Rechtsruck in Europa

Der Rechtspopulismus feiert in der EU ein erschreckendes Comeback. Im Verlauf der nicht enden wollenden Krise scheinen die Nationalstaaten den europäischen Gedanken langsam aber sicher ad acta zu legen. Die rechten Parteien greifen den Anti-Europa-Trend auf und demonstrieren das, was in der EU gerade am meisten fehlt: Geschlossenheit. Bei einem Treffen spricht der niederländische Schriftsteller und Essayist Geert Mak über die Gefahr einer Renationalisierung der Staaten und erklärt, welche Rolle die Bundeskanzlerin spielen sollte.

© Merlijn Doomernik/laif

Von Florian Schmitz

Rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien erfreuen sich immer größerer Beliebtheit im krisengeplagten Europa. Dies gilt nicht nur für Griechenland, sondern auch für Länder wie Österreich, die Niederlande, Ungarn oder Frankreich. Die Fokussierung auf die Eurorettung als Allheilmittel der Krise hat das Vertrauen in die EU tief erschüttert. Dabei sind es Ideologien wie die der ultrarechten griechischen Parlamentspartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die geistige Gründungsväter der EU wie Jean Monnet oder Willy Brandt einst dazu veranlasst hatten, sich über ein Europa Gedanken zu machen, in dem Frieden und Wohlstand für alle herrschen. Doch die Krise macht den Europäern schwer zu schaffen. Gerade der Süden leidet unter der Situation und auch in anderen Mitgliedsländern geben Wahlen Grund zu der Annahme, dass das Vertrauen in die EU abnimmt.

Zurück zum Nationalstaat

Der Niederländer Geert Mak sorgt sich um das politische Europa. In seiner Streitschrift Was, wenn Europa scheitert fragt er nach den Ursachen der Krise. Und auch in seinem neuen Buch Amerika ist die alte Welt stets präsent, denn gerade durch den Blick auf die Vereinigten Staaten wird dem Leser das spezifisch europäische auf besondere Weise bewusst. Vor allem aber sorgt sich Geert Mak um die demokratische Zukunft des Kontinents. Grund dazu hat er. In Italien bekennen sich immer mehr Wähler zur rechtspopulistischen Lega Nord (Liga Nord). Die Situation in Ungarn ist besorgniserregend, in Frankreich erreichen Marine Le Pen und die Front National laut aktueller Umfragen zur kommenden Europawahl erschreckende 24 Prozent. Jetzt kooperiert sie mit dem niederländischen  Rechtspopulisten Geert Wilders und seiner Partij voor de Vrijheid um erklärterweise gegen mehr Europa zu kämpfen. Und nicht zuletzt haben die Wahlen in Österreich sowie die neugebildete konservativ-rechtspopulistische Minderheitsregierung in Norwegen als Nicht-EU-Land gezeigt, dass die europäischen Nationalstaaten nach rechts tendieren. Mak spricht von einer „Renationalisierung“ der Staaten, die nach den europäischen Zentralisierungsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte das Augenmerk wieder mehr auf sich richten. Zu groß ist die Angst, weiter in den Sog der Krise zu geraten. Und zu weit in der Vergangenheit liegen die Schrecken des 2. Weltkrieges, die die Generation der Nachkriegspolitiker bisher auf einem europafreundlichen Kurs gehalten haben.

Die Sorge vor der Einheitskultur

Warum die einzelnen EU-Mitglieder wieder zu einer nationalstaatlich fokussierten Politik tendieren und die EU trotz einer kaum noch zu übersehenden politischen Radikalisierung auf einem intergouvermentalen Plauderkurs stagniert, erklärt Geert Mak mit den Gedanken des Franzosen Michel de Certeau. Dieser unterscheidet zwischen Platz und Raum, wobei Raum die Möglichkeit der Ausbreitung und Veränderung bietet und Platz auf das Beständige verweist, mit dem man sich sicher fühlt. „Platz wird in Europa zu sehr über den Nationalstaat definiert,“ sagt Geert Mak. Dabei könne Platz sowohl etwas Kleineres sein, wie eine Stadt oder eine Region, aber auch über die Grenzen eines Nationalstaates hinausgehen. Europa müsse dieses Bedürfnis der Menschen nach Platz stärker respektieren.

Dabei tut das europäische Parlament gut daran, so wie kürzlich angekündigt, bestimmte Zuständigkeiten wieder an die Nationalstaaten zurückzugeben. Denn es sind nicht nur die von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso exemplarisch bemühten Friseurschuhe, sondern auch einheitliche Richtlinien zu beispielsweise Brot und Schokolade, mit denen sich die Beamten in Brüssel herumplagen müssen. Dabei werden weder formgleiche Brötchen noch genormte Schokolade über Frieden und Wohlstand entscheiden. Und während sich die EU immer noch schwer tut mit einer gemeinsamen Außen- oder Asylpolitik, scheint es auch diesmal nicht zu gelingen, die Bürgerinnen und Bürger auf die anstehenden Europawahlen 2014 einzustimmen. „Ich glaube, die EU gibt den Menschen das Gefühl, dass man sein Leben noch weniger als unter den Nationalstaaten in der eigenen Hand hat und das ist das große Problem,“ beschreibt Geert Mak die Situation und verweist auf das demokratische Defizit des Staatenbundes.

