Der verstellte Blick

Rheinisch verklärt

Von Jan Mollenhauer

Beim Gang durch das Rautenstrauch-Joest-Museum in der schönen Stadt Köln kann man viel lernen. Man lernt Unmengen über andere Kulturen und, was besonders schön ist, man lernt zu hinterfragen. Im zweiten Obergeschoss des stilvollen Glas-Backsteinbaus gibt es einen weißen Kasten. Im Eingangsrahmen steht: „Der verstellte Blick“ und es geht in diesem Kasten um unsere Vorurteile gegenüber Afrika. Mittlerweile reagieren sogar die Retardierten und entdecken, dass im Schatten Europas der wahrscheinlichst spannendste Kontinent der Welt pulsiert, mit ungeahnter Energie, schier endloser Weisheit und blutigen Wunden. Wir begreifen langsam, dass in Afrika nicht nur gestorben wird.

Das Schöne an Momenten des Hinterfragens ist auch, dass man diese wertvolle Technik auch auf sich und seine direkte Umwelt anwenden kann und meist auch tut. So sind es nicht nur die Afrika-Bilder, die sich unweigerlich ändern, sondern auch unmittelbare Umweltbilder. So ist man aus dem gemütlich-weltfremden rheinischen Köln wieder in Berlin, wo geschachert wird, was das Zeug hält. Nicht um fünf Euro, nein, sondern um ein Paradigma. Das Paradigma heißt Wachstum und Vollbeschäftigung.

Global erklärt

Die schaltenden und waltenden der bundesdeutschen Gesellschaft entstammen einer babyboomenden Generation von Fortschrittsoptimisten, die entweder die Weltrevolution planten oder Wirtschaftswissenschaft studierten, die problemlos an sich vergrößernde Universitäten gingen, die revoltierten oder die einfach eine Ausbildung beim örtlichen Betrieb machten, ohne Zukunftssorgen fundamentaler Art.

Das hat sich geändert. Die Geschichte ist unerbittlich und verweist Europa auf einen absteigenden Ast, es sind nun die außereuropäischen Gesellschaften, die wachsen und pulsieren, sich stets verändern und entwickeln.

Die, die schalten und walten haben das nicht begriffen. Sie tun weiter so, als brauche es immer nur mehr Demontage der öffentlichen Hand, dann werde schon alles gut. Die Gegner predigen mehr Mitbestimmung und/oder Mindestlöhne, höhere Steuern, mehr Bildung, Freibier für alle.

Dabei sind die Demarkationslinien nicht so einfach zu ziehen. Sie verlaufen nicht linear zwischen privat und öffentlich, zwischen Bürger und Staat, zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit. Vielmehr geht es doch um das Erkennen einer Zeitenwende. In einer solchen Wende liegen auch immer Chancen. Europa und die Industriestaaten sind dem Verfall nicht preisgegeben. Man muss lediglich verstehen: Es gibt weder ein Demografieproblem, noch ein Wachstumsproblem, noch ein Arbeitsmarktproblem, noch ein Integrationsproblem.

Offenbar sind Systeme nicht im Stande, sich adäquat auf neue Herausforderungen einzustellen. Was mit verkrusteten Systemen passiert, kann man sehr eindrucksvoll beobachten, in Geschichtsbüchern oder momentan zwischen Atlantik und rotem Meer: Sie werden wegrevolutioniert.

Das wirtschaftliche perpetuum mobile

„Nichts auf der Welt kann eine Idee aufhalten, deren Zeit gekommen ist!” – Victor Hugo

Ein relativ simples Modell, das schon das Urchristentum kennt und bei genauerer Betrachtung auch der Kern der marxistischen Theorie ist, löst alle Probleme auf einen Schlag: Das Grundeinkommen.

Denn, eine funktional-differentierte Konsumgesellschaft kennt die Individuum vor allem als Konsumenten, also muss doch da abgeschöpft werden, wo Werte entstehen und das ist eben nicht im Produktionsprozess, sondern beim Konsumieren. Erst da wird der Wert der Ware generiert. Erst ab da ist der Produktionsprozess bezahlt. Wieso stampfen wir also nicht alle sozialen Ausgaben ausnahmslos ein: Rente, Hartz-IV, ALG I, Wohngeld, BaföG, Kindergeld, etc. pp. alle geldlichen Leistungen werden abgeschafft.

Und jeder bekommt das Gleiche, weil wir alle gleich sind. Arbeit lohnt sich, jeder kann teilhaben. Jeder wird arbeiten. Ich sicher. Du auch. Sie auch. Alle. Motivierter und produktiver ist man ohnehin: Positive Gefühle (Man macht, was man will und bekommt etwas) überwiegen stets negative Gefühle (Mach, sonst bekommst du nicht). Ja, es ist so einfach.

Nur einer müsste mitspielen: die schaltenden und waltenden, die die stärksten Beharrungskräfte sind, weil sie von diesem System profitieren, weil sie die prosperierendste Zeit dieses Erdteils und der Menschheit als solche erleben durften, weil sie bereits Ansprüche gegenüber der Deutschen Rentenversicherung erworben haben.

Doch wir wissen ja, was passiert, wenn Systeme sich nicht anpassen. Hoffentlich wird es nicht zu spät sein.

Zum Thema:

– „Bedingungsloses Grundeinkommen“?

– Existenzgeld und bedingungsloses Grundeinkommen – Irrtümer einer linksradikalen Sozialstaatskritik


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2 Kommentare zu "Der verstellte Blick"

  1. Habnix sagt:

    Wären alle gleich,wäre es langweilig.
    Gerade die einzigartigkeit jedes Menschen ist das wertvollste auf der Welt.Die einzigartigkeit von jedem können uns die Lösung für die veschiedenen Fragen im Leben geben,die auch zu dem sehr viel Leben retten kann.Aber jeder Mensch ist gleich viel Wert und auch und trozdem das Wertvollste auf der Welt.

    Einer allein hat nie die Antwort auf alles.

  2. Habnix sagt:

    Freiheit ist nur ein anderes Wort für Unabängigkeit.Wir müssen eine Kultur der Unabhängigkeit erschaffen in dem jeder in der Lage ist sich weitestgehend selbst zu versorgen.Wir sollten uns den Elektrischenstrom,Wasser,Nahrung so weit wie möglich sebst machen.Und das auf möglichst kleinem Raum,das wäre die höchste Form der Freiheit,damit man andere weder belästigt,behindert oder gefährdet.

    Freiheit = Unabhängigkeit

    Es ist für mich ein Rätsel das man das nicht schon längst versucht hat,möglichkeit dazu hatte man in Amerika.

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