Marktkonforme Demokratie

Zur FAZ-Feuilleton-Serie von Frank Schirrmacher

Wie zuvor bereits die NachDenkSeiten und der Spiegelfechter erachtet es auch le bohémien für angemessen, die Leser auf die bemerkenswerte Feuilleton-Serie der FAZ hinzuweisen, die sich gegen den von Angela Merkel geprägten Begriff der marktkonformen Demokratie stemmt. Damit nimmt die FAZ als bisher einziges Qualitätsmedium den Kampf gegen die wirklichen Bedrohungen für unsere ohnehin schon in der Krise befindlichen Demokratie auf. Zu Recht bemerkt Jens Berger, dass man dies dem verantwortlichen Herausgeber Frank Schirrmacher “gar nicht hoch genug anrechnen” könne. Schirrmacher ist jedoch “nur” fürs Feuilleton verantwortlich. Dagegen reihen sich das Wirtschafts- und Finanzressort der FAZ nahtlos in den Reigen neoliberaler Deutungsmuster ein.

Welche Macht der Finanzsektor und die “Märkte” mittlerweile auf die europäische Politik und die öffentliche Wahrnehmung haben, wird kaum deutlicher als an der befremdlichen Tatsache, dass die Finanz- und Systemkrise mittlerweile zu einer Staatsschuldenkrise umgeschrieben wurde. Nicht mehr die Regulierung und Besteuerung der Finanzmärkte steht im Mittelpunkt, sondern die vom demokratischen Entscheidungsprozess abgekoppelte Beruhigung eben jener spekulativen Märkte durch den Versuch, die anhand der Bankenrettungen ausufernden Staatsschulden mit rigorosen Sparpaketen und Privatisierungen unter Kontrolle zu bringen. Nur in diesem Kontext sind die mit den zweifelhaften Vorschusslorbeeren der Effizienz ausgestatteten Technokraten in Griechenland und Italien zu betrachten.

Auch le bohémien folgt gerne dem Aufruf Albrecht Müllers, die Artikel der Feuilleton-Serie weiterzuverbreiten und stellt hier die Liste ein, die auch auf den NachDenkSeiten veröffentlicht wurde:

Bürgerliche Werte – „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“
15.08.2011 · Im bürgerlichen Lager werden die Zweifel immer größer, ob man richtig gelegen hat, ein ganzes Leben lang. Gerade zeigt sich in Echtzeit, dass die Annahmen der größten Gegner zuzutreffen scheinen.
Von Frank Schirrmacher

Der griechische Weg – Demokratie ist Ramsch
01.11.2011 · Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft der Märkte und seit vierundzwanzig Stunden auch der Politik. Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.
Von Frank Schirrmacher

Euro-Krise – Rettet die Würde der Demokratie
04.11.2011 · Papandreou hält dem zerrissenen Europa den Spiegel vor. Ein Kommentar zu Frank Schirrmachers „Demokratie ist Ramsch“.
Von Jürgen Habermas

Eurokrise – Und vergib uns unsere Schulden
13.11.2011 · Jeder Umsturz, jede Revolution beginnt mit Schulden, welche die Gesellschaft nicht mehr bezahlen kann. David Graebers großes Buch „Debt“ zeigt uns, wo wir heute stehen. Eine Befreiung.
Von Frank Schirrmacher

Euro-Krise – Die Lüge von der Systemrelevanz
23.11.2011 Die Finanzwirtschaft hat die Politik im Griff – und warum? Weil jede Bank für „systemrelevant“ erklärt wird. System hat aber nur die Lüge, meint der Sozialdemokrat Albrecht Müller.
Von Albrecht Müller

Politik und Finanz – Was sind Schulden?
02.12.2011 · Die Weltgeschichte beweist: Interessen von Gläubigern sind nicht die der Demokratie. Bankenrettungen führen in die Oligarchie. Der Finanzsektor betreibt eine neue Art der Kriegsführung.
Von Michael Hudson

Oligarchie der Finanz – Der Krieg der Banken gegen das Volk
03.12.2011 Es gibt einen Weg, wie der Euro gerettet werden kann: Man muss nur der Europäischen Zentralbank erlauben, das zu tun, wofür Notenbanken gegründet worden sind: Geld drucken.
Von Michael Hudson

Schluss mit Mephistos Umverteilung!
08.12.2011 · Auch Eurobonds werden nicht helfen: Die Finanzkrise, von neoliberaler Politik verschuldet, greift vor allem den Mittelstand an – und damit die Demokratie. Aber noch ist es nicht zu spät.
Von Sahra Wagenknecht

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12 Kommentare zu "Marktkonforme Demokratie"

  1. Solveigh Calderin sagt:

    Hier wird deutlich, was praktisch heraus kommt:

    http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/a-803092.html

  2. Nach wie vor mangelt es nicht an marktkonformer Demokratie (was soll das sein – Demokratie nur dann, wenn sie den Markt nicht behindert?) sondern an demokratiekonformen Markt. Den wird es aber nie geben. Markt und Demokratie haben verschiedene Ansätze der Entscheidungsfindung (Markt: Gewinnmaximierung, natürlich auch zu Kosten sozialer Errungenschaften, Nachhaltigkeit, Ökologie, Lebensqualität, usw.; Demokratie: Die Umsetzung des Willens des Souveräns).

    Sogar der Begriff der m.D. ist blauäugig und naiv. Wir befinden uns im Trend zunehmenden Marktfaschismus, in denen sämtliche humanitären Belange den Marktgesetzen untergeordnet werden.
    Um diesen Marktfaschismus (metaphorisch gesprochen) wird dann eine Bretterbude zusammengenagelt und mit Kreide “Demokratie” draufgeschrieben.

    Denn, wer aus unserer politischen Kaste, fragt denn noch nach den Reaktionen des Souveräns statt nach denen des ‘Marktes’? Die Reaktionen des Souveräns werden nur dann gehört (und stumm gemacht) wenn sie bestehende Verhältnisse bedrohen: http://www.freitag.de/politik/1149-der-kommende-aufruhr

    Billiges Schmierentheater, dass alles. Wer glaubt, dass das, was wir erleben, Demokratie ist, der hält auch eine Kasperletheateraufführung für die realistische Abbildung der Welt…

  3. Die Konformität eines demokratisch verfassten Gemeinwesens welcher Grösse auch immer bedarf der Veankerung in der Verfassung und der darin dafür vorgesehenen Mitwirkung des Wahl- und Stimmkörpers..
    Sie kann nicht nach Bedarf von der Executivgewalt bzw. ivon deren Repräsentation verordnet oder auch nur postuliert werden.
    Die Wirtschaft ist – jedenfalls bisher und gegenwärtig noch – keinen demokratischen Regeln verpflichtet. Konformität einer Demokratie mit einer demokratieindifferenten oder Demokratie sogar abweisenden Kraft ist ein Widerspruch, ihre Erzwingung wäre Verrat an der Demokratie.
    Die Demokratie ist nicht ein Planschbecken für Selbstdarsteller, Weltverbesserer und Drachentöter; sie will Freiheit und Würde des Menschen und die friedliche und für alle gedeihliche Entfaltung des Einzelnen speziell vor Konformitätszwängen schützen. Solche Zwänge können leicht ins Totalitäre ausarten. Ein angebliches “Prinzip” wird aus einer momentanen, scheinbaren bzw. vorgegaukelten Dringlichkeit heraus kurzsichtig plausibel formuliert und über das Mensch Sein gestellt. Das wird rascher als man denkt zum endgültigen und nachhaltigen AUS für Demokratie.
    Die Wirtschaft ist aus einem einst reichlich Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen bietenden Betätigungs- und Erwerbsfeld überraschend schnell für massgeblich grosse Bevölkerungsteile zur existentiellen Bedrohung verkommen. Angesichts dieser Entwicklung Konformität dessen, was die individuelle Autonomie des Einzelnen gewährleisten soll, mit dem, was eben diese bedroht, kann nicht als Entwurf für künftige Kollektivität überzeugen. DAfür “Schulden” abzurackern ist keine menschenwürdige Perspektive.

  4. konyhakert sagt:

    zwei artikel möchte ich nachreichen, die ich ebenfalls für lesenswert halte (aber nach erscheinen dieses blogartikels publiziert wurden):

    1. aus dem “Freitag”: Schockstrategie für Europa: http://www.freitag.de/positionen/1150-schockstrategie-f-r-europa?
    2. “Taz”/ “Le Monde Diplomatique”: Bei den Frankfurtern: http://www.taz.de/Aus-Le-Monde-diplomatique/!83778/

    Beide Artikel zusammen ergeben ein ganz gutes Bild dessen, was uns einerseits gerade gescheiht udn andererseits, welche simple (und vernichtende) neoliberale Logik dem Ganzen zugrund liegt.

  5. Lommel sagt:

    Hat Hosenanzug-Merkel eine andere Lösung? Nein!
    Warum nicht? Weil Sie z.B. der Privatisierung der Rente zugestimmt hatte, die von Goldketchen-Gerd eingeführt wurde.
    Die Schulden anderer Menschen sind die Zinsen der Anleger.
    Die Schulden Griechenlands sind die Zinsen der Riestersparer und aller anderen Finanzprodukte.
    Somit hatten sich die Bankster, ganz langsam, den Staat BRD gekauft und als Kollateralbestellung gab’s Südeuropa dazu. Sozusagen als Häppchen zum Nachtisch.
    Hier ein Hafen, da ein Flughafen, Wasserversorgung und was nicht alles sonst noch vom griechischen Volksvermögen verhökert wird in diesen Tagen.
    Die Demokratie wird an die Märkte verkauft!
    Schande über diese Tänzer… Tänzer ums goldene Kalb!

    • Solveigh Calderin sagt:

      Diese Privatisierungsorgie ging in Deutschland los! Arbeitsamt, Post, Fernmeldewesen, Müllabfuhr, Wasser- und Abwasserwirtschaft – alles zutiefst staatlich Aufgaben wurden privatisiert (die Gewinne natürlich nur), aber von Steuergeldern bezahlt!

      Die Demokratie wird an die Märkte verkauft!
      Schande über diese Tänzer… Tänzer ums goldene Kalb!

      Sehe ich auch so. Sind diese wie im Wahn Tanzenden nicht dem Untergang geweiht?

      „Als nun Mose sah, daß das Volk zuchtlos geworden war – denn Aaron hatte sie zuchtlos werden lassen zum Gespött ihrer Widersacher –, trat er in das Tor des Lagers und rief: Her zu mir, wer dem HERRN angehört! Da sammelten sich zu ihm alle Söhne Levi. Und Moses sprach zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: ‚Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden und gehe durch das Lager hin und her von einem Tor zum andern und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten‘. Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte; und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann.“

      Aber wie bereits mehrfach gesagt:

      Nach diesen grausamen und menschenverachtenden Prinzipien lebt die Welt auch heute noch:
      Bringe Deinen Nächsten, Deinen Bruder, Deinen Freund um, wenn der nicht will, wie Du es ihm sagst, dass er solle!

      DAS kann kein Weg sein.

  6. Lena sagt:

    Interessant sind die neoliberalen Verdrehungen einiger Kommentatoren auf seinen Artikel “Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.”. Demnach sind wir längst im Sozialismus und in der Planwirtschaft angekommen. Solche Kommentatoren blenden völlig aus, wer denn ständig danach schreit, dass der Staat es richten möge auf Bürgers Kosten. Seien es die Banken, seien es Unternehmen, die so wenig Lohn/Gehalt zahlen, dass die Bürger aufstocken müssen, was zum Existenzminimum fehlt, sei es der Ruf nach Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, natürlich auch wieder auf Bürgers Kosten.

  7. Pistepirkko sagt:

    Lena,

    Du verdrehst was… es richtet kein Staat mehr irgendwas.
    Wie Solveigh schon sagte ist mehr als nur die Rente privatisiert worden. Alles was auf Deine Kosten gemacht wurde ist neoliberale Politik.
    Und glaube mir… Irgendwie erinnert mich diese Zeit an die Schriften des alten Mannes aus Trier. Es ist fast schon so gekommen wie er es vorausahnte.
    Zum Beispiel schon damals Massenarbeitslosigkeit als Reserveheer für die Kapitalisten vorausgesagt.

  8. Frank Powers sagt:

    Hey, was ist los? Bohemien tot? Nichts Neues in diesem Jahr?

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