Eine gerechte Intervention in Syrien?

Angesichts des drohenden US-Militärschlages in Syrien stellt sich einmal mehr die ewige Frage: Gibt es den gerechten Krieg? Eine Diskurs über Moral, Verhältnismäßigkeit und Legitimität.

Von Robert Klausewitz

Wir sehen Bilder von toten Kindern, deren leblose Leiber vor nackten Betonwänden aufgereiht werden. Wir lesen Berichte über unvorstellbare Greueltaten in Syrien. Nun will der Westen Marschflugkörper und Kampfflugzeuge einsetzen, um den Bürgerkrieg zu begrenzen. Ist das legitim?

Nach den ersten Ankündigungen konnten die Regierungen in Washington, London und Paris nicht früh genug betonen, dass ein Militärschlag gegen das Assad-Regime im Fall des Falles legitim sei. Allein der Einsatz von Giftgas als Massenvernichtungswaffe durch Präsident Baschar al-Assad würde das begründen. Und tatsächlich: Mit dem vermuteten Einsatz von Giftgas erreicht die Gewalt in Syrien ein neues Level. Doch genügt das, um eine gewaltsame Intervention von außen zu rechtfertigen? Ist der Westen sogar moralisch verpflichtet hier einzugreifen? Oder gebietet die Moral Zurückhaltung?

Willkür der Vetomächte

Die Bewertung der Rechtmäßigkeit von Gewalteinsätzen kann grundsätzlich auf zweierlei Weise geschehen: rechtlich oder moralisch. Die nüchterne Berufung auf das internationale Recht führt in diesem Fall jedoch nicht weit. Dieses lässt außer zur Selbstverteidigung eine Intervention nur zu, wenn der Sicherheitsrat diese angeordnet hat. Zum einen ist dies ob der geostrategischen Interessen der Vetomächte äußerst unwahrscheinlich und lediglich durch einen Kuhhandel zu verwirklichen. Zum anderen kann natürlich eine auf Grundlage von geostrategischen Interessen getroffene Entscheidung nicht wirklich die Legitimität von Recht beanspruchen, sondern wirkt willkürlich. Das Augenmerk sollte daher auf einer alternativen Bewertung beruhen, die auch andere Faktoren berücksichtigt.

Legitimer Widerstand gegen Assad?

Als erstes geht es dabei um die Frage, ob der gewaltsame Widerstand gegen das Assad-Regime richtig ist. Diese Frage müssen die intervenierenden Mächte beantworten. Denn mit dem geplanten Eingreifen spezifisch gegen Assad beziehen sie im Konflikt klare Stellung für die gewaltsame Opposition. Dies ist nicht nur aus politisch-pragmatischer Sicht sehr fragwürdig, sondern auch aus moralischer. Erst kürzlich hatte Reinhard Merkel in der FAZ (01.08.2013) zu der Legitimität des Bürgerkriegs in Syrien angemerkt:

„Bei welchem Grad der Unterdrückung darf der berechtigte Widerstand gegen dessen Herrschaft zum offenen Bürgerkrieg übergehen? Und war diese Schwelle erreicht, als die Unruhen begannen? […] Die Entfesselung flächendeckender Gewalt bedarf auch und vor allem einer Rechtfertigung gegenüber den unbeteiligten Mitbürgern. […] Zehntausende Frauen und Kinder sind im syrischen Bürgerkrieg umgekommen. Was legitimiert dessen Protagonisten, den Getöteten und deren Angehörigen ein solches Opfer zuzumuten?“

Es wird deutlich, dass die Frage nicht einfach zu beantworten ist, auch wenn die Kriegsrhetorik der Briten und Amerikaner etwas anderes verheißt. Die Grundformation des Konflikts, in den eingegriffen werden soll, ist wesentlich komplizierter und die Rollen Gut und Böse weniger eindeutig verteilt als im Westen dargestellt. Das beeinflusst die Legitimität einer Intervention bedeutend.

Gerechte Intervention oder rohe Gewalt?

