Ausgerechnet Andrea Nahles will – den GDL-Streik vor Augen – ein Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit vorlegen. Das würde auch die letzten Arbeitnehmerinteressen unter wirtschaftliches Diktat zwingen und käme einer Zwangsauflöung der Gewerkschaften gleich.
Von Heinz Sauren
“Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will”. Diesen Auszug aus einem sozialistischen Arbeiter-Kampflied des 20. Jahrhunderts füllen die streikenden Lokführer aktuell mit neuem Leben.
Sie stehen wirklich still, die Räder der Deutschen Bahn, einzig ein Notfahrplan als hilfloser Versuch, die Folgen des Streiks abzumildern, hält den Anspruch der Bahn, der führende flächendeckende Nah- und Fernverkehrsanbieter zu sein, leidlich aufrecht.
Die Empörung ist groß. Viele Reisende sehen ihre Planungen durchkreuzt. 50 Stunden Streik lassen die Illusion der unbegrenzten Reisemöglichkeit platzen und zwingen die, die dennoch unbedingt per Bahn reisen wollen, in Geduldsübungen und ausgedehnten Bahnhofs-Sight-Seeing-Touren. Das schürt den Unmut der Reisenden und die ersten Politiker springen populistisch auf den Zug der Empörten.
Es ist von Erpressung und Geiselnahme durch eine kleine Gruppe Lokführer die Rede, von vermeintlichen Grundrechten der Bahnnutzung und Interessengeschachere. Doch die GDL, als für den Streik verantwortliche Gewerkschaft, ist der falsche Adressat für solche Vorwürfe.
Es gab ihn mal, den hoheitlichen Auftrag der Bahn, dem Volk eine Mobilität zu bieten, auf die sich der Bürger berufen konnte. Doch das ist Vergangenheit und Schuld daran sind nicht die Bahnbediensteten. Es war zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn, die ihren Auftrag unter anderem auch dadurch gewährleistete, das ihre Bediensteten Beamte waren, die per Gesetz nicht streiken dürfen. Im Zuge der Privatisierungwelle der frühen 1990er Jahre wurde auch die Bahn ein Privatunternehmen, zwar mit dem Bund als Mehrheitseigner, aber unter privatrechtlichen Bestimmungen. Damit wurden Lokführer nicht mehr verbeamtet und gezwungen, mit arbeitskampfrechtlichen Mitteln ihre Interessen zu erstreiten. So wollte es die Bundesregierung und hob damit das Recht der Bürger auf Beförderung auf. Es war ausdrücklich gewollt, dass die Tarifparteien sich nun frei gegeneinander behaupten. Wenn heute jemand kritisiert, dass dieses Land wirtschaftliche Schaden durch den Streik nimmt oder ein Grundrecht auf Reisefreiheit beschnitten sieht, dann ist es die Bundesregierung, die dafür die Verantwortung trägt.
Wenn die Bundesregierung gewisse Schlüsselpositionen gesichert wissen will, dann muss sie die Bediensteten dafür verbeamten.
Im Gegensatz zu einem vermeintlichen Recht der Reisenden auf Beförderung, welches es nicht mehr gibt, berufen sich die Lokführer, aber auch die Piloten, sehr wohl auf bestehendes Recht. Auf das Streikrecht, welches nicht nur gesetzlich verankert ist, sondern auch im Grundgesetz gesichert wird. Wenn heute Politiker wie Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles fordern, durch gesetzliche Veränderungen Menschen an einem Streik zu hindern, dann verrät diese Dame nicht nur den grundsätzlichen Anspruch ihrer Partei, die Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu sein. Sie verstößt mit ihrer Forderung auch ausdrücklich gegen das Grundgesetz.
Es kann nicht richtig sein, das Streikrecht von Berufsgruppen einzuschränken, nur weil ihr Beruf eine Schlüsselstellung einnimmt. Damit wäre die Tür geöffnet, zukünftig auch Krankenhauspersonal oder Mitarbeiter von Telekommunikationsunternehmen das streiken zu verbieten. Wirtschaftlicher Schaden ist gewollt in einem Streik und das einzige Druckmittel der Arbeitnehmer. Wirtschaftlichen Schaden als Begründung gegen einen Streik anzuführen, würde auch die letzten Arbeitnehmerinteressen unter das wirtschaftliche Diktat zwingen. Es käme einer Zwangsauflöung der Gewerkschaften gleich. Auch die Forderung, Gewerkschaften erst ab einer gewissen Größe mit Streikrechten auszustatten, verstößt gegen das Recht, sich als Arbeitnehmer frei zu organisieren.
Tatsächlich ist dies nichts mehr als ein Teil der Großmachtsforderungen der Arbeitgeber entgegen geltendem, höchstrichterlich bestätigtem Recht. Auch in einem einzelnen Betrieb haben mehrere Gewerkschaften das Recht, ihre Arbeitnehmer zu vertreten.
Eine unrühmliche Rolle nehmen in diesem Streik die Großgewerkschaften ein, die ihren eigenen Mitgliederschwund durch Anexion der kleineren kompensieren möchten. Diese Großgewerkschaften sind zu lobbyistisch geführten Gewerkschaftskonzernen verkommen, denen ihre Machtfülle wichtiger als die Interessen ihrer Arbeitnehmer geworden sind.
Letztendlich haben die Arbeitnehmer in den letzten zwanzig Jahren viele Rechte verloren – alle zum Wohle eines höheren wirtschaftlichen Interesses. Auch die geforderte Herabsenkung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden ist nichts mehr als der Wunsch, jenen Status wieder zu erreichen, der unter falschen Versprechungen seitens der Bahn nur vorrübergehend aufgegeben werden sollte.
De facto ist der Streik der Piloten und Lokführer endlich mal einer, der den Namen Streik auch verdient. Denn er tut dem Arbeitgeber weh und kann damit etwas erzwingen, was der nicht will. Alle, die sich derzeit über die Unbequemlichkeiten als Folge der Streiks aufregen, sollten bedenken, dass auch sie Arbeitnehmer sind. Vielen würde es besser gehen, wenn auch sie von einer Gewerkschaft vertreten würden, die tatsächlich das Wort Arbeitskampf mit Leben erfüllt.
Der Verlust der Arbeitnehmerrechte – vom Reallohnverzicht über verlorenen Kündigungsschutz bis zur Anhebung der Wochenarbeitszeit um 5 Stunden innerhalb der letzten zwanzig Jahre – konnte auch deshalb geschehen, weil in diesem Land viel zu wenig und viel zu halbherzig gestreikt wurde.
Dieser Artikel erschien auf dem Freigeist Blog
die SPD = die Partei des Verrats!
Richtig. Keine schlimmere Partei für als diese: Bei den Konservativen weiß man, wo man dran ist, die SPD hingegen macht vornerum auf sozial und ist in Wirklichkeit verantwortlich für die Zerstörung des Sozialstaates und des Glaubens an die Demokratie.
Danke für diesen auf den Punkt bringenden Artikel.
Wer heut zu Tage als Arbeiter/Angestellter CDU/CSU/SPD/Grüne/..AfD/FDP wählt muss sich schon fragen lassen warum er zu den dummen Kälbern gehört die ihren eigenen Schlachter wählen.
Wenn das Streikrecht nun dank der besonders begabten und herausragenden Frau Nahles, die Mitglied in der SPD ist, also der ehemaligen Arbeiterpartei von August Bebel, faktisch abgeschafft wird, weil die integrierten Großgewerkschaften bekanntlich schon seit langem freiwillig auf energische Tarifverhandlungen mit Streiks verzichten, dann wird sich die Demokratie einen weiteren Schritt in Richtung Postdemokratie entwickelt haben.
Zum wirklich traurigen Thema SPD hat Klaus Funken ein lesenswertes Buch geschrieben:
http://cuncti.net/streitbar/714-das-neue-buch-von-klaus-funken-zum-150sten-keine-festschrift
Der weitere Niedergang der SPD dürfte weiterhin anhalten. Bereits ein Blick auf das jetzige Führungspersonal genügt für diese Einschätzung. Und intern sind alle Weichen, wenn auch aus anderen Gründen, seit langem dafür gestellt worden.
Die SPD müßte diese grundlegenden Fehler erstens erkennen und zweitens praktisch korrigieren. Dazu dürften ihr jedoch jetzt und zukünftig Einsicht und Kraft fehlen.
