Die Ökonomisierung unserer Lebenswelt
Die durchgehende Ökonomisierung kann in ihrem gesamtgesellschaftlichen Auftreten vielleicht am ehesten mit dem geschlossenen System einer Zwangsneurose verglichen werden. Bemerkt ein Zwangsneurotiker, dass seine krankhafte Problemlösungsstrategie nicht zum Ziel führt, hat er nur eine einzig mögliche Antwort darauf: Mehr desselben! Die einzig denkbaren Alternativen zum gegenwärtigen Verhalten lauten für ihn: Entweder ich habe mich eben noch nicht genug angestrengt und muss daher noch schneller als bisher in die gleiche Richtung rennen. Oder aber es gibt böswillige Mächte in der Welt, die meinen Erfolg stets und systematisch hintertreiben. Da die grundlegenden Konstrukte des Ich-, Welt- und Menschenbildes einer Zwangsneurose auf keinen Fall angetastet werden dürfen, da es also auf jeden Fall das einzig korrekte darstellt, können Problemsituationen ausschließlich darin bestehen, dass noch nicht genug davon in der Welt umgesetzt ist.[11]
Beide Reaktionen, sowohl das stetige Beschleunigungsbemühen und das »Weiter so!« wie auch die Zuschreibung von Verschwörungskomplotten und Sabotageversuchen an potentielle und hinterlistige Widersacher (lange Zeit war das natürlich für den Kapitalisten der Kommunismus und umgekehrt, heute sind es vor allem die islamischen Fundamentalisten, ausbeuterische Zuwanderer oder auch manchmal die Gewerkschaften oder der Drogenhandel), sind in der Wirtschaft sehr weit verbreitet. Jegliche Kritik, die von außerhalb des eng umgrenzten Systems kommt, wird daher als weltfremd und zerstörerisch zurückgewiesen.[12]
Die so sinnvolle wie einfache Strategie, die sogar in zahlreichen Management-Kursen gelehrt wird, »if it does not function – don’t pump up the volume but change the channel«, wird hierbei nur in den allerseltensten Fällen beherzigt. Denn bereits die einfache Überlegung, dass wirtschaftliches Denken in vielen Fällen einfach nicht der korrekte Weg sein könnte, ein Problem zu lösen, wird nicht als Option akzeptiert. Ganz im Gegenteil wird jedweder Hinweis auf die zugrunde liegende Problematik ganz im Zeichen der Zwangsneurose ausgesprochen aggressiv zurückgewiesen, als Komplott oder Dummheit diffamiert.
Wie sich unsere ökonomische Organisation weiterentwickelt, wird maßgeblichen Einfluss auf die Gesamtgesellschaft nehmen – und zwar weltweit. Und dies nicht etwa, weil Ökonomie naturgemäß in das Zentrum einer Gesellschaft gehört, sondern einzig, weil sie sich selbst eigenmächtig und unautorisiert dorthin manövriert hat. Sie ist daher heute zentraler Teil der zu betrachtenden Probleme, mit Sicherheit aber nicht bereits der Lösungsansatz.
Die Ökonomen antworten auf entsprechende Proteste allerdings bisher mit ideologischer und emotional überreagierender Abwehrhaltung: Nicht die zahlreichen augenfälligen Katastrophen, sondern die Fragen nach ihrer Überwindung werden dann konsequenterweise als bedrohlich empfunden.[13] Auch das erinnert an eine Zwangsneurose. Fragt man Ökonomen etwa nach Lösungswegen aus der katastrophalen Abhängigkeit neuzeitlicher wirtschaftlicher Unternehmungen von ökologischer Zerstörung, so erhält man im besten Fall Antworten, die die Kosten und weiteren wirtschaftlichen Optionen darstellen, mittels derer man eventuell zu einem ökologischen Bessergestelltsein aufbrechen könnte.[14]
Bereits diese Sichtweise erhellt die grundlegend verquere Orientierung der Ökonomie beispielhaft: Als ob die Erhaltung der ökonomischen Handlungsweisen die Voraussetzung, intakte Ökosysteme dagegen die Variable wären! Mitnichten müssen wir jedoch überlegen, unter welchen ökonomischen Bedingungen eventuell an eine Erhaltung des Planeten gedacht werden könnte, sondern nur andersherum wird überhaupt ein Schuh daraus: Die eigentliche Frage muss doch wohl lauten, unter welchen ökologischen (und vielen anderen) Bedingungen können wir uns welche Art von Wirtschaftssystem leisten?
Die Erhaltung der planetaren Systeme als ökologische Grundvoraussetzung allen Lebens einschließlich unseres eigenen ist die notwendige Basis. Daran muss sich jede denkbare Wirtschaftsweise messen lassen, nicht umgekehrt. Wir dürfen nicht weiterhin fragen, welche ökologischen Inhalte wir uns eventuell wirtschaftlich leisten können, sondern welche Ökonomie wir uns leisten können, wenn wir unsere lebensweltliche Basis nicht zerstören wollen. Nicht die Erhaltung oder Nichterhaltung eines Ökosystems ist überlegenswert und muss finanziell berechnet werden, sondern die Auswüchse der Wirtschaft sind ökologisch (und sozial, psychologisch, kulturell, ethisch etc.) zu begreifen und entsprechend zu bewerten.
Diese Bewertung kann aber nicht wiederum ökonomisch/finanziell vonstattengehen, weil ja genau diese Sichtweise gerade das Problem darstellt, das in seinen Auswirkungen beurteilt werden soll. Wenn etwa Geld ein beliebig zu manipulierendes Fantasiegebilde darstellt, dürfen wir es eben keineswegs als Grundlage für unsere Entscheidungen nehmen, sondern im Gegenteil fragen, welche ökologischen, psychischen usw. Folgen das Denken in Geldbegriffen mit sich bringt. Das bedeutet vor allem auch, dass wir aufhören müssen, auf jede Idee und jeden Plan mit der unsäglich stupiden und nichts erhellenden Frage zu reagieren: »Was kostet das denn nun wieder?!«
Dass wir diese grundsätzlich verquere Art zu denken noch immer als Wissenschaft akzeptieren, zeigt erneut augenfällig, wie weit die Durchdringung unserer psychischen, intellektuellen und sozialen Welten durch die Ökonomie bereits fortgeschritten ist.
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch von Thomas M. Maritsch: „Ökonomie des Müßiggangs. Zur Sozio- und Psychopathologie von Arbeit, Eigentum und Geld – naturalistische Betrachtungen zur Wirtschaftsphilosophie“. 680 Seiten, gebunden, Verlag Books on Demand, erschienen August 2014; ISBN: 978-3735754806; 53,90€. Auch erhältlich als E-Book 28,99€.
Artikelbild: HonestReporting / flickr / CC BY-SA 2.0
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Herr Maritsch, Sie sollten mal genau definieren, was Sie unter Neoliberalismus verstehen. Gemeinhin wird Ludwig Erhard als “Neoliberaler” geführt. Meinen Sie den?
Der Begriff “neoliberal” hat von interessierter Seite eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Heute ist “neoliberal” die Wirtschaftspolitik, das “economical engineering” der US-NeoCons. Und das hat mit dem ursprünglichen Begriff nichts, absolut nichts zu tun. Denn das, was hier heute sehen, ist noch nicht mal Kapitalismus, sondern schlimmster Geldsozialismus. Bei Roland Baader im einzelnen nachzulesen.
Deshalb gilt heute(!): Neoliberalismus = Geldsozialismus; zumindest, wenn man ihren Aussagen folgt. Schade, dass damit die freiheitliche Idee des Liberalismus derart beschädigt wird, dass insbesondere die Linken meinen, der Geldsozialismus (Umverteilung von “fleißig” nach superreich) sollte durch den “richtigen” Sozialismus der Umverteilung und des Gelddruckens und des Totalitarismus abgelöst werden.
Wie sehr Sie doch auf dem Holzweg sind…
Es ist in der Tat so, dass “Neoliberalismus” als Etikett viele Kisten ziert. Was eher aus der antikapitalistischen Ecke damit bezeichnet wird, ist die extremistische Variante, der Marktfundamentalismus.
In der Vergangenheit wollten unter anderem die Ordoliberalen als neue Liberale etwas eigenes machen, nannten sich aber “neoliberal”. Neoliberalismus als neutrale Bezeichnung kann daher nur ein Ober- oder Sammelbegriff sein. Konkret in Texten wie diesem hier meint Neoliberalismus daher Dinge, die man wohl treffender titulieren muss. Im Angebot finden sich “Neokapitalismus”, “Neokonservatismus”, “Marktextremismus /-fundamentalismus”, “Laissez fair Merkantilismus” u.v.m.
Freiheit dient hier als Scheinfreiheit der Unterdrückung von demokratischem Widerstand, von linken und sozialen Kräften. Freiheit als Karotte am Stock des Marktes ist eine hohle Versprechung, bleibt bloßer Götze. Es ist keine echte Freiheit, solange sie nur die Freiheit der Reichen meint. Die Freiheit der Unterdrückten ist jedenfalls nicht im Sinne des Neoliberalismus.
Herrschaften,
der Schwenk auf das eher wissenschaftshistorische Thema, was unter „Neoliberalismus“ genau zu verstehen wäre, ist zwar sehr spannend, hat aber nix mit meinem Auszug und auch nichts mit dem Buch zu tun. (Der Titel zum Aufsatz hier ist auch nicht von mir, sondern von der Redaktion.)
Eigentlich geht es mir viel eher um die Ökonomisierung im Denken, in den sozialen und kulturellen Strukturen, die von den unterschiedlichsten ökonomischen Schulen vorangetrieben werden – egal, ob nun nach Hayek, Friedman, Marx oder Keynes. Mein Augenmerk liegt eigentlich auf der Katastrophe, dass wir alle mehr und mehr dahin sozialisiert werden, dass ein Menschenleben nur etwas wert ist, wenn es entweder arbeitet oder Kapital für sich arbeiten lassen kann; dass nur von Wert ist, was sich in Geld ausdrücken lässt; dass sich die ganze Welt gefälligst in Eigentum von jemandem zu verwandeln hat – und immer so weiter.
Allerdings muss ich auch zugeben, dass der aktuell vorherrschende Neoliberalismus diese Masche noch extrem auf die Spitze treibt – und deshalb hielt ich den Redaktionstitel auch für absolut angemessen.
Gruß,
Thomas
Oh,
der Schritt zu Erkenntnis ist sehr wichtig, vielleicht sogar der wichtigste überhaupt.
Einzig der Begriff des Wertes sollte dringend hinterfragt werden, denn er hat die Frage nach dem SINN (NEIN, nicht Hans-Werner) ersetzt.
Sinnstiftendes hat die Bedingung des Nachvollziehbaren, des Verstehens. Der Mensch wertet, weil er nichts weiß, er ist im Glaubensmodus gefangen.
Genau das ist die Krise auf die die Menschen zutreiben, es ist eine Glaubenskrise. Der Glauben an die Ideologie funktioniert nicht mehr.
Mit Denken und daher Wissen, hat das alles schon lange nichts mehr zu tun.
Wir können den Planeten, unsere Lebensgrundlage schliesslich nicht erhalten oder gar retten, denn wir haben zu wenig von dem, das es nicht gibt, das ist die wahre ökonomische Vernunft.
Zu Geld ist auffällig, daß wir von diesem Stoff, denn es tatsächlich ja nicht gibt, immer zu wenig haben…daher der Mangel an Bildung…ist wohl eher ein Mangel an Verstand… :-)
Gruß
Sie wünschen Bedeutung?
Gerne:
GLAUBEN ist, nach Ludwig Wittgenstein, ein andere Vorgang, als DENKEN.
Ihnen ist die sehr enge Verwandschaft der klassischen Ökonomie mit dem Liberalismus nicht vertraut?
Freiheit ist keine Idee, sondern ein Zustand zwischen Menschen.
Was hat die Ideologie Liberalismus mit dem tatsächlichen ZUSTAND Freiheit zwischen Menschen zu tun?
NICHTS. Gar NICHTS. Nachlesbar bei Foucault in seinen Vorlesungen Ende der Siebziger zum deutschen Neoliberalismus.
Wer von FreiheitsWERTEN schwafelt, weiß nichts über den Zustand Freiheit, denn eine Wertung ist ein rein emotionaler Vorgang, der Anwendung findet, wenn der Mensch über die Folgen nichts weiß.
Weswegen der stetig wertende homo oeconomicus auch nur ein entmenschlichter emotionaler Vollpfosten darstellt. es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß Rationalität verstanden werden könnte. Rational und Irrational sind beides lediglich Begriffe, die der Stärkung der eigenen Position dienen, gerade wenn kein Argument vorhanden ist.
Anmerkung zur Änderung der Bedeutung eines Begriffes:
Idee, ist ein Begriff Platons und bezeichnet eine ideale Welt im Jenseits, denn Ideale können in dieser Welt nicht dargestellt werden.
Hier eine bösartige Frage die von Franz Arwee stammt:
Ist die Mathematik das Werk des Menschen ODER ist der Mensch das Werk der Mathematik?
Die Ökotheriker betreiben reine Mathematik.
Mathematik ist die Urmutter aller Ideologien, denn sie handelt nur von IDEALEN. Es ist durchaus kein Wunder, daß Mathematerik das Mittel der gelebten Manipulation ist.
Geld ist ebenso ein reines MANIPULATIONSMITTEL und hat keinen anderen Zweck.
Vielleicht widerlegen Sie (oder ein anderer hier) einfach mal den Franz Maria Arwee:
http://is.gd/neudenk-
Tja, der Holzweg oder welcher es nicht sein kann…
Wirtschaft, im Sinne von Ökonomie, an sich existiert nicht. Es sei denn, man Untersucht den Produktionsausstoß, den Verbrauch an Ressourcen etc. etc. Ausgeblendet bleiben somit die Verhältnisse, die Beziehungen der Produzenten, unter denen gewirtschaftet wird. In einer überwiegend privat organisierten Wirtschaft, in der zudem unabhängig voneinander gewerkelt wird, haben auch die privaten Interessen der (des) Eigentümer(s) Vorfahrt. Die Rede ist hier nicht so sehr von den kleinen Klitschen. Die Konflikte, die eine solche Ökonomie permanent hervorbringt, sind nicht mit mathematischen Modellen zu kompensieren oder gar zu beschreiben. Und mit Ethik siehe beispielsweise I. Kant, ist der Sache, wie die Geschichte lehrt, wohl auch nicht beizukommen.
Der Begriff „liberal“ bedeutete im 19. Jh. „Beschränkungen im (Außen-)handel aufheben. Da sind wir gegenwärtig mitten drin: Freihandel. Aber auch hier werden lediglich bestimmte (private) Interessen bedient.
v
Für mich steht längst außer Frage, daß unser derzeitiges Wirtschaftssystem (unsere Weltwirtschaft wie auch die meisten nationalen Wirtschaften) immer mehr aus dem Ruder laufen. Wie im Kleinen so auch im Großen schon seit Jahrhunderten immer deutlicher beobachtbar, versuchen privatwirtschaftliche Interessen sich gegenüber gemeinwirtschaftlichen (heute volkswirtschaftlichen) Interessen immer rigoroser durchzusetzen. Schon seit geraumer Zeit ist dabei ein enormer Qualitätssprung dabei zu beobachten, denn riesige transnational operierende Finanz- oder anderweitige Machtkonglomerate sind (eigentlich ganz offenkundig und längst durchaus auch für viele Laien durchschaubar) längst dabei, ganze Nationen und Staatsbündnisse mehr und mehr zu dominieren und damit gleichzeitig auch – mehr und mehr zu schwächen.
Es ist meines Erachtens auch absolut richtig, wenn der Autor des obigen Artikels schreibt, daß sich die zur Legitimation solchen Handelns herangezogene Mathematik jeweils beliebig entsprechend den gewünschten Ergebnissen gestalten läßt und dabei dann oberflächlich betrachtet oftmals außerordentlich schlüssig wirkt (was übrigens ebenso auch für viele andere naturwissenschaftliche Disziplinen – und „ganz nebenbei bemerkt“ z. B. genauso auch für die Juristerei gilt!).
Besonders hervorhebenswert bei all diesen tückischen Legitimationsversuchen ist dabei meines Erachten vor allem, wie konsequent dabei die Fragen der Nachhaltigkeit und andere ethische Fragen (natürlich auch die der Chancen- und anderweitigen Verteilungsgerechtigkeit) immer wieder ausgeblendet werden, sowie auch – wie unzählige technische Neuentwicklungen immer mehr auf solche Art und Weise konzipiert und auch vermarktet werden, so daß dann alles zusammen weiten Teilen der Bevölkerung als angeblich alternativlos verkauft werden kann. Wirklich ernsthafte Ethik hat in diesen wissenschaftlich angeblich so solide fundamentierten Bereichen nichts zu suchen; – eine kalte, von Menschen geradezu befreite Zahlenwelt herrscht dort vor und immer mehr Konzerne (wie auch ganze Regierungen) legen sich diesem verzerrten Wirklichkeitsbild zufolge auch allenfalls ein paar ethische Schönheitspflästerchen auf, um mit Ihrem so verbesserten Erscheinungsbild ihre Kunden wie auch Mitarbeiter ein wenig positiver zu stimmen.
Daß dies jedoch grundsätzlich falsch ist, beweist auf anschauliche Weise unter anderem das Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“, geschrieben von Tomas Sedlacek, als Taschenbuchausgabe erschienen bei Goldmann im Jahre 2013. – Es handelt sich dabei um eine kritische Beschreibung der Entstehungsgeschichte der Ökonomie, vom Altertum her bis in unsere Neuzeit. In diesem Buch wird deutlich, daß die Ethik beim Wirtschaften zu Beginn der Zivilisation sogar eine bedeutende Rolle gespielt hat, spätestens aber mit dem Einzug mathematischer Berechnungsmodelle immer mehr diskreditiert wurde und in vielen Fachkreisen inzwischen als „kaum noch relevant“ gilt. – Es ist insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch, daß den Menschen und dessen unmittelbar seinem Selbst entspringende Lebensbedürfnisse wieder ins Zentrum des Blickfeldes stellt und daher der schieren Anhäufung von Reichtum und Macht, was vielen Menschen heute oftmals geradezu zum Selbstzweck geworden ist ein klare Absage erteilt.
…fuer Oekonomen gilt der Grundsatz: Wenn ich als Werkzeug ausschliesslich einen Hammer habe sieht jedes Problem aus wie ein Nagel…