Um dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, werden Israel und das Judentum in jeder politisch korrekten Kritik getrennt. Das geht zumeist fehl, da ein wesentlicher Teil unbeachtet bleibt: der religiöse Aspekt hinter den staatlichen Handlungen Israels.

Israel

Foto: Robert Croma / CC BY-NC-SA 2.0

Von Heinz Sauren

Eine der modernsten Armeen der Welt ist in den Krieg gegen die rund 1,8 Millionen Bewohner des Gazastreifens gezogen. Vorgeblich um die Terroristen zu töten, die für den Beschuss Israels mit Raketen verantwortlich sind.

Aus palästinensischer Sicht ist es ein humanitäres Desaster. Ihnen wurde seit der israelischen Staatsgründung 1948 mittels Kriegen und rassistischen Gesetzen immer mehr Land gestohlen, so dass sie nun im Gazastreifen eingepfercht, schutzlos und ohne die Möglichkeit der Flucht, den Panzergranaten und Flugzeugraketen der Israelis ausgeliefert sind. Es ist ein Volk in hoffnungsloser Lage.

Aus israelischer Sicht ist dieser Krieg eine Verteidigungshandlung und Strafaktion gegen Terroristen, die permanent das israelische Volk bedrohen und sein Existenzrecht bestreiten. Sie verteidigen den Staat, der ihnen – religiös begründet – bestimmt wurde und die Zuflucht aller Juden sein will. Offiziell sucht und zerstört Israel die Verstecke der Raketen, die Israel bedrohen. Die bisher nahezu 500 palästinensischen Toten sind dabei nicht gewollte aber unvermeidbare Kollateralschäden.

Keine Kritik ohne Antisemitismus?

Die deutsche Nachkriegsgesellschaft ist in dem Bewusstsein um seine besondere Stellung gegenüber Israel und Juden aufgewachsen. Ihr wurde in der Schule die besondere Verantwortung vermittelt, die ihr Heimatland trägt – und mit ihm auch jeder Einzelne. Lange hat diese Generation seine vermeintliche Kollektivschuld, die ihre Großeltern begründeten, nicht hinterfragt. Auch weil ein solches hinterfragen bereits verdächtig macht, Antisemit zu sein. Diesen Stempel zu tragen, kann für Jeden strafrechtliche Folgen nach sich ziehen und das gesellschaftliche Aus bedeuten. Prominente Beispiele dafür gibt es genug.

Antisemitismus bedeutet im gängigen Verständnis “Judenfeindlichkeit”, obwohl der Begriff weiter reicht, und ursprünglich alle semitischen Völker einschließt. Israel ist nach eigenem Anspruch der Staat der Juden, für Juden und ebenfalls nach eigenem Anspruch die völkerrechtliche Manifestation des religiösen Judentums. Es ist daher schon per Definition nicht möglich, den israelischen Staat zu kritisieren, ohne das religiöse Judentum mit einzubeziehen. Eine unglückselige, aber ausdrücklich so gewollte Verquickung.

Daher ist jede Kritik gegen Israel auch immer “antisemitisch”. Die Handlungen der demokratisch gewählten, israelischen Regierung repräsentieren den Willen der Mehrheit des israelischen und damit mehrheitlich jüdischen Volkes. Der Versuch, Israel und Judentum in der Kritik zu trennen, ist zumeist ein Beweis der Hilflosigkeit des Kritikers, seine Kritik zu platzieren, ohne von der Keule des Antisemitismus getroffen zu werden. Sie geht zumeist fehl, da ein wesentlicher Teil unbeachtet bleibt: der religiöse Aspekt hinter den staatlichen Handlungen Israels.

Ein Weg der Radikalisierung

Nach außen hin wird auch der aktuelle Krieg mit der international tauglichen Begründung, – dem Kampf gegen den Terrorismus -, legitimiert. Nach innen jedoch, in den israelischen Zeitungen, sind die religiösen Begründungen mindestens ebenso bedeutend. Notwendig sind sie, weil ein zunehmender Teil der israelischen Bevölkerung fundamentalistische und radikaljüdische Werte vertritt. Das spiegelt sich auch in der zunehmenden Anzahl der Hardliner in der Knesset, dem israelischen Parlament und den Gesetzen die es erlässt, wieder.

Israel ist nicht mehr die zu bemitleidende Fluchtburg der verfolgten Juden, die internationalen Schutz bedarf. Es bedarf auch nicht mehr des moralischen Schutzes. Entsprechend den UN-Resolutionen, die die UNO seit 1948 gegen Israel erlies, ist Israel Kriegsaggressor, verstößt gegen das Völker-und Menschenrecht und hat unrechtmäßig das Land der Palästinenser okkupiert. Das ist die Ansicht der Weltorganisation und ein solches Urteil ist normalerweise für jeden Staat vernichtend. Nicht jedoch für Israel, das sich schon lange emanzipiert und mit amerikanischer Hilfe zu einer Regionalmacht gemausert hat. Einige Knesset Abgeordnete fordern bereits ein weltweit gültiges Veto-Recht nicht nur im Weltsicherheitsrat.

Israel ist ein rassistischer Staat geworden. Es gelten Gesetze, die getrennte Schulen und Krankenhäuser für Juden und Araber vorschreiben, Mischehen zwischen Arabern und Juden sanktionieren bzw. gemischten Paaren aus Arabern und Juden das Zusammenleben in Israel verbieten. Es gibt getrennte Buslinien für Juden und Araber sowie jüdische Stadtviertel, die am Sabbat von Nichtjuden nicht betreten werden dürfen. Der Rassismus ist in Israel nicht versteckt, er findet offen statt und ist gesetzlich legitimiert. Israel führt einen Krieg, den es nicht führen müsste, wenn es den Palästinensern die Rechte zugestehen würde, die internationalen Minimalstandards entsprechen.

Das verfluchte Dogma

Der vorauseilende Gehorsam, mit dem Deutschland in der Vergangenheit Israel hofierte, ist nicht mehr angemessen. Ein Verfolgter muss Schutz genießen, so wie die Israelis internationalen Schutz genossen. Wenn der Verfolgte jedoch Verbrechen begeht, und diese international mittels UN-Resolutionen geahndet werden, dann hat er seinen Schutzanspruch verwirkt. Er muss sich – wie jeder andere Staat – der Verantwortung stellen. Wenn dieser Staat dann auch die Trennung zwischen seiner Religion und seinem Staatswesen strikt ablehnt, dann zieht er erstere zwangsläufig mit in die Verantwortung. Es ist das gleiche Problem, mit dem auch das theokratische Regime im Iran zu kämpfen hat. Genauso hat Israel letztendlich zu verantworten, dass die Weltgemeinschaft nicht nur den Islam, sondern zunehmend auch das Judentum kritisiert.

Wer einen Krieg führt und hunderte getötete Zivilisten und Kinder als Kollateralschäden akzeptiert, muss sich gefallen lassen, kritisiert und beschimpft zu werden. Das historische Leid der Juden als Rechtfertigung des Status Quo zu instrumentalisieren, ist nicht weniger als eine Verhöhnung der Opfer des Holocausts. Und es ist zynisch gegenüber den Opfern des aktuellen Krieges, als Täter eine gemäßigte Kritik einzufordern.

Wie ehrlich ist das jüdische Volk zu sich selbst, wenn es die Trauer über den erlittenen Genozid an sich einfordert und selbst einen Genozid am palästinensischen Volk betreibt? Wie ehrlich ist eine deutsche Regierung, wenn sie aufgrund des erlittenen Genozids der Juden die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt, aber gleichzeitig den Genozid am palästinensischen Volk ignoriert? Ein Genozid ist völkerrechtlich klar definiert, nur eine offizielle Verurteilung Israels nach seinen Kriterien steht noch aus.

Das deutsche und das jüdische Volk haben eine gemeinsame, lange und tragische Geschichte, die darin mündete, dass das deutsche Volk eine  große Schuld gegenüber dem jüdischen auf sich geladen hat. Wer wollte das bezweifeln. Aber es gibt keine historische, keine vererbbare Kollektivschuld. Kaum jemand der sich heute gegen Israel wendet, hat eine persönliche Schuld gegenüber dem jüdischen Volk und hat damit das Recht und die Pflicht, sich gegen den nächsten Genozid aufzulehnen. Mit allen Mitteln die dazu notwendig sind, so sagt das Völkerrecht.

Artikelbild: Robert Croma / CC BY-NC-SA 2.0