NSA-Affäre: Totalversagen des Liberalismus

Im Zuge der sich dahinschleppenden NSA-Affäre offenbart sich eine weitere, weitreichende Problematik: Das Totalversagen des modernen, westlichen Liberalismus

Bild: Mike Herbst: Berlin, 2013, PRISM Demo (CC BY-SA 2.0)

Von Florian Sander

Dass Behörden generell dazu tendieren, größer zu werden, sich auszubreiten, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen und nur mangelnder Kontrolle durch die Politik unterliegen, ist im Grunde schon seit Max Weber jedem klar, der sich mit der Thematik ausgiebig beschäftigt. Dies zeigt sich seit vielen Jahren an den unkontrolliert wütenden bürokratischen Apparaten der Europäischen Union, dies zeigt sich genauso im kommunalen Bereich auf niedriger Ebene. Ebenso zeigt sich dies selbstverständlich auch bei Nachrichtendiensten, egal in welchem Land sie denn beheimatet sein mögen.

Im Zuge der sich nun schon seit längerem dahinschleppenden NSA-Affäre rund um die Enthüllungen von Edward Snowden jedoch offenbart sich noch eine weitere, ja viel weitreichendere Problematik, die ähnlich politisch-existenzielle Ausmaße anzunehmen droht wie die Finanzkrise und ihre Folgen: Das Totalversagen des modernen, westlichen Liberalismus, sowohl in Amerika als auch in Europa, sowohl ideologisch-weltanschaulich als auch in seiner organisiert-parteipolitischen Form.

In den USA hat sich mit der NSA ein Geheimdienst zu einer global machtvollen Überwachungsinstanz entwickelt, die – so könnte man im Sinne der US-Politik noch verteidigend anführen – einen für die Politik zunehmend unkontrollierbaren Staat im Staate bildet, die jedoch als solche und in ihrem Wirken von keiner der beiden großen amerikanischen Parteien signifikant in Frage gestellt wird. Weitgehend außerparlamentarische Libertäre und die Tea Party Bewegung ausgenommen, überbieten sich sowohl Vertreter der Republikaner als auch der Demokraten in Bekräftigungen der Behauptung, dass die globale Ausspähung von Regierungschefs bis Otto Normalverbraucher notwendig sei für die nationale Sicherheit der USA. Weder scheinen sich die Republikaner noch für den von ihnen in Wirtschaftsfragen ständig gebetsmühlenartig wiederholten Grundsatz des „small government“ zu interessieren (der allerdings schon im Zuge des von Bush initiierten PATRIOT ACT keine Rolle mehr spielte), noch erinnern sich die Demokraten daran, für was das Wort „liberal“, mit dem sie in Amerika auch beschrieben werden, eigentlich einmal stand.

Die US-amerikanischen Massenmedien gehen zugleich so unkritisch über die Grundsatzfrage des Verhältnisses von Sicherheit und Freiheit hinweg wie die deutschen Medien über die Grundsatzfrage der Legitimität einer milliardenschweren Bankenrettung. Die USA haben damit – sowohl innenpolitisch als auch aufgrund des globalen Ausmaßes der Affäre außenpolitisch und in ihrer (auch deswegen?) zunehmend kippenden Hegemonialmachtfunktion – ihre Rolle als globaler Agent des Liberalismus endgültig zu Grabe getragen.Doch auch in Europa, dessen Staaten sich ja des Vorhandenseins liberaler demokratischer Systeme rühmen, sieht es keineswegs besser aus. Deutschland hat dabei jedoch nicht nur die äußere, massive Verletzung der Grundrechte seiner Bürger in Kauf genommen, sondern auch die massive Verletzung seiner zumindest auf dem Papier existierenden nationalen Souveränität.

Und, was noch schlimmer ist, es tut dies noch immer: Amtierende hochrangige Regierungspolitiker, auf das Wohl des deutschen Volkes vereidigt, bringen es nicht über sich, sich für die Enthüllung dieser grandiosen Rechtsverletzung bei Edward Snowden auch nur zu bedanken. Stillschweigend und bibbernd vor Angst, einmal im Leben gegen den großen Bruder aus Übersee international Stellung beziehen zu müssen, lassen sie sich, mühsam getrieben vom wenigstens bei diesem Thema vorhandenen Druck der deutschen Medien, im Schneckentempo dazu bewegen, die Affäre wenigstens „untersuchen“ zu wollen. Auch dies jedoch allerhöchstens halbherzig – es mag zu viel verlangt sein von Leuten wie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), die lieber, wie in der Eurokrise geschehen, einzelne innerparteiliche Abweichler wie Wolfgang Bosbach mobben und beleidigen als in solchen Fällen energisch Stellung zu beziehen, in denen es seine staatliche Pflicht wäre. Nach unten lässt sich’s eben leichter treten als nach oben.

Auch der organisierte Liberalismus in Deutschland hat hier ein Bild abgegeben, das man im Rückblick nur als jämmerlich bezeichnen kann. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, nie um einen Kampf für die Bürgerrechte verlegen, wenn es gegen inländische politische Gegner geht, verstieg sich im Zuge der internationalen Affäre zu appellartiger Symbolpolitik. Seit es um die Frage einer Zeugenvorladung Snowdens nach Deutschland geht, knickt die große Vorkämpferin für die Bürgerrechte ein wie nie und schickt einen stotternden Ministeriumssprecher vor, der allen Ernstes verkündete, es gestalte sich schwierig, Snowden vorzuladen, weil man für Vorladungen ja eine gültige Adresse des Betreffenden brauche. Satire? Nein, liberale Realität in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2013.

Und während die große liberale Vorkämpferin für die Bürgerrechte noch dabei war, sich peinliche Ausreden auszudenken, weswegen man die größte Bürgerrechtsverletzung der letzten Jahre nun doch nicht richtig untersuchen könne, handelte der grüne Parlamentarier Hans-Christian Ströbele, traf sich mit Snowden in Russland und führte dabei im Alleingang sämtliche liberalen Dampfplauderer vor. Der umstrittene Ströbele, früher RAF-Anwalt und später profiliertes linkes Grünen-MdB, tat mit einer einzigen Reise mehr für deutsche Souveränität als das gesamte bürgerliche Lager in einem halben Jahr. Okay, die liberalen Parlamentarier waren in den letzten Wochen maßgeblich mit Auszugsmodalitäten beschäftigt. Aber mal ehrlich: Kann man sich, Frank Schäffler vielleicht einmal ausgenommen, auch nur einen FDP-Bundestagsabgeordneten der letzten Legislaturperiode vorstellen, der den Schneid gehabt hätte, im Alleingang und internationale Konflikte mit den USA riskierend eine Reise nach Russland zu machen, um dort den amerikanischen Staatsfeind Nr. 1 zu treffen? Wohl kaum. Allein diese hierbei fehlende Vorstellungskraft macht deutlich, wie miserabel es auch um den organisierten Liberalismus hierzulande bestellt ist.

Schließlich sind da noch Russland und sein Präsident Putin. Ein Mann, der nun wirklich nicht unbedingt für innenpolitische Liberalität bekannt ist. Viele kritisieren nun die Doppelmoral, sich einerseits als globaler Beschützer der Grundrechte zu inszenieren und andererseits Oppositionellen im eigenen Land das Leben schwer zu machen. Unberechtigt mag die Kritik nicht sein, jedoch möge sich doch bitte jeder daran erinnern, welche Doppelmoralismen wir im Falle anderer Staaten so lange bereit waren in Kauf zu nehmen: Angeblicher Kampf für Menschenrechte und Freiheit versus Krieg und militärische Intervention, angebliche Demokratisierung versus Abu Ghraib, Friedensnobelpreis versus weltweiter Drohnenkrieg, „small government“ versus NSA. Wir haben gegenüber den USA sehr viel Geduld bewiesen. Wenn wir bereit sind, auch nur 10 % dieser Geduld anderen Staaten dieser Welt zukommen zu lassen, dann können wir nun durchaus einmal einen Moment inne halten und uns bei Russland und Putin für das Asyl, das Snowden gewährt wurde, bedanken.

Halten wir fest: Weder sind die maßgeblichen Akteure der früheren Weltmacht des Liberalismus bereit, die Grundrechte ihrer Bürger zu schützen, noch sind Liberale hierzulande ernsthaft bereit, für Grundrechte deutscher Bürger und die nationale Souveränität Deutschlands zu kämpfen. Dies überlässt man lieber einem maßgeblichen Vertreter der politischen Linken, während man sich, eingeschüchtert durch kaum verhüllte, zutiefst unverschämte Drohungen des US-Botschafters im deutschen TV, in Phrasen flüchtet und fadenscheinige Ausreden sucht, weshalb man die Sache nicht weiter untersuchen könne. Es sieht äußerst düster aus für den Liberalismus des 21. Jahrhunderts.

Artikelbild: Mike Herbst: Berlin, 2013, PRISM Demo (CC BY-SA 2.0)

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3 Kommentare zu "NSA-Affäre: Totalversagen des Liberalismus"

  1. fakeraol sagt:

    > “Dass Behörden generell dazu tendieren, größer zu werden …”
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    Viel zu eng gefasst. Alles, was Macht hat, versucht sie auszuweiten. Generell gilt: Macht strebt nach mehr Macht, nach absoluter Macht, und damit strebt jede Hierarchie in letzter Konsequenz nach Diktatur.
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    > ” … noch erinnern sich die Demokraten daran, für was das Wort „liberal“, mit dem sie in Amerika auch beschrieben werden, eigentlich einmal stand.”
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    Noch ein Irrtum. Solange es die ideologische Konkurrenz hinterm “eisernen Vorhang” gab, war es opportun, sich so zu gebärden. Seit die zusammengebrochen ist, wird offen umgesetzt, was im Grunde immer Agenda war, sonst hätte man den vielen hehren Worten ja längst Taten folgen lassen können.
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    > ” … seiner zumindest auf dem Papier existierenden nationalen Souveränität.”
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    Ja. All das hat Orwell schon vor langer Zeit beschrieben. “Neusprech” nennt man das und es hat längst 99% der Sprache übernommen. Beispiele? Arbeit”geber”, “ausbrechende” Kriege, “Schutz”haft, “Verteidigungs”minister, “Demo(s)”kratie, …
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    > “Seit es um die Frage einer Zeugenvorladung Snowdens nach Deutschland geht, knickt die große Vorkämpferin für die Bürgerrechte ein wie nie …”
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    Das wundert mich tatsächlich, denn Snowden müßte total be***** sein, auch nur in die Nähe eines Flugzeuges nach Deutschland zu kommen. Dann könnte er auch gleich direkt nach GUANTAN-Amerika fliegen, das würde den deutschen Politikern die Suche nach peinlichen Ausreden ersparen, warum sie ihn nicht schützen “konnten”.
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    > “Halten wir fest: Weder sind die maßgeblichen Akteure der früheren Weltmacht des Liberalismus bereit, die Grundrechte ihrer Bürger zu schützen, noch sind Liberale hierzulande ernsthaft bereit, für Grundrechte deutscher Bürger und die nationale Souveränität Deutschlands zu kämpfen.”
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    Halten wir fest: Wer glaubt, Politiker würden tatsächlich das meinen, was sie sagen, der hat Politik nicht verstanden. Sie ist das dreckigste Geschäft auf der Erde noch vor Drogenkartellen und Kinderprostitution.

  2. Machen wir uns nichts vor, heute wird genutzt, was technisch möglich ist und unserer Kanzlerin Merkel, ist das gelinde gesagt scheiß egal gewesen, das unsere Daten millionenfach global analysiert und ausgewertet wurden. Bis zu dem Zeitpunkt, da es an ihr eigenes Handy ging, da wurde plötzlich schwerst lamentiert. Politik, Politiker und alle ihre Spießgesellen leben fern ab jeder Realität ihrer Völker. Demokratie lächerliches Spiel für das Volk. Wer wirft den dann noch einer Behörde wie der NSA Expansionslust vor. Sie tun das, was sie können, weil sie es können und alles auf Geheiß der Politik, die wiederum längst von den Multis dieser Welt gesteuert wird. Ob wir uns erregen oder nicht, wir werden es nicht mehr ändern, nicht weil wir es nicht könnten, sondern weil wir selbst Teil dieses Systems geworden sind und weder umkehren können, noch wollen.

    • fakeraol sagt:

      Selbst die Aufgeregtheit wegen des Merkelphones dient doch nur zur Ablenkung des Durchschnittsbürgers. Jeder Politiker da oben weiß, wie das Spiel läuft. Wenn es nicht das Merkelphone gewesen wäre, dann ein skandalöser Pinkelprinz oder ein Gammelfleischskandal. In jedem billigen Ganovenfilm wird’s doch vorgemacht: wenn drinnen der Tresor gesprengt wird, macht draußen ein Komplize 100m weiter ein riesen Tamtam und riskiert ein paar Stunden Haft, um abzulenken. Anderswo fallen “Damen von Welt” theatralisch “in Ohnmacht”, um vom Griff ihres Komplizen in die Schmuckschatulle der Hausherrin abzulenken.

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