…und dann war da halt noch Westerwelle

Was gegen den vom deutschen Außenminister wieder auf die Agenda gesetzten EU-Beitritt der Türkei spricht. Eine Polemik aus konservativer Perspektive.

Bild: Christliches Medienmagazin pro, "Guido Westerwelle" (CC BY 2.0)

Von Florian Sander

Seit einiger Zeit bereits malträtiert der „Verwaltungsleiter deutscher Außenpolitik“ (Die WELT), Guido Westerwelle, die freiheitlich-konservative Seele nicht nur mit Versuchen, die EU-Herrschaft für alternativlos zu erklären, sondern nun auch einem EU-Beitritt der Türkei das Wort zu reden.

Was den Bundesaußenminister, über den es nicht unzutreffend heißt, dass er bislang Außenpolitik nur exekutiert, aber nicht gemacht hat, antreibt, dürfte klar sein: Der verzweifelte Versuch, vor einer Bundestagswahl, bei der die Wiederwahl von Schwarz-Gelb mehr als unsicher ist, noch irgendwie Profil zu gewinnen und wenigstens ein paar historische Markierungen zu hinterlassen, damit es für den langjährigen Möllemann-Gegner und heutigen Eurokritiker-Wegintrigierer nicht am Ende in den Geschichtsbüchern heißt: „…und dann war da halt noch Guido Westerwelle.“

Nun ist es grundsätzlich erst einmal legitim und verständlich, wenn ein Politiker versucht, sich Profil zu verschaffen. Problematisch wird es allerdings, wenn er dabei sämtliche Prinzipien vergisst, dem Zeitgeist unreflektiert hinterher hechelt und dabei seinem Land schadet. Hier sollte sich – gerade auch aus seiner eigenen Partei – klarer Widerspruch erheben. Denn so viele Fortschritte die Türkei seit dem Ende des Militärregimes auch gemacht haben mag – seit Beginn der Regierungszeit Erdogans entwickelt sie sich in eine Richtung, die sich von der proklamierten europäischen Wertegemeinschaft (deren Existenz man wohl nicht einmal als EU-Kritiker abstreiten kann und sollte) deutlich entfernt.

Man muss an dieser Stelle nicht einmal auf die bisherige christdemokratische, abgedroschene Argumentation zurückgreifen, dass die islamische Türkei nicht Teil des sogenannten „christlichen Abendlandes“ sei und deswegen nicht in die EU gehöre. Europas Wertegemeinschaft baut sich weniger auf christlicher Tradition als vielmehr auf den humanistischen Werten der Aufklärung auf, dem der klassische, fortschrittliche Laizismus der Türkei durchaus entsprach. Seit Erdogan und dem Regierungsantritt seiner islamistischen Partei jedoch ist dieses Prinzip dort zunehmend in Auflösung begriffen, womit eben nicht einfach nur christliche Konservative abgeschreckt, sondern auch die Werte der Aufklärung geradezu mit Füßen getreten werden. Insbesondere und gerade Liberale sollte dies alarmieren.

Nicht so jedoch Außenamts-Verwaltungsleiter Westerwelle, der sich nicht zu schade ist, diese bedenkliche Entwicklung mit einer Initiative für den EU-Beitritt zu belohnen (die erwartbare Frage, ob ein Beitritt zur EU momentan eher Belohnung oder doch eher Strafe ist, lassen wir in diesem Kontext mal außen vor).

Immer wieder lesen wir in den letzten Jahren von Fällen, die eine besorgniserregende gesellschaftliche Stimmungslage in der Türkei aufzeigen: Sei es der jüngste Fall von Islamisten, die auf offener Straße küssende Pärchen attackieren; sei es die fehlende Religionsfreiheit, die die Existenz christlicher Einrichtungen bedroht; sei es der unberechenbare, großmachtpolitische und verantwortungslose Kurs in Sachen Syrien und Nahost-Konflikt; sei es die plötzliche Einschränkung der Pressefreiheit anlässlich von Bombenanschlägen; sei es die immer wieder vorkommende politische Willkür basierend auf dem Gummiparagrafen der „Verunglimpfung des Türkentums“, welche bereits häufiger mit Haftstrafen für Journalisten und Intellektuelle endete; seien es die frühen Äußerungen Erdogans zu seinen islamistischen Zielen (im Zuge derer er etwa bekannte: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“ – Sätze, die die heutige Situation eigentlich nicht mehr allzu überraschend wirken lassen sollten); seien es Erdogans fortlaufende Reden an die Türken in Deutschland, sich nicht „assimilieren“ zu lassen, in denen der Rechtsextremismus-Experte und SPD-Politiker Matthias Brodkorb Parallelen zu NPD-Konzepten erkannte; sei es der Fall der Soziologin und Feministin Pinar Selek, die von der türkischen Justiz unnachgiebig und in unrechtsstaatlicher Weise verfolgt wird.

Kritische Reaktionen, eigentlich nötige Sanktionen seitens der deutschen Außenpolitik? Keine. Offensives Verteidigen liberaler Werte, wie es gerade die FDP praktizieren sollte? Fehlanzeige. Außenamts-Verwaltungsleiter Westerwelle tritt lieber mit dem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu vor die Kameras, um sich als linksliberaler EU-Visionär zumindest ein ganz kleines bisschen geschichtsbuchfähig zu machen.

Auf einige dieser Missstände angesprochen, wie kürzlich seitens der beitrittskritischen CSU, reagiert das Auswärtige Amt mit Phrasen, die im Kern eine Herangehensweise offenbaren, die an die Praxis des „Appeasement“ erinnert: Wer sich falsch verhält, muss belohnt werden, in der Hoffnung, dass ihn dies ermutigt, sich das nächste Mal nicht ganz so falsch zu verhalten. Schuld ist die „Perspektivlosigkeit“ (hier in Hinblick auf den EU-Beitritt), die „Gesellschaft“ (hier Europa), schuld sind alle anderen, nur natürlich nicht man selber. Wohin ein solcher, organisierter politischer Irrsinn immer wieder führt, ist hinlänglich bekannt.

Nötig wäre es vielmehr, die – in Sachen EU ja ohnehin längst überfällige – Grenze zu ziehen und deutlich zu machen, wo die Wertegemeinschaft Europa beginnt und wo sie aufhört. Deutlich sollte werden, dass die oben genannten, vielfältigen negativen Beispiele aus der türkischen Politik dem europäischen Wertekanon nicht entsprechen und ihn daher auch nicht „bereichern“ können. Eine selbstbewusste, aber doch sachliche, liberale und keinesfalls „populistische“ Argumentation, die ganz ohne das oft bemühte „christliche Abendland“ auskommt und dennoch deutlich macht, dass es keine legitimen EU-Beitrittsverhandlungen für die Türkei geben kann – weder für deren Regierung noch für Bürger, die Leute wie Erdogan und die von ihm repräsentierte politische Kultur seit vielen Jahren immer wieder wählen und an der Macht halten.

Artikelbild: Christliches Medienmagazin pro, “Guido Westerwelle” (CC BY 2.0)

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3 Kommentare zu "…und dann war da halt noch Westerwelle"

  1. Ralph Hirnrabe sagt:

    Neben Ungarn, Rumänien, Kroatien und Serbien sollte auch Platz für die Türkei in der EU sein.

  2. Was für ein absurder Artikel. Da redet einer über europäische Werte, wie wenn diese gerade und auch in Europa, nicht tagtäglich aufs brutalste mit den Füssen getreten würden. Welche Werte gibt es eigentlich noch in der EU die nicht je nach Bedarf und Gusto der jeweiligen Machthaber, manipuliert werden.

    Dass dies wahrscheinlich in der Türkei nicht anders ist, dass nehme ich auch an. Aber die europäische EU ist ohne jeden Zweifel kein bisschen besser.

  3. Eric B. sagt:

    Was mich an diesem Artikel etwas irritiert ist die “konservative Perspektive”. Man muss doch kein Konservativer oder gar Christ sein, um Westerwelles Schmusekurs gegenüber Erdogan zu kritisieren. Westerwelle verrät liberale Grundwerte zugunsten ökonomischer und machtpolitischer Interessen, so einfach ist das. Wie falsch er damit liegt, zeigt die aktuelle Protestwelle. http://lostineu.eu/erdogans-lupenreine-freunde/

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