EGO beim Selbst denken

Frank Schirrmacher und Harald Welzer spielen Widerstand

Beide attackieren in ihren jüngsten Büchern den Neoliberalismus. Medien umjubeln sie als radikale Zeitdiagnostiker und Kapitalismuskritiker. Doch was präsentieren FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und der “Transformationsdesign”-Professor Harald Welzer uns da wirklich?

Von Theodor Marloth

Frank Schirrmacher, als FAZ-Herausgeber einer der mächtigsten Pressemänner im Land, hat angeblich eine Wandlung durchgemacht: Vom erzreaktionären Wirschaftsliberalen zum Freidenker, der linke Kritik nicht mehr als kommunistische Propaganda abtut (was an sich eine gute Einsicht wäre). Die Finanzkrise brachte die Erleuchtung, dass freie Märkte doch nicht zwangsläufig ins Paradies des “größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl” führen. Vielmehr kam es zum größtmöglichen Zahlenmüssen der Allgemeinheit für die größtmögliche Zahl von Bankern.

Das haben auch immer mehr FAZ-Leser unter finanziellen Schmerzen begriffen. Und bevor die nun alle ins Grübeln kommen, nicht mehr Kohl, sondern den Krisenmahner Altkanzler Schmidt anhimmeln, am Ende noch die FAZ ab- und stattdessen die FR bestellen, dreht Frank Schirrmacher hektisch rhetorische Pirouetten. Vom neoliberalen Saulus der Märkte zum libertären Paulus der Gesellschaftskritik?

Frank Schirrmacher: “Mein (Überlebens-) Kampf”

War vorher alles toll, was den Gewinnern und Leistungsträgern der Gesellschaft noch mehr Geld bringt, entdeckt der FAZ-Konsument in Schirrmachers neuem Buch “EGO. Das Spiel des Lebens” plötzlich die Schattenseiten des Neoliberalismus: Eine kalte, gnadenlose Theorie hinter den Märkten, die heute – digital implementiert – unser Denken infiziert. Und überall tobt der darwinistische Kampf der “Überlebensmaschinen” (Gene, Meme, Menschen, Märkte), wie einst der Kampf der Rassen beim Biologismus 1.0.

Heimtückisch firmiert die Lehre der Marktokraten unter dem drolligen Namen “Spieltheorie”, wurde aber im Kalten Krieg von einem militär-kapitalistischen Think Tank, der berüchtigten RAND-Corporation, entwickelt. (1) Einst für Militärstrategien der nuklearen Abschreckung ersonnen, machte sie sich bald an der Wall Street breit. Die Finanzkrise war aus Sicht der Spekulanten nichts weiter als ein Szenario dieser Spieltheorie. Doch im digitalen Datennetz und durch die Massenmedien erfasst sie auch unsere Hirne, diszipliniert und degradiert uns zu ökonomisch ferngesteuerten Robotern. Schirrmacher fragt entsetzt: “Was wird hier mit uns gespielt?”

Soweit dies alles aus linker Kritik am Kapitalismus altbekannt ist, wird es hier als plattes, bis zur Lächerlichkeit überzogenes Abziehbild präsentiert. RAND wurde bekanntlich von der US-Bomber-Industrie für das Schüren antisowjetischer Panik (McCarthy-Hexenjagd) und zur Steigerung der Militäretats installiert, um der Kriegstreiberei einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Schirrmacher löst sich jedoch nicht von der kritisierten Ideologie, sondern versucht ihr neues Leben einzuhauchen. Dabei stellte schon 1966 der RAND-Dissident Anatol Rapoport ernüchtert fest:

 “Wie die Ideen der primitiven Wirtschaftslehre, so stützen sich auch die Ideen des primitiven politischen Denkens auf eine grobschlächtige Interpretation des Existenzkampfes, was ebenso zu unerbittlichen Schlußfolgerungen über die Unvermeidbarkeit von Machtkämpfen geführt hat und folglich auch zu ihrer Rechtfertigung beiträgt.” A. Rapoport

Endgültig fällt die Maske des Kritikers, wenn Schirrmacher altbekannte und viel kritisierte Parallelen von Ökonomie und Biologie wiederkäut. Denn den kruden Biologismus neoliberaler Menschenbilder jubelt Schirrmacher zu mythischer Größe hoch: Unsere egoistischen Gene seien winzige Überlebensmaschinen in uns. Wir Menschen aber seien winzige Überlebensmaschinen in den gewaltigen Überlebensmaschinen der globalen Märkte. Das mystische Wunder der modernen Spieltheorie wirke sowohl in Darwins Selektion des Stärkeren als auch in seiner digital implementierten Version der gewaltigen Finanzmärkte und damit in uns allen. Damit salbt Schirrmachers Pseudo-Kritik das sozialdarwinistische Gesellschaftsmodell des Neoliberalismus zur wissenschaftlichen Wahrheit.

Was Spieltheorie eigentlich genauer ist, scheint Schirrmacher nicht im Detail verstanden zu haben: Eine mathematisierte Scholastik des Homo Ökonomikus, des Menschen als wandelnde Registrierkasse aus der BWL. Ein Ökonom namens Herbert Simon bekam einst den Nobelpreis für die bahnbrechende Entdeckung, dass der Mensch außerdem auch noch ein soziales Wesen ist (der Rest der Sozialwissenschaften wusste dies freilich schon immer, wird jedoch nicht mit Nobelpreisen bedacht).

So kreist eine bombastisch aufgeblähte Version linker Kritikfiguren an Neuro-Biologisten, Global-Playern und der globalen Gestapo der Netzwelten um Schirrmachers “Spiel des Lebens”. Fazit: Warum das alles geschieht, wer dafür verantwortlich ist und was man dagegen tun könnte – darüber weiß Schirrmacher angeblich nichts. Soll der von soviel Kritik aufgeschreckte Leser nicht weiter darüber nachdenken? Schirrmachers Rat: Einfach nicht mehr mitspielen! Aha. Rückzug ins Private. Bloß nicht politisieren. Auf der konkreten Verhaltensebene gibt es also keinen Unterschied zwischen der ach so radikalen FAZ-Kapitalismuskritik und dem üblichen Mediengetrommel des konservativen Blattes für die Sachzwänge des Neoliberalismus.

Harald Welzers “Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand” – Ein Wolf im Schafspelz?

Harald Welzer, Inhaber einer hippen Professur für “Transformationsdesign”, darf in den neuesten “Blättern” über 13 Seiten Werbung für sein neues Buch machen: “Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand”. Darin behauptet er, der Neoliberalismus sei keine Ideologie und auch ganz friedfertig. Denn er sei ja nur eine “Konsumismus”, der keine Feinde kenne, und alle nur mit seinen Produkten glücklich machen wolle.

Sein “selbst denken” besteht, ähnlich wie bei Schirrmacher, fast ausschließlich aus dem Abschreiben linker Kapitalismus- und Neoliberalismuskritik, die er aber als eigene Ideen ausgibt. Kern seines Konzepts ist das Totschweigen jeglichen Widerstands gegen die Globalisierung, ob nun von linken Ökologen, Attac, Sozialisten oder Piraten. Von all denen hat Welzer nie gehört, rezitiert aber ihre Kritik ohne Tiefgang, dafür mit viel Wortgeklingel, wie wir es schon von Ulrich Beck kennen. Wir alle sind Konsumisten, die unter “Sofortness” leiden, weil wir immer mehr auf Kredit kaufen wollen. Sein ökonomischer Beleg: Das Volumen der deutschen Konsumentenkredite stieg von “216 im Jahr 1999 auf 227 Milliarden Euro in 2009” (von Inflationsbereinigung hat Welzer offenbar ebenso wenig gehört, wie von Attac und der Tobin-Tax).

Laut Welzer “…befinden wir uns heute im postideologischen Zeitalter” des Konsumismus “und in dem sind alle Menschen gleich. Ihre Beglückung regelt ein anonymer Markt, und wenn auf diesem einige besser und andere schlechter davonkommen, so liegt das an den ewigen Gesetzen von Angebot und Nachfrage, nicht an historisch gewachsener Ungleichheit, an Machtvorsprüngen und –nachteilen, an Diskriminierung oder Gewalt und Unterdrückung. Deshalb werden Arme auch nicht als Feinde betrachtet, sondern als Konsumenten in spe.” (S.69)

Eine plattere Apologie des neoliberalen Marktradikalismus hat man selten gelesen, was erstaunt ist jedoch vor allem das Publikationsmedium. Die Blätter für deutsche und internationale Politik waren über Jahrzehnte ein Ort linker Kritik politischer Ökonomie, deren Opfern Welzer hier zynisches Hohnlachen entbietet. Kaum ein Leser dürfte dort Welzers Mär vom feindlosen Konsumismus schlucken, der seine Rohstoffe nicht durch neokoloniale Raubkriege gewinnt und trotz steigendem Überfluss in den verhungernden Slumbewohnern vor allem die “Konsumenten in spe” sieht.

Welzers universale Marktbeglückung, bei der eben zufällig mal einige schlechter davonkommen, was aber nicht an Macht und Ungleichheiten  liege, sollte Widerspruch wecken. Einige Blätter-Leser dürften um die nicht zufällig schlechteren Chancen eines hungrig zur Schule trabenden Hartz-IV-Kindes gegenüber dem von “historisch gewachsener Ungleichheit” begünstigten Millionärserben wissen, und sind auch sonst tiefgründigere historische Analysen gewöhnt als diese von Welzer: “Als der Ostblock so unspektakulär zusammengebrochen war, als hätte die Geschichte bloß einen Furz gelassen, startete die Globalisierung in Form der kapitalistischen Wachstumswirtschaft richtig durch” (S.71).

Auch sonst erschafft Welzer ein krudes Welt- und Menschenbild von der westlichen Überlegenheit, die von der Energie herkomme, die in Psychophysik und Psychoanalyse sichtbar, bei uns in Europa seit der Aufklärung den dynamischen Eroberertyp zum Heroen machte – und nicht den still meditierenden Mönch wie zuvor auf anderen Kontinenten. Welzer ergeht sich in endlosen Aufzählungen meist ökologischer Kritik, sein Lamento mündet dabei immer wieder in adressatlosem Moralisieren für “Gemeinwohlökonomie” und in einer Flut von Appellen an “uns alle”, inklusiv der Mahnung, die “Praxis des Widerstands” gelinge “nur praktisch, nie appellativ” (S.77). “Deshalb kommt es auf uns an. Ausschließlich auf uns.” Welzers genialer Lösungsvorschlag für die Probleme der Welt: “…die besseren Möglichkeiten der Zukunft gegen die schlechteren der Gegenwart durchzusetzen.” Darauf muss man erst einmal kommen.

 Artikelbild: Magnus Manske: “Frank Schirrmacher” (CC BY-SA 3.0)

Fußnote und Quellenangaben

(1) Aus der akademischen Welt bezog Schirrmachers Buch jüngst große Kritik von Clemens Knobloch, Professor für Germanistik in Wiesbaden. Knobloch sieht Schirrmacher als Angstmacher vor der “dämonischen Welt der Roboter”, verfällt jedoch in eine ablehndende Haltung beim Reizwort “RAND-Corporation” (“Verschwörungstheorie”). Der Name “Foucault” wird mit dem Reflex “Feuilleton” quittiert. Doch Machtstrukturanalyse (PSR) ist keine “Verschwörungstheorie” und Foucault längst als Klassiker des 20. Jahrhunderts kanonisiert.

Kees van der Pijl, Vordenker der Weltpolitik: Einführung in die internationale Politik aus ideengeschichtlicher Perspektive, Opladen 1996.

Knobloch, Clemens, Schirrmachers >Ego<: Was wird hier mir uns gespielt?, Blätter 5/2013, 97-102.

Anatol Rapoport 1966, Systemic and Strategic Conflict. What Happens When People Do Not Think –and When They Do, z.n. van der Pijl  1996, S.252.

Frank Schirrmacher, “EGO. Das Spiel des Lebens”, München 2013.

Harald Welzer, “Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand”, Frankfurt 2013.

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