Tod von Hugo Chávez
Der Träumer aus Sabaneta

Hugo Chávez ist tot. Die internationale Politik hat damit mehr als nur einen bunten Paradiesvogel verloren. Ein Nachruf.

Hugo Chávez in Porto Alegre, Bild: Victor Soares/ABr (CC BY 3.0 BR)

Hugo Chávez in Porto Alegre, Bild: Victor Soares/ABr (CC BY 3.0 BR)

Von Sebastian Müller

1992 scheiterte Hugo Rafael Chávez Frias als Oberstleutnant der venezolanischen Fallschirmjäger mit einem Putsch gegen die Junta des Punto Fijo. Diese war seit der blutigen Niederschlagung eines Volksaufstandes, dem El Caracazo, der 1989 zwischen 1.000 und 3.000 Menschen das Leben kostete, vor allem bei der großen Mehrheit der armen Bevölkerung diskreditiert. Die Rechnung der Regierung, Chávez in einer medialen Zurschaustellung als faschistoiden und gebrochenen Desperado darzustellen, ging nicht auf – der charismatische Mestize wurde binnen zwei Minuten vom gescheiterten Putschisten zu einem Volkshelden. Dies war die Grundlage für seinen triumphalen Wahlsieg 6 Jahre später.

Seitdem wurde Venezuela nach Jahrzehnten der politischen Stagnation und sozialen Verkrustung von einer bis dato nicht für möglich gehaltenen Dynamik ergriffen. Unter der sogenannten “bolivarischen Revolution” wurden umfassende Sozial- und Bildungsprogramme gestartet. Doch neben einer politischen Mobilisierung der armen Bevölkerung erfasste das Land auch eine ungeahnte Polarisierung. Die venezolanische Demokratie, zuvor kaum den Namen wert, wurde nun hart auf die Probe gestellt, schwankte zwischen Aufbruch, Umbruch und Umsturz.

Neben einer unversöhnlichen und zutiefst reaktionären Opposition war es auch der streitbare Präsident Chávez selbst, der immer wieder Öl ins Feuer der Auseinandersetzungen goß. Umstritten war er anfangs aber vor allem deshalb, weil er es mit der Bekämpfung der Armut und einer staatlichen Umverteilungspolitik ernst meinte. Mit der Gegnerschaft der weißen venezolanischen Oligarchie zog er sich auch den Unmut der USA und des Westens zu. Massive Medienkampagnen, die Chávez in jeder erdenklichen Weise desavouierten, gipfelten im Putschversuch von 2002 (siehe Video unten).

Hugo Chávez ist vieles schuldig geblieben und hat vieles erreicht. Auf der einen Seite hat er es versäumt, der von dem Ölexport abhängigen Wirtschaft ein neues, nachhaltiges und die Zukunft weisendes Geschäftsmodell zu geben. Die holländische Krankheit erdrückt die Ökonomie neben einer galoppierenden Inflation noch immer. Andererseits konnte er die Armutsrate und Analphabetenquote senken. Zuvor ausgeschlossene, politisch marginalisierte Schichten verdankten ihm ein neues (Selbst)Bewusstsein. Bis zu seinem Tod sollte er keine einzige Wahl verlieren.

Dennoch – Chávez wurde von vielen seiner ehemaligen Anhänger, so auch vom Autor dieses Textes, zunehmend kritischer und aus wachsender Distanz beobachtet. Dies hatte weniger mit den medialen Feldzug gegen ihn zu tun, der allzu schnell als plumpe Demagogie zu entlarven war. Vielmehr war es der Umstand, dass das Gesetz der Macht auch für den Kopf der bolivarischen Bewegung zu gelten schien: es korrumpiert. Und die strategische Allianz mit despotischen Regimes wie in Weißrussland oder dem Iran diskreditierten sein antiimperialistisches Projekt.

Weder konnte Chávez die grassierende Korruption in der Bürokratie oder den Verwaltungs- und Regierungsinstutionen eindämmen – was ein zentrales Wahlversprechen war -, noch die Spaltung des Landes verringern. Im Gegenteil, sein – aus westlicher Perspektive befremdliches – Auftreten, seine polarisierenden Äußerungen und Possen sowie die Bewaffnung seiner Anhänger schienen den Graben noch zu vergrößern. Zudem bediente sich auch die bolivarische Regierung im Laufe der Zeit Methoden der Vetternwirtschaft, Klüngelei und kleptokratischer Selbstbereicherung. Sicher, all dies hat nicht allein Chávez zu verantworten, doch war es genau dieser politische Filz, den er einst der abgewählten Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten zu Recht angelastet hatte.

