Aussenpolitik der Bundesregierung

Deutschland braucht eine Sicherheitsdoktrin

Ein Gastkommentar von Florian Sander

Die Enthaltung der deutschen Bundesregierung zur Frage einer humanitären Intervention in Libyen hat viel Kritik hervorgerufen. Insbesondere Außenminister Westerwelle wird vorgeworfen, er habe die Bundesrepublik international isoliert. Wie berechtigt sind diese Vorwürfe?

Deutschland steht nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Rahmen anderer Militäreinsätze in internationaler Verantwortung. Besonders am Hindukusch ist die Lage nicht die beste und die Aussichten nicht die rosigsten. Afghanistan hat gezeigt, dass die sogenannte Exit-Perspektive unerlässlich ist, wenn man sich in einen militärischen Einsatz begibt, sofern man sich nicht für Jahre oder gar Jahrzehnte in die Wirren eines gesellschaftlichen und politischen Chaos verstricken lassen will.

Libyen, das zwar Afghanistan nicht unbedingt ähnelt, aber zumindest durch seine stammesartige Zusammensetzung für den Westen ähnlich wenig durchschaubar ist, bietet ein politisch zu instabiles Pflaster, als dass es als Stätte militärischer Abenteuer geeignet wäre. Der britische Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik, Nicholas Wheeler, hat in seinem 2000 erschienenen Buch „Saving Strangers: Humanitarian Intervention in International Society“ gezeigt, wie die Angst vor der eigenen, inländischen Öffentlichkeit westliche Staaten insbesondere im Balkan-Konflikt daran hinderte, rechtzeitig einzugreifen, und gleichzeitig zur Folge hatte, dass man vor angemessenen Maßnahmen, die in der Lage sind, die Zivilbevölkerung des jeweiligen Landes zu schützen – sprich, der Einsatz von Bodentruppen – zurückschreckte. Das Ergebnis bestand, wie nun in Libyen, aus einer Politik der Luftschläge, die Infrastruktur zerstört, zu Kollateralschäden führt und die Bevölkerung am Boden unnötig gegen die westlichen Staaten aufbringt. Bedenkt man sicherheitspolitische Inkonsequenzen dieser Art, verbunden mit der Uneinigkeit der westlichen Staaten darüber, wie es denn überhaupt in Libyen weitergehen soll, war die Entscheidung der Bundesregierung die richtige.

Ein Lob verdient sie jedoch trotzdem nicht. Man hat leider auch hier, ganz ähnlich den jüngsten Vorkommnissen in der Atomdebatte, den Eindruck, Union und FDP seien Getriebene der Umstände und nicht politische Gestaltungsmacht. Zitternd vor Angst vor den nun verlorenen Landtagswahlen stehend, machte man die früher so zuverlässige und seriöse deutsche Außenpolitik zum Spielball provinzieller politischer Stimmungen. Doch all dies zeigt nicht nur den fehlenden klaren Kurs der Bundeskanzlerin und des Außenministers auf, welcher kurz vor seiner Enthaltung im Falle Ägyptens noch große Reden geschwungen hatte. Es zeigt auch die völlige außenpolitische Konzeptlosigkeit der Bundesregierung, die scheinbar in keiner Weise geklärt hat, wohin sie denn eigentlich will. Wo beginnt die nationale Sicherheit Deutschlands und wo hört sie auf? Wie steht man generell zu der Frage humanitärer Interventionen, ab wann werden diese legitim und bis zu welchem Punkt gilt das Souveränitätsprinzip? Wie steht es um die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die mit Libyen wieder einmal komplett ad absurdum geführt wurde? Fährt man außenpolitisch einen idealistisch-liberalen Kurs, der ohne Wenn und Aber die universalistische Konstruktion der Menschenrechte stützt und kompromisslos für weltweite Demokratisierung streitet? Oder aber verfolgt man das realistische Prinzip einer interessengeleiteten Außenpolitik, die sich nicht von einem um jeden Preis universalistischen Weltbild aus in die inneren Belange souveräner Staaten einmischt, sondern primär darauf hinwirkt, die äußere Sicherheit Deutschlands und Europas zu garantieren, bei gleichzeitiger Wahrung wirtschaftlicher Interessen?

All dies sind Fragen, die in den USA von jeder neuen Administration verbindlich, etwa in einer Nationalen Sicherheitsdoktrin, geklärt werden, um weder nach innen noch nach außen Unsicherheiten über den sicherheitspolitischen Kurs Amerikas aufkommen zu lassen. Wenn Deutschland im internationalen außenpolitischen Konzert und insbesondere im UN-Sicherheitsrat weiterhin ernstgenommen werden will, wäre es an der Zeit, die aufgeführten Fragen auch hier zu beantworten und daraus eine eigene außen- und sicherheitspolitische Leitlinie abzuleiten. Richtige Entscheidungen wie die Enthaltung zur Intervention in Libyen können dadurch zweifellos besser erklärt und legitimiert werden, als durch die Ängste kurzfristig denkender, opportunistisch reagierender Politiker.
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5 Kommentare zu "Aussenpolitik der Bundesregierung"

  1. “Es zeigt auch die völlige außenpolitische Konzeptlosigkeit der Bundesregierung, die scheinbar in keiner Weise geklärt hat, wohin sie denn eigentlich will. Wo beginnt die nationale Sicherheit Deutschlands und wo hört sie auf? ” Sehr gut auf den Punkt gebracht. Eigene Machtinteressen sind hier wahrscheinlich bedeutender als den Job im Sinne der Bevölkerung, die man repräsentiert, richtig zu machen….wobei sich das jetzt nicht auf die Frage beziehen soll ob die Enthaltung richtig war oder nicht.

  2. Graham sagt:

    Gut gefuehrter Blog, gefaellt mir sehr gut. Auch interessante Themen.

  3. giselzitrone sagt:

    Habe mal so reingeschaut sehr interessante Themen. Bin mal gespannt was noch daraus wrid.. Grüsse noch gizelzitrone

  4. Adam sagt:

    Da muss ich mich den Vorrednern anschließen, guter Blog – ABER miese Außenpolitik der Bundesregierung!

    Erst den Lybieneinsatz ablehnen und dann ein paar Flugzeuge nach Afghanistan schicken um das weider auszubügeln – echt arm! Und das sieht die Welt auch so!

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