Der Artikel ist sehr gut und ich konnte dem Beginn sehr einfach zustimmen.
Allerdings ist die Bemerkung über die Wochenarbeitszeit nicht richtig. Ich bin seit 30 Jahren bei der Bahn und wir hatten in den ganzen Jahren nie eine 34-Stunden-Woche.
Sie war mal auf 38 Stunden abgesenk, zur sozialen Absicherung der Arbeitsplätze, aber 34 sSunden. So wenig musste ich nicht mal in der Ausbildungszeit bei der Bahn arbeiten.
Vielen dank für diesen Artikel echt toll geschrieben. Wir kämpfen weiter.
Nach Hartz4, Zustimmung zur Vorratsdatenspeicherung, Herdprämie und Maut wundert bei der SPD eigentlich nichts mehr.
Mehrheitsbeschaffer für Merkel sein und jetzt die Abschaffung von grundlegenden Rechten, wie das Streikrecht, zu fordern und fördern, ist insofern nur konsequent.
Daß sich die SPD damit – nach immerhin 150 Jahren Parteigeschichte – auf den Weg macht, den die FDP bereits gegangen ist, scheint der Führung noch immer nicht klar geworden zu sein.
Tja … wie sagt das alte Sprichwort:
Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten
Tja, unsere Damen und Herren Volksvertreter…
Sie haben vergessen, von wem sie gewählt wurden und für was sie da sind!!!
Haben Sie vielen Dank für diesen Artikel! Er spricht mir aus der Seele und trifft den Nagel auf den Kopf. Leider gibt es nur wenige “Qualitätsmedien”, die diesen Konflikt so präzise auf den Punkt bringen.
“Ausgerechnet Andrea Nahles führt – den GDL-Streik vor Augen – wirtschaftlichen Schaden als Begründung für ein Streikverbot an”.
Gibts dafür eine zitierfähige Quelle? Könnte ich grad brauchen…
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bahnstreik-konsequenzen-experte-warnt-nahles-vor-gesetz-zur-tarifeinheit/10856050.html
Vielen Dank. Aber leider gibt es in diesem Artikel auch kein Zitat, in dem Andrea Nahles irgendwie einen “wirtschaftlichen Schaden” erwähnt. Das habe ich gesucht…
Streiks sind wirtschaftlich i m m e r schädlich. Ob das gesagt wird oder nicht ist eigentlich nebensächlich. Der Streik s o l l den Arbeitsprozeß unterbrechen und wirtschaftlichen Schaden anrichten, um damit Macht in Tarifverhandlungen ausüben. Das ist sein Sinn und Zweck und liegt daher schon im Begriff. Und das ist gemäß Art. 9 GG für Gewerkschaften legitim und legal.
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article133488129/Merkel-droht-mit-der-Tarifeinheit-per-Gesetz.html
Lieber Leonard,
das weiß ich und sehe ich auch so.
Aber wenn jemand schreibt, ” Andrea Nahles führt… wirtschaftlichen Schaden als Begründung für ein Streikverbot an”, dann sollte sie das – belegbar – auch irgendwann irgendwo so gesagt (also “angeführt”) haben. Sonst kann ich es halt journalistisch sauber nicht öffentlich zitieren.
Ich hoffe, du verstehst, was ich meine.
Sicher, Heinz Sauren sollte exakt sein, wenn er wörtlich zitiert.
Ich habe per Schnellrecherche vergeblich versucht, das Zitat als ein wörtliches zu finden. So ist es.
Aber vielleicht äußert sich der Autor noch dazu.
Lieber Herr Tiefenbrunner,
die beanstandete Passage befindet sich in der Einleitung und wurde von der Redaktion (von mir) eingefügt und stammt in diesem Fall nicht vom Autor.
Sicher ist der Satz unglücklich formuliert, da er impliziert, das Nahles direkt den wirtschaftlichen Schaden angesprochen hätte. Tatsächlich wollte ich nur darauf Hinweisen, dass der wirtschaftliche Schaden letztendlich Hintergrund für Nahles Gesetzesentwurf ist.
Ich werde den Abschnitt daher ändern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.