Seit der Antike haben sich Kriterien herausgebildet, die zur moralischen Beurteilung von militärischer Gewalt herangezogen werden können. Die zentralsten sind der gerechte Grund, der Gewalteinsatz als ultima ratio, die Verhältnismäßigkeit und die Aussicht auf Erfolg. Die Kriterien müssen ausnahmslos erfüllt sein, um von einem gerechten Einsatz militärischer Gewalt sprechen zu können. Für eine etwaige Syrien-Intervention bedeutet das in der Kurzfassung:

  • Der gerechte Grund liegt vor. Der Tod abertausender Unbeteiligter zwischen den Fronten des Bürgerkriegs rechtfertigt ein Eingreifen. Das Handeln Assads stellt alleine allerdings keinen gerechten Grund dar, sondern erst in Verbindung mit der oppositionellen Gegengewalt. Ein einseitiges Eingreifen gegen das Assad-Regime wäre daher sehr fragwürdig.
  • Die diplomatischen Mittel scheinen erschöpft. Es sind kaum Wege vorzustellen, wie man das Morden in Syrien beenden könnte, ohne auf militärische Gewalt zurückzugreifen. Eine Intervention wäre also nach Stand der Dinge die ultima ratio.
  • Die Verhältnismäßigkeit eines militärischen Eingreifens in Syrien ist angesichts der Intensität des Bürgerkriegs gegeben.
  • Die Aussicht auf Erfolg ist allerdings stark getrübt. Zum einen trägt dazu die Komplexität des Konflikts bei, der von außen nur schwer zu lösen sein wird. Zum anderen die verwendeten Mittel. Eine Intervention lediglich mit Kampfbombern und Marschflugkörpern wird nicht zum Frieden zwischen den verfeindeten Parteien führen. Erst ein friedenserzwingender Einsatz von Bodentruppen könnte dem Konflikt gerecht werden.

Halbherzige Hilfe kann die Situation verschlimmern

Der gerechte Einsatz von Gewalt, um weitere Gewalt zu verhindern, kann nur unter sehr bestimmten Bedingungen gelingen. Diese werden im Fall der geplanten Syrien-Intervention nicht erfüllt. Vor allem die schlechte Aussicht auf Erfolg lässt die Legitimität eines Eingreifens schwinden. Wird die Intervention wie geplant mit den Marschflugkörpern und Bomben ausgeführt, ist sogar das genaue Gegenteil zu erwarten. Nicht nur der Bürgerkrieg wird damit nicht befriedet, sondern es wird sehenden Auges eine Eskalation in Kauf genommen, die auch andere Konflikte der Region betreffen könnte (Iran, Israel, etc.). Ein Flächenbrand der Gewalt wäre dann nicht mehr ausgeschlossen.

Dass die Staaten des Westens ob des menschlichen Leids in Syrien erschrocken sind und etwas dagegen tun wollen, spricht für ihre intakte moralische Sensibilität. Doch sollten sie auch die richtigen Mittel wählen und nicht nur handeln um des Handelns willen. Denn wenn man dem Patienten das falsche Medikament verabreicht, können die Nebenwirkungen seinen Zustand noch verschlechtern. In manchen Fällen ist es daher besser, kein Medikament zu geben und auf die Selbstheilungskräfte zu hoffen.

Der Artikel erschien im Original auf Theatrum Mundi

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Diskurse, Politik Tags: , ,

Ähnliche Artikel:

Der Iran und der IS-Konflikt als Chance? Der Iran und der IS-Konflikt als Chance?
ISIS und der lange Schatten der NeoCons ISIS und der lange Schatten der NeoCons
Schmutzige Tricks vor Damaszener Kulisse Schmutzige Tricks vor Damaszener Kulisse

8 Kommentare zu "Eine gerechte Intervention in Syrien?"

  1. Dass die Staaten des Westens ob des menschlichen Leids in Syrien erschrocken sind und etwas dagegen tun wollen, spricht für ihre intakte moralische Sensibilität.

    Moralische Sensibilität.??? Wie gehirnverwaschen muss man eigentlich sein, um so etwas zu schreiben.?

    Wie wenn die westlichen Kriege gegen Irak, Afghanistan, Libyen und jetzt Syrien irgend einer moralischen Sensibilität geschuldet wären.

    Es geht dabei nun wirklich für jeden der sehen will um handfeste materielle und Machtinteressen.

  2. Wolfgang sagt:

    Ich halte eine militärische Intervention aus humanitären Gründen für prinzipiell falsch. Natürlich dient ein militärisches Eingreifen immer irgendwelchen strategischen Zielen. Es ist kaum vorstellbar, das ein Staat, der selbst den sozial Schwachen im eigenen Land aus Kostengründen praktisch jegliche Hilfe verwehrt aus reiner Nächstenliebe auf der anderen Seite des Globus irgendwelchen bedrohten Menschen helfen will und dafür Milliarden ausgibt (das ist wohl die Dimension die ein solcher Einsatz kostet).

    Gehen wir einmal kurz davon aus, die Kriege gegen Irak oder Afghanistan wären für die Menschen dort gefochten worden. Und wie sieht es heute aus? Auch ein Einsatz von Bodentruppen bringt keinen Frieden. Der Krieg gegen NAZI-Deutschland, der gerne zur Legitimation herangezogen wird stellt hier eine absolute Ausnahme dar, davon abgesehen dass hier niemand wirklich human gegen Deutschland eintrat sondern alle Staaten direkt an dem Konflikt beteiligt waren. Aus dem Interesse des eigenen Überlebens heraus. (die USA haben übrigens damals nicht in den Krieg eingegriffen sonder Hitler hat den USA den Krieg erklärt und sofort massiv US Schiffe angreifen lassen).

    Kurz: militärisches Eingreifen macht nichts besser. Niemals! Hätten die Staaten der Welt ein wirkliches humanitäres Interesse gäbe es jede Menge diplomatischer Möglichkeiten aber auch hier werden immer wieder von ALLEN (USA, GB, Israel, Russland, China…) nur die eigenen Interessen verfolgt und humanität nur vorgeschoben.

  3. aloo masala sagt:

    Bei der Verhältnismäßigkeit bleibt ein wichtiger Aspekt unbeachtet. Das ist der Aspekt der Rechtmäßigkeit.

    Ein Bruch des Völkerrechts (nicht zu verwechseln mit einer UN Resolution) untergräbt selbst bei einem “gerechten Grund” das Völkerrecht und eröffnet damit anderen Staaten mit propagandistisch vorgeschobenen “gerechten Grund” die Möglichkeit das Völkerrecht ebenfalls zu brechen.

    Die Frage nach der richtigen moralischen Handlung sollte also auch die Konsequenzen der Handlung jenseits des zu Grunde liegenden Konfliktes berücksichtigen.

    Ein anderer Aspekt, der bei den moralischen Beweggründen nicht berücksichtigt wird, ist das Universalitätsprinzip: Was für andere gut ist, das ist auch für mich gut. Wenn die USA trotz für uns nicht nachvollziehbarer Beweislage Syrien bombardieren darf, dann hätte ein Partner des Irans während des Iran-Irak Kriegs die USA mit Luftangriffen überziehen dürfen. Denn es ist inzwischen durch offengelegte Dokumente des CIA bekannt geworden, dass Saddam Hussein systematisch und jahrelang Giftgas gegen den Iran einsetzte, der Iran dagegen nicht. Das alles konnte Saddam Hussein im Wissen und mit Unterstützung der USA tun.

    Oder es wäre dann moralisch gerechtfertigt, wenn aufgrund der mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg 2009 der Iran Angriffe gegen Israel zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung geflogen hätte. Ich verwette die paar Euros die ich habe, dass der Autor dieses Artikel nie gewagt hätte, solche moralischen Überlegungen in Bezug auf Israel anzustellen.

    Dieser Artikel ist nicht der erste, der sich intensiv mit moralischen Fragen auseinandersetzt. Bemerkenswert ist, dass die Frage der Moral sich nur bei der Intervention stellt, man jedoch selten das nahe liegende tut, nämlich sich fragen, wie man den Syrern helfen kann und auch helfen muss. Was man machen könnte wäre zum Beispiel:

    Die eigene Regierung dazu drängen mehr Flüchtlinge aufzunehmen und zu einer Flüchtlingspolitik zu bewegen, die Flüchtlinge gerechter auf Staaten verteilt. Aktuell ist eines der reichsten Länder der Welt moralisch so verarmt, dass es nur 5000 Flüchtlinge aufnehmen kann, wohingegen Staaten wie der Libanon und Jordanien jeweils 500.000-750.000 syrische Flüchtlinge
    beherbergen.

    Das wäre nicht nur moralisch sondern auch völkerrechtlich verpflichtend. Ein Rätsel ist daher, weshalb das Kopfzerbrechen hauptsächlich um die moralische Legitimation von Völkerrechtsbrüchen kreisen, wobei die Rolle der USA mal wieder mehr als fragwürdig ist?

    • fakeraol sagt:

      Dazu kommt, daß nur gefragt wird, wer das Zeug eingesetzt hat.
      Auffällig ist, daß die Frage vermieden wird, wer es geliefert hat, wo es produziert wurde.
      Wenn man wirklich am Schutz der Zivilbevölkerung interessiert wäre, müsste man zuerst die Frage der Herkunft der Waffen, und der offenen oder verdeckten Beteiligung von Ausländern am Konflikt stellen, Genau an dieser Stelle weisen aber vier der fünf Finger auf die Rufer nach einem Militärschlag zurück.
      Es ist das gleiche Scheißspiel, das wir schon kennen. Erst verbündet man sich mit Diktatoren und rüstet sie auf, und dann schüttet man noch mehr Bomben hinterher, angeblich zum Schutz der Zivilbevölkerung, de dabei erst richtig vor die Hunde geht, um die Diktatoren wieder zu entmachten, weil man “ganz erstaunt” festgestellt hat, daß die das Zeug auch einsetzen.
      Den Erfolg dieser verlogenen Politik kann man in Basra und Falludscha sehen, wo jetzt 50% der Kinder als schwerst missgebildete, lebensunfähige Kreaturen geboren werden, mit steigender Tendenz.
      Wenn man diese Fragen beantworten würde, müssten die “Willigen” allerdings sich selbst bombardieren, dieses verlogene Pack.

  4. aloo masala sagt:

    Nachtrag: Machen wir ein Gedankenspiel. Was passiert, wenn nachgewiesen würde, dass das Giftgas die USA über die Saudis den Rebellen geliefert habe, um einen Interventionsgrund zu konstruieren (es wäre nicht das erste mal). Folgen dann moralische Erwägungen, Saudi Arabien und die USA zu bombardieren?

    • fakeraol sagt:

      Dabbeljuh Bush hat angekündigt, daß jedes Land, das Terroristen unterstützt, in das Fadenkreuz des USamerikanischen Kampfes gegen den Terror genommen werden wird.
      Daß die Saudis al Nusra finanzieren, und die bösen Taliban USamerikanische Friedenshubschrauber mit “Stinger”-Raketen angreifen, die denen mal geliefert wurden (von wem bloß???), als sie noch “Mujahedin” hießen, sollte doch reichen?
      Ansonsten nehmen wir noch die Lieferanten des Antrax aus den Briefen nach 9/11 dazu, wenn wir die auch noch bombardieren, besiegt Amerika mit Sicherheit den Terrorismus.

  5. Karin Dorr sagt:

    Nun… die Amis werden um 6:45 auch zurück schießen.

    Es geht hier meiner Meinung nach darum den Iran zu schwächen und ihn in einen Konflikt hinein zu ziehen.
    Sollte, wie schon angekündigt, der Iran im Falle eins Angriffs US-Basen in Irak sabotieren, haben die Amis einen Grund zurück zu schießen.
    Aber….. werden sie, wie die Deutschen 1939, auch “nur” zurück schießen? (ironisch gefragt)
    Waren es wirklich die Iraner wenn es denn soweit kam?
    Jede Patrone, Rakete, Bombe und sonst was kostet Geld. Es will jemand verdienen. Auch der Ölpreis dürfte steigen bei so einem Abenteuer.
    Gott stehe der Welt bei!

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien