Der Demokratie Schaden

– des Bloggers Freud’

Von Roberto J. De Lapuente

Was für ein grandioser Glücksfall! Arbeit ist gesichert! Material für Texte, für Polemiken, für Glossen. Ein passender Präsident für diese Republik. Ein Pfaff’, der “Freiheit in Verantwortung” als Lebensmotto führt, der Freiheit jedoch nicht an Leben in Würde orientiert, sondern an der Freiheit, sich eine alternative Brücke aussuchen zu dürfen, unter denen man Obdach findet. Besser konnte sich die Junta der vier etablierten Parteien gar nicht absprechen. Niemand sonst könnte den Zeitgeist adäquater vertreten als der Theologe der Herzlosigkeit – er erhebt seine an Ketten gelegte Freiheitsrhetorik ins Metaphysische, entkleidet sie von sozialen Kategorien. Freiheit ist nur Freiheit, wenn sie nichts kostet – Arbeitslose und Niedriglöhner können demnach nur Freiheit beanspruchen, wenn sie unentgeltlich eingefordert wird. Der Sozialstaat an sich ist somit letztlich keine Schmiede der Freiheit, sondern ein unfreiheitliches Schattenreich.

Der Mann, der fünfzig Jahre lang an keiner freien Wahl teilnehmen konnte, der aber beharrlich auf freie Wahlen hoffte, der aus seinem theologischen Bunker heraus dem Endsieg harrte, sei ein leuchtendes Freiheitsbeispiel. Der Endsieg der Freiheit, wie er meint – der Endsieg des Kapitalismus: was er wirklich meint! Den Bunker gab es nie, der fast-schon-präsidiale Theologe fügte sich in die gefühlten “killing fields der DDR”, sprich: in das System – und vergünstigt wurde dieses Arrangement auch noch. Davon weiß er heute nichts mehr. Wie gesagt, fünfzig Jahre wartete er auf eine freie Wahl – und nun wird er als Sieger aus einer Wahl hervortreten, in der es entweder keinen Gegenkandidaten oder lediglich einen Alibi-Kontrahenten gibt. Der Triumph der freien Wahlen! Und besonders eindrücklich würde dieser historische Sieg der freien Wahl, wenn sich nun die Grünen einen Gegenkandidaten nur deshalb aus den Rippen schälten, damit die Bundesversammlung nicht gänzlich zur Farce würde – womit sie natürlich erst recht zu einer solchen geriete.

Demonstranten sind kindisch, meinte er mal – wer gegen die kapitalistische Wirklichkeit steht, der ist infantil. Freiheit heißt auch, sich die Freiheit zu nehmen, die Knechtschaft des Kapitals frisch und frei zu akzeptieren. Die Freiheit, die dieser Pastor predigt, beinhaltet die Verantwortung – sie ist nur der kapitalistischen Ökonomie verantwortlich. Nicht ethische Standards, nicht unveräußerliche Rechte, nicht moralische Imperative sind es, die die Konturen seines Freiheitsbegriffes nachzeichnen, sondern wirtschaftliche Gespinste – er ist die “antipolitische Devotheit”, die die unterwürfige Haltung vor der staatlichen und wirtschaftlichen Obrigkeit als Freiheit verklärt. In diesem Sinne ist er tief lutherisch geprägt – einen auf moralisch machen, auf Hier stehe ich, ich kann nicht anders! und andererseits die Bauern schelten, weil sie sich gegen das fürstliche Unrecht, das an ihnen begangen wird, auflehnen.

Kein Kandidat könnte diese Epoche der kalkulierten Alternativlosigkeit so trefflich abbilden, wie dieser Mann – und seine Nominierer. Die vier Parteien, die einig an einem Tisch sitzen und es als großen Erfolg verbuchen, dass es eigentlich nicht mal einen Gegenkandidaten braucht, sie sagen mit der Nominierung dieses einzelnen Kandidaten, dass There is no alternative! eine Konstante ihres politischen Wirkens ist. Gleichwohl ist ihr Kandidat einer, der Alternativlosigkeit und die stille Hingabe zu ihr, als einen Akt freiheitlich gesinnter Zivilcourage und unbedingter Bürgerpflicht, postuliert. Diesen Glücksfall, den die vier Parteivorsitzenden in die Kameraobjektive lächelten, er zeichnet das Pech nach, das die Demokratie ereilte. Ein elitärer Theokrat, der zum Präsident der Oberschichten taugt, installiert von den Machern einer Zeitung, die vorgibt, die des kleinen Mannes zu sein, die aber erbarmungslos die Interessen der Wirtschaft vertritt: Was soll daran ein Glücksfall sein?

