Arbeitszwang und Konsum
Nötigung zur totalen Marktteilnahme

Arbeit wird im modernen Verständnis auf Erwerbsarbeit reduziert und ihr Gegenstück: Freizeit, vielfach auf Konsum.

"Der Streik" von Robert Koehler

Von Karl Kollmann

„Freizeit ist Konsumzeit“, das sagten schon Jugendliche in den achtziger Jahren, wenn man ihrem Lebensverständnis auf den Grund gehen wollte. Und mit der Erwerbsarbeit verdient man sich das Geld, das man für die Lebens-Mittel, für die Mittel des Existenzerhalts, also des persönlichen Überlebens, ausgeben muß.

Die Menschen werden in unseren zeitgenössischen Lebens- und Wirtschaftssystemen kurz gehalten: für die große Mehrheit ist Geld recht knapp und mittlerweile sind die Möglichkeiten, Geld zu verdienen auch knapp geworden. Man muß flexibel sein und gut „funktionieren“, um in diesem Hamsterrad zu bleiben oder überhaupt erst hineinkommen zu können.

Vermeidung von Arbeit und Mühsal

Es ist eine Art kollektiver Identifikation mit dem Aggressor, die sich – in Hinblick auf Erwerbsarbeit und Konsum – über das Denken der westlichen Gesellschaften gelegt hat.

Noch in der älteren Geschichte der Menschheit war Arbeit und das schnöde Geldverdienen durch Handel (und Geldverleih) verachtet und von jenen Menschen, die sich als frei verstanden, gemieden. Nicht nur die alten Griechen dachten so, sondern auch im europäischen Mittelalter war das ein grundsätzliches Verständnis; Arbeit heißt etymologisch: arm, Mühsal, Last. Wo es möglich war, etwa beim Adel oder beim Klerus, wurde Arbeit vermieden. Die Strafe und Last der Arbeit wurde den Mehrheiten aufgebürdet. Diese Ausbeutung abzuschütteln, die Unmündigkeit und Sklaverei zu überwinden, das wurde erst in den Bauernkriegen, mit dem ausgehenden Mittelalter versucht.

Arbeit wird veredelt

Ungefähr zu dieser Zeit entwickelte sich auch der idealisierende Charakter von Erwerbsarbeit. Mit der spätmittelalterlichen Stadt, den Handwerkern, dem Zunftwesen, dem Fernhandel bekommt Arbeit ein neues, sie veredelndes Attribut: gute Arbeit wird anerkannt, was dadurch verstärkt wird, da sich damit Geld verdienen läßt. Geld wiederum bedeutet Ansehen und Macht. Diese Wende im Verständnis bringt auch ein neues Zeitregime in die Welt: Uhren bestimmen jetzt den Tagesablauf immer mehr. Allerdings waren das damals noch gemütliche Zeiten. Wahrscheinlich angenehmer als heute, denn es existierten weitaus mehr Feiertage, Wohnort und Arbeitsort fielen zusammen und eine Trennung von Arbeitszeit und sozialen Aktivitäten (Freizeit) gab es so nicht.

Industrialisierung – die dunkle Seite

Erst die Industrialisierung – und die ist die große, dunkle Seite der Aufklärung – verschärft das Zeit- und Arbeitsregime und die Lebensverhältnisse der Mehrheiten. Jetzt kommt es zu den jahrzehntelangen Exzessen der 72-Stunden und mehr Arbeitswoche ohne Urlaub, der industriellen Kinderarbeit und der Erwerbsarbeit für alle Frauen. Abgesehen von Aristokratie und Bürgertum, sind im Kapitalismus alle dem Arbeitsregime unterworfen. Erst nach vielen Jahrzehnten werden die nichtaristokratischen und nichtbürgerlichen Kinder aus der Arbeitssklaverei befreit. Wo immer es geht, versuchen Arbeiterfrauen Hausfrau zu werden und mit hauswirtschaftlichen Fertigkeiten zu den Lebens-Mitteln eines Haushalts beizutragen. Das galt damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, als fortschrittlich und war die einzige Möglichkeit, dem Erwerbsarbeitszwang zu entkommen.

Arbeit soll Plicht und Recht sein

Im England des 16. Jahrhunderts gab es für Vagabunden („Arbeitsscheue“), wenn sie erwischt wurden, beim ersten Mal den Pranger, beim zweiten Mal den Strick. In Kontinentaleuropa war es für „Herumtreiber“ vielleicht nicht tödlich, aber Arbeit war gesellschaftliche und religiöse Verpflichtung. Auch im kapitalistischen Verständnis steht diese Arbeitspflicht für Alle, ausgenommen für Reiche, im Zentrum. Neben dem öffentlichen Recht beginnt jetzt der Markt diese Verpflichtung zur Arbeit zu regeln. „Lebens-Mittel“ müssen immer mehr vom Markt gekauft werden, die dörflichen Gemeinschaften, die Schwächere und sog. „Tunichtgute“ irgendwie noch mitragen, zerfallen. Städte wachsen explosionsartig, die Wirtschaft blüht.

Seit dem neunzehnten Jahrhundert gibt es soziale Reformbewegungen, denn das Arbeits-Elend der Mehrheit ist unerträglich. Diese wollen den Unternehmen mehr an arbeitsfreier Zeit abtrotzen, die wöchentliche Erwerbsarbeitszeit also reduzieren. Diese sozialpolitischen Fortschritte werden von Gewerkschaften und den Vorgängern der heute sozialdemokratischen Parteien gefordert und auch langsam durchgesetzt. Es sind dies sozialpartnerschaftliche, nicht gesellschaftsverändernde Forderungen, denn die Tatsache der Erwerbsarbeit, die Identifikation mit dem Aggressor Arbeitspflicht, wird nicht in Frage gestellt, im Gegenteil, es wird das Recht auf Arbeit eingefordert. Mehr Lohn, mehr Freizeit, Absicherung bei Krankheit und im Alter, waren die Themen bis in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

Recht auf Faulheit?

Erst Paul Lafargue schafft mit seinem „Recht auf Faulheit“ 1883 einen Kontrapunkt dazu. Der Sinn von menschlichem Leben liegt nicht darin, möglichst viel und schwer und bis zum Lebensende zu arbeiten, sondern ein zufriedenstellendes Leben zu führen, ein Leben möglichst jenseits von jener Mühe und Last, die im Begriff der Arbeit drinsteckt. Ähnlich ketzerische Gedanken finden sich immer wieder in philosophischen Texten der Neuzeit auch in den Subkulturen, etwa der deutschen Reformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts, in der Boheme, im „Beat“ in Nordamerika in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, oder in der 68er Bewegung.

Mehrheitlich jedoch wurde die Idee einer Gesellschaft, die in größeren Zusammenhängen und gesellschaftlichen Bereichen die Last von Erwerbsarbeit überwindet, stets ins Reich der Träume verwiesen, weit jenseits des Leistungsprinzips, ins Utopische. „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt“, so flapsig, leistungsprinziptreu und Kapitalismus-affin reagierte vor etwa zwei Jahrzehnten der deutsche Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Helmut Schmidt und nach ihm dann der österreichische Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Franz Vranitzky.

Freizeit

Die systemkonformen Akteure, wie Gewerkschaften und Sozialdemokratie, wollten, daß mehr arbeitsfreie Zeit für die Rekreation und auch zur Kompensation jener Menschen dient, die arbeiten müssen, um leben zu können. Damit entstehen Begriff und Verständnis von »Freizeit«. Jedoch, als Freizeit in einem nennenswerten Ausmaß für die arbeitende Mehrheit in die Welt kommt, entsteht neben dem gesellschaftlichen Arbeitsregime auch ein gesellschaftliches Freizeitregime. Arbeit als Pflicht, Erfüllung, Selbstverwirklichung und Selbstverständlichkeit „alternativenlos“ und „unumkehrbar“, und Freizeit als richtige, kulturell anerkannte, sinnvolle Gestaltung der arbeitsfreien Zeit.
Für die Arbeiterklasse statt Gasthaus, Tanz und Jahrmarkt nun klassische Lektüre, tugendhafte Freizeit und keine politischen Aktivitäten in der Freizeit. Nach zehn Arbeitsstunden am Tag finden jedoch die meisten Goethe und Schiller wenig erholsam.

Erfolgversprechender waren die in das gesellschaftliche Freizeitregime schließlich hereingeholten Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien mit Freizeitsport, Naturerleben (Wandern und Bergsteigen), sowie mit Kleingärten als Freizeitbeschäftigung. Der Nationalsozialismus führte später zusätzlich »Reisen« als Freizeit-Konsumform ein, die rasch sehr beliebt wurde und die sich bis heute ja ganz dominant erhalten hat. Übrigens: Reisen ist eine hoch konsumtive Form von Freizeitgestaltung, Wandern dagegen nicht; der Kleingarten war überhaupt ein Stück Haushaltsproduktion von Obst und Gemüse.

Kommerzielle Freizeit

Spätestens ab den 60er Jahren, folgte in Mitteleuropa die kulturelle Übernahme der USamerikanischen Lebensstile, Freizeit wurde zur Konsumzeit. Die Gewerkschaften konnten im Goldenen Zeitalter wirtschaftlicher Prosperität der 60er, 70er und 80er Jahre weitere Arbeitszeitverkürzungen und sozialrechtliche Verbesserungen erreichen. Aber das Leistungsprinzip im Sinn der Arbeits- und Konsumpflicht blieb unangetastet, mehr noch: Konsum wurde zur zweiten Hälfte der personalen Identität der großen Mehrheiten. Und als einziges sozusagen systemkonformes Jenseits von Arbeit blieb die Freizeit.

Gesellschaftliches Politikverständnis

Ende der 80er Jahre folgt ein neuer schleichender Umbruch. Eine neoliberale Denkungsart hatte sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung an den Hochschulen festgesetzt. Neoliberale Ökonomie ist totalitär, denn dem neoliberalen ökonomischen Denken werden immer alle anderen gesellschaftlichen Bereiche untergeordnet. Die so ausgebildeten Ökonomen sitzen als aufstrebender Nachwuchs nicht nur in Banken, Versicherungen und Industriekonzernen, auch als Ministerialbeamte in der Administration, in den Parteien und Gewerkschaften und natürlich in Brüssel in der Europäischen Kommission.

Marktkonforme Politik

In den politischen Parteien und Interessensorganisationen wurde parallel dazu die klassische politische Bildungsarbeit vernachlässigt und durch die im Unternehmensbereich gängigen Methoden von Public-Relations, Marketing und markenartikelähnlicher Werbung ersetzt. Auch das war ein Ergebnis des neoliberalen Verständnisses von Arbeitsteilung und Marktreligiosität.

Für diesen Wechsel in der Politik sind etwa die Kanzlerfiguren Blair, Schröder und Vranitzky als paradigmatisch anzusehen. Übrigens auch für die persönliche Lebenspraxis nach der politischen Phase: sie haben es sich, wie die zwei vorhin erwähnten Sozialdemokraten – typisch neoliberal könnte man formulieren – finanziell als Berater, Lobbyisten oder sonstwie zu richten verstanden. Auch eine Tragödie für die Idee der Sozialdemokratie.

Neoliberales Arbeits- und Konsumregime

“Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. (…) Es gibt kein Recht auf Faulheit”, sagte der deutsche Bundeskanzler a. D., Gerhard Schröder. Alle Menschen müssen erwerbswirtschaftlich arbeiten und sich dem marktgesellschaftlichen Leistungsprinzip fügen. Vollzeitarbeit, lebenslange Flexibilität – sprich: sich den Anforderungen „des Marktes“, also der Unternehmen fügen – und „Lebenslanges Lernen“, sowie begeisterte Teilnahme an den angebotenen Konsummöglichkeiten sind das Programm dieser Leistungsgesellschaft.