Trotz alledem konnte man sich von Chávez nie ganz lösen. Eine intuitive Sympathie blieb für diesen “Verrückten aus Caracas” immer erhalten. Sein Charisma und eine Ahnung, dass in allem was er tat, ein Stück Wahrhaftigkeit steckte, trugen dazu bei, dass sein Mythos niemals ganz erlöschen sollte. Seine unbestrittenen Erfolge in der Armutsbekämpfung, der Bildungspolitik, der Gesundheitspolitik sowie der umwälzenden demokratischen, partizipativen und verfassungsmäßigen Erneuerungen, die als Funke ganz Südamerika erreichten, werden nicht nur in die venezolanische Geschichte eingehen.

Die große Frage ist, was kommt nach Hugo Chávez? Diese Frage stellt sich nicht nur politisch, sie stellt sich ebenso intellektuell und emotional. Chávez hat, auch wenn die sozialistische Partei weiter die Regierungsgeschäfte leiten wird, ein Vakuum und eine große Leere hinterlassen. Gerade in Zeiten eines beispiellosen Demokratie- und Sozialabbaus in der westlichen Hemisphäre wird manch einer die Kraft seiner Persönlichkeit, die donnernde Wut, die er dem Neoliberalismus entgegen zu schmettern wusste, oder das legendäre Düpieren vermeintlicher Autoritäten des Status quo auch in Europa vermissen.

Er war mit all seinem Tadel, seinen Unzulänglichkeiten und Unberechenbarkeiten ein bunter Gegenentwurf zum tristen Tränental neoliberaler Austerität. Als einer der wenigen Staatsmänner des noch jungen 21. Jahrhunderts hatte er den Mut, für eine politische Utopie den Kampf gegen einen schier übermächtigen Gegner aufzunehmen. Seine Politik war ein Affront gegen den Imperialismus des ökonomischen Sachzwanges. Die Uhren Venezuelas tickten im doppelten Sinne anders.

Nun wird der designierte Vizepräsident Nicolas Maduro vorläufig die Regierungsgeschäfte übernehmen. Doch die Verfassung schreibt vor, dass binnen 30 Tagen Neuwahlen angesetzt werden müssen. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Maduro als Kandidat für die PSUV antreten wird. Indes dürfte die Chance für die Opposition, das bolivarische Projekt zu beenden, niemals so groß gewesen sein wie in diesem Augenblick.

Zwei Optionen für die Zukunft Venezuelas kristallisieren sich nun heraus. Die Erste ist, das die PSUV die Wahlen unter Maduro erneut gewinnt, der Bolivarismus sich aus Chávez großen Schatten lösen und intellektuell erneuern kann. Das Fehlen einer alles auf sich zentrierenden, charismatischen Führungsfigur kann neben all den Gefahren auch als Chance gesehen werden, den politischen und ökonomischen Partizipationsprozess Venezuelas voranzutreiben. Insbesondere wirtschaftspolitisch braucht der Bolivarismus neue Antworten.

Die Zweite Option ist das Greifen der sogenannten Schockstrategie. Der Tod Chávez dürfte große Teile seiner Anhängerschaft traumatisiert haben, was zu Problemen ihrer Mobilisierung führen kann, in jedem Fall aber ein günstiges Zeitfenster für eine Gegenrevolution ist. Die Schockstrategie ist ein bewährtes Mittel, um in solchen Phasen der Krise, Traumatisierung oder Unordnung neoliberale Reformen im Schnellfeuertempo durchzusetzen (siehe Chile).

Fakt ist, dass die konservative Opposition über kurz oder lang ein neoliberales Programm verfolgen wird. Die Unterstützung der Vereinigten Staaten – nicht nur im Wahlkampf – wird ihr gewiss sein. Die Reaktion des US-Präsidenten auf Chávez` Tod kam gänzlich ohne Beileid aus. Venezuela schlage “ein neues Kapitel in seiner Geschichte” auf, so Obama. Dieses Kapitel solle “demokratische Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit und Respekt für Menschenrechte” enthalten.

