Mut zur Provokation

Oder vom Nutzen der Empörung für Die Linke

Im Fall Gesine Lötzsch geschieht nun genau das, was absehbar war, ja kommen musste. Eine von den Leitmedien breit angelegte Dämonisierungskampagne kommt ins Rollen.

Von Sebastian Müller

Initiiert von der rechten Jungen Freiheit, wohlwollend und enthusiastisch aufgegriffen vom Spiegel, springen nun sämtliche Zeitungen, Magazine und Parteien auf den Kampagnenzug gegen die Bundesvorsitzende der Linken auf.

Wie zu erwarten war, forderte die CSU als Reaktion auf das ominöse K-Wort von Frau Lötzsch eine ständige und umfassende Überwachung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz. Der Stasi-Gedenkstättenchef Hubertus Knabe und CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sahen tags darauf die “freiheitliche Ordnung” gefährdet. Auch FDP, SPD und Grüne nutzen die Gunst der Stunde, um sich als Gralshüter der Demokratie aufzuspielen – als ob diese von der Linken jemals in Frage gestellt worden wäre.

Selten war Die Linke in den letzten Monaten so sehr in die Schlagzeilen geraten wie dieser Tage, als eine in der Jungen Welt angestossene Programmdebatte der Bundesvorsitzenden ins Kreuzfeuer demagogischer Kritik aller politischen Akteure geraten ist. Dabei war es in den letzten Wochen seltsam ruhig um Die Linke geworden. Nach den fragwürdigen Skandalisierungsversuchen ob Klaus Ernst Almhütte ohne Stromanschluss und seines in die Jahre gekommenen Porsche, versuchten die etablierten Medien eine Art Informationssperre zu errichten. Die Linke wurde in der Berichterstattung über die Bundes- und Parteienpolitik, in den Debatten über Stuttgart 21 oder Gorleben weitgehend ignoriert. Nicht umsonst beklagte der Ex-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine in mehreren Interviews einen Medienboykott.

In der Tat stinkt es zum Himmel in der deutschen Presselandschaft, und damit in der gesamten politischen Kultur. Der von Stefan Berg verfasste Verriss im Spiegel, der das gesamte Schmierentheater ins Rollen brachte, hat nicht einmal im entferntesten etwas mit einem seriösen Meinungsbildungsprozess gemein. Lötzsch ging es in ihrem Beitrag darum, zum Nachdenken anzuregen – der Spiegel und alle medialen Trittbrettfahrer wollen das Gegenteil erreichen.

Gesine Lötzsch selbst könnte man hingegen unüberlegtes Handeln vorwerfen, dass sie den politischen Gegnern mit ihre Rede vom Kommunismus unbedarft eine Steilvorlage geliefert hätte. Auf der anderen Seite reagierte sie nun in einer Stellungnahme am 5. Januar mutig und offensiv. Jemand der mit solch einer geballten Kritik nicht rechnet, müht sich um Schadensbegrenzung, könnte man meinen. Wenn Lötzsch kontert, dass der “wutschnaubende Verriss” ihres JW-Beitrages durch den Spiegel ein “Armutszeugnis” wäre und zeige, wie “verunsichert das Establishment” sei, “wenn es um Alternativen zum kapitalistischen System” gehe, dann tut sie das Gegenteil und damit genau das Richtige.

Möglicherweise ist Lötzsch Pamphlet in der JW eine bewusste Provokation gewesen. Immerhin hat sie Die Linke wieder in den Mittelpunkt des lang ersehnten öffentlichen Fokus gebracht und Fenster zu einer neuen Gesellschaftsdebatte aufgestossen. Es fragt sich nur, ob diese auch angenommen wird. Die Chancen, dies zu erreichen, sind dann gegeben, wenn Lötzsch und ihre Partei vor dem Hintergrund des Kreuzfeuers Rückgrat behalten.

Getroffene Hunde bellen, heißt es. Es ist nun das Gebot der Stunde – und es gibt Anzeichen dafür – im Fokus der gegenwärtigen öffentlichen Aufmerksamkeit und Empörung, die Debatte zu drehen. Lötzsch hat den Anfang gemacht, als sie ihre Positionen offensiv verteidigte und damit inhaltlich weiter fokussierte. Die Partei muss nun hinter ihr stehen – dies könnte sich zum entscheidenden Lackmustest der Linken entwickeln und gleichzeitig die Frage beantworten, wer angesichts des programmatischen Ringens zwischen “radikalen Linken” und “Reformern” die wahren Sektierer in der Partei sind.

