Horst Köhler tritt zurück

Zuviel der Wahrheit

Von Sebastian Müller

“Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen. (…)”

Mit diesen Worten verkündete Horst Köhler heute seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten.
Doch entbehrt die Kritik wirklich jeder Rechtfertigung? Tritt er tatsächlich aus mangelndem Respekt zurück, oder aber, weil er schlicht und einfach im Zuge eines Versehens Tatsachen ausgesprochen hat? War das tatsächlich ein “Missverständnis”? Sicher hat sich Köhler aus seiner Sicht unglücklich ausgedrückt.

Was hat Horst Köhler am besagten 22. Mai denn nun gesagt? Er brachte unverhohlen, allerdings in geschliffenen Worten und grenzenlosem Zynismus – Winston Churchill hätte es nicht besser formulieren können – das Hauptmotiv von Kriegen seit Beginn des Kolonialismus mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Verbindung: “Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.”

In der Breite der Gesellschaft soll das also verstanden werden? Durchaus. Die Mehrheit der deutschen lehnt z.B. den Afghanistaneinsatz(krieg) der Bundeswehr ab. Nicht zuletzt deswegen negierte Köhler verzweifelt, dass der Afghanistankrieg ein Krieg im Sinne deutscher Wirtschaftsinteressen wäre, sondern verwies hingegen auf den Einsatz der Bundesmarine am Horn von Afrika gegen somalische Piraten. (Ein als solcher definierter Krieg in Afghanistan wäre nämlich, wie auch von der Opposition kritisiert wurde, verfassungswidrig).
Wahrlich, ein Einsatz gegen Seeräuber lässt sich als gerechte Sache ebenso heranziehen, wie ein “humanitärer Einsatz” in Afghanistan. Vergessen wird aber dabei, dass Piraterie aus Not geboren wird, eine Not, die eben durch die Freihandelsinteressen des Westens in den Entwicklungsländern verstärkt wird. Wenn der afrikanische Markt durch subventionierte Agrarprodukte aus Europa überschwemmt wird, dann verlieren die ortsansässigen Bauern ihre Existenzgrundlage. Manche, wie in Somalia, wenden sich dann der Piraterie zu.
Europa bekämpft also ein Übel mit Waffengewalt, dass es durch die Durchsetzung seiner Interessen selbst geschaffen hat.
Und wer glaubt noch an einen humanitären Einsatz in Afghanistan, wenn sich die humanitäre Lage dort seit dem Beginn des Krieges drastisch verschlechtert hat? Weg glaubt noch daran, wenn die Mittel, die für den zivilen Wiederaufbau und für Infrastruktur bereit gestellt werden, lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.

Auch wenn es Herr Köhler in Zukunft in der Öffentlichkeit wohl immer leugnen wird, der moderne, meist als humanitäre Intervention getarnte Krieg wird immer ein verdeckter Wirtschafts- oder Hegemonialkrieg bleiben. Das ist in Afghanistan genauso wie im Irak oder am Horn von Afrika. Der Westen braucht militärische Interventionen – und dafür mobile Einsatzkräfte – um seine globalen Wirtschaftsinteressen wahren zu können. Die Bundeswehr soll ein Teil dieses westlichen Interventionsheeres werden. Schon längst wird daher nach dem Weißbuch der Bundeswehr, diese von einer nationalen Grenzverteidigungsarmee zu einer schlagkräftigen Eingreiftruppe umfunktioniert.

Das Amt des Bundespräsidenten ist in unserer politischen Kultur nicht erst seit heute zum “Verschleierungsamt” von Wirtschaftsinteressen geworden. Köhler hat aber – und als ehemaliger geschäftsführender Direktor des IWF kennt er sich diesbezüglich aus – von wirtschaftspolitischem Neokolonialismus gesprochen; selbstverständlich ist das politisch nicht korrekt. In dieser Hinsicht ist er – trotz allem Zynismus – seinem Amt nicht gerecht geworden. Daher – und nicht weil er möglicherweise einen verfassungswidrigen Krieg andeutete – musste er zurücktreten.

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Diskurse, Politik Tags: , , ,

Ähnliche Artikel:

<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Europäische Einigung</span><br/>Europa – Projekt in der Krise Europäische Einigung
Europa – Projekt in der Krise
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Innovationen</span><br/>Der nützliche Staat Innovationen
Der nützliche Staat
<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'>Demokratie</span><br/>Institutionen des Wohlstands Demokratie
Institutionen des Wohlstands

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien