Es war ein klares ‚Nein’ mit dem sich die Griechen gegen weitere Sparmaßnahmen und hinter Alexis Tsipras stellten. Unerwartet klar, weil das Land die härtesten Wochen seit Beginn der Krise durchmacht. Nach der Euphorie ist inzwischen der Alltag zurückgekehrt. Schussendlich war es genau dieser, der zum Oxi geführt hat.
Von Florian Schmitz
Meldete die Tagesschau am Sonntag gegen sieben Uhr noch ein knappes Ergebnis, war bereits wenig später klar: Die Griechen haben die Bedingungen der Euro-Gruppe für ein neues Hilfspaket mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Während die ‚Nai-Fraktion,’ unterstützt von zahlreichen deutschen Politikern, sich aus dem derzeitigen Ausnahmezustand einen Vorteil erhoffte, ging es für viele Oxi-Stimmer um eine Gewissensfrage. Lasse ich mich abschrecken von dem Vorgeschmack einer weiteren Eskalation, der durch die Kapitalkontrolle derzeit das Leben in Griechenland bestimmt? Oder riskiere ich den Sprung ins kalte Wasser?
Mit dem Gesicht zum Abgrund
In der Tat hätte ein drittes Hilfspaket das Unvermeidbare nur noch weiter hinausgezögert. Griechenland ist bankrott. Und das nicht erst seit Tsipras an der Macht ist. Während Milliarden von europäischen Steuergeldern dafür verschwendet wurden, die Zahlungsfähigkeit des Landes vorzutäuschen, hat sich der Realzustand schleichend verschlechtert. So schleichend, dass sich viele Griechen an die Krise schlichtweg gewöhnt hatten. Das Lavieren am Abgrund war zum Alltag geworden.
Die letzten zehn Tage haben das griechische Volk dazu gezwungen, sich dem Abgrund zuzuwenden. Der wahre Zustand des Landes ist ans Tageslicht gekommen. Und der sieht nun mal so aus, dass die griechischen Banken nicht mehr genügend Bargeld haben. Es gibt keine 20-Euro-Scheine, in schon wenigen Tagen wohl gar kein Bargeld mehr. Man beginnt Lebensmittel zu horten. Bankangestellte sind zwangsbeurlaubt. Import- und Exportgeschäfte sind nur noch über Konten im Ausland möglich. Und die Zukunft? Ungewiss. Niemand in Griechenland weiß, was die nächsten Tage bringen werden.
Griechen sind sich ihrer Verantwortung bewusst
Doch auf der anderen Seite war nichts schlimmer als die Stagnation. Wo auch immer die Sparpolitiker das Land auf einem guten Weg sahen, im Leben der Menschen wurde dies nicht ersichtlich. Dabei ist es nicht einmal die Sparpolitik an sich, die zu schaffen macht, sondern die Tatsache, dass es schlichtweg nichts mehr einzusparen gibt. „Ich würde gern meine Schulden zahlen,“ sagt die Besitzerin eines Kiosks direkt vor dem Syriza-Parteibüro in Thessaloniki. „Aber wovon? Ich nehme ja nichts ein.“ Auf meine Frage, wer denn an all dem Schlamassel Schuld die trage, antwortet sie: „Wir alle! Wir alle sind Schuld.“
Die Griechen sind wesentlich reflektierter, als es den meisten Menschen in den sogenannten Geberländern – allen voran Deutschland – bewusst ist. Der Großteil der Bevölkerung weiß sehr genau, dass nicht Frau Merkel, Herr Schäuble oder die Troika (allein) für die Lage des Landes verantwortlich sind. Das Verhältnis zwischen dem griechischen Volk und seinem Staat basiert auf tiefstem Misstrauen. Die vielen Jahre, in denen sich Politiker auf Kosten der Bürger die Taschen vollgestopft haben, prägen auch heute noch die Sicht auf die Parlamentarier. Die Griechen wissen um den chaotischen Zustand ihres Staates, und dass dieser die Hauptverantwortung für die Lage des Landes trägt.
Keine idealen Voraussetzungen für Tsipras
Mit Tsipras nun sollte all dies anders werden. Doch geht es vielen nicht schnell genug. Die junge Regierung kämpft vor allem mit zwei Dingen: der eigenen Unerfahrenheit und dem schlechten Zustand des Staates. Erschwerend hinzukommen die ständigen Auseinandersetzungen mit den Euro-Partnern. Hätte Tsipras bis dato mehr tun können? Ja. Hat er Fehler gemacht? Zweifelsohne. Aber hat die Euro-Gruppe es ihm überhaupt ermöglicht, einen neuen Kurs einzuschlagen? Nein. Das sicher nicht. All diese Faktoren trüben die große Euphorie, mit der Tsipras zu Beginn des Jahres ins Amt gewählt wurde.
Ich gehe in eine Apotheke auf der zentralen Ermou-Straße, die Thessalonikis berühmte Agia-Sofia-Kirche mit dem Aristoteles-Platz verbindet. Eine junge Frau, etwa Anfang zwanzig, tippt Zahlen in den Computer. Ein älterer Mann sitzt am Tisch. Im Gespräch erfahre ich, dass es sich um Vater und Tochter handelt. Er, 60 Jahre alt, ist glühender Anhänger der Syriza-Regierung. So ginge es nicht weiter mit dem Land, erzählt er. „Wir müssen einen neuen Weg einschlagen.“ Die Tochter auf der anderen Seite glaubt ihm nicht. Sie hat mit ‚Ja’ abgestimmt. Sie hat Angst davor, dass sich Griechenland von Europa entfernt, dass die Situation eskaliert, dass die Drachme kommt.
Drohgebärden anstelle von Fakten
Drohungen in diese Richtung gibt es viele. Martin Schulz hatte noch vor der Abstimmung deutlich gemacht, dass ein ‚Nein’ in Griechenland den Austritt aus der Währungsunion zur Folge hätte (das kann Griechenland technisch ja nur selbst entscheiden). Herr Schäuble hält es für denkbar. Und der Spiegel titelte bereits wenige Stunden nachdem das Abstimmungsergebnis bekannt wurde: „Frau Merkel muss jetzt den Grexit vorbereiten.“ Doch trotzdem haben sich die Griechen hinter ihren Ministerpräsidenten gestellt und sich nicht erpressen lassen. Immerhin hatte dieser die ärmsten Rentner mit Sozialleistungen unterstützt und hatte dafür gesorgt, dass der Erstwohnsitz eines Schuldners nicht von der Bank genommen werden darf. All dies sollte er als Bedingung für ein drittes ‚Hilfspaket’ rückgängig machen.
Für die meisten Europäer ist die Situation vor allem eins: Undurchsichtig. Weder die Griechen verstehen, warum die Euro-Gruppe so verbissen an ihren Sparplänen festhält, noch verstehen Deutschen, warum ein Kurswechsel, inkl. dem von Merkel und Schäuble so kategorisch abgelehnten Schuldenschnitt die einzige Möglichkeit ist für Griechenland, aus der Krise auszubrechen. Ein 25-jähriger Athener, der in Münster BWL studiert, schreibt mir, dass er sich Kommentare anhören muss von ‚Selber Schuld,’ über ‚Ihr seid Schmarotzer’ bis hin zu ‚Man sollte euch bombardieren.’
Griechen sind verhandlungsbereit
Dabei ist er, wie die meisten Griechen, für Europa. Er hätte ein ‚Ja’ als „zutiefst antieuropäisch“ empfunden, als Verstoß „gegen die Grundprinzipien der EU bezüglich Humanismus und Wohlstand der Völker.“ Für ihn – wie für viele in Europa – ist Tsipras und das Oxi der Griechen der Hoffnungsschimmer für einen Kurswechsel in Brüssel und den Mitgliedsländern. Die hohe Staatsverschuldung lässt das Land als den großen Krisenversager dastehen. Viele aber fühlen sich entrechtet. „Wir sind die Geldgeber. Ihr seid die Schuldner. Wir sind keine Partner,“ bekommt der junge Grieche von seinen Münsteraner Kommilitonen zu hören.
Die Griechen sind verhandlungsbereit. Viele hier gehen arbeiten und werden kaum oder gar nicht bezahlt. Viele sind bereit weitere harte Maßahmen auf sich zu nehmen, wenn diese in die richtige Richtung führen. Das „Angebot“ der Euro-Gruppe konnte jedoch aus verständlichen Gründen nicht akzeptiert werden.
Das heißt jedoch nicht, dass Griechenland Geld will, nur um sich dann bequem zurückzulehnen – eine Meinung, die gerade in Deutschland sehr populär vertreten wird. Vielmehr hofft man darauf, dass Europa den Griechen nicht länger mit sogenannten Hilfskrediten am Rande des Abgrundes jede Bewegungsfreiheit nimmt. Nach den Oxi-Euphorien vorgestern ist heute wieder der harte Alltag eingekehrt. Es liegt jetzt an Europa zu zeigen, ob der Staatenbund das Papier wert ist, auf dem er begründet ist.
Florian Schmitz lebt und arbeitet in Griechenland als freier Korrespondent und Autor. Als überzeugter Europäer widmet er sich auf seinem Blog EUdyssee.net Aspekten des europäischen Lebens, die in Zeiten der Krise oft nicht genug Beachtung finden.
Man lese hierzu ergänzend:
http://frankfurter-erklaerung.de/2015/07/varoufakis-interview/
mit links und Kommentaren.
Sorry, aber fällt Euch zu diesem Thema nicht mehr ein, als die ewig gleichen Berichterstattungen über das Thema Griechenland in immer neuen Aufgüßen zu verbreiten und so derzeit offenbar fast nur noch auf Griechenland focussiert zu berichten? – Ich habe schon einige sehr gute Aufsätze auf Eurer Website gelesen und mich darüber auch sehr gefreut, aber derzeit fehlen mir z. B. deutliche Hinweise darauf, daß Griechenland im Moment zwar ein sehr augenscheinliches Problem darstellt, daß aber eben an diesem Problem längst ein Muster deutlich wird, daß auch in vielen anderen Lebensbereichen und in vielen Teilen der Welt mehr und mehr zum Vorschein kommt, nämlich das seitens der Politik wie auch der Mainstream-Medien und infolgedessen auch der Bevölkerung noch immer weitgehend widerspruchslos hingenommene PRIMATISIEREN privatwirtschaftlicher Interessen einer schwerreichen, im Moment aber sehr gut organisierten Minderheit skrupelloser Feudalherrschaften die gerade dabei sind, sich die gesamte Welt untertan zu machen.
Es ist meines Erachtens höchste Zeit, daß die Bevölkerung Deutschlands, Europas, ja der gesamten Welt sich nicht länger dem okönomischen Diktat dieser letztlich kleinen Bevölkerungsminderheit und deren gewissenlosen (dafür aber gut bezahlten) Helfern unterwirft und sich durch die momentan noch immer vielfach ungehindert voranschreitende Privatisierung ihre demokratische Rechte nicht noch länger immer wieder vorenthalten oder gar Schritt für Schritt wieder abnehmen läßt. – So gehören beispielsweise Wasserrechte grundsätzlich nicht in Privathand, über den Einsatz riskanter Technologien muß auf ehrliche Weise basisdemokratisch abgestimmt werden, für Konzerne hochprofitable Genpatente und vieles Weitere, was die gesamte Menschheit immer mehr zu versklaven droht, müssen so schnell wie möglich verboten werden. – Es gibt da inzwischen eine sehr lange Liste von Ungeheuerlichkeiten, die von der Bevölkerung noch immer weitgehend unwidersprochen hingenommen werden, auch weil eine ganze Phalanx von gewissenlosen öffentlichen Meinungsträgern dies immer aus Neue massiv unterstützt. – Vieles, sehr Vieles liegt heute also im Argen und es ist höchste Zeit, daß die gesamte Bevölkerung erstens auf deutliche Weise – auch über die psychologisch-sozialen Hintergründe dieser Fehlentwicklungen aufgeklärt wird, zweitens dies dadurch endlich mehr und mehr zur Kenntnis nimmt und drittens dadurch in die Lage versetzt wird, sich endlich einmal richtig entschlossen, unerschrocken und unermüdlich gegen all diese Fehlentwicklungen und ihre vielgestaltigen Folgen zu wehren!
Warum also berichtet Ihr nicht deutlich mehr gerade auch über die Hintergründe der gesamten gegenwärtigen Probleme, die dazu führen, daß sich der größte Teil der Bevölkerung noch immer vor den Karren einiger weniger ohnehin schon schwerreicher Profiteure spannen läßt und dabei immer häufiger sogar auch ihre unmittelbar lebensnotwendigen Bedürfnisse und Interessen mehr und mehr erst aus den Augen und dann bald auch aus dem Sinn verliert?
Mit nahezu immer gleichen Berichten über die neuesten Skandale wird heute vielfach immer weiter an den längst offenliegenden Symptomen herumgedoktert, was aber ist mit den Fragen nach den tiefer liegenden Ursachen für die für uns alle schon seit geraumer Zeit immer weiter zunehmenden Probleme? – Ich will im Folgenden ein paar gewiß recht aufschlußreiche Antworten hierzu anbieten:
Über unseren Geist, unsere Seele, echte Meinungsfreiheit
und ein wahrhaftiges Leben in echter Verantwortungsbereitschaft
Seit mehr als einhundert Jahren tritt auf allen möglichen Gebieten etwas in Erscheinung, was ich nur als eine immer wieder aufs Neue kollektiv organisierte Engstirnigkeit bezeichnen kann, nämlich eine auf die inzwischen unzähligen technischen Erfindungen (manche sind zweifellos genial und auch sehr nützlich) immer wieder geradezu fanatisch reagierende Hysterie, die andererseits aber auch – eine kollektive Blindheit für die zahllosen Gefahren in sich birgt, denen die Menschheit seither in zunehmendem Maße ausgesetzt ist bzw. sich nahezu widerspruchslos aussetzen läßt. Nicht nur meine Website, sondern auch viele andere Websites, Fernsehsendungen, Radioessays, Bücher usw. sind längst voll und werden immer doch immer voller von den Beschreibungen der vielfältig zunehmenden Gefahren, die inzwischen längst nicht nur unsere Zivilisation selbst, sondern auch unseren gesamten Lebensraum betreffen, aber kaum etwas ändert, kaum etwas bessert sich bisher. Nein, Vieles droht sich auch derzeit noch weiter zu verschlechtern, zunehmend mehr Menschen sind längst nun auch hier in den reichen westlichen Ländern vom Abrutschen in buchstäbliche Armut bedroht, die Umweltverschmutzung nimmt trotz vieler technischer Verbesserungen weiter drastisch zu, auch der Krieg soll nun auch wieder einmal in Europas Osten der Ukraine geradezu unausweichlich sein und wird daher von vielen Medien auch schon wieder als „geradezu unausweichlich diskutiert“; die Liste von eigentlich haarsträubenden Ungeheuerlichkeit ließe sich noch lange fortsetzen, und all dies wird der Öffentlichkeit offensichtlich mit einer fatalistisch begründeten Selbstverständlichkeit hingenommen, als handelte es sich dabei um unabweisbare Naturgesetze, die sich immer wieder und wieder ereignen müssen. So zivililisiert sind die heutigen Zivilisationen also, daß alle möglichen Barbareien und auch die fortschreitende Selbstzerstörung in Sachen Umwelt bereits als „unabwendbar“ und somit „alternativlos“ gelten, um hier einmal das berühmte Wort der ebenfalls entsetzlich engstirnigen Maggie Thatcher zu gebrauchen!!! – Warnende Stimmen gab es dabei im vergangenen Jahrhundert wahrlich oft genug und es gibt sie auch bis heute, und bis heute finden sie noch immer nur bei Wenigen Gehör; aber – warum ist das so, warum verhält sich die Weltbevölkerung insgesamt bis heute so uneinsichtig, daß man als klar denkender Mensch längst völlig zurecht von einer partiellen Massenverblödung sprechen kann?
Zwei Männer haben innerhalb der letzten hundert Jahre ganz deutlich aufgezeigt, wie es bis heute zu einem solchen Verhängnis kommen konnte; der eine war Herbert Marcuse, der dies freilich zumeist auf solch’ abgehoben-intellektuelle Art und Weise tat, daß selbst viele Intellektuelle ihre Mühe hatten/haben, ihm auf seinen abstrakten Gedankengängen zu folgen (und das sogenannte gemeine Volk daher weit außen vor blieb), der andere war Albert Schweitzer, vom Volk zwar als großer Humanist und Friedensnobelpreisträger gefeiert, aber offenbar kaum je richtig verstanden wurde. Seine Ideen vom Leben, auch in seinen Büchern immer wieder auf auch für einfache Menschen ganz klar und gut verständlich ausgedrückt, hätten – wenn diese von vielen Menschen auch gelesen worden wären – schon längst sehr sehr Vieles an Leid mit verhindern können. So Vieles an gutem und somit auch äußerst wertvollem Samen hat Schweitzer zum Beispiel in seinem Buch „Kultur & Ethik“ verstreut, daß ich im Folgenden Einiges davon zitieren will, damit endlich einmal klar wird, warum so viele gute Bemühungen um Frieden, um Freiheit, um Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch um echten Umweltschutz im weitesten Sinne in unserer Weltgemeinschaft bis heute so oft – auf taube Ohren und – verschlossene Herzen stoßen:
„Politische, religiöse und wirtschaftliche Gemeinschaften sind heute bestrebt, sich so zu gestalten, daß sie größtmöglichste innere Geschlossenheit und damit den höchsten Grad von Wirksamkeit erlangen. Verfassung, Disziplin und was sonst noch zum Technischen gehört, werden auf eine früher unbekannte Vollkommenheit gebracht. Das Ziel wird erreicht. Aber in dem selben Maße hören alle diese Kollektivitäten auf, sich als lebendige Organismen zu betätigen und treten immer mehr in Analogie zu vervollkommneten Maschinen. Ihr inneres Leben verliert an Reichtum und Vielgestaltigkeit, weil die Persönlichkeiten in ihnen notwendig verkümmern.
Unser ganzes geistiges Leben verläuft innerhalb von Organisationen. Von Jugend auf wird der moderne Mensch so mit dem Gedanken der Disziplin erfüllt, daß er sein Eigendasein verliert und nur noch im Geiste einer Kollektivität zu denken vermag…“
Einige Zeilen weiter schreibt er dann: „Für sich und die Anderen setzt der Einzelne voraus, daß mit der Nationalität, der Konfession, der politischen Partei, dem Stande und der sonstigen Zugehörigkeit jedesmal so und so viele Anschauungen in Voraus und und unbeeinflußbar feststehen. Sie gelten als Tabu und sind nicht nur von aller Kritik, sondern auch von der Unterhaltung ausgeschlossen. Dieses Verfahren, in dem wir uns gegenseitig die Qualität als denkende Wesen absprechen, wird euphemistisch als Respekt vor der Überzeugung bezeichnet, als ob es ohne Denken eine Überzeugung geben könnte.
In einzigartiger Weise geht der moderne Mensch so in der Gesamtheit auf. Dies ist vielleicht der charakteristischste Zug an seinem Wesen. Die herabgesetzt Beschäftigung mit sich selbst macht ihn ohnehin schon in einer krankhaften Weise für die Ansichten empfänglich, die durch die Gesellschaft und ihre Organe (bereits) fertig in Umlauf gesetzt werden.“
Wieder ein paar Zeilen weiter schreibt Schweitzer dann noch etwas deutlicher Folgendes über den modernen Menschen: “Die Gesamtheit verfügt über ihn. Von ihr bezieht er als fertige Ware die Meinungen, von denen er lebt, ob es sich nun um die nationalen und die politischen Gemeinschaften oder die des Glaubens oder Unglaubens handelt. Seine abnorme Beeinflußbarkeit kommt ihm nicht als Schwäche zu Bewußtsein. Er empfindet sie als Leistung. In der unbegrenzten Hingabe an die Kollektivität meint er die Größe des modernen Menschen zu bewähren. Mit Absicht steigert er die natürliche Geselligkeit ins Gewaltsame.Weil wir so auf die Urrechte der Individualität verzichten, kann unser Geschlecht keine neuen Gedanken hervorbringen oder vorhandene in zweckmäßiger Weise erneuern, sondern es erlebt nur, wie die bereits geltenden immer größere Autorität erlangen, sich immer einseitiger ausgestalten und sich bis in die letzten und gefährlichsten Konsequenzen ausleben.“
Wieder ein paar Zeilen weiter schreibt Schweitzer schließlich: „Die Überorganisierung unserer öffentlichen Zustände läuft auf ein Organisieren der Gedankenlosigkeit hinaus … – … Mit der eigenen Meinung gibt der Mensch auch das sittliche Urteil auf. Um gut zu finden, was die Kollektivität in Wort und Tat dafür ausgibt, und zu verurteilen, was sie für schlecht erklärt, unterdrückt er die Bedenken, die in ihm aufsteigen … – … Unbewußt schränken die meisten Angehörigen unserer kulturlosen Kulturstaaten ihr Überlegen als sittliche Persönlichkeit ein, um mit dem Gemeinwesen nicht fortwährend in innere Konflikte zu geraten und über immer neuer Anstöße hinwegkommen zu müssen.
Die Gesamtmeinung ist ihnen dabei behilflich, insofern sie ausstreut, die Handlungen des Gemeinwesens seien nicht so sehr nach den Maßstäben der Sittlichkeit, als nach denen der Opportunität zu messen. Aber sie leiden Schaden an ihrer Seele …“ (Zitatende)
Schweitzer liefert in diesem Buch noch so viele weitere äußerst wertvolle Hinweise, daß ich hier nun nicht weiter auf all das eingehen will, was er dort niedergeschrieben hat, sondern allen interessierten Lesern einfach nur empfehlen will, sein Buch doch selbst im Ganzen zu lesen. – Hier an dieser Stelle will ich nur noch Folgendes sagen:
Schweitzer liefert gegen Ende seines Buches aber auch – die Lösung für all die Probleme, die aus den oben geschilderten verhängnisvollen Gesellschafts-Mechanismen (Sie lesen richtig: Mechanismen!!!) für die heute so maschinell-mechanisch orientierte Menschheit resultieren, denn er sagt mit einem ganz leicht verständlichen Satz: „Ich bin Leben, das leben will; inmitten von Leben, das (auch) leben will.“ Würde diese eigentlich ganz einfache aber unendlich tief bzw. weit reichende Lebensweisheit von uns allen auch wirklich gewürdigt und daher dann auch immer wieder aufs Neue im Alltagsleben angewandt werden, gegenseitiger Respekt würde dann auf einmal wieder zu seiner alles umfassenden und damit wahren Bedeutung gelangen und unzählige Probleme würden ohne viele Umstände bald der Vergangenheit angehören!
Aber, – wir können „natürlich“ auch noch einige Zeit länger so weitermachen wie bisher, und uns nur als die Angehörigen von irgendwelchen gesellschaftlichen Machtapparaten verstehen, die sich – seien sie nun groß oder klein, staatlich oder privatgesellschaftlich organisiert gegenseitig immer erbitterter, ja womöglich auch noch bis hin zur buchstäblichen Vernichtung bekämpfen. Für diesen Fall wünsche ich dann allen daran Beteiligten ein „fröhliches“ gegenseitiges Abschlachten, – ich selbst werde mich auch in Zukunft an solch’ barbarischem und letztlich schwachsinnig-verantwortungslosem Handeln – nicht beteiligen.
Ein wichtiger Nachtrag:
Vielleicht wird durch diesen Aufsatz hier nun einmal auch ganz deutlich, daß es nicht Egomanie ist, die mich meine Aufsätze immer wieder in Ich-Form schreiben läßt, sondern vielmehr meine persönliche Betroffenheit von all dem zeigen soll, sowie auch meine persönliche Überzeugung für die ich immer auch geradestehe, und dies steht ganz im Gegensatz zu den heute vielfach gebrauchten Redewendungen wie „man tut das nicht“ oder „wir haben uns darauf geeinigt, daß …“, die für mich oft als Leerformeln gelten, weil das jeweilige Gegenüber dabei für mich nur allzu oft – gar nicht mehr als eigenverantwortliches weil selbständig denkendes und handelndes Individuum erkennbar ist, sondern sich vielmehr hinter einer anonymen Masse zu verstecken scheint. – „Corporated identity“ nennt man dieses Massenphänomen heute auf neudeutsch-beschönigende Weise; ich aber meine, daß dieser neumodische bullshit und sein fortwährend gedankenloses Nachplappern letzten Endes wohl eher auch schon den Anfang von Ende der Menschheit bedeuten würde. – Ich mag solche Versteck-“Spiele“ überhaupt nicht; sie sind für mich nur deutliche Anzeichen von gesellschaftspolitischer (und somit nicht zuletzt auch demokratischer) Drückerbergerei, was meines Erachtens somit ganz offensichtlich sowohl menschlicher wie auch politischer Unreife gleichkommt.
Die in unserer Gesellschaft nun so weitverbreitete „Corporated-Identity“-Sichtweise scheint mir dabei längst schon wie ein regelrechtes Gift zu wirken, daß nun auch in mich selbst schon soweit eingedrungen ist, daß auch ich nun mitunter schon den Impuls verspüre, mich vor der Öffentlichkeit dafür „rechtfertigen zu müssen“, daß ich es „wage“, entgegen den allgemeinen Gepflogenheiten ganz offen meine eigene persönliche Meinung zu äußern; – es soll daher das letzte Mal gewesen sein, daß ich zu meinem immer wieder bewußt ganz persönlichen Auftreten hier noch einmal sehr deutlich – meine Meinung sage!
Schluß also mit der „corporated identity“ in ihren heute inzwischen geradezu unendlichen Variationen, diesem insgesamt schon längst immer verlogener werdenden Versteck-“Spiel” und seinen spätestens am Ende auf deutlichste Weise so mörderisch zusammenwirkenden Befehls-Ketten (!&!&!&!&!) in den nun längst immer mehr hochgerüsteten Armeen dieser Welt; – zeigen wir uns stattdessen lieber als das, was wir in Wirklichkeit sind, nämlich als ganze und somit allerorts und jederzeit uneingeschränkt auf ihre unversehrte Vollständigkeit beharrende FREIE & FRIEDLIEBENDE MENSCHEN!
Ich rufe somit auch nicht etwa zur Gewalt auf, sondern sage im Gegenteil vielmehr:
Zerbrechen wir endlich diese vielfachen, letztlich längst so oft immer wieder nur zu neuer Barbarei führenden Befehls-Ketten der Unmenschlichkeit, vor allem immer wieder gerade auch da, wo wir sie – an uns selbst entdecken, denn – ein persönliches Gewissen und persönliche Urteilskraft sind kein Luxus, den “man sich (angeblich) auch leisten können muß”, sondern Beide bilden zusammen einen außerordentlich wesentlichen, wichtigen (und in Wahrheit obendrein auch unveräußerlichen!!!) Teil des grundsätzlich freien Daseinsrechts eines jeden Menschen auf dieser Welt!!!
Ich meine, es wäre gut, wenn alle Menschen – hierzulande wie auch auf der gesamten Welt hierüber einmal – etwas gründlicher nachdenken und dann auch selbst – womöglich erstmals völlig frei – darüber entscheiden würden.
Noch ein Post Skriptum (vom 30. Juni 2015):
Damit durch meinen Aufsatz oben keine Mißverständnisse entstehen: Es gibt heute auch eine ganze Reihe von „Befehls“-Ketten die selbstverständlich Sinn machen und somit auch ihre Berechtigung haben; bei der Feuerwehr beispielsweise, bei der medizinischen Versorgung im Krankenhaus und auch sonst in allen möglichen Bereichen der Arbeitswelt ist ein gewisser Grad von Organisation nicht nur „durchaus“, sondern sogar sehr sinnvoll (und beispielsweise ein Bäckerlehrling ist auch gut beraten, wenn er auf seinen Gesellen oder den Bäckermeister hört). Wogegen ich mich in meinem Aufsatz oben wende, ist das blinde Befolgen jeglicher Anordnungen, sowie jegliche Art von Bandenbildung (darüber habe ich auch schon in einem anderen Aufsatz geschrieben), bei der sich heute inzwischen oft auch im gewöhnlichen Berufsleben Menschen nur des kurzsichtigen eigenen Gewinns wegen (gerade auch Karrierechancen zählen hierzu) auf mehr oder weniger konspirative Weise gegen Andere zusammenschließen. – Solche Arten von Befehlsketten haben, spätestens wenn sie immer mehr Mitglieder oder gar Nachahmer finden und die Bevölkerung immer mehr schädigen auf Dauer einen geradezu mörderischen Charakter und solche Ketten zu sprengen ist daher auch ein Gebot sowohl von Mitmenschlichkeit als auch von Klugheit.
(Das Kopieren und die Weiterverbreitung dieses Aufsatzes innerhalb der gesamten Bevölkerung ist nicht nur erlaubt, sondern auch ausdrücklich erwünscht!)
W. Oesters; – zeitkritische Website: achtgegeben.de
Es ist ein ewiges Hin und Her mit Griechenland. Schlussendlich wird es, ändert sich nichts an der griechischen Einstellung, zu einem Grexit kommen. Die Möglichkeit dies zu verhindern besteht noch, nur müssen diese Hilfen auch angenommen werden.