Was die USA darunter für das immer noch als ihren Hinterhof betrachtete Südamerika verstehen, ist absehbar. Da eine “Volksdemokratie” im Sinne des bolivarischen Prozesses zwangsläufig die Frage nach Eigentum und Emanzipation aufwirft, wird auch das politische System der USA mit seinen oligarchischen Machtstrukturen ideologisch in Frage gestellt. In diesem Kontext muss die verwunderliche Forderung nach Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten als Phrase gesehen werden, die in Wirklichkeit marktradikale Erneuerung meint.

Die Gefahr für das Fortbestehen des Bolivarismus kommt insofern nur indirekt aus der nationalen Opposition. Die Gefahr ensteht aus der Intervention der USA für den politischen und ökonomischen Machterhalt eines panamerikanischen oligarchischen Kartells. Die Ressourcen und Produktionsmittel des Kontinents sollen in den Händen dieser US-dominierten Elite bleiben, keinesfalls jedoch zurück in die Hände der Bevölkerung fallen.

Das bolivarische Venezuela, das Erbe Chavez´und die politische Idee für einen ganzen Subkontinent stehen nun auf dem Spiel. Die Zukunft ist so Ungewiss wie das Urteil der Geschichte über den Träumer aus Sabaneta.

Artikelbild: Victor Soares/ABr (CC BY 3.0 BR)

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8 Kommentare zu "Tod von Hugo Chávez
Der Träumer aus Sabaneta"

  1. Reyes Carrillo sagt:

    Ihren kritischen Nachruf kann ich, das mag vielleicht nicht sonderlich wundern, nur zum Teil nachvollziehen, lieber Sebastian Müller. Alles in allem werden Sie meiner Meinung nach Hugo Chávez nicht gerecht in der kritischen Abwägung seiner Leistungen und seiner von Ihnen so erkannten Versäumnisse und Fehler, von denen ich einige für korrekturbedürftig erachte. Vielleicht komme ich vertiefend darauf zurück. Vor allem ist es geradezu abenteuerlich, Hugo Chávez darzustellen als jemanden, den die Macht korrumpiert (!) habe. Heute aber ist erst einmal ein Tag der Trauer.
    Waren Sie einmal in Venezuela? Kennen Sie Venezuela vor Chávez und danach? Niemand kann überall gewesen sein und niemandem kann man deshalb absprechen, über etwas zu urteilen, das er persönlich – evtl. – gar nicht kennt. Selbstverständlich nicht! So gäbe es keinen Journalismus. Das kreide ich Ihnen deshalb auch in keiner Weise an, wie auch? Aber gerade für Venezuela wie für den südamerikanischen Kontinent gilt allgemein, dass eine Kenntnis durch Erfahrung, sagen wir, nicht schaden kann. Um es mal so extrem zurückhaltend zu sagen. Nirgendwo, so scheint mir immer wieder, zeigen theoretisches Herangehen und praktische Erfahrung solche grandiosen Klüfte auf wie innerhalb der südamerikanischen Politik.
    Ich hatte übrigens gerade selbst schon einen Kommentar verfasst gehabt, da ich nicht wusste, ob es in Le Bohémien etwas zu Chávez Tod geben würde. Deshalb hier das bereits Geschriebene:
    “Auch das argentinische Volk inkl. seiner Regierung wie auch die meisten anderen süd- und mittelamerikanischen Länder trauern um einen für diesen Kontinent so unglaublich wichtigen politischen Führer.
    Es ist nicht meine Sache, einen angemessenen Nachruf zu formulieren, das überlasse ich Berufeneren. Auch nur anzufangen hieße, gleichzeitig unzählig Wichtiges wegzulassen.
    Gewarnt werden darf aus gutem Grund freilich vor der deutschsprachigen medialen Verarbeitung des Todes von Hugo Chávez, was ganz natürliche ideologische Gründe hat. Eine diesem Mann gerecht werdende, faire Beurteilung in deutscher Sprache wird von anderer Seite kommen müssen. Ich halte mich vorläufig an die spanischsprachigen Medien, die aus ein paar Zeitungen mehr als venezolanischen, kubanischen, bolivianischen und ecuadorianischen besteht! Und der Ton ist unisono derselbe: Mit Chávez ist ein ganz großer antiimperialistischer, sozialistischer Staatsführer von uns gegangen, der nicht nur in Venezuela eine riesige Lücke hinterlassen wird, sondern weit darüber hinaus!
    Ich habe Venezuela in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Male besucht und ich bin Zeugin dieser unglaublichen sozialen Veränderungen innerhalb der Armuts-, Gesundheits- und Bildungspolitik von Hugo Chávez und Zeugin einer ganz besonderen Atmosphäre in Venezuela, die es so nur noch auf Kuba gibt.
    Chávez Populismus, Chávez rigider Umgang mit Teilen einer (von den USA mitfinanzierten) Presse, Chávez echte politische Fehler (wenige!), Kriminalität und Korruption (beides gab es vor Chávez und nach Chávez) in Venezuela usw. – da wage ich ein gewagtes: Und? Pardòn, angesichts einer von einer Konzentration einiger Verlagshäuser in Deutschland stromlinienförmig gefönten Presse, angesichts einer besonders von Deutschland vertretenen neoliberalen Politik, die den Süden Europas in den Abgrund führt, soziale Schluchten aufreißt und am Kern der Demokratie sägt und angesichts einer wachsenden militaristisch ausgerichteten Politik zur Durchsetzung geostrategischer, wirtschaftlicher Interessen will mir dann nicht mehr zwingend viel wirklich Schlimmes an Hugo Chávez einfallen! Das Einzige, was ich als Pazifistin nie leiden konnte, war sein militaristischer Habitus. Und deshalb mag ich auch den Begriff “Comandante” nicht. Aber da geht es mir bei Ché Guevara und Fidel Castro nicht anders. Dass es aber auch anders in Südamerika geht, zeigt geradezu symbolisch Evo Morales mit dem Poncho, wenn auch die Revolutionen in den beiden bzw. drei Ländern nicht vergleichbar sind.
    Für Südamerika (und eigentlich global) gilt nach wie vor – und wenn es tausendfach mitleidig belächelt wird:
    ¡Hasta la victoria siempre! ¡Venceremos!
    ¡Qué duermas bien, Hugo Chávez, qué día más triste y desesperado!”