Wenn Lötzsch von “Wegen zum Kommunismus” spricht, dann ist dies als Methaper zu verstehen, für die notwendige Sehnsucht nach dem Visonären und Utopischen, also das, was das Lebendige in der Politik überhaupt erst ausmacht. Ohne Visionen, ohne den Mut zur Utopie, schaufeln sich Politik und Gesellschaft ihr eigenes Grab. Und fast alle etablierten Parteien sind – wie die inhaltliche und politische Perspektivlosigkeit der letzten drei Regierungskoalitionen im Bund beweist – bereits kräftig am Schaufeln.

Fürwahr, es muss sich niemand etwas vormachen – in dieser medial inszenierten Schlammschlacht geht es nicht um Kommunismus, Diktatur und Terrorherrschaft. Es geht darum, ob unsere Gesellschaft bereit ist, über Alternativen zu unserem gegenwärtigen, durch den Neoliberalismus in eine tiefe Krise gestoßenen Werte- und Gesellschaftssystem zu reflektieren. Wie diese Alternativen aussehen mögen, ist dabei völlig offen. Vielmehr geht es um das Wiederentdecken des Politischen, von positiven Handlungsoptionen, die in Jahrzehnten neoliberalen Verwaltens verloren gegangen sind.

Korrumpierte Presseorgane wie der Spiegel – soviel ist schon jetzt sicher – werden diesen dringend benötigten Diskurs verweigern. Die Linke, selbstbewusst und mit Durchhaltevermögen, könnte ihn möglicherweise initiieren und befruchten – das wäre, auch jenseits des Kommunismus, ihre Chance für die Zukunft.

Zum Thema:

– Wege zur Desinformation

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6 Kommentare zu "Mut zur Provokation"

  1. M. Schuster sagt:

    Ein sehr guter Kommentar. Damit bin ich volkommen bei Ihnen. Endlich mal jemand, der sich fair mit den Aussagen von Gesine Lötsch auseinandersetzt.
    Leider wird das in den üblichen Medien niemals der Fall sein. Es sind eben alles Systemhuren.
    Der Michel ist nicht bereit, selber zu “denken” und somit befürchte ich, wird die “Linke” scheitern.

  2. Ja, das ist leider durchaus denkbar…

  3. Alter Nihilist sagt:

    Ein Scheitern gebiert das nächste. Sinngemäss bei Zizek, Die Revolution steht bevor. Er bezieht sich da auch auf Rosa Luxemburg. Wenn ich mich richtig entsinne.
    Echt ein Problem. Faulheit = Dummheit. Der Michel lässt sich halt gerne bedienen. Vor allem mit Angst.

  4. Jens sagt:

    Ach, der Spiegel hat sich heute sogar einen relativ anständigen Artikel erlaubt. Vielleicht war es nur ein Versehen aber ganz habe ich die Zeitschrift noch nicht abgeschrieben.
    Der erste Antikommunistische Aufruf war natürlich unterste Schublade und ich wüsse den der das verbrochen hat gerne aus der Redaktion geschmissen.

  5. Karl bogdanow sagt:

    Ich finde den Artikel von G. Lötsch gut fast noch zu sanft. Oft und immer öfter wünsche ich mir mehr linkes, kommunistisches Selbstbewußtsein. Offen für eine Veränderung der herrschenden Gesellschaftsordnung einzutreten ist nötiger denn je und wird offenbar durch die leidige Diskussion über die sozialen Zuwendungen an die Bedürftigen, während in schöner Einmüdigkeit den Banken die Millöiarden angedient wurden und da das ohne ein Wort darüber zu verlieren.
    Daher Frau Lötsch und andere : Weiter so!!!!

  6. @ Jens

    in der Tat, der jüngste Spiegel-Artikel setzt sich wirklich in der Form mit dem Thema auseinander, wie man es von einem selbsternannten Qualitätsmagazin eigentlich auch erwartet.

    Hier für alle der Kommentar von Sebastian Hammelehle:

    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,738073,00.html

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