäten berufen, erhalten größte Aufmerksamkeit von den Medien und werden als besonders mutige und große Denker gefeiert. Dafür sind sie dem Kapital behilflich und verweigern jede Diskussion über die geldpolitische Verursachung der Wirtschaftskrisen, die sie mit dem angeblichen “tendenziellen Fall der Profitrate” erklären wollen.

          Mit Marktwirtschaft und Privateigentum an Produktionsmitteln musste es zu gewaltigen Vermögen kommen. Diese Vermögen konzentrierten sich bei wenigen reichen und mächtigen Familien. Es waren die skrupellosesten und kriminellsten Persönlichkeiten, die sich in den USA stets als „Philanthropen“ feiern ließen, also die Räuberbarone und Gangsterkapitalisten wie etwa Rockefeller und Morgan, die schließlich mit ihren Trusts und Konzernen die Staaten und deren Politik beherrschten.

          Sie inszenieren Kriege und Wirtschaftskrisen zur weiteren Mehrung ihres Vermögens und ihrer Macht. Sie beherrschen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Massenmedien, die Parteien und nicht zuletzt mit ihren Verlagen, Stiftungen und Forschungsaufträgen die Wissenschaft und die Schulen und Universitäten. Eine Weltrevolution brauchen sie nicht zu fürchten. Bei ihrem Einfluss auf die Gesellschaft lassen sich keine Mehrheiten friedlich für eine Diktatur des Proletariats mobilisieren und alle Gewaltmittel sind ebenfalls unter Kontrolle der Finanzoligarchie.

          Wer mit der Arbeit politischer Agenten vertraut ist, wird mit einem kurzen Blick auf den Lebenslauf von Marx und Engels den Schwindel durchschauen. Selbstverständlich handelt es sich bei den großen Wortführern des “Marxismus”, die es im Kapitalismus auch immer wieder zu Ansehen als Professoren oder Journalisten und Publizisten bringen und die Ihnen die tiefen Erkenntnisse der Ökonomie und der Dialektik im Kapital und anderen Schriften anpreisen, um moderne Kollegen von Marx und Engels. Vergeuden Sie also nicht Ihre Zeit damit.

        • @Ralf Dahrendorf

          “Die geistige Ungleichheit kommt unmittelbar von Gott, und der Mensch wird nicht verhindern können, daß sie sich immer wieder einstellt.”

          >>Sie können Gott auch gerne durch die Natur ersetzen.<<

          Von "geistiger Ungleichheit" auf eine ungleiche Berechtigung (kurz) zu schließen darf sehr wohl den, von ihnen bereits erwähnten, Ideologien (Glaubensformeln) überlassen werden.
          Das deren 'divide et impera' keine menschliche Gleichheit erlauben kann, ist mir nicht gaaanz neu.
          Allerdings erscheint mir schon der Kurzschluss aus unseren, offensichtlich unterschiedlichen, Anlagen-Fähigkeiten-Kenntnissen die Vergabe von Privilegien ableiten zu müssen insgesamt verzichtbar.
          Weder der persönliche Genuss von 'Leistung', noch der von 'Faulheit' schließen sich gegenseitig aus. Erst der gegenseitige Bewertungs-Wahn führt strikt in die schneller-höher-weiter Depression der Ungleichheit, ist auf die Unterscheidung von 'gut' & 'böse' zur Rechtfertigung eigener Privilegien angewiesen.
          Kooperation, als maximale Optimierung von Arbeitsteilung und Nutzen, ist der Konkurrenz um Privilegien deutlich überlegen.
          Keine der aufgezählten Ideologien kommt ohne freiwillige menschliche Kooperation – ohne leistungsfreies Geben und Nehmen – aus.
          Mit Privilegien und Herrschaft bleibt Freiheit ein sinnleeres Wort zur Rechtfertigung willkürlicher Ungerechtigkeit.

          “Was weiß ich schon von mir, wenn ich nicht weiß, dass das Bild, das ich von mir selbst habe, zum größten Teil ein künstliches Produkt ist und dass die meisten Menschen – ich schließe mich nicht aus – lügen, ohne es zu wissen? Was weiß ich, solange ich nicht weiß, dass „Verteidigung“ Krieg bedeutet, „Pflicht“ Unterwerfung, „Tugend“ Gehorsam und „Sünde“ Ungehorsam? Was weiß ich, solange ich nicht weiß, dass die Vorstellung, dass Eltern ihre Kinder instinktiv lieben, ein Mythos ist? Dass Ruhm nur selten auf bewundernswerte menschliche Qualitäten und häufig nicht auf echte Leistungen gründet? Dass die Geschichtsschreibung verzerrt ist, weil sie von den Siegern geschrieben wird? Dass betonte Bescheidenheit nicht unbedingt ein Beweis für fehlende Eitelkeit ist? Dass Liebe das Gegenteil von heftiger Sehnsucht und Gier ist? Was weiß ich schon von mir, wenn ich nicht weiß, dass jeder versucht, schlechte Absichten und Handlungen zu rationalisieren, um sie edel und wohltätig erscheinen zu lassen? Dass das Streben nach Macht bedeutet, Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe mit Füßen zu treten? Dass die heutige Industrie-Gesellschaft vom Prinzip der Selbstsucht, des Habens und des Konsumierens bestimmt ist und nicht von den Prinzipien der Liebe und Achtung vor dem Leben, die sie predigt? Wenn ich nicht fähig bin, die unbewussten Aspekte der Gesellschaft, in der ich lebe, zu analysieren, kann ich nicht wissen, wer ich bin, weil ich nicht weiß, in welcher Hinsicht ich nicht ich bin.”

          Erich Fromm: Vom Haben zum Sein

  3. Günter Buchholz sagt:

    Marx hat m. W. das Leistungsprinzip keineswegs abgelehnt. Es sollte – im Gegenteil! – in einer anvisierten und erwünschten ´sozialistischen Produktionsweise´ gültig sein und bleiben.

    Leistung ist der Output der Anwendung gesellschaftlicher Arbeit und meint daher i. w. S. Arbeitsleistung, also Arbeitsmenge, Produktqualität und Produktivität. Es gibt außerdem wichtige qualitative Momente, z. B. Kreativität, Erfindung, und Innovation.

    Erst in einer nachfolgenden, aufgrund des Höchststandes der entwickelten Produktivkräfte (Wissenschaft & Technik) als Überflußgesellschaft vorgestellten ´kommunistischen Produktionsweise´ war es m. W. für Marx vorstellbar, das Leistungsprinzip gesellschaftlich zu relativieren oder aufzugeben, weil es unter solchen Umständen seine Bedeutung weitestgehend verlieren würde.

    ´Jedem nach seinen Bedürfnissen´ meinte aber auch dabei nicht etwa unbegrenztes individuelles Habenwollen, also die schlechte Unendlichkeit der Bedürfnisse, von der z. B. die heutige Mikroökonomik axiomatisch ausgeht (Knappheitsbegriff), sondern eine Orientierung am antiken Begriff des ´Maßes´ im Hinblick auf das, was für ein ´gutes Leben´(Aristoteles) auf Basis des erreichten Entwicklungsstandes der Produktivkräfte erforderlich ist. Und das bedeutet für die Individuen m. E.: weder zuwenig – noch zuviel, und in diesem Sinne hat dann jeder das zur Verfügung, was er zu einem ´guten Leben´ braucht, während die Gesellschaften über einen großen latenten oder tatsächlichen Surplus oder Überschuß verfügen mögen, nach Maßgabe einerseits des technischen Fortschritts, andererseits der Möglichkeiten und der Begrenzungen durch die Naturbasis, also durch die begrenzte Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen und durch die Berücksichtigung ökologischer Gleichgewichte.

    • Fridolin M. sagt:

      Jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen:

      1. Fähigkeiten sich in den gesellschaftlichen Produktionsprozess einzubringen sind ungleich verteilt, aber jeder hat das Bedürfniss sich einzubringen irgendwie, d.h. ich gebe etwas für das große Ganze und
      2. erhalte das, was ich legitimerweise brauche

      Es geht also um eine gesamtgesellschaftliche Definition für das
      LEGITIME BEDÜRFNISS , das sollte heißen:
      -bedingungsloses Grundeinkommen
      -uneingeschränkte Mobilität zum Reisen
      -uneingeschränkte kostenlose Bildung,
      -kostenlose Krankenversorgung,…
      aber bereits Forderungen nach uneingeschränkter Verfügungsgewalt über Kapital und nach uneingeschränkter Mobilität meines Kapitals sowie unbeschränkte Arbeitserlaubnis räumlich und sozial,…

      zeigen dass Bedürfnisse GRENZEN haben müssen und konkreten Regulierungen unterliegen, materiell und rechtlich. Diese Grenzen zu definieren und durchzusetzen kann nur eine Macht, die an der Macht ist, d.h. über die Gewaltmittel verfügt, und bereit ist diese einzusetzen im Sinne de allgemeinen wohls und der darauf basierenden Ordnung des Gemeinwesens. Diese Macht braucht größtmögliche basisdemokratische Kontrolle.

      D.h. wir enden immer bei der Machtfrage. Und das sind nicht die Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten. Das wird jedoch verschwiegen von den MODERNEN LINKEN.

      Die modernen Linken sind nicht marxistisch und nicht klassenkämpferisch. Daher sollte man zwischen Altlinken und modernen Linken unterscheiden und für diese Unterscheidung einen Begriff finden!!!

      Bsp. Die Partei die Linke veranstaltet einen Zukunftskongress. Hier haben sich einige Parteifunktionäre zu Wort gemeldet, anderen ist es nicht erlaubt, und das darf durchaus zur Lektüre – in abschreckender Absicht- empfohlen werden:
      blog.linke-woche-der-zukunft.de/?p=231
      Es sind Menschen, die anti-aufklärerisch, irrational und besessen agieren, dabei noch den Einfluss in den Parteistrukturen besitzen um die gesamte Meinungsbildung der Basis undemokratisch zu beeinflussen:
      linksjugend-sachsen.de/uploads/media/A5_Bundesverband_Distanzierung_vom_Friedenswinter.pdf

      • “D.h. wir enden immer bei der Machtfrage.”
        Klaro.
        Der Traum Macht kontrollieren zu können sollte zügig abgehakt werden:

        entweder ist Macht basisdemokratisch, oder sie ist (macht sich) unkontrollierbar……

    • Alexander Ulfig sagt:

      “Marx hat m. W. das Leistungsprinzip keineswegs abgelehnt. Es sollte – im Gegenteil! – in einer anvisierten und erwünschten ´sozialistischen Produktionsweise´ gültig sein und bleiben.”

      Könnten Sie diese These mit Marx-Zitaten belegen?

  4. Fridolin M. sagt:

    Entschuldingung für den doppelten Post. Die “Linkskräfte” im Land sind nicht in der Lage oder nicht Willens, diese Fragen in den öffentlichen Raum zu stellen und zu bearbeiten. Daher sind sie im historischen und engeren Sinne keine Linken sondern irgendetwas anderes.

  5. Joachim sagt:

    sehr lustig.

    schön wie man mit Weglassen von wichtigen Fakten solche Artikel schreiben kann.

    Steht doch hier im Artikel, dass es in Deutschland Menschen gibt ohne Moral.
    “Fehlen einer moralisch-ethischen Grundhaltung in Teilen der politischen Linken”

    Ich habe noch nie einen Menschen ohne Moral gesehen. Es ist vielleicht nicht die Moral des Autors, aber alle Menschen haben eine Moral. Auch ist die Statistik über die Gewalt von “Linken” auch in ihrer Auswertung gefälscht durch Weglassen.

    Menschen die eine Revolution wollen, sind nicht für Gewalt. Es wäre schön, wenn sich die Geldsäcke einfach ergeben würden und nicht gegen die Bevölkerung mit Solaten und Polizei kämpfen würden. Dann bräuchten die sich in einer Revolution auch nicht gewaltsam verteidigen.

    Gewalt wird doch ständig angedroht und ausgeführt in dieser schönen freien Gesellschaft mit Menschenrechten und so Gedöns. Darum sollte man sich vielleicht erstmal kümmern, um die existierende Gewalt und dann um theoretische Gewalt.

    Übrigens gibt es nach der utopischen Weltrevolution keine Klassen mehr. Also kann man danach nicht mehr von Klassen sprechen nur noch von Menschen.

    • “Übrigens gibt es nach der utopischen Weltrevolution keine Klassen mehr. Also kann man danach nicht mehr von Klassen sprechen nur noch von Menschen.”

      Wieso erst nach “der utopischen Weltrevolution”????
      Das es Menschen gibt, die sich Dank Macht und oder Flocken im Verbund mit einer praktischen Ideologie einbilden eine überlegene Daseinsform zu repräsentieren ist mir schon klar….., aber ihr dummer Glaube – und die Zahl ihrer verblödeten Büttel -, an diese Dümmlichkeit ist der reale Feind!

      ” Nach der utopischen Weltrevolution” scheppert verflucht katholisch in meinen Ohren, weil es ein Anerkenntnis ihrer Verblödung enthält und einen “Jüngsten Tag” voraussetzt. Klassen wird es geben solange Mensch sich duckt und in Ehrfurcht erstarrt………., wollte ich damit sagen.
      Der Glaube an ihre Omnipotenz ist zu beenden, weil er lächerlich ist und Herrschaft konserviert.
      Mensch ist jetzt und hier “gleich” – wer das Gegenteil beweist ist entweder verblödet, oder mein Feind?
      Andersherum: wer sich Überlegenheit anmasst, kann nicht mein Freund sein – wenn er Zwang ausübt, statt Kooperation zu befördern.

    • Alexander Ulfig sagt:

      “aber alle Menschen haben eine Moral.”

      Ich schreibe von einer “moralisch-ethischen Grundhaltung”, also einer expliziten Beachtung von moralischen Normen, in erster Linie von Menschenrechten, denn auch sie stellen moralische Normen dar, Zur moralisch-ethischen Grundhaltung gehört die Beachtung von Menschenrechten wie beispielsweise des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf ungehinderte Demonstration, aber auch die Beachtung von Normen der Kommunikation, wozu nicht Diffamierung, sondern Austausch von Argumenten gehört.

  6. QuestionMark sagt:

    @Alexander Ulfig
    Sehr schöner Artikel. Mehr davon.

  7. Zu diesem Artikel wäre einiges zu sagen. Ich beschränke mich auf manches davon.

    Zunächst ist Marxismus zugleich mehr und weniger als die Summe der Texte von Marx und Engels: mehr, da es viele scharfsinnige (Althusser) und weniger scharfsinnige (Lenin!) Marxisten in Marx’ Nachfolge gegeben hat. Weniger, da es durchaus falsch ist, dass Marx mit der “von seinem Freund Friedrich Engels ausgearbeiteten Theorie (…) wohl vollständig übereinstimmte”. Marx war schon tot, als Engels einige der größten Irrtümer des Marxismus hinzugedichtet hat.
    Vor dem Hintergrund der realsozialistischen Auslegungen Marx’ (Lenin, Trotzki u.a.) und widerum der Distanzierungen davon (Adorno etc.) ist es immer sehr schwierig, überhaupt vom Marxismus als einer Philosophie zu sprechen, dem man dies und das vorwerfen kann.

    Zu dem zentralen Vorwurf, der Marxismus habe keine Ethik hervorgebracht, kann man daher eigentlich nur dreierlei sagen:

    1. Warum sollte er? Marxismus ist seit jeher und ganz primär eine Kritik der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften und eben keine Weltanschauung, zu der er so gern (z. B. von Engels) gemacht worden ist. Jedenfalls kann man ohne weiteres Marxist sein, ohne über irgendetwas anderes zu sprechen als über Arbeit, Geld, Ware, Staat und die (Fehlinterpretationen der) Beziehungen zwischen diesen Phänomenen. Ein Marxist braucht ebensowenig eine eigene Ethik wie ein Linguist oder ein Psychoanalytiker. Wer eine marxistische Moral für desiderabel hält, überstrapaziert meines Erachtens schon die Marxsche Theorie, indem er meint, sie zu einer Weltanschauung ‘vervollständigen’ zu müssen. Die DDR und heute noch die DKP gehören in diese Ecke.

    2. Im Artikel wird so getan, als seien zumindest gewisse Grundwerte (“Menschenrechte”) eben ethischer common sense. Wer Marx kennt, weiß, dass es ihm eben darauf ankommt, diesen common sense ins Licht zu setzen; gerade mit einer Berufung auf “Menschenrechte” beweist man da nur die eigene Unbelecktheit. Keine Norm und kein Recht entsteht im luftleeren oder machtfreien Raum, d. h. sie sind historisch und politisch geworden. Und diese Gewordenheit auch des ideell Gegebenen zu analysieren ist ein urmarxistisches Anliegen, eben Ideologiekritik – die sich übrigens keineswegs in diesem plumpen Basis-Überbau-Modell, das immer wiedergekäut wird, erschöpft (Marx war auch nicht immer at his best). Wenn also im Marxismus von Moral die Rede ist, dann von der herrschenden Moral, die natürlich kritisiert wird, da die herrschende bürgerliche Gesellschaft sich darin zeigt.

    3. Andererseits hat natürlich jede politische Bewegung eine inhärente Ethik. Sonst blieben die Leute zuhause anstatt zu demonstrieren, agitieren, diskutieren usw. Kein Marxist wird also sagen: mir doch scheißegal, ob Armut und Ausbeutung herrscht. Es ist ihm eben nicht egal. Und zugleich ergibt sich doch aus der Feststellung ausbeuterischer Arbeitsorganisation im Kapitalismus ganz selbstverständlich – und ohne dass man erst eine ‘marxistische Ethik’ ausformulieren müsste – dass diese Art, Arbeit zu organisieren, schlecht ist und abgeschafft gehört. Wenn man erst einmal die Schädlichkeit der Marktwirtschaft für Mensch und Natur verstanden hat, die Marx ja darstellt, ergibt sich, dass man diese Schäden abgestellt wünscht – und zwar aus einer Mischung aus Vernunft und Eigennutz, die man meinetwegen auch Moral nennen könnte. Marxisten stehen meiner Erfahrung nach sehr viel weniger gleichgültig imperialistischen Kriegen, Armut und Ausgrenzung gegenüber als die meisten Zeitgenossen. Übrigens nicht zuletzt, weil sie sich (bestenfalls) von den jeweiligen ‘moralischen’ Legitimierungen solcher Untaten nicht so sehr beeindrucken lassen.

    Der im Artikel mitschwingende Verdacht, Marxisten hielten nichts von Moral, seien also womöglich mehrheitlich kaltblütige Immoralisten, die keine Grundsätze und Rücksichten kennten, ist unbegründet.

  8. Ralf Dahrendorf sagt:

    Wie manche Zeitgenossen noch heute dem Marxismus oder Kommunismus anhängen können, ist mir unbegreiflch.

    Die ganzen Thesen von Marx sind nichts anderes als ein weiteres Werkzeug der Herrschenden in ihrem “teile und herrsche” Spiel. Die wahren Mächtigen sitzen da, wo das Geld kummuliert, bei der internationalen Finanzmacht. Die gilt es zu bekämpfen, aber das war für Marx kein Thema. Es galt Gräben innerhalb der einzelnen Gesellschaften aufzureißen. Damit war er erfolgreich, bis heute.

    Die Utopie der klassenlosen Gesellschaft und die Utopie der reinen Rasse verlangten beide die Ausschaltung derjenigen Menschen, die der Verwirklichung eines »großartigen« Entwurfs, nämlich der Entstehung einer von Grund auf besseren Gesellschaft, im Wege standen. In beiden Fällen führte die Ideologie (Rassenkampf oder Klassenkampf) zum Ausschluß eines »schlechten« Prinzips, vertreten durch Kategorien (»untere« Rassen oder »schädliche« Klassen) von Menschen, deren einziges Verbrechen es war, ihnen anzugehören, das heißt, zu existieren. In beiden Fällen wurde ein absoluter Feind bestimmt, mit dem einen Kompromiß zu schließen undenkbar war. Daraus entwickelte sich in beiden Fällen eine gleichermaßen geplante Schreckensherrschaft. Klassenhaß oder Rassenhaß, soziale oder rassische Prophylaxe ist ein und dasselbe.

    In dieser Hinsicht stellt die »Klasse« keine Kategorie dar, die weniger starr und unauslöschlich als die »Rasse« wäre. Die eine wie die andere wurden gleichermaßen verabsolutiert. Am 1. November 1918 erklärte Martyn Latsis, einer der ersten Leiter der Tscheka: »Wir führen keinen Krieg gegen einzelne Personen. Wir rotten die Bourgeoisie als Klasse aus. Suchen Sie in der Untersuchung nicht nach Dokumenten und Beweisen bezüglich dessen, was der Angeklagte getan hat …. Die erste ihm zu stellende Frage ist, welcher Klasse er angehört.« Am 24. Januar 1919 ordnete das Zentralkomitee der KPdSU an, daß die Kosaken »bis zum letzten vernichtet und physisch liquidiert« werden sollen. »Die Kulaken sind keine Menschen«, befand später Stalin. Im Jahre 1932 fügte Maxim Gorki hinzu: »Der Klassenhaß muß gepflegt werden, mit einem Grundabscheu vor dem Feind als minderem Wesen. Es ist meine innere Überzeugung, daß der Feind sehr wohl ein minderwertiges Wesen, ein ebenso physisch wie auch moralisch Entarteter ist.« Im Jahre 1940 ließ die Rote Armee bei ihrem Einmarsch in die baltischen Länder verkünden, daß die eroberten Bevölkerungen »aufgrund ihrer Vergangenheit und der Taten der vorhergehenden Generationen« beurteilt würden. Aus der Sicht eines Lyssenko, der die Vererbbarkeit erworbener Charakterzüge behauptete, konnten soziale Makel ebensogut für genetisch vererbbar gehalten werden.

    Wenn der kommunistische Terror nichts Kommunistisches an sich hatte, könnte man ebensogut behaupten, der NS-Terror habe nichts spezifisch Nationalsozialistisches an sich gehabt. Die Tatsache aber, daß er überall dort, wo er an die Macht kam, zerstörerisch war, sollte ihn für alle Zeiten diskreditieren!

  9. “Obwohl also das Kapital weitgehend eine Abhandlung über Sozialethik ist,werden diese ethischen Ideen nie als solche dargestellt. Sie werden nur indirekt ausgedrückt, aber das heißt nicht, daß sie deshalb geringeres Gewicht haben; denn diese indirekten Folgen sind sehr offenkundig. Ich glaube, daß Marx eine ausdrückliche Moraltheorie vermied, weil ihm das Predigen zuwider war. (…) Die Prinzipien der Humanität und des Anstandes waren für ihn Voraussetzungen, die keiner Diskussion bedurften, die einfach hinzunehmen waren.” – Karl Popper

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