    • Sebastian Müller sagt:

      Nun, gerade in Europa ist es gerade zu unmöglich, ein differenzierte und sachliches Bild von Chavez zu bekommen. Das führt dann eben schnell dazu, dass man Chavez auf die ein oder andere Weise nicht gerecht wird.
      Was die Korruption betrifft: Inwieweit tatsächlich Chavez’ persönlicher Idealismus in all den Jahren an der Macht korrumpiert wurde, darüber lässt sich streiten. Ich selbst habe geschrieben, das Chavez zumindest seine Wahrhaftigkeit nicht eingebüßt hat. Allerdings – und dies ist unbestreitbar – ist auch unter dem Bolivarsimus ein korruptes Klientelsystem entstanden.
      Und ja, ich war 2007 im bolivarischen Venezuela. Ich habe wenig absolute Armut gesehen, viele Neubauten von Wohnhäusern und die Begeisterung für Chavez. Ich habe ebenso die große Kriminalität und Gefahr, die Caracas ausstrahlt, mitbekommen. Und ich habe durch Reiseberichte von korrupter Polizei gehört. Einige Venezolaner, mit denen ich persönlich geredet habe, haben sich durchaus kritisch gegenüber Chavez geäußert. Allerdings habe ich in dieser kurzen Zeit (etwa 3 Wochen) wenig vom politischen Prozess mitbekommen.
      Dass eine für die politische und kulturelle Entwicklung des Kontinents zentrale Figur die Bühne verlassen hat, habe ich indes nicht bestritten. Aber ich denke, ein Nachruf voller Sympathie ist dann glaubwürdiger, wenn er auch Kritik enthält.

      • Reyes Carrillo sagt:

        Mit Ihrer ersten Feststellung gehe ich natürlich (fast) konform; in den spanischen Medien aber fanden und finden sich natürlich hie und da differenzierende und sachliche Kommentare. Wobei interessanterweise (mich wundert’s aber nicht) El País stets zu den heftigeren, oft wenig differenzierenden und nichtsachlichen Kritikern Chávez gehörte und gehört. Gerade dem PRISA-Konzern (u.a. El País) könnte übrigens vorgeworfen werden, von der (Medien-)Macht korrumpiert zu sein. Das aber nur am Rande. Selbstverständlich ist damit nicht jeder Chávez-Kritiker bei mir gleich korrupt oder ein bloßer Theoretiker oder wer weiß was Böses usw. Da mir Heldenverehrung sowieso fremd ist, ich meine Pop- und politischen Idole mit der Pubertät ausgeschwitzt habe und Heilsbringer gleich welcher Couleur auf einen unbestellbaren Acker bei mir treffen, zählen natürlich auch mein Respekt vor und meine Trauer um Hugo Chávez zu keiner dieser Kategorien. Rein rational sind sie freilich auch nicht.
        Ich persönlich habe niemals von jemandem persönlich (in Venezuela und anderswo) und nirgendwo in einem als unabhängig zu bezeichnenden Medium davon gehört, dass Chávez in irgendeiner Form persönlich korrupt war. Ich kenne ebenso niemanden, der über diese Frage “strittig” diskutieren würde. Und zu diesem Personenkreis zählen freilich nicht nur Chavistas oder auch nur Linke.
        Ich finde es übrigens wunderbar, dass Sie Venezuela bereist haben, so dass dieser für mich neue Umstand natürlich auch Vieles von dem Eingangsbild relativiert, das ich in meinem ersten Kommentar mit Theorie vs Erfahrung gezeichnet hatte. Drei Wochen sind schon ganz ordentlich für einen wachen Beobachter wie Sie, da sicher nicht davon auszugehen ist, dass Sie davon zwanzig Tage an den sonnigen Stränden der Isla Margarita verbracht haben.
        Caracas war und ist in der Tat eine Katastrophe und diese mörderische Stadt ist ein Stachel in der Leistungsbilanz der bolivarischen Revolution! Ich gebe zu, das ganz anders erwartet/erhofft zu haben.
        Die – Ihnen gegenüber geäußerten – Eindrücke von einer in Teilen vielleicht korrupten Polizei, der korrupte Filz in den Behörden und auch Kritik an Chávez – ist das nun wirklich erwähnenswert? Sicher, warum nicht. Aber doch um Himmels Willen nicht innerhalb einer die Soll- und Habenseite betrachtenden Leistungsbilanz dessen, was in Venezuela mit Hugo Chávez an der Spitze passiert ist! Ich bin in Havanna in einer Bar mit K.O.-Tropfen platt gemacht und ausgeraubt worden, wurde im Oriente Kubas ohne Grund von einer Polizeistreife verhaftet und in einem kleinen Polizeiposten stundenlang verhört und teilweise so bedroht, dass ich massive Angst bekam. Und ich habe Dutzende von Menschen getroffen, die sich über Fidel Castro auskotzen konnten und wollten, dass es eine heilige Freude war. Aber nichts davon hat mein Urteil über den Sozialismus auf Kuba in irgendeiner Weise beeinflussen und trüben können. Denn es waren klare Ausnahmen.
        Natürlich ist ein kritischer Nachruf auch mir lieber als jede Apotheose! Mich hatte vor allem der Korruptionsvorwurf aufgebracht gehabt und auch Ihre spürbare “persönliche” Ambivalenz gegenüber Chávez, die aus dem Artikel heraus tropft empfand und empfinde ich etwas irritierend, wenngleich nachvollziehbar. Ihr Nachruf ist ja – für mich – in der Tat eine Art Liebeserklärung, in der die Kritik des Enttäuschten natürlich bittereren Klanges ist. Aber um mich wieder einzuschmeicheln bei Ihnen: Ich finde Ihren Nachruf in seiner ganzen Dimension wesentlich tiefgründiger, d.h. differenzierter und komplexer als z.B. den Nachruf von Lutz Herden im Freitag. Schei…, ich geb’s ja zu: Ihr Nachruf ist der beste, den ich bisher in deutsch gelesen habe, wenn ich’s mir, sehr unwillig zwar, so recht überlege… Gleichwohl freilich nicht sakrosankt.

  2. Günter Buchholz sagt:

    Ich danke für den informativen Nachruf auf Hugo Cháves – und ebenso für den Kommentar!

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