Der Geist des Daniel Leconte

Von Reportagen und Geschichten über Griechenland

Von Gerd R. Rueger

“Zwar haben die Griechen die Demokratie erfunden und damit das Gesicht der Welt verändert, aber sie haben es dabei belassen. Während die übrige Welt sich das Erbe Platos und der Agora zu eigen machte, wurde es in Griechenland verschmäht. Im 19. Jh. war das Land zweimal bankrott und beide Male wurde es von den europäischen Mächten aufgefangen. Und erst 1974 hat sich Griechenland dem Kreis demokratischer Staaten wirklich angeschlossen.” Daniel Leconte (Arte)

Daniel Leconte, ein Talkinghead des oft erfreulich liberalen Qualitätssenders Arte, präsentierte seinen Zuschauern jüngst in langatmigen 90 Minuten einen neoliberal gefärbten Propagandastreifen. Die Arte-Doku “I love Democracy” wurde von Emmanuel Leconte (Kamera) und Daniel Leconte ab dem 5. Februar 2012 gedreht. In Form eines öden Urlaubsvideos im verregneten Griechenland, immer wieder unterbrochen von quälenden Interviews mit “einfachen Leuten” bis hin zu Politikern. Dabei macht der Streifen fast durchgehend Werbung für die Sparprogramme und agitiert gegen die Linksparteien.

Wohlgemerkt erweist sich Lecontes Kenntnis der griechischen Geschichte im Eingangs zitierten Schluss-Sermon als lückenhaft bis einseitig verzerrt. Vielmehr mussten sich die Griechen ihre Freiheit zweimal erkämpfen: Einmal gegen die nationalsozialistische und britische Besatzung, und dann gegen die mit CIA-Hilfe betriebene Folterdiktatur der Obristen (1967-74).

Das Ergebnis der Wahlen von 2012 indes muss für Leconte ein Schock gewesen sein: Ein Linksbündnis errang einen Wahlkampfsieg, der für Griechenland eine politische Sensation ist: Der Auftrag zur Regierungsbildung geht an den Chef des linken Syriza-Bündnisses, Alexis Tsipras, der den neoliberalen Sparkurs der Vorgängerregierung strikt ablehnt. Antikommunistische Emotionen kochen hoch: Tsipras, Fraktionschef des “linksradikalen Bündnisses Syriza” war “schon als Schüler (…) in der kommunistischen Jugend organisiert”, so Spiegel-Online warnend.

Die Zwei-Parteien-Herrschaft scheint gebrochen, eine Koalitionsregierung scheint unmöglich: Selbst Schwarz-Rot fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Neuwahlen sind im Gespräch, die „Märkte“ sind verunsichert. Die Frage, ob sich die weitgehend verarmten Griechen das rücksichtslose Eintreiben der Schulden weiter bieten lassen, steht unmittelbar im Raum. Die Mainstream-Medien besonders in Deutschland, aber auch in Frankreich taten das ihre dazu, den gnadenlosen Sparkurs durchzusetzen. Und auch Daniel Leconte leistet mit seiner Reportage einen zweifelhaften Beitrag.

Immer wieder wirft er den Griechen vor, über ihre Verhältnisse gelebt zu haben – Schulden, Schlendrian und Korruption sind die üblichen Stichworte. Von dem französischem Schlendrian, der Mogelei und Korruption bei der EU-Behörde Eurostat weiß Leconte anscheinend nichts: Dort hätten die Statistik- und Bilanzfälschungen der griechischen Regierungen, die nun dem Euroraum um die Ohren fliegen, verhindert werden müssen.

Doch dass nicht nur die griechische „Staatsschuldenkrise“ zum größten Teil durch die Spekulation der Banken verursacht wurde, hätte Leconte mit etwas weniger Liebdienerei bei selbigen Finanzmächten recherchieren können. Die US-Banken Citigroup und Goldmann Sachs wurden seit der Weltwirtschaftskrise 1928 schon viermal staatlich – also von den Steuerzahlern – gerettet.

Griechenland leidet zudem unter den schlechten Ratings der drei großen Bewerter-Agenturen (Standard&Poors, Moodys und der bis vor kurzem französischen Fitch), aber diese bewerten keineswegs objektiv: Banken-Ratings verbessern sich bei staatlichen Subventionen (sog. Rettungsschirmen), Staaten-Ratings verschlechtern sich bei staatlichen Krediten von außen. [1] Doch das ist nicht Thema bei Leconte, ebensowenig wie der griechische Kampf um Demokratie. Die Reportage ist nicht viel mehr als die Begleitmusik für die finanzpolitische Drangsalierung eines Landes, das wahrlich besseres verdient hat. Ein Land, dessen neuere Geschichte zwischen Ost und West erstaunliche Wendungen nahm, soll hier skizziert werden.

Griechenland – jeher Spielball der Großmächte

Ab 1944 eroberten britische Truppen Griechenland. Ihr Gegner war jedoch nicht die deutsche Wehrmacht, sondern die kommunistische EAM, die sich einen zähen Guerillakrieg mit Hitlers Truppen geliefert und die Hauptlast des Guerillakampfes gegen das Besatzungsregime der deutschen Wehrmacht getragen hatte. Grund für die spärliche Unterstützung der EAM durch die Sowjetunion war ein Pakt, den Stalin und Churchill in Moskau Oktober 1944 geschlossen hatten: Die Aufteilung der russisch-britischen Interessensphären auf dem Balkan, wo die Briten Griechenland beanspruchten.

US-Präsident Franklin D. Roosevelt war dagegen über das britische Vorgehen beunruhigt, sein Tod am 12. April 1945 machte jedoch den Weg für Harry S. Truman frei. Roosevelts Nachfolger beendete die abwartende US-Politik gegenüber Griechenland: Im griechischen Bürgerkrieg unterstützten die Vereinigten Staaten nun die Royalisten im Kampf gegen die Linke.

Relevant in diesem Kontext ist die am 12. März 1947 von Truman vor dem US-Kongress verkündete, so genannte „Truman-Doktrin“, nach welcher die USA „allen Völkern, deren Freiheit von militanten Minderheiten oder durch einen äußeren Druck bedroht ist“ Beistand gewähren sollten. Dies war eine Weiterentwicklung von Roosevelts “Atlantik Charta” vom 6. Januar 1941, die auf eine Vision der Vier Freiheiten setzte: Freiheit von Rede, Religion sowie von Not und Furcht.

Aus den hehren Idealen wurde jedoch ein Freibrief zur kriegerischen Einmischung in andere Länder, insbesondere um sozialistische Kräfte zu bekämpfen, oft um dort Diktaturen zu installieren – wie auch in Griechenland. Im Februar 1947 verkündeten die Briten ihren Rückzug aus dem griechischen Bürgerkrieg, einen Monat später ließ sich Truman vom US-Kongress 400 Millionen Dollar bewilligen, von denen 300 Millionen nach Griechenland gingen.

So strömten Dollars, Nachschub und Waffen zu den reaktionären Kräften auf dem Peloponnes; die USA verlangten von der Regierung in Athen, die Armee aufzurüsten, das Streikrecht aufzuheben, Beamte zu entlassen (sofern des Kommunismus verdächtig) und kommunistische Zeitungen zu verbieten. [2] Von den Vier Freiheiten blieb nur noch die “Freiheit” von kommunistischen Alternativen in der Politik. Truman lieferte Sturzkampfbomber nebst Napalm, um die “kommunistische Infiltration” zu stoppen.

So ging der Zweite Weltkrieg für die Hellenen nahtlos über in eine weitere Tragödie: Den Griechischen Bürgerkrieg zwischen den meist kommunistischen Partisanen der EDES/ELAS und der griechischen Rechten bzw. Monarchisten. In Teilen Griechenlands entwickelte sich unter Duldung der republikanisch-gemäßigten Kräfte ein sogenannter weißer Terror der griechischen Rechten gegen die meist kommunistischen Mitglieder der EAM und ELAS. Diese griffen erneut zu den Waffen, wobei ihr Hauptunterstützer Jugoslawien war – Stalin beschränkte sich darauf, durch sein Veto eine UN-Intervention zu blockieren. Die Royalisten wurden vor allem von Großbritannien und den USA unterstützt.

Im von der Regierungsseite mit äußerster Brutalität – auch gegenüber der Zivilbevölkerung – geführten Bürgerkrieg wurden die kommunistischen Verbände schließlich nach Nordwesten abgedrängt. Zuvor retteten sie aus den umkämpften Gebieten zahlreiche Kinder, wovon die DDR etwa 1300 aufnahm.

Das Ende der Unterstützung durch Jugoslawien im Jahr 1949 besiegelte schließlich auch das Ende des Widerstands. Griechenland wurde in die atlantische Politik- und Wirtschaftsstruktur integriert, das Land erhielt massiv Gelder aus dem ERP (European Recovery Program), das besser als „Marshall-Plan“ bekannt ist. Pro Kopf erhielt Griechenland die vierthöchsten ERP-Zuwendungen und trat 1952 der NATO bei. Mit Hilfe des Marshallplans und der hohen Einnahmen von ausländischen Touristen kam es ab den 50er Jahren zu einer langsamen Erholung der Wirtschaft des Landes. Doch im Sinne eines strikten Antikommunismus blieben noch bis in die 1960er-Jahre viele Bürgerrechte und Freiheiten eingeschränkt.

Am 21. April 1967 ergriff eine Gruppe rechtsextremer Offiziere unter Georgios Papadopoulos im sogenannten Obristenputsch die Macht und errichtete eine Militärdiktatur. Man hatte den Wahlsieg der sozialistischen Eniea Dimokratiki Aristera (griechisch Ενιαία Δημοκρατική Αριστερά ΕΔΑ, Vereinigung der Demokratischen Linken EDA) erwartet, in der sich auch zahlreiche Mitglieder der illegalen KKE engagiert hatten. Heute sieht sich die KKE weiterhin als marxistisch-leninistische Partei, während in der Nachfolge des Eurokommunismus das SY.RIZ.A-Bündnis linker Kleinparteien im Parlament bis zum 6. Mai 2012 ein Schattendasein fristeten. Der Schreck über ihren aktuellen Erdrutschsieg dürfte nun neben den etablierten “Sozialisten” und Rechten auch die KKE erfasst haben.

Nach Massenverhaftungen wurden 1967 zahlreiche linke Oppositionelle gefoltert, ermordet oder ins Exil getrieben. Eine entscheidende Schwächung erfuhr die vom CIA gestützte Junta erst am 17. November 1973 durch den Aufstand der Studenten im Athener Polytechnikum, der unter Einsatz von Panzern brutal niedergeschlagen wurde, das Regime aber nachhaltig diskreditierte. Kurz darauf, im Jahr 1974 konnte die US-orientierte Militärdiktatur niedergeworfen werden und die Griechen kamen ihren Vier Freiheiten wieder näher. Doch der westliche Kapitalismus hatte sich bereits fest etabliert.

Die griechische Geldelite wurde von Händlern dominiert, die gute Kontakte in das gesamte Ostmittelmeer pflegten. Diese griechische Handelsbourgeoisie profitierte vom Ölboom in Nahost, da die ersten Öltankerflotten griechisch waren – der Reeder und Milliardär Aristoteles Onassis besiegelte die US-Verbundenheit bekanntlich durch seine Ehe mit der Kennedy-Witwe Jackie.

Aus Angst vor der Linken im Land trug die hellenische Bourgeoisie den von den USA unterstützten Obristenputsch mit. Den USA ging es dabei auch darum, im Mittelmeer ein US-Gegengewicht zur Europäischen Gemeinschaft zu etablieren. [3] Wirtschaftlich von IWF und EU gegängelt, bleibt Griechenland “ökonomisch, politisch und wirtschaftlich ein Spielball der Großmächte”. [4]

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o. A. Spiegel-OL, 08.05.2012, Regierungsbildung in Griechenland Radikaler Spargegner Tsipras bekommt seine Chance, http://www.spiegel.de/politik/ausland/regierung-in-griechenland-radikaler-linker-tsipras-soll-sondieren-a-831893.html
[1] Rügemer, Werner: “Rating-Agenturen: Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, Bielefeld 2012, S. 82.
[2] Zentner, Christian: Die Kriege der Nachkriegszeit, München 1969, S. 32.
[3] van der Pijl, Kees: Global Rivalries – From the Cold War to Iraq, London 2006, S. 141.
van der Pijl, Kees: The Making of an Atlantic Ruling Class, London 1984, Epilog: From Trilateralism to Unilateralism.  http://www.theglobalsite.ac.uk/atlanticrulingclass/Epilogue.pdf
[4] Noack, David X.: Griechenland im Spiegel von Großmachtinteressen und Globaler Politischer Ökonomie, 26.03.2012,
http://theheartlandblog.wordpress.com/2012/03/26/geopolitischer-brennpunkt/#more-261

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