Die Rolle der Kanzlerin

Eine gemeinsame Politik, die die Interessen Europas als Staatengemeinschaft glaubwürdig vertritt, ohne dabei den einzelnen Nationalstaaten zuviel ihrer Autonomie zu nehmen, wird ohne charismatische Politiker kaum zu vermitteln sein. Hier sieht Mak Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Pflicht: „Sie spielt zu sicher, obwohl sie dabei natürlich auch an Stärke gewinnt. Aber sie muss auch inspirieren. Das gelingt ihr nicht und das ist das eigentliche Problem.“ Natürlich liege das mitunter auch an der deutschen Vergangenheit, an den Traumata des 2. Weltkrieges und der daraus resultierenden Schuld. „Trotzdem trägt Angela Merkel hier eine Verantwortung.“ Dabei führt der Historiker immer wieder Franklin D. Roosevelt als Beispiel an, den 32. US-Präsidenten, der die USA mit seinen New-Deal-Reformen nicht nur durch die schwerste Wirtschaftskrise ihrer Geschichte geführt hat, sondern im Zuge dessen immer nahe am Volk agiert hat, es mit seinen Fireside Speeches an den komplexen politischen Prozessen hat teilhaben lassen.

„Angela Merkel ist sehr wichtig,“ unterstreicht Mak, „und eine deutsche Bundeskanzlerin muss in Europa eine leitende Rolle übernehmen.“ Dabei dürften aber nicht nur die Bundesrepublik und die nordischen Länder hinter den Entscheidungen stehen. „Roosevelt hat alle Menschen angesprochen, auch die Schwachen und die, die weit weg waren. Man fühlte sich verbunden durch das gemeinsame Projekt.“ Daher sei es wichtig, dass Stundenten in Griechenland, junge Arbeiter in Spanien oder junge Geschäftsleute in Süditalien das Gefühl haben: Diese Angela Merkel mimt zwar die Oberlehrerin, aber sie inspiriert uns auch. „Das ist wichtig, wenn es um politische Führung geht und ich hoffe, dass sie in der neuen Legislaturperiode ein solches Gefühl in den Menschen wachrufen kann.“

Eben doch nicht nur eine Währung

Geert Mak hat keine Antworten auf die Frage, wie die komplexen Verstrickungen der Krise zu entwirren sind. Aber er erinnert daran, dass die Eurokrise nur eines unter vielen Problemen ist, die in Europa angegangen werden müssen, und, dass es sich lohnt, einen Blick über die europäischen Grenzen hinaus zu werfen. Die EU muss daran arbeiten, das Vertrauen der Bürger in den europäischen Gedanken zurückzugewinnen. Dabei werden Normierungen von Waren kaum helfen. Erst wenn die EU gemeinsame Positionen entwickelt, die die kulturelle Diversität des Kontinents berücksichtigen und sich beispielsweise auf eine gemeinsame Außen- und Finanzpolitik einigt, kann das demokratische Grundbestreben des Staatenbundes glaubhaft vermittelt werden. Denn – so zeigt Geert Maks Blick auf die Vereinigten Staaten – ein Bewusstsein darüber, warum Europa in all seinen Unterschieden doch zusammengehört, entsteht wohl erst, wenn man den Kontinent von außen betrachtet.

 „Das gemeinsame Leiden eint mehr als die Freude. Die nationalen Erinnerungen und die Trauer wiegen mehr als die Triumphe, denn sie erlegen Pflichten auf, sie gebieten gemeinschaftliche Anstrengungen.“ (Ernest Renan, französischer Philosoph über den Nationalstaat)

Florian Schmitz lebt und arbeitet in Griechenland als freier Korrespondent und Autor. Als überzeugter Europäer widmet er sich auf seinem Blog EUdyssee.net Aspekten des europäischen Lebens, die in Zeiten der Krise oft nicht genug Beachtung finden.

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3 Kommentare zu "Rechtsruck in Europa"

  1. “Dank” der Euro-Krise setzt sich bei vielen Europäern der Glaube durch, es sei nicht genug Lebensraum und Lebensmöglichkeit für alle da. In der Konsequenz verteidigen sie ihr eigenes (relatives) Wohlergehen gegen imaginierte Feinde, gegen Ärmere im eigenen und in anderen Ländern und gegen alle, die ein bisschen großzügiger denken und zum Beispiel Verfolgten anderer Staaten in Europa eine neue Heimat geben wollen. Die Knappheit und Lebensunsicherheit führt (wieder mal) nicht zur Revolte gegen die winzige selbsternannte Elite der Krisenprofiteure und ihrer Hofschranzen, sondern zur Aggression gegen andere, die noch weiter unten stehen und das ihrer Meinung nach “noch” vorhandene “Mehr” an Gütern, Lebensqualität und Chancen für sich beanspruchen könnten.

    Da sie das irgendwie vor sich selber rechtfertigen müssen, verfallen sie den Ungleichwertigkeits-Ideologien, deren Spektrum vom Sarrazinismus bis zum rassistisch unterlegten Faschismus reicht. Sie selber sehen sich (natürlich) immer als Teil einer irgendwie, kulturell, genetisch oder sonstwie bevorrechtigten Gruppe an.

    Für die “Elite” ist dieses anscheinend zum atavistischen Erbe der Humanoiden gehörende Verhalten sehr komfortabel: Je mehr sie die Güter der Mehrheit verknappen und selber kassieren, desto stärker beginnen die Betroffenen, aufeinander (vorzugsweise nach unten) einzudreschen.

    Um das Ganze nicht aus dem Ruder laufen und vielleicht doch einmal nach oben losgehen zu lassen, gibt es eine allgegenwärtige Überwachung. Jede Keimzelle eventueller Aufstände kann damit zunächst eingeschüchtert, wenn das nicht hilft, kompromittiert, und wenn auch das versagt, ermordet werden.

    Brave new world!

  2. Lieber Sebastian, tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ich habe hier auf meiner zweiten Blog-Heimat LB selten so einen schlechten Text gelesen – nicht nur politisch falsch und anmaßend (faktsiche Aussage: “Wir müssen dem dummen, zu erziehenden Bürger die EU und die Zwangsvereinigung der europäischen Völker nur richtig erklären” – erinnert mich an die Floskeln der Agenda 2010-Schöpfer, die ihre Reformen auch immer nur richtig “erklären” wollten und dann würde ja alles gut werden), sondern auch undifferenziert (“Europa” wird synonym gesetzt mit “EU” -> propagandistische Wirkung: Assoziation “EU-freundlich” = “europafreundlich”) sowie inhaltlich-sachlich widersprüchlich und schlicht falsch: “Erst wenn die EU (…) sich beispielsweise auf eine Gemeinsame Außen- und Finanzpolitik einigt, kann das demokratische Grundbestreben des Staatenbundes glaubhaft vermittelt werden” – meine Güte! Ab dem Moment, wo es eine Gemeinsame Außen- und Finanzpolitik gibt, sprich, die Haushaltssouveränität im Grunde bei der EU liegt, haben wir einen De-Facto-Bundesstaat, da ein Nationalstaat ohne eigene Haushaltskompetenz (Kernmerkmal politischer Entscheidungskompetenz) nicht mehr souverän ist. Einen “Staatenbund”, wie es da anklingt, haben wir bereits jetzt schon lange nicht mehr, da dieser einen Bund souveräner Staaten beinhaltet. Dies war im Zuge der 3 Säulen schon nicht mehr so und seit dem ESM erst recht nicht, weswegen wir es derzeit mit einem StaatenVERbund zu tun haben (vgl. Maastricht-Urteil des BVerfG). Von jemandem wie Herrn Schmitz, der schwerpunktmäßig zur EU bloggt, würde ich nun wirklich erwarten, dass er seine terminologischen Hausaufgaben dazu gemacht hat. Dies ist hier in keiner Weise der Fall, bei gleichzeitigem übertriebenem politischem Alarmismus. Qualitativer Tiefpunkt!

  3. Ben Maurer sagt:

    Der Artikel ist doch nicht Bohemian, sondern mainstream. Und er enthält Fehler. Schon der zweite Satz: “Im Verlauf der nicht enden wollenden Krise scheinen die Nationalstaaten den europäischen Gedanken langsam aber sicher ad acta zu legen.” Das Gegenteil ist richtig: Bis auf Grossbritannien stehen alle Parlamente der Nationalstaaten fest hinter dem Vertrag von Lissabon, hinter dem Aufbau einer EU-Armee, hinter dem Euro und in Kooperation mit der Nato hinter den Interventionen in Afghanistan, Somalia und anderen Ländern. Das Europa mit der im Lissabon-Vertrag geplanten Struktur wird um jeden Preis durchgezogen und der Euro Verzeihung gewisse Banken um jeden Preis gerettet. Auch wenn die Griechen ihre Kinder dann im SOS Kinderdorf abgeben. Wer das anders sieht ist Rechtspopulist. Inhaltlich nichts anderes als diese übliche Pro EU-Propaganda mit EU-Friedensnobelpreis als Gundlage und französische Bomben auf Lybien als Sahne oben drauf.

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