25 Jahre Privatfernsehen

Die Sendungen des Öffentlich-Rechtlichen wurden dem Begriff des Bildungsfernsehens eine Zeit lang wahrlich gerecht. Wer kennt noch den “internationalen Frühschoppen”, eine damalige Institution der politischen Information und Meinungsbildung? Sie ist bezeichnenderweise 1987, also etwa 3 Jahre nach dem Beginn des Sendebetriebs der Privaten, aus dem Programm genommen worden. Eine politische Talkshow auf diesem Niveau sucht man im heutigen deutschen Fernsehen vergebens.

Zugegebenerweise im österreichischen Fernesehen wurde eine ganz besondere Ausgabe des “Club 2″ unter der Leitung von Günther Nenning im ORF ausgestrahlt. Thema war: “1968 – Das Jahr des Aufstandes”. Es wurden über ganze 3 Stunden die Veränderungen analysiert, die sich seit 1968 real und im Bewusstsein der Menschen vollzogen hatten, und man fragte nach den Wurzeln des Terrorismus und umriss Probleme von Gegenwart und Zukunft. Die Teilnehmer waren die bekanntesten Exponenten der westeuropäischen 68er-Bewegung, Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit. Weitere Gäste waren Matthias Walden, früher führender Journalist im Axel Springer Verlag, und der Münchner Politologie-Professor Kurt Sontheimer.

Das sich in dieser Sendung entwickelnde diskursive und inhaltliche Niveau, die Offenheit und Freigeistigkeit der Auseinandersetzung, die vor allem Dutschke und Cohn-Bendit zu verdanken war, sprengte auf unvergleichliche und erfrischende Weise den konformistisch-bürgerlichen Tellerrand. Die damals vorgebrachten Annährungen zu dem psychiologischen und soziologischen Phänomen des Terrorismus (in diesem Fall dem der RAF) würden der aktuellen Debatte, in denen die Hintergründe des asymmetrischen Widerstandes als Reaktion auf eine sozioökonomische Wirklichkeit kaum mehr begriffen werden, gut tun.

Und heute? Querdenker wie die Persönlichkeiten Dutschke & Co würden den Weg in unsere inszenierten Talksows wohl gar nicht mehr finden. Diese sind mittlerweile eine Farce, da die politischen Streitgespäche von den Moderatoren bewusst auf flachen Niveau und ideologischer Linientreue gehalten werden. Dem entsprechend werden auch die Gäste ausgewählt.

An das “literarische Quartett” wird man sich noch besser erinnern können. Es wurde im Jahre 1988 erstmals ausgestrahlt und 2001 wieder aus dem Programm genommen. Die bekannteste Persönlichkeit des Quartetts war Marcel-Reich Ranicki, der die Sendung mit den folgenden schönen Worten beschrieb: „Wir werden über Bücher sprechen, und zwar, wie wir immer sprechen: liebevoll und etwas gemein, gütig und vielleicht ein bisschen bösartig, aber auf jeden Fall sehr klar und deutlich. Denn die Deutlichkeit ist die Höflichkeit der Kritik der Kritiker.“ (Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett am 18. März 1993)

Erfreulicherweise hat genau dieser Reich-Ranicki in jüngster Vergangenheit für einen wohltuhenden Eklat gesorgt, von dem die sich selbst beweihräuchernde Promiriege des deutschen Fernsehens ein Lied singen kann: Er lehnte den deutschen Fernsehpreis ab und nannte die ausgezeichneten Sendungen „Blödsinn“. Einfacher kann man ein Defizit wohl nicht auf den Punkt bringen. Zudem sieht er nicht nur das Fernsehen, sondern auch die Fernsehkritik in einer Qualitätskrise. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, sagte er dem Politikmagazin “Cicero”, die Fernsehkritik befinde sich “auf unterstem Niveau”, da sie “kein rechtes Echo” habe. Fernsehkritiken würden “immer häufiger von Hospitanten und Volontären verfasst”. Es fehle “eine Debatte über das Niveau der Kritik selbst”. Reich-Ranicki bekräftigte seine Grundsatzkritik am Fernsehen: “Die Intellektuellen werden vom Fernsehen ignoriert, bagatellisiert, vernachlässigt, deshalb ist das Programm so schlecht.”

Diese Tatsache betrifft die Privaten sowieso, aber auch das staatliche Fernsehen, das vom Quotenzwang erfasst, sich Anspruch und Tiefe anscheinend kaum noch, und immer weniger erlauben kann. Na das ist ja ein “Spitzenjubiläum”!

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