Schock-Strategie

Ungarn unter Orban: rechtspopulistisches Modell für Europa?

Von Gerd R. Rueger

Ungarn nahm als neoliberaler Vorzeige-Staat Osteuropas die heutige Krisen-Technokratie in Griechenland, Italien und Spanien vorweg. Nach deren Versagen kippte Budapest in Rechtspopulismus und Neofaschismus ab. Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme?

Ungarns postkommunistische Sozialisten verkörpern vieles, wofür New Labour letztlich steht: Die hemmungslose Bereicherung einer Machtelite, die Sozialabbau und Lohndumping mit hoher PR-Kompetenz als “Notwendigkeit im scharfen Wind des internationalen Wettbewerbs” verkauft. Der Clou dabei: Weil die verantwortlichen Akteure angeblich Sozialdemokraten oder Sozialisten sind, kann man den Zorn über die Sparprogramme auf den Sozialstaat lenken. Am Ende bleibt der Rückgriff auf überkommenen Nationalismus, Hetze gegen Minderheiten – in Ungarn vor allem die Roma – und der Ruf nach einer starken, wenn nicht autokratischen Führungspersönlichkeit.

Es wäre ein Horrorszenario für Europa, wenn es Viktor Orban langfristig gelänge, in Budapest eine Mediendiktatur zu installieren – nach Vorbild Berlusconis, nur schlimmer. Sie zeichnet sich bereits ab, mit einem an griechische Verhältnisse erinnernden Elend, und zudem ohne große Scheu vor Anleihen bei neofaschistischen Bewegungen. Vorbereitet wurde sie auch durch militante Rechtsextreme, Skinheads und die schwarz uniformierte “Ungarische Garde” im Stil von Ferenc Szálasis Pfeilkreuzlern. In Straßenschlachten mit der Polizei übte sich das neoliberale Gegenmodell zum Sozialstaat für den individualisierten, eigenverantwortlich geführten Krieg des Homo Ökonomikus. In griechischen Fußballstadien scheint aktuell eine ähnliche Entwicklung angebahnt zu werden. Das Mutterland der Demokratie und das Vorzeigeland der Öffnung des Moskau-treuen Sozialismus scheinen zu Modellversuchen neoliberalen “Nationbuildings” zu werden.

Ungarn: Die magyarische Agenda 2010

Bei Ende des Kalten Krieges hatten sich die ungarischen Kommunisten dem Westen besonders zugetan gezeigt und durch Grenzöffnung DDR-Bürgern den Weg in die BRD geebnet. Nach dem Umbruch in Osteuropa setzte Ungarn diese offene Politik nur in wirtschaftlicher Richtung fort: Die “sozialistischen” Nachfolgeparteien der alten Nomenklatura öffneten Ungarn den westlichen Konzernen und Finanzmärkten. Budapest fuhr einen neoliberalen Kurs, was eine immer ungeniertere korrupte Bereicherung der Machteliten, zunächst also des wendigeren Teils der alten Nomenklatura, bedeutete. Man verschleuderte das Staatsvermögen des Sozialismus an ausländische Geldeliten und ließ sich dafür gut bezahlen. Privatisierung und Korruption wurden wahlweise als bejubelte Innovation oder unvermeidbare Folgen der Globalisierung verkauft (Guerre 2009).

Angebliche “Sozialisten” der MSZP folgten dem neoliberalen New Labour-Kurs von Tony Blair und zeigten sich offen für Koalitionen mit Konservativen und Liberalen. Die MSZE setzte ein neoliberales “Reformprogramm” durch, eine “magyarische Agenda 2010”. Ungarn wurde ein Musterland für die Invasion der “Heuschrecken” auf dem Balkan, ähnlich wie Estland im Baltikum (beide wurden in der Finanzkrise ab 2008 entsprechend drastisch ausgeplündert).

Die Zeche der “postkommunistischen” Variante des Neoliberalismus zahlt bis heute die ungarische Bevölkerung mit Lohnverfall, Entrechtung und Sozialmisere. Dabei half es wenig, dass sie seit 1990 bei fast jeder Wahl die Regierung wechselte und mehr und mehr am rechten Rand nach ihrem Heil suchte. 1998 kam der Rechtspopulist Victor Orban mit seiner Fidesz-Partei erstmals an die Macht, wurde aber 2002 wieder abgewählt. Sein MSZE-naher parteiloser Nachfolger Peter Medgyessy zog als “Williger” mit Bush in den Irak-Krieg, man munkelte, die berüchtigten CIA-Folterflüge wurden auch über Ungarn abgewickelt.  Der farblose Medgyessy wurde 2004 nach einer verheerenden Niederlage bei den EU-Wahlen (die Rechtsparteien Fidesz und Jobbik erzielten zusammen über 70%) durch den ehemaligen Jugend- und Sport-Minister Ferenc Gyurcsany ersetzt.

Es sagt viel, dass Gyurcsany in der MSZE als Parteilinker gehandelt wurde, obwohl er als bekennender Anhänger des New-Labour von Tony Blair galt. Der ehemalige Funktionär der kommunistischen Jugend, der es in der Budapester New-Economy- und Privatisierungswelle zum Multimillionär gebracht hatte, verkörperte anschaulich, wofür New Labour letztlich steht.

Seine dynamische PR-Arbeit für die neoliberale Umverteilungspolitik zugunsten der Geldelite wurde von einem Nachgeben in der Irak-Frage flankiert: Er befahl den Rückzug der ohnehin eher symbolisch wirksamen 300 Soldaten Ungarns bis zum 22.12.2004. Gyurcsany war zu verdanken, dass die MSZE-geführte rotgelbe Koalition 2006 sogar eine Wiederwahl schaffte. Die Ungarn waren noch nicht reif für den Marsch nach Rechts, ein Wahlbündnis der extremistischen Jobbik mit der antisemitischen MIEP scheiterte mit nur 2,2%.

Fidesz und die Auslands-Ungarn

Aber Orbans Fidesz-Bewegung konnte sich gegenüber der MSZE in der Irak-Frage als nationale Kraft profilieren, was ihr 2004 im gescheiterten Referendum zur doppelten Staatsbürgerschaft nicht ganz gelungen war: Übergriffe gegen die ungarische Minderheit in der serbischen Vojvodina waren Anlass zur Forderung einer Einbürgerung der Auslandsungarn (400.000 in Serbien) gewesen. Diese Bestrebungen von Fidesz, rechtsextremistischen Gruppen und des volkstümelnden “Weltbundes der Ungarn” stießen im Ausland – vor allem in der Slowakei, wo 500.000 Ungarn immerhin ca. 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen – auf Argwohn.

Als Orban später, – im Mai 2010 kaum an die Macht gekommen -, die Auslands-Staatsbürgerschaft (auf Nachweis ungarischer Vorfahren und ungarische Sprachkenntnis) hastig durchsetzte, reagierte die Slowakei noch am selben Tag mit einem Gesetz, das Bürgern bei Annahme einer zweiten Staatsbürgerschaft automatisch die slowakische entzieht. Die Erklärung des 4.Juni zum slowakischen “Tag der nationalen Einheit” steht ebenfalls in diesem Zusammenhang: Der Friedensvertrag von Trianon (Frankreich) reduzierte Ungarn als Mit-Verlierer des Ersten Weltkriegs am 4.Juni 1920 auf ein Drittel seines damaligen Territoriums und gilt ungarischen Nationalisten als Tag der Schande. Die rotgelbe Regierung von Gyurcsany hatte zwar ebenfalls versucht, die nationalistische Karte zu spielen – seine Außenministerin intervenierte 2008 in der Slowakei gegen angebliche Diskriminierungen der ungarischen Minderheit – doch die Ungarn wählten 2010 lieber das rechtspopulistische Original als das sozialliberal-nationalistische Abziehbild.

Gyurcsany und Tony Blair

Eine Wiederwahl gelang der rotgelben Koalition zunächst noch 2004, obwohl Gyurcsany den neoliberalen Kurs ungeniert fortgesetzt und nach einem Staatsbesuch von Tony Blair den Budapester Flughafen an eine britische Firma verkauft hatte, inklusive Konzessionen für 75 Jahre. Im Vergleich zu den Machenschaften der deutschen Treuhand beim Ausverkauf des erheblich umfangreicheren DDR-Volksvermögens (vgl. Rueger 2010, S.31 ff.) handelte es sich bei Gyurcsanys Privatisierungen freilich eher um Kleinkriminalität.

Als seine berühmt gewordene “Lügen-Rede” – mit der er sich vor Partei-Funktionären brüstete – 2006 im O-Ton an die Öffentlichkeit geriet, war das nun doch zuviel des New Labour-Zynismus. Wohlgemerkt gab er in diesem Dokument zu, dass die neoliberale Blair-Ökonomie total versagt hatte.

Die darauf folgenden Unruhen in Budapest brachten Orbans Fidesz wieder in die Offensive – und stärkten seine Nähe zu militanten Neofaschisten, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Sein Freund Blair bekam bekanntlich ebenfalls das Prädikat “Bliar” (wegen “liar”, also Lügner), allerdings hauptsächlich wegen seiner Lügen bei der Irak-Krieg-Legitimation, basierend auf angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins.

Die EU kannte jedoch keine Gnade mit ihrem “Sozialisten” in Budapest: Eurostat, das mächtige, französisch dominierte Statistikamt, beschloss im März 2006, dass Rüstungsausgaben künftig in der Zeit der Anschaffung und nicht mehr gestreckt über den Abzahlungszeitraum verbucht werden müssen. Scheinbar nur eine leicht Korrektur der Buchungsregeln, stürzte dies Ungarns Ökonomie ins Chaos: Das ohnehin hohe Haushaltsdefizit erhöhte sich per Federstrich um die Kosten für den neuen Abfangjäger “Gripen”, was das angestrebte Erreichen des Maastricht-Kriteriums von 3% des BIP unmöglich machte –und damit die Euro-Einführung.

Doch Gyurcsany leitete ein drakonisches Sparprogramm ein: Zurückfahren der Staatsausgaben sowie Anhebung der Preise und Steuern. Konjunktur und Wachstum wurden – ähnlich wie bei den derzeitigen Sparprogrammen der Troika – abgewürgt. Die Realeinkommen der Ungarn sanken 2007 um 6%, aber das Land durfte dem Schengen-Raum beitreten und die Grenzen nach Westen öffnen. Angesichts der hohen Inflation des Forint verschuldeten sich viele Ungarn in Devisen, spekulierten also gegen ihre eigene Währung. Damit erfüllten sie ein “kollektives monetäres Ideal des neoliberalen Kapitalismus”, einen spekulativen Geldstil anzunehmen.[1]

Der Forint ging erwartungsgemäß auf Talfahrt und am 9.10.2008 konnte Gyurcsany keine neuen Staatsanleihen mehr platzieren – ein Vorgeschmack auf die heutige Situation der Griechen. IWF und EZB sprangen mit 20 Milliarden Euro ein, kontrollierten das ungarische Budget von 2009 aber derart, dass die Konjunktur weiter abgewürgt wurde – und mit ihr die Träume vieler Ungarn, jemals ihre privaten Devisenkredite zurückzahlen zu können.

“Golem Gyurcsany”, Studiengebühren und ein Experten-Kabinett

Den Todesstoß gab der MSZE also ihr stures Festhalten an der New-Labour Agenda: 2008 wollte Gyurcsanys rotgelbe Koalition Studien-, Krankenhaus- und Praxisgebühren durchsetzen, um weitere Milliarden vom ungarischen Volk in die Kassen der Konzerne umzuverteilen. Doch der rechtspopulistische Orban initiierte ein Referendum dagegen, und diesmal gewann Fidesz, worauf Gyurcsany seine liberale Gesundheitsministerin als Sündenbock entließ: Die Koalition platzte und der Fidesz-Wahlsieg von 2010 war vorprogrammiert. Dafür scheute Orban nicht vor tiefbraunen Bündnispartnern zurück, die schon mal eine Puppe des verhassten “Golem Gyurcsany” mit jüdischer Kippa durch Budapest trugen.

Letzte bedeutsame Amtshandlung von Gyurcsany war die Unterzeichnung des South-Stream-Vertrags mit Wladimir Putin am 10.3.2009 in Moskau: Das 2008 vereinbarte ungarische Teilstück lief nun als Joint Venture der ungarischen Entwicklungsbank mit Gazprom. Einen guten Monat später wurde Gyurcsany durch ein rotgelbes Misstrauensvotum gestürzt und durch den parteilosen Wirtschaftsminister Bajnai ersetzt. Sein Kabinett sollte aus MSZP-Leuten und parteilosen “Experten” bestehen – ein weiterer Vorgeschmack auf die heutige Krisen-Expertokratie in Griechenland, Italien und Spanien.

Orban und die Rechtsextremisten: MIEP und Jobbik

Der Rechtspopulist Orban profilierte sich gegenüber der MSZE als angebliches Bollwerk gegen den “wilden Kapitalismus” und überschlug sich mit sozialen Versprechungen, etwa einer 14. Monatsrente. Er spielte aber auch die nationale und die rassistische Karte gegen eine prekarisierte Roma-Minderheit und mit der erwähnten Einführung einer Auslands-Ungarn-Staatsbürgerschaft, die vor allem in der Slowakei Besorgnis auslöste. Seine Fidesz schluckte neben den Christdemokraten auch die rechtsextreme MIEP, die Orbans erste Regierung schon 1998-2002 im Parlament toleriert hatte.

Rechtsextremer Ableger des Fidesz wurde die 2004 von Studenten gegründete Jobbik-Bewegung, die sich auch aus der MIEP speiste. Nach den Budapester Unruhen 2006 gründete Jobbik 2007 die militante “Ungarische Garde”, die 2009 verboten wurde. Jobbik-Chef Vona legte trotz Verbots (auch gerade des Tragens der schwarzen Uniform wegens) am 14.5.2010 seinen Eid vor dem Parlament in der Uniformweste der Ungarischen Garde ab, die der Tracht der Pfeilkreuzler-Faschisten des mit Hitler verbündeten Horthy-Regimes nachempfunden ist. In dieser schwarzen Uniform marschierten die Neofaschisten bis zum Verbot auch durch Roma-Dörfer, um die ins Abseits gedrängte Minderheit zu terrorisieren und zu verhöhnen.

Die von Finanzkrise und Sparmaßnahmen gebeutelten Ungarn ließen sich gegen die Minderheit aufhetzen und wählten 2010 überwiegend rechtsextrem oder rechtspopulistisch: Fidesz kam auf 53%, Jobbik auf 17%, abgeschlagen die MSZP mit 19% und eine neue Grünenpartei mit 7,5%. Orban hatte das Kunststück fertiggebracht, zugleich durch das Aufsaugen der MIEP rechtsextreme Stimmen gefangen und Rassismus gesellschaftsfähig gemacht, aber durch Abspaltung der im traditionellen Look des Horthy-Faschismus auftretende Jobbik eine Gruppierung noch weiter rechts geschaffen zu haben. Gegenüber Jobbik konnte Orban jedoch mit dem Eintreten für ein Verbot der Holocaust-Leugnung als gemäßigter Rechter dastehen. Das noch von der MSZP erlassene Verbot der Holocaust-Leugnung wurde von der Fidesz freilich auf kommunistische Verbrechen ausgedehnt.

Auch wirtschaftspolitisch wetterte Orban über die verlogenen Sozialisten, deren Bilanzmanipulation schlimmer gewesen seien als die der Griechen; man sei praktisch pleite. Der Fidesz-Chef trieb damit jedoch den Forint soweit in den Keller, dass er diese Aussagen korrigieren und sich zu den Budgetzielen der Vorgänger-Regierung bekennen musste.

Orbans Budapester Mediendiktatur

Seither zimmert Orban an einem dauerhaft installierten Fidesz-Regime und drückte dafür sogar eine neue Verfassung durch, der von manchen auch als “Verfassungsputsch” (Feher 2012) bezeichnet wird. Der Fidesz schiebt seine Leute auf alle erreichbaren Posten in Staat und Wirtschaft, verbiegt Verfassung und politisches System zu seinen Gunsten. Seine Änderungen von Wahlrecht und -bezirken sind so gravierend, dass sie, wären sie schon 2010 in Kraft gewesen, seinen 53%-Wahlsieg mit 75% der Parlamentsmandate belohnt hätten (statt mit 67%).

Seine berüchtigten Mediengesetze führten zu einen Sturm der Entrüstung über die Landesgrenzen hinaus, gegenüber der EU verwies er auf den Medienmogul Berlusconi in Italien, der es doch fast genauso schlimm triebe. Das staatliche MTV ist in Orbans Hand, dafür pflegt er die Mär von einer “linken Dominanz” in der Presselandschaft. Aber ein plutokratisch installierter “Medienrat” aus Fidesz-Getreuen hat die absolute Macht über Ungarns Medien: Er darf prüfen ob die Berichterstattung “korrekt” ist; wenn nicht, können hohe Geldstrafen verhängt werden. Es half nur wenig, dass Ungarns Verfassungsgericht ein paar Paragraphen kassierte.

Zahlreiche Zensur- und Medienskandale erschütterten das Land, Journalisten protestieren mit Hungerstreiks vor den Sendern. Betriebsräte und Gewerkschafter werden geschasst, –was mit Orbans neuen Arbeitsgesetzen kein Problem darstellt. Die öffentlichen Rundfunkanstalten MTV (Magyar Televizio) belohnen ideologische Verzerrung und plumpe Propaganda: Jungkarrierist Daniel Papp wurde zum Boss der MTV-Nachrichtenabteilung, nachdem er EU-Politiker und Orban-Kritiker Cohn-Bendit durch Schneidetechnik zum Affen machte. Papp hatte aus einer Interview-Aufzeichnung nach einer letzten persönlichen Frage an den grünen Alt-68er dessen wie üblich frech-frische Replik rausgeschnitten, so dass es aussah, als wäre Cohn-Bendit statt zu antworten wie ein begossener Pudel aus dem Studio getappelt.

Papp musste jedoch seinen Chefsessel erst einmal wieder räumen, als herauskam, dass seine Nachrichtenredaktion den Orban-Kritiker Lomnici aus einem TV-Bericht digital entfernt hatte. Lomnici ist Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofs Ungarns. Anfang dieses Jahres protestierten in Budapest über 10.000 Menschen für den letzten kritischen Sender, das private Klub Radio: Orban hatte dessen Lizenz anderweitig vergeben (vgl. Mihai 2012). Im Vergleich zum Zeter-und-Mordio-Geschrei bei ähnlichen Maßnahmen durch den Sozialisten Chavez nahmen deutsche Journalisten diese bei Rechtspopulisten eher milde auf (vgl. Rueger 2012).

Scheindemokratie und Mediendiktatur

Und was darf in Ungarns Medien nicht kritisiert werden? Da gibt es einiges, z.B. eine Mehrwertsteuer-Explosion auf 25%, oder sozialen Kürzungen, die sich in einem Arbeitslosengeld für nur 90 Tage, das wie die Sozialhilfe von den Behörden zur Disziplinierung absenkbar ist – ein ungarisches Hartz IV – ausdrücken.

Mit dem zuvor aus populistischen Motiven abgelehnten IWF hat Orban inzwischen seinen Frieden gemacht. Und ein Geldregen für die Reichen gehört auch zum Programm: Die Einkommenssteuern liegen bei einheitlich 17% bis hinauf zu einem Jahreseinkommen von 54.000 Euro – im Schnitt muss der Ungar mit unter 10.000 Euro auskommen. Die vom Trio Blair-Schröder-Gyurcsany in Europa durchgedrückte “Agenda der sozialen Kürzungen” wird unter Rechtspopulisten verschärft, doch der Zorn der Menschen darüber wird auf den “Sozialismus” sowie neorassistisch auf Minderheiten gelenkt. Am Ende könnte eine Rückkehr zu klassisch faschistischen Bewegungen stehen, wie sie sich im Jobbik schon recht offen zeigen, zumindest aber eine Verfestigung rechtspopulistischer Scheindemokratien beziehungsweise Mediendiktaturen.

[1] In Deutschland wurde dieser Geldstil mit der Börsenwelle im Rahmen der Privatisierung der Bundespost schon früher aktuell: Die Telekom-Aktie entwickelte sich zu “einer sozialen Epidemie, die immer mehr private Anleger erfasste” (Haubl 2011 vgl. Rueger 2010).

Quellen:

Feher, Daniel, Viktor Orbans Politik der Entrechtung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr.1, 2012, S.21-24

Guerre, Dreger van, Privatisierung und Korruption, Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Nr.80, Dez.2009, S.200-204

Haubl, Rolf, Kollektive monetäre Ideale im Umbruch, in: Koppetsch, Cornelia (Hg.), Nachrichten aus den Innenwelten des Kapitalismus, Wiesbaden 2011, S.155-170, S.159f.

Mihai, Silvio, Hungerstreik gegen Zensur: Neues Mediengesetz in Ungarn knebelt journalistische Unabhängigkeit, in: Menschen Machen Medien, Nr.1/2012, S.42-43

Rueger, Gerd R., Cholera und Kommunikation: Powerstructureanalyse des Politikfeldes der Deregulierung der Telekommunikation, Saarbrücken 2010

Rueger, Gerd R., Die Zerstörung von Wikileaks, Hamburg 2011

Zum Thema:

– Die neoliberale Reconquista

– Die Niemandsregierung

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22 Kommentare zu "Schock-Strategie"

  1. Frontinus sagt:

    Der Artikel ist sehr informativ. Nur eine Korrektur: Der Reichsverweser Admiral Miklós Horthy hat mit den Pfeilkreuzlern nichts zu tun. Der Begründer war Ferenc Szálasi. Sie kamen erst im Oktober 1944 mit deutscher Unterstützung an die Macht. Horthy scheiterte mit dem Versuch, einen Separatfrieden mit den Alliierten zu schließen und wurde von den Deutschen gefangengesetzt.

  2. Jochen sagt:

    Lange nicht solchen Stuss gelesen.
    Ich hoffe sehr, daß es bald mehrere solcher Orbans gibt, die Merkel, Schäuble, Sakozzi und andere von deren Gesinnung die Stirn bieten.
    Am besten sie benennen die Seite um in Mainstreamnachrichten o.ä..

  3. Kaisertreuer sagt:

    Hoffentlich kommt Orban zu uns, aber Jobbik würd ich mir eher als Regierungspartei wünschen, ich bin halt Nationalrevolutionär und nicht ein kapitalistischer Konservativer ohne revolutionäre Gedanken.

    Ach der Artikel, dummes linkslinkes Gelaver, wir brauchen auch solche Bewegungen, wie wärs mit nem neuem Stahlhelm? Wenn wir genug sind könnten wir nen Putsch wagen, wie 1920, der Kapp-Aufstand der Helden. Dann gilts das Reich befreien, dem Deutschen Volk eine Verfassung geben, den Kapitalismus und die alliierte Geschichtsschreibung überwinden und unter Kaisers Zepter eine neue Volksgemeinschaft aufzubauen!

    • Theodosio sagt:

      NAtional? Also vom VS bezahlt, na toll!
      Aus Wikileaks-Daten zu Ungarn kann man übrigens folgern, dass Orban ein CIA-Mann sein könnte (lässt aber nicht wirklich beweisen) -by the way gut ist, dass Orban in diesem Sinne Kapitalinteressen z.B. der Deutschen Bank auf die viel zu großen Füße tritt (CIA-like natürlich für US-Kapitalinteressen, wie man surely annehmen muss).

    • Neuro sagt:

      der Kapp-Putsch?
      füll doch lieber einen Stahlhelm mit kaltem Wasser
      und setze ihn dir auf den Kopf -vielleicht hilft das.

  4. “Ist das eine wahrscheinliche oder gar eine strategisch erwünschte Entwicklung für die neuen neoliberalen Krisenprogramme?”
    Diese Frage ist nicht von der Hand zu weisen und ist aus meiner Sicht leider nicht spontan überzeugt mit NEIN zu beantworten.
    Gewisse Dynamiken von konzertierten Propagandaübungen und -kampagnien begleiteter Klassenformierungen und Klassenressentimentzüchtung konstellieren sich in beunruhigend vergleichbarer Weise mit politischen Verwirrspielen, die dann, wie auch schon beobachtet, in Diskriminierungen, Verfolgungen, Deportationen, Genozide und Kriege ausmündeten, wonach es es dann wieder eine Reihe inszenierter “Wirtschaftswunder” leicht machte, den eingeschüchterten und erschöpften Völkermassen eine neue Finanz-, Fiskal- und Wirtschaftsordnung schmackhaft zu machen. Orban als Jemand zu sehen, der wirkliche Macht innehat und eigenmächtig ausübt, scheint zwar plausibel aber er könnte ebensogut eine Figur in einem Spiel sein, worauf er keinen Einfluss hat.

  5. Pistepirkko sagt:

    Sorry! Aber so langsam kotzt mich diese Diskussion auf Grundlage einer wirtschaftlichen Thematik an!

    Fangen wir doch endlich einmal an zu verstehen das soziale System drauf beruhen das man an sie glaubt.
    Solange wir Wirtschaft wie eine Ersatzreligion betrachten die nur liberal läuft, solange hält das an.
    Und mein Prof. sagte immer: “BWL und VWL sind eigentlich soziale Wissenschaften”

    Fangen wir doch mal wieder mit dem Glauben an, dass aller Mehrwert die Summe UNSERES Handelns ist.
    Das Mehrwert von UNSEREN Händen und Köpfen gemacht wird und WIR daher am Mehrwert 100% beteiligt werden müssen. Der Kapitalgeber hat nur Geld gegeben, aber keine Hand eingesetzt. WIR haben unsere Hände und unsere Köpfe benutzt und UNS die Dinge und Leistungen erschaffen! Dafür UNSERE Zeit geopfert!
    Daher gehört UNS, der MEHRHEIT, auch der, sagen wir es wirtschaftlich, FRUCHTGENUSS!!!

    Fangen wir doch wieder an zu glauben das Wirtschaft nur deswegen erfunden wurde, damit ALLE MENSCHEN ein besseres Leben haben.

    ALLE müssen Zugang zu allem bekommen, wie es einmal war.
    Wir fingen nur deshalb mit der Wirtschaft an, damit alle von Landwirtschaft, Fischerei, Viehzucht und Handwerk profitierten. Daher wuchsen die ersten Städte der Steinzeit. Weil Menschen Zugang bekamen zu Reichtum und in diesen aufgenommen wurden und was dazu beitragen konnten.

    Heute werden Leute von den Grundlagen der Existenz ausgeschlossen anstatt diese daran patizipieren zu lassen.
    Und ja!!!! Auch den Lebensentwurf der Sozialhilfekarriere muss eine Gesellschaft die reich ist ertragen können. Schon gar wenn wir diese Leute nicht mehr, z.B. mit Bandarbeit in der Fabrik, beschäftigen können.
    Denn auch diese Realität haben WIR geschaffen mit “Geiz ist geil”, indem man UNS daran glauben lies.

    Wo sind die philosophischen Ansätze wie wir leben wollen?
    Wir reden nur über Wirtschaft und wie wir dieser eine Chance geben können.
    Wo ist eine Diskussion darüber wie WIR leben wollen. Was WIR erleben wollen und vor allem wie.

    Wir müssen wieder Lebensmöglichkeiten schaffen und nicht nur wirtschaftliche Möglichkeiten. WIR Menschen müssen auch leben und nicht nur malochen damit eine andere reicher werden.

    Nur, damit WIR darüber nicht mehr nachdenken hat man aus Proletariat das Prekariat erschaffen und spielt es gegen die Mittelschicht aus.
    Denn diese Leute werden sich nicht mehr organisieren weil sie zu dumm gehalten wurden. Man hat das Bildungsniveau runtergeschraubt damit die nicht auf Ideen des 19ten und 20ten Jahrhunderts kommen und am Ende noch eine wirkliche Linke, SPD oder Grüne gründen und für UNS wirklich kämpfen.
    Ein Schelm wer an den alten Mann aus Trier denkt?

    Ein Mann in einer Kneipe sagte mir mal: “Warum sollte ich mir den Arsch aufreissen, damit ein anderer Arsch nur noch mehr in den Arsch geblasen bekommt?”

    Nur zur Klarstellung: Das sind nicht meine Worte.

    Wettbewerb ist schlecht, denn er erzeugt Verlierer. Besser wir fangen wieder an daran zu glauben das ein miteinander nur Gewinner erzeugt!
Wir müssen leben und nicht kämpfen! Fangt mal an nachzudenken wem es nutzt wenn IHR nicht zusammensteht sonder euch gegenseitig in einem Wettbewerb zerfleischt!!!!!!
    Wir sind alle eins und nur durch die Gemeinschaft kann man sich als Individuum erst selbst erkennen.
    Schon wieder fällt mir der Alte aus Trier ein.

    • delphingo sagt:

      Besten Dank für diesen schönen Kommentar.

      Hast Du immer schon so gedacht? Falls nicht, wäre es interessant, wie Du auf die Denke gekommen bist, die aus Deinem Kommentar spricht. Die Frage wäre dann, was Du tun kannst, damit die Wirtschafts- und die Wettbewerbsgläubigen sich ein Stück mehr auf Deine Denkweise einlassen könnten.

      Ich versuche, in persönlichen Gesprächen meine Sichtweise symphatisch, authentisch und sachlich zugleich darzulegen, ohne sie Anderen aufzudrängen. Was besseres ist mir bisher noch nicht eingefallen.

    • Neuro sagt:

      etwas langatmig, aber nicht ganz falsch…
      zumindest sympathisch, die utopische Mythologie über die Wirtschaft früher, wie sie einst war (oder wir es gern hätten das sie gewesen wäre)
      das marxistische Paradies

      • delphingo sagt:

        Was meinst Du mit utopische Mythologie? Etwa, dass wir anfangen sollen, daran “zu glauben das Wirtschaft nur deswegen erfunden wurde, damit ALLE MENSCHEN ein besseres Leben haben”?

        Ist wohl schon ein paar zehntausend Jahre her, dass es diese Erfindung gegeben hat. Hat aber meines Wissens nur so lange funktioniert, wie die Menschen in kleinen Stämmen zusammen gelebt haben. Was aber nicht heißt, dass man es nicht versuchen könnte, diese Form des Wirtschaftens wieder zu stärken, etwa im eigenen Dorf oder im eigenen Kiez.

  6. Neuro sagt:

    Beunruhigend an der Entwicklung in Ungarn finde ich vor allem
    wie wenig in deutschen Medien darüber berichtet wird.
    Über jeden Scheiß “informieren” sie uns dauernd, nur wirklich wichtige Entwicklungen werden beschwiegen.
    Statt dessen der x-te Bericht über Putins Opposition und deren Unterdrückung
    und das ewige verlogene Gelaber unserer Politikerkaste.

  7. Coligny sagt:

    Guter Hinweis auf Hartz IV-Zwangarbeit!
    In Griechenland wollen sie jetzt Migranten-KZs einrichten
    -da sieht man die Finanzmafia-Faschismus-Connection deutlich.

  8. frankjpowers sagt:

    Der Bohémien war mir mit Allende oben rechts in der Ecke lieber. Jetzt kreuzen hier ja schon die Neo-Nationalfaschisten auf… Stahlhelm und so…
    Schade drum.

    Der Artikel allerdings ist nicht schlecht. Bin gespannt, wie die Entwicklung in GR ubd ES weitergeht. Ungarn lässt nichts Gutes hoffen.

  9. Karina sagt:

    …und die Kaisertreuen ;))
    sind wahrscheinlich nur Scherzkekse

  10. Karina sagt:

    …Scherzkekse oder Kunden einer Agentur für geistige Gesundheit
    (früher Psychiatrie vulgo Klapse)

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