Diejenigen, die dabei nicht mitmachen, etwa jenem Viertel der Bevölkerung, das heute Computer und Internet nicht nutzen will, wird Unwilligkeit unterstellt, sie werden als Technikverweigerer, in gewisser Weise als Saboteure etikettiert, die nicht am Fortschritt partizipieren wollen. “Even though the Internet has become a key tool for accessing services, getting an education, finding jobs, getting the news, keeping up with people you know and much more, one in five U.S. adults still does not use the Internet at all, according to a new Pew report. (…) Who are these neo-Luddites?”ii – die neuen Maschinenstürmer, Fortschritts- und Konsumverweigerer. „Kaufen ist Bürgerpflicht“ rapportieren die Zeitungen die Meinung des politischen Establishments und der Wirtschaftsforscher, denn sonst geht die Wirtschaft in die Knie. Und das darf auf keinen Fall sein, koste es was es wolle.

Und Absturzdrohungen…

Wer mit den Regimes nicht mitspielt, dem droht der vollständige Absturz. Hartz IV ist ein Synonym dafür, und die vielen Fernsehreportagen über diese ins Abseits geschobenen Menschen demonstrieren das dem regimekonformen Publikum, gewissermaßen als tägliche Warnung anschaulich. Das eindimensionale Denken der großen Mehrheiten kennt auch keine Alternativen zu marktvermittelter Arbeit und zur marktangebotenen, schönen Konsumvielfalt. Nur eine kleine, ganz kleine Minderheit versucht in Nischen jenseits davon zu überleben. Solange man sie noch läßt.

Karl Kollmann ist Mitglied im Netzwerk Nachhaltige Ökonomie und lehrt an der Wirtschaftsuniversität Wien Konsumökonomie.

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17 Kommentare zu "Arbeitszwang und Konsum
Nötigung zur totalen Marktteilnahme"

  1. Robert Klausewitz sagt:

    Eine gute Analyse der Verkommenheit des Menschen zur Arbeitskraft. Doch Sie setzen zu eindimensional an. Ja, es war die Industrialisierung, die die äußeren Umstände, die zur Zerstörung der Familien und der Entwicklung der Menschen zur reinen Arbeitskraft geführt hat. Es war die Bourgeoisie. Doch erst Marx und die darauf folgenden Sozialisten machten die Vorstellung des Menschen als reiner Arbeitskraft salonfähig. Der Neoliberalismus konnte erst auf dieser Grundlage (und der Arbeitsethik des Protestantismus) fruchtbar gedeihen. Das sollte man immer dazu erwähnen. Denn daran kann man erkennen, wie hilflos eine Kritik des Neoliberalismus aus marxistischer Sicht ist. Beide reduzieren den Menschen. Und beide reduzieren das Mensch-sein auf materielle Dinge. Und beide zerstören Gesellschaft.

    • > erst Marx und die darauf folgenden Sozialisten machten die Vorstellung des
      > Menschen als reiner Arbeitskraft salonfähig. Der Neoliberalismus konnte erst
      > auf dieser Grundlage (und der Arbeitsethik des Protestantismus) fruchtbar
      > gedeihen. Das sollte man immer dazu erwähnen.

      Ja. Der frühe Marx aber nicht – der hatte das Volumen des Lebens wohl im Blick, wenn ich mich recht erinnere…

  2. PeWi sagt:

    Also zu Sapphos Zeiten waren viele Adlige Händler und häuften dadurch viel Reichtum an. Die einen in der Familie hatten den Boden, der Rest der Familie musste irgend etwas machen, handeln z.B.

  3. Sebastian Müller sagt:

    Wichtig wäre auch eine genaue Terminologie von Arbeit. Genauso wie Arbeit im Grunde Vieles sein kann, wandelte sich die Bedeutung des Begriffes in der Geschichte. Wenn man zum Beispiel sagt, eine “Tätigkeit” ist auch “Arbeit”, dann hat sich der Arbeitsbegriff schon erweitert. Da aber eine Tätigkeit zum Menschen gehört wie das Atmen, könnte dann nicht mehr von einem unnatürlichen Zwang ausgegangen werden. Freilich könnte man aber wieder zwischen einer freiwilligen Tätigkeit und systemisch aufgezwungener Arbeit, wie zb. der industriellen Erwerbsarbeit differenzieren.

  4. langlode44 sagt:

    Schön zu lesen das die Diskussion über die “Arbeit” um sich greift. Weiter so.

  5. David W. sagt:

    Ganz brauchbare Analyse zum Status Quo. Jetzt bitte einen 2. Teil, der eine Zukunftsvision entwirft. Der gesellschaftliche Karren steckt tief im neoliberalen Sumpf. Wie kommen wir da raus? Wie können wir uns vom Neoliberlaismus emanzipieren? Gesellschaftswirtschaft statt Wirtschaftsgesellschaft, Regiogeld, BGE, Bandbreitenmodell, 3-D Drucker,…?

  6. cource sagt:

    dieses system funktioniert nur,weil gerade die “arbeitsmoral” nicht in frage gestellt werden darf–nur dieses tabu hält das system aufrecht–deshalb ist jegliche diskussion darüber zum scheitern verurteilt–hier kann nur eine biologische gesetzmäßigkeit zum beispiel: deformation des menschlichen erbgutes/leistungsfähigkeit durch dauerstress, eine gesellschaftliche änderung erzwingen

  7. Dasty sagt:

    Im Computerzeitalter läßt man doch den Computer für sich das Geld verdienen, so hat man 24 Stunden täglich Freizeit / Konsumzeit. Sehr empfehlen kann ich Euch Smart Moneybooster (http://www.smartstrategie.com), das wird auch von Profis empfohlen.

    • Dusty sagt:

      Klar, sichere Arbitragen bei Sportwetten! Das isses!!
      Und wird von Profis empfohlen…

      Aber trotzdem vielen Dank, das beweist ja gerade die Richtigkeit des Artikels,
      der Brainwash funktioniert anscheinend hervorragend.
      Hauptsache Konsum und Wetten, die Banken machen’s ja vor.

  8. Wolf sagt:

    Vergleich Arbeits- “Ethos” DDR- BRD

    Ja, das Leben in der DDR war farbloser. Äußerlich. Doch der Alltag zwang zur Phantasie. Bei der Selbstversorgung mit Obst und Autoreifen ebenso wie bei der eigenen Meinungsbildung. Da gab es eine Art Anarchie. Heute sind die Manipulationsmethoden so ausgeklügelt, dass selbst bei zunehmender absoluter wie relativer Armut (prekär Beschäftigte, die kaum noch gesellschaftliche Teilhabe genießen können, zähle ich dazu) viel zu Wenige auf die Straße gehen, um sich gegen soziale Ungerechtigkeiten zu wehren. Aktuelle Zustände in Deutschland 2012 hätten in der DDR zu einem Volksaufstand geführt. Was Ausbeutung heißt, hatten wir gelernt. Unser “Arbeits- Ethos” war unterentwickelt. Ältere, ehemalige DDR- Bürger sagen heute, wenn auf einer Baustelle einer schuftet- und zwei gucken zu: “Wie in der DDR”.
    Das ich heute das Glück habe, bei nur 60 Stunden Arbeit pro Monat über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen, das habe ich mir erkämpft. Aus einer festen Anstellung in die Selbständigkeit als Redner. Jeder suche seine Nische. Und suche gleichzeitig andere, mit denen er an einer neuen, besseren Gesellschaft “arbeiten” kann. Auch und gerade in diesen düsteren Zeiten. Heiner Müller lag schon nicht so falsch, als er Anfang der 90er sagte: “Angesichts bevorstehender Katastrophen ist es sinnvoller, Schnapsvorräte zu leeren, als Schulden zu zahlen.”

  9. DCWorld sagt:

    Vielen Dank für diesen ausgezeichneten Artikel. Es ist erschütternd wie die Menschen sich freiwillig in das Hamsterrad begeben haben, aus dem sie jetzt nicht mehr raus können. Manche wollen es auch gar nicht.

    Wer heute auf dem Arbeitsmarkt nicht alles macht was der Chef von ihm will, ist schon ausgemustert. Selten findet man jemanden, der in seinem Leben auch Familie und Gesundheit an vorderster Stelle führt.

    Derzeit geht es in unserer Gesellschaft nur um die Arbeit, dass führt sogar dazu das Menschen ihre Heirat aufschieben, weil es im Beruf nicht passt, manche wollen gar aus steuerlichen Gründen heiraten und gar nicht so sehr aus Liebe.

    Und noch etwas ist heute ganz verquer: Auch der Nachwuchs muss sich heute der Arbeit und der Karriere unterordnen. Nicht das Lebewesen kommt zuerst, sondern der Arbeitgeber. Schlimm.

  10. maschkom sagt:

    Wenn man bedenkt, dass Arbeit und Konsum eine Grundbedingung für Teilhabe am System ist? Wer nichts eingezahlt hat, kann nichts heraus bekommen. Was ist mit den Menschen zu denen wir unsere Arbeit hingebracht haben. Die Näherinnen in Bangladesh, die Rosenzüchter in Kenia, die Monteure von Mobiltelefonen in China und, und, und? Was ist mit den Menschen, die wegen Nahrungsmittel Spekulationen hungern müssen? Was ist mit den Menschen, die deshalb hier keine niedrig qualifizierten Tätigkeiten finden?
    Ich möchte das ganze Bild!
    Die Welt braucht ethisch moralische Grundsätze, wie sie zusammenwachsen soll. So wie derzeit, überrollt die westliche Zivilisation die restliche Welt und nimmt ihr alles weg.

  11. Herle King sagt:

    Armutsbericht, Sozialindikatoren, Prekariat !?
    Ist Arbeitslosigkeit vielleicht primär Erwerbslosigkeit – hm!? – Geht uns die ARBEIT aus? Rund 16 Millionen Deutsche gelten “arm oder sozial ausgegrenzt”?
    Natürlich nur eine Vermutung – man weiß es leider nicht genau.

    EINGLIEDERUNGSVEREINBARUNG + ARBEITSGELEGENHEIT = EIN.EURO.JOB
    Erschöpfungserscheinungen des Rechtsstaates bei der Umsetzung der Hartz IV-Gesetzgebung und eine propagandistische Dämonisierung von Arbeitslosigkeit.

    Ja, ja; “Der Rechtsstaat funktioniert noch” – es ist alles nicht so schlimm .. “Uns geht es doch gut” .. Ja, ja wir haben “Fachkräftemangel” und “AUFSCHWUNG”, denn “Wachstum schaft Arbeitsplätze” – “Sozial ist was .. schafft”

    Mich wundert eher die Stille, das Schweigen ..

  12. Pistepirkko sagt:

    Vieleicht sollten wir die Arbeitslosigkeit male eher als Wohlstandsindikator sehen.
    OK.. In diesem jetzigen System ist es für den einzelnen hart, zu hart!!!
    Aber es zeig doch das wir uns ein tolles Leben mit immer weniger Aufwand machen könnten.
    Meiner Meinung nach zeigt eine hohe Arbeitslosigkeit einen hohen Reichtum eines Landes an.
    Umdenken ist dringend notwendig.

  13. Herle King sagt:

    Zum Umgang mit Dissidenten hier in D-Land :

    Ralph Boes Brandbriefaktion
    – Hunger durch 90% Sanktionen vom
    absoluten Lebensminimum steht bevor!

    Das heißt: NUR noch 37,40 Euro
    (statt 374,00 Euro) monatlich zum Leben.

    Siehe dazu :

    http://www.buergerinitiative-grundeinkommen.de/brandbrief/briefe/Sanktionsbrief-2012-10-25.htm.

    http://youtu.be/hc-banXWUs4

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