Land der unbegrenzten Sicherheit

Millionen europäischer Einwanderer warteten auf diesen Augenblick: Vor ihrem Schiff reckt sich die Freiheitsstatue empor und verkündet ihnen einen Neuanfang in einem freien Land. Freiheit war und ist das Markenzeichen der Vereinigten Staaten. Das feiern die Amerikaner immer noch an ihrem Unabhängigkeitstag – zu Unrecht.

Von Armin Mattes

Das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit kann man sich als Nullsummenspiel vorstellen. Je mehr Sicherheit verlangt wird, desto weniger Freiheit bleibt für die Bürger. Und umgekehrt bringt mehr Freiheit weniger Sicherheit. Im Idealfall sollte in einem demokratischen Rechtsstaat das Nullsummenspiel zwischen Freiheit und Sicherheit ausbalanciert sein. Lediglich in Ausnahmesituationen kann der Aspekt der Freiheit dem der Sicherheit ein Stück weichen. Gewinnt eine Seite aber die Übermacht, wird das System unstabil und/oder undemokratisch. Nach der Enthüllung der umfassenden Überwachung der Amerikaner und des Rests der Welt durch die NSA spricht Präsident Barack Obama selbst das Nullsummenspiel an:

“I think it’s important to recognize that you can’t have 100 per cent security and also then have 100 per cent privacy and zero inconvenience. […] We’re going to have to make some choices as a society. […] I think the American people understand that there are some trade-offs involved.“

Freiheit, geopfert auf dem Altar der Sicherheit

Was Obama hier in harmlose Wörter wie Privatsphäre und Unannehmlichkeiten verpackt, ist nichts anderes als die Freiheit der Bürger, die auf dem Altar der Sicherheit geopfert werden soll. Denn: Die Regierung des gelobten Landes der Freiheit und Selbstbestimmung hat das Nullsummenspiel schon seit längerem für die Sicherheit entschieden. Die nun bekannt gewordenen Aktivitäten der NSA – sei es die elektronische Überwachung oder das Scannen von Briefen – sind nur die Spitze des Eisbergs und zeigen, wie sehr auch Bürger anderer Staaten davon betroffen sind.

Dabei ist eines unbestritten: Die Vereinigten Staaten sind ein potentielles Ziel des international agierenden Terrorismus. Und der amerikanische Staat hat die Aufgabe, seine Bürger vor diesem Terrorismus zu schützen. Doch die oben angesprochene Balance muss gewahrt bleiben. Unverhältnismäßigkeiten waren in den USA bisher immer besonders eindrucksvoll während Kriegen zu beobachten. Hier wurden Bürgerrechte genauso eingeschränkt wie beispielsweise die Pressefreiheit. Kurz nach den Kriegen wurde das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit allerdings immer wiederhergestellt, der Ausnahmezustand beendet.

Doch dann kam Barack Obama …

Der Anlass, der die jetzige Sicherheits-Hausse befeuerte, war der 11. September 2001 und der ihm folgende Krieg gegen der Terrorismus. Die Bürger- und Grundrechte wurden vor allem durch den USA PATRIOT Act stark eingeschränkt. Neben der Pressefreiheit litt darüber hinaus auch der Rechtsstaat (Guantanamo) an den Anti-Terrorismus-Maßnahmen. Doch dann kam Barack Obama. Er versprach den totalen Richtungswechsel und eine Normalisierung des Sicherheit-Freiheit-Verhältnisses. Guantanamo sollte geschlossen, amerikanische Truppen nach Hause geholt werden und gegen den PATRIOT Act hatte Obama als Senator schon im Jahre 2005 gestimmt. Es konnte also nur in Richtung Freiheit gehen.

Doch kaum im Amt, wurde der Change-Obama zum Security-Obama. Über sich selbst sagt Obama, dass er vor seinem Amtsantritt sehr skeptisch gegenüber Überwachungsprogrammen gewesen sei, er sie aber nun aus der Innenperspektive für richtig halte. So verlängerte er viele der Maßnahmen des PATRIOT Acts bis mindestens ins Jahr 2015. Der von George W. Bush ausgerufene Krieg gegen den Terror, der als Ausnahmezustand die Freiheitseinschränkungen rechtfertigen sollte, wird von seinem Nachfolger nicht nur mit Drohnen, sondern auch rhetorisch weitergeführt:

 „And what I can say is that in evaluating these programs, they make a difference in our capacity to anticipate and prevent possible terrorist activity.”

Die Kluft zwischen Versprechen und konkreter Politik

Dabei hatte Obama erst zwei Wochen zuvor in einer „historischen“ (Der Spiegel) und gefeierten Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik ein Ende des Kriegs gegen den Terrorismus gefordert, um die eigene Freiheit zu retten:

 „We have to be mindful of James Madison’s warning that “No nation could preserve its freedom in the midst of continual warfare.”

Doch dass er es damit selbst nicht ernst meint, zeigt seine unbedingte Verteidigung der NSA-Programme. Der Kampf gegen den Terrorismus bleibt Begründung für die erhebliche Einschränkung der Freiheit der Bürger Amerikas und anderer Staaten. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist nachhaltig zerstört. Barack Obama hat es nicht geschafft, die USA aus dem Ausnahmezustand herauszuführen. Das hatte er versprochen und das machte ihn zum Messias der Freiheit. Wie in so vielen anderen Bereichen klafft aber auch hier ein riesiger Spalt zwischen Obamas Anspruch und seiner konkreten Politik. Ein Satz, der wie aus der Kehle seines von ihm so arg kritisierten Vorgängers kopiert wirkt, unterstreicht Obamas Doppelzüngigkeit:

 „Trust me, we’re doing the right thing. We know who the bad guys are.“

Der Artikel erschien im Original auf Theatrum Mundi

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8 Kommentare zu "Land der unbegrenzten Sicherheit"

  1. Stimmt nicht:

    “Das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit kann man sich als Nullsummenspiel vorstellen. Je mehr Sicherheit verlangt wird, desto weniger Freiheit bleibt für die Bürger. Und umgekehrt bringt mehr Freiheit weniger Sicherheit.”

    Ist es denn ein Zuwachs an Sicherheit, einen Job nicht zu bekommen, weil man irgendwann mal etwas Falsches am Telefon gesagt hat? Oder war Jean Charles de Menezes sicher, als er von Scotland Yard beim Besteigen der U-Bahn erschossen wurde? Sind die Opfer der “extralegal renditions” in den Händen ihrer Entführer, Angestellter der Sicherheitsorgane, “sicher”?

    Den tradeoff zwischen Freiheit und Sicherheit, den uns die Freiheitshelden von FDP bis CSU suggerieren wollen, gibt es überhaupt nicht: Die Frage ist, wessen Aktionen für jeden Menschen persönlich das größere Risiko einer Schädigung darstellt: “Staatsschützer” oder “Terroristen”? – Dabei liegt das Risiko, vom Staatsschutz dieses oder anderer Staaten “versehentlich” geschädigt zu werden, um Größenordnungen über dem Risiko einer Schädigung durch Terroristen.

  2. Dabei ist eines unbestritten: Die Vereinigten Staaten sind ein potentielles Ziel des international agierenden Terrorismus. Und der amerikanische Staat hat die Aufgabe, seine Bürger vor diesem Terrorismus zu schützen.

    Wahrscheinlich müssten die USA sich nicht vor “internationalem Terrorismus” schützen, wenn sie mit ihrer mörderischen geopolitik aufhören würden, wenn sie akzeptieren würden, dass wir heute in einer Multipolaren Welt leben.

    Mal ganz abgesehen davon, dass das Gerede vom internationalen Terrorismus sowieso Blödsinn ist. Vielleicht 2% – 3% der im Weten verübten Terroranschläge gehen auf das Konto des internationalen Terrorismus..und auch dann muss dabei von heimischen Geheimdiensten noch kräftig nachgeholfen werden.

    Die heute laufende Sicherheitsdebatte, inklusive der orwellschen Abhörmassnahmen sind für jeden der sieht, als das zu begreifen was diese sind. Faschistische Polizeistaat Methoden, um die Bevölkerungen für eine kleine Gruppe von gierigen Finanz- und Machtpsychopaten gefügig zu machen.

  3. Knut Hansen sagt:

    “Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.” von Benjamin Franklin. Man muss kein Freund von Franklin sein um dem Zitat trotzdem viel abzugewinnen. Barack Obama hätte in den vormahligen US-Präsidenten diesbezüglich ernster nehmen sollen.

    Ein Mantra was ich den öffentlich-rechtlichen Medien und den Konzernmedien häufig höre ist, dass es sich bei den USA um eine Demokratie handelt. mh… das kann man so stehen lassen oder nicht. Nur weil es ein Papier gibt auf dem demokratische Ideen und Grundordnungen niedergeschrieben und in einer Verfassung abgelegt sind, heißt das eben nicht, das man auch nach diesen verfassten Grundordnungen handelt. Und heißt es nicht gerade für die USA ‘in god we trust’? – Na dann mal los, ‘an ihren Taten, sollst du sie erkennen’. Schimmert doch gerade jetzt die eigentliche Ideologie der USA durch. Amerika der Lack ist ab.

  4. Karin Dorr sagt:

    Was mir immer wieder auffällt zu diesem Thema.
    Wenn Mannings oder Snowden Russen gewesen wären, hatte es einen Aufschrei um Westen gegeben das Putin diese begnadigen sollte, weil sie einen Akt der Demokratie ausführten.
    Keiner unserer Superdemokraten, weder Regierung noch Opposition, verlangten das von Obama.

  5. Mad MAX sagt:

    Hat den einer von euch ernsthaft geglaubt Mr. “Yes,we can” (but we won´t) würde auch nur das geringste ändern? Es gibt in den westlichen Staaten nicht einen etablierten Politiker der das bestehende Sytem in frage stellt.Die einzige Antwort die man unisono bekommt ist folgende :” Man kann vorangegangene Entscheidungen nicht mehr umkehren,es “muss” weitergehen.” Der psychologische Rahmen ist gesteckt und darf nicht verlassen werden,heisst das für mich….oder wie es in den Protokollen der Weisen von Zion steht (gleichgültig ob echt oder gefälscht)….und widerstand wird psychologisch unmöglich sein.Man muss die genialität und vorallem die weitsicht der Erschaffer unseres heutigen Finanzsystems schon anerkennen.Man wusste, wenn man Geduldig ist gehört einem am Ende (fast) alles.Jetzt ist der Punkt erreicht wo sie ihren Besitz auch beherschen wollen und zwar allumfassend……schöne neue Welt

  6. “Jene, die Freiheit aufgeben, um eine vorübergehende Sicherheit zu erwerben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.” Benjamin Franklin

    Der Artikel gefällt mir. In meiner Ausstellung “Politik und Religion” zeige ich neben meinen Bildern auch Zitate zu dem Thema Überwachung. Es würde mich freuen, wenn ihr meine neue Online-Galerie mal besucht. Hier mehr über mich und meine Arbeiten: http://www.freidenker-galerie.de/politik-und-religion-acrylbilder-weisheiten-zitate/

  7. fakeraol sagt:

    Warum führt Ihr nicht mal alles zusammen?

    1. Unsere Freiheit soll (immer weiter) eingeschränkt werden – für Sicherheit.
    2. Sicherheit vor: Terroristen, Menschen, die irgendwoher schwer bewaffnet wurden, und die der Meinung sind, für irgendetwas furchtbare Rache nehmen zu müssen an: den “Freiheit” und “Demokratie” predigenden.
    3. Nun sind es ausgerechnet die Länder, die am meisten diesen “Kampf gegen den Terrorismus” beschwören, die
    a) zu den größten Waffenexporteuren der Welt gehören,
    b) die schlimmsten Diktaturen, wie Saudi Arabien, Katar, u.ä. zu ihren besten Freunden und Verbündeten zählen
    c) genau diesen Diktaturen Waffen liefern
    d) weltweit demokratisch gewählte Präsidenten mittels Geheimdienstaktionen stürzen, ermorden (lassen), und vorzugsweise durch weitere Diktatoren ersetzen
    e) selber die Welt mit Kriegen wegen “Weapons of Mass Destruction” und ähnlichem überziehen
    f) in der Praxis auf die von ihnen in der Theorie so hochgelobten Menschenrechte scheißen, fortgesetzt und mit konstanter Ignoranz.
    g) selbst auf die Verfassungen scheißen, die doch eigentlich noch ÜBER den Regierungen stehen, die ihnen vom Volk als Rahmen für ihre Vertretungstätigkeit vorgegeben wurden, quasi als vom “Souverän” erlassene Betriebsverordnung.

    Glaubt Ihr wirklich immer noch, die zerhackstückeln Freiheitsrechte und Rechtsstaat aus Angst vor Terroristen? Die haben sie doch im Griff, denen (bzw. deren Gönnern) müssten sie nur keine Waffen mehr liefern, keine Bomben mehr auf den Kopf werfen, keine Diktatoren mehr unterstützen, ihnen nicht mehr das zum (Über)Leben Notwendigste nehmen durch Kenbelverträge mit korrupten Regierungen, wie die Raubbau treibenden europ. Fischfangflotten vor den somalischen Küsten, etc.

    Wovor die wirklich Angst haben, das sind WIR. Wegen UNS, wegen genau den Menschen, die sie angeblich vor pösen Terroristen schützen wollen, bauen sie die Überwachung immer weiter aus, rüsten sie die Polizei auf, usw.
    Sie bauen genau die Werkzeuge zur Repression wieder auf, wie sie die Nazis gehabt haben, mit dem gleichen Ziel: Widerstand zu unterdrücken, auch wenn sie ihre Kriege noch weiter intensivieren, und noch erbitterter bis zum letzten Bürger und die Resourcen der Erde Kriege führen, damit sie jeden, der das kritisiert, gleich als Vaterlandsverräter und vermutlichen Terroristen diffamieren und einsperren können. Natürlich alles ganz “rechtsstaatlich”, alles nach den Gesetzen, die dann gelten, die sie zu diesem Zweck geschaffen haben.

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