Sinnlose Kraftmeierei

Michael Hardt und Antonio Negri hauen sich in ihrem Buch “Demokratie” die Welt zurecht und sehen nichts als glanzvolle Siege der Linken. 

Antonio Negri und Michael Hardt, Bild: DarkMoMo (CC BY-SA 3.0)

Von Robert Misik

In der an Eigenartigem nicht armen Welt des linken Radikalismus-Jetsets sind sie zwei besonders eigenartige Nummern: Michael Hardt und Antonio Negri. Hardt ist ein amerikanischer Literaturwissenschaftler mittleren Alters an der Duke-University, Negri der große alte Mann des italienischen Linksradikalismus, dessen Rolle als Unterstützer der “Roten Brigaden” nie vollends geklärt wurde, ihm aber Jahre im Gefängnis einbrachte. Dieses unwahrscheinliche Team hat in den Nullerjahren das nicht weniger unwahrscheinliche Wunder zuwege gebracht, mit sperrigen Theorie-Büchern, die den akademischen Jargon mit dem romantischer Aufstand-Erweckungsprosa vermischten, vieldiskutierte Bestseller zu landen, die sie zu Stars des Philosophie-, Kunst- und Radical-Chic-Betriebes machten.

Um hier nicht ungerecht zu erscheinen: der Glanz, der von Büchern wie “Empire” und “Multitude” ausging, bestand darin, dass sie, mit einem Überschuss von romantischem Brimborium zwar, etwas sichtbar machten. Das “Empire” der kapitalistischen Gegenwart herrscht nicht allein und primär, indem es unterdrückt, sondern sich in vielen Kapillaren alle und jeden anschließt, indem es schier “besteht”. Die “Macht” ist aber kein Diktat einer lokalisierbaren, oder gar einzigen “Macht”. Und sie produziert im Umkehrschluss Widerstände. Überall fröhliche, kreative, eigensinnige Subjekte, die “ihr Ding” machen und diese Macht infrage stellen – die “Multitude” eben, die Vielheit eigensinniger Subjekte. Das war, kurz gesagt, die Botschaft, die sie auf insgesamt mehreren tausend Seiten entfalteten, und die deshalb auch so eine Anziehungskraft hatte, weil sie einen optimistischen Sound in die linke Depression brachte.

Ihr schmaler Band “Demokratie. Wofür wir kämpfen” schließt daran an, ist aber von ganz anderem Zuschnitt. Keine große Studie, sondern schlankes, atemloses Manifest. Die Autoren hauen sich die Welt mit der Axt zurecht, sodass diese für sie folgendes Bild liefert: Überall eine sterbende Ordnung des Kapitals und der ausgehöhlten Demokratie (oder der Diktatur), eine leblose Parteienwelt und erstarrte repräsentative Demokratie, der sich mächtige Bewegungen der Vielen entgegenstellen: Indigene und Arme in Lateinamerika, die Occupy-Wall-Street-Aktivisten in New York, Gewerkschafter in Wisconsin, Demokratiebewegungen in Nordafrika und den arabischen Ländern, Empörte in Spanien, Plünderer in Großbritannien. Irgendwie ist das aus ihrer Sicht alles eins, ein Urteil, gegen das sie sich aber sofort mit der Behauptung immunisieren, dass das, was im Grunde alles Eins ist, natürlich aus der Pluralität der Vielheit besteht. Die Sachen sind identisch in ihrer Differenz. Da soll noch jemand sagen, dass solche Dialektik keine praktische Sache ist.

Das Ermüdende an diesem Buch ist gewiss seine Kraftmeierei. Die sozialen Bewegungen, “sind bereits auf den Straßen, besetzen Plätze und stürzen nicht nur Herrscher, sondern entwerfen neue Zukunftsvisionen”, wird hier proklamiert, “sie sind nicht etwa so stark, obwohl sie keine Anführer haben, sondern genau deshalb.” Manchmal fühlt man sich an die Beschwörungsformeln irgendwelcher Psycho-Sitzungen erinnert, in denen die Gurus zerbrechliche, von Selbstzweifel gebeugte Menschen anleiten, im Chor zu rufen: “Ich bin stark!” Die große Mehrheit der Bürger diese Welt besteht aus Sicht der Autoren aus vier Typologien, die allesamt Opfer des Systems sind: aus den Verschuldeten, den Vernetzten, den Verwahrten und den Vertretenen.

Dass Occupy Wall Street mittlerweile versandet ist, fiel Negri und Hardt in ihrem Studierstübchen nicht einmal auf, und wahrscheinlich ist es ihre Theorie selbst, die ihnen einen klaren Blick verstellt: denn ansonsten hätten sie sich ja die Frage stellen müssen, ob nicht gerade das völlig ergebnislose Versanden solcher Bewegungen auch in ihrer Abneigung besteht, tragfähige Organisationen mit einem Mindestmaß an Repräsentation, Arbeitsteilung und, ja, sagen wir das böse Wort, auch Anführern zu etablieren, die ihre Anliegen in eine breite Öffentlichkeit kommunizieren können und die den langen Atem haben, den man braucht, wenn man dicke Bretter bohren will. Sie hätten also die Frage stellen müssen, die etwa Le Monde Diplomatique unlängst aufwarf: “Warum ist sie (die OWS-Bewegung) gescheitert und hat alle zunächst so hoffnungsfrohen Erwartungen krass enttäuscht? Warum versinken selbst die populärsten Aktionen der Linken früher oder später in einem Gebräu aus akademischer Rhetorik und sinnloser antihierarchischer, antietatistischer Kraftmeierei?”

Dabei ist vieles, was die beiden beschreiben und andeuten, nicht falsch, manches bedenkenswert, und einiges wichtig. Ausgehend von einem Gedanken Condorcets und Thomas Jeffersons formulieren sie, dass “jede Generation ihre eigene Verfassung aufstellen” müsse – und dass dies heute besonders gilt, da unsere demokratischen Institutionen zwar formal funktionieren, aber längst ein tiefer Graben zwischen den Regierungsorganen und den Menschen aufgeht. Das repräsentative System ist für sie das “Ancien Regime” von heute. “Die Vertretenen wissen nur zu gut, dass die Strukturen der Volksvertretung längst in sich zusammengebrochen sind, doch sie sehen keine Alternative und verspüren nichts als Angst.” Von den Parteien fühlen sich die Bürger verprellt, und gerade die linken Parteien wissen nicht mehr, wie weiter, und werden zu “Jammerparteien”, die den Neoliberalismus, die Macht der Banken, die Gier der Reichen und was auch immer beklagen, aber keine Idee haben, wie sie die politischen Leidenschaften der einfachen Leute beflügeln könnten, die notwendig wären für ein neues demokratisches und egalitäres Arrangement. Das Buch ist ein Plädoyer für Selbstregierung, oder weniger hochtrabend gesagt, für neue Formen direkter Demokratie. Die Aversion gegen die Repräsentation übersetzt sich für die Autoren auch in eine Absage an den alten Etatismus der Linken, eine Abneigung, die auch nicht mehr ganz neu ist, aber doch in hübschen Formulierungen kulminiert: “Jede gesellschaftliche Aufgabe, die bislang vom Staat übernommen wird, aber genausogut gemeinsam übernommen werden könnte, sollte auch ins Gemeinsame überführt werden.”

Nun gut, warum nicht – demokratische Elternabende im Kinderladen haben zwar oft etwas Nervtötendes, aber auch die staatliche Schulbürokratie hat ihre schlechten Seiten. “Das Öffentliche als Obrigkeit, die über die Gesellschaft gestellt wird, handelt unweigerlich bürokratisch und irrational, blind und erstickend” – Ja, daran ist schon etwas Wahres.

Mit all dem haben die Autoren recht, und sie haben natürlich auch recht damit, dass die verschiedenen linken und rebellischen Bewegungen ein wichtiger Hoffnungsschimmer sind. Doch sie sind nicht die Lösung für das Problem der Linken, sondern möglicherweise auch selbst ein Aspekt des Problems. Die Schwäche progressiver Parteien und Regierungen sowie die Unfähigkeit von Bewegungen und Aktivisten, gemeinsam mit Realismus, Elan und langem Atem Ziele zu verfolgen, sind korrespondierende Aspekte eines Problemzusammenhangs. Wer ernsthaft glaubt, das bunte Gewurle von Bewegungen, die heute entstehen und morgen verpuffen, wäre auch nur annähernd die Kraft, die eine völlig andere Konfiguration herbeiführt, der muss sich fragen lassen: Wie, bitte schön, heißt der Planet, auf dem ihr lebt?

Michael Hardt / Antonio Negri: Demokratie. Wofür wir kämpfen. Campus Verlag. 127 Seiten. 12,90,- Euro

Der Artikel erschien auf misik.at und steht unter einer CC-Lizenz.

Artikelbild: DarkMoMo (CC BY-SA 3.0)

Print Friendly, PDF & Email
Filed in: Diskurse Tags: , , , ,

Ähnliche Artikel:

<span style='font-size:16px;letter-spacing:1px;text-transform:none;color:#555;'> De Saint Victors „Die Antipolitischen“</span><br/>Dystopie direkte Online-Demokratie De Saint Victors „Die Antipolitischen“
Dystopie direkte Online-Demokratie
Eloquent vertuschte Überforderung Eloquent vertuschte Überforderung
Die Moralität des Ungehorsams Die Moralität des Ungehorsams

Einen Kommentar hinterlassen

Kommentar abschicken

le-bohemien