Und doch ist er es. Denn er liefert Schreibstoff. Er ist die Projektionsfläche der Zustände in diesem Land – und schon die erste Ansprache dieses sonderbaren Freiheitsapostels wird Grund zur publizistischen Arbeit bieten. Blogger und linke Publizisten halten sich nun erschrocken den Kopf – aber sie dürfen auch lächeln, denn es gibt eine neue offizielle Charaktermaske, an deren Nase es sich zu ziehen lohnt. Der, der uns alle diese ominöse, ins Metaphysische gleitende Freiheit vorgaukelt, er ist die zerknautschte Karikatur einer Demokratie, die es nur noch als Karikatur gibt.

Nun ist jener Präsident so gut wie gemacht, der willfährig die Gesetzesvorlagen unterschreibt, die in Planung stehen. Einer, der Freiheit als Knechtschaft an einer nicht gar zu fest gezurrten Kette definiert – einer, der sich selbst als oberste moralische Instanz ohne Fehl und Tadel sieht – einer, der in seiner Tätigkeit in der Behörde, die im Volksmund seinen Namen trug, kleine und oft unschuldige IM jagte, wie weilandt Torquemada Ketzer. Die Demokratie könnte daran Schaden nehmen – wenn sie nicht schon ein Schadensfall wäre.

Der Kommentar erschien auf Ad Sinistram

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6 Kommentare zu "Der Demokratie Schaden"

  1. Was wollen wir klagen? Hat nicht jedes Volk die Regierung, das es verdient. Gut, wir dürfen zwar nicht selbst den Präsidenten wählen, aber dafür haben wir ja Wahlleute, den wir vertrauen, womit wir dann indirekt auch den Präsidenten verdienen. Ich hatte schon darüber geschrieben, dass oben in einer Hierarchie zumeist die Psychopathen angelangen, da diese in einer Ellenbogengesellschaft ohne eine Empathie und ein Gewissen es leichter haben, bis dorthin zu gelangen.
    Dieser Tage gibt es inzwischen auch noch ein Buch, dass sich damit auseinandersetzt, dass wir inzwischen auch noch das Dilettantentum dort oben pflegen lassen. Sie haben zwar alle keine Ahnung, er sind überzeugt, dass sie es schon richten werden. Einer mehr oder weniger wird dann schon nicht auffallen oder?
    Was aber wirklich bedrückend ist, ist die Tatsasche, dass wir allein zwar intelligent sein mögen, alle ae zusammen auf dieser Welt eine RIESENBLÖDHEIT pflegen. Oder lebten wir sonst nicht in einer Welt ohne Unterdrückung und damit im Frieden miteinandern?
    Warum betreiben wir eine so RIESENBLÖDHEIT und quälen uns gegenseitig?

  2. Wie kann man etwas Schaden, dass garnicht existiert ?
    Wir sind Kühe, die alle 4 Jahre wieder über eine neue Zaunfarbe abstimmen. Meinungsfreieheit ist eine illusion, genau wie eine transparente Regierung.

  3. Roger Lecucq sagt:

    Ein Stinkstiefel namens Gauck
    Kolumne von Deniz Yücel aus der TAZ vom 20.02.2012
    Jetzt also der. Jetzt bekommen die deutschen Medien den, den sie vor anderthalb Jahren in seltener Einmütigkeit unbedingt haben wollten: “Der bessere Präsident” titelte damals der Spiegel, “Yes we Gauck”, ergänzte extrem kreativ die Bild am Sonntag, und auch in der taz fragten die meisten Kollegen nicht, welcher Teufel die Grünen und mehr noch die SPD geritten hatte, diesen eitlen Zonenpfaffen aufzustellen, sondern waren pikiert, dass die Linkspartei Joachim Gauck die Gefolgschaft verweigerte.
    Einer erklärte den Genossen, warum es “klug und souverän” sei, Gauck zu wählen, ein anderer meinte gar, die Linke “sollte diesen Mann verehren”. (Nee, das waren nicht die, die noch vor ein paar Wochen Christian Wulff als Unsrigen herzten, ehe sie ihn als Raffke verabschiedeten; das waren andere.)
    Mag Gauck durch seine Wortmeldungen zu Thilo Sarrazin (fand er gut) und zur Occupy-Bewegung (fand er doof) seither in dieser Zeitung und ihrem Milieu einiges an Sympathien verloren haben, der “Präsident der Herzen” (Bild, Spiegel, Solinger Tageblatt) ist er geblieben. Fragt sich bloß: Warum eigentlich?
    Zwischen Walser, Steinbach und Effenberg
    Als Pfarrer mit Reiseprivilegien begann Gauck ziemlich genau zu dem Moment lautstark gegen die DDR zu protestieren, als dies nichts mehr kostete, um sich hernach mit umso größerem denunziatorischen Eifer an die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu machen. Dabei trieb ihn keineswegs ein sympathisches grundlegendes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen im Allgemeinen und Geheimdiensten im Besonderen, das zuweilen unter amerikanischen Konservativen zu finden ist.
    Nein, Gauck ging es bloß um schnöden, gutdeutschen Antikommunismus. So meinte er im Sommer vorigen Jahres zur Beobachtung von Politikern der Linkspartei: “Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt.” Alles, was Joachim “Behörde” Gauck an Intellektualität, Freiheitsliebe und kritischem Geist zu bieten hat, steckt bereits in diesen zwei Sätzen.
    Freilich hat sich Gauck nicht erst nach seiner gescheiterten ersten Kandidatur ideologisch zwischen Martin Walser, Erika Steinbach und Stefan Effenberg verortet. Ein reaktionärer Stinkstiefel war er schon vorher.
    So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit “allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen”, will das “normale Gefühl” des Stolzes aufs deutsche Vaterland “nicht den Bekloppten” überlassen, missbilligt es, “wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird”, besteht darauf, dass der Kommunismus “mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus”, trägt es den SED-Kommunisten nach, das “Unrecht” der Vertreibung “zementiert” zu haben, indem “sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten”, und fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, “ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen”.
    Einem Apparatschik wie Wulff hätte man es hundertmal um die Ohren gehauen, Leichenberge mit Aktenbergen zu verwechseln oder alleinerziehenden Stützeempfängerinnen mangelnden Schwung vorzuhalten. Gauck aber kann sich solchen Schmarren erlauben, weil er nicht im Verdacht steht, die Parteiendemokratie zu vertreten. Und das gereicht in Deutschland, wo die Existenz unterschiedlicher politischer Überzeugungen und konträrer gesellschaftlicher Interessen als schädlich gilt und ihr offener Konflikt als anrüchig, einem immer noch zum Vorteil.
    Der ideelle deutsche Gesamtpräsident
    Deswegen merkt auch kaum jemand, wie viel antidemokratisches Ressentiment im Gerede vom “Konsenskandidaten” steckt, das Gauck ins Amt tragen wird; wie viel von der autoritären Sehnsucht wenn nicht nach dem Führer, so doch wenigstens nach dem Kaiser, der mit sonorer Stimme und nachdenklicher Miene vermeintlich tabubrecherische, in Wahrheit aber gefällige Ansichten zum Besten gibt.
    Kurz: Die Personalie Gauck zeigt, was dabei rauskommt, wenn in diesem Land so gut wie alle einer Meinung sind (und die übrigen aus den falschen, weil ostalgischen Gründen einer anderen): nichts Gutes. Aber Landestypisches. So bekommt dieses Land demnächst einen Winkeaugust, der die Vorzüge seiner Vorgänger in sich vereinigt: so freiheitsliebend wie Carstens, so pastoral wie Rau, so dünkelhaft wie Weizsäcker, so marktgläubig wie Köhler, so kernig wie Herzog, so geschmackvoll wie Scheel, so alt wie Heuß, so irgendwas wie Wulff und – in den Augen seiner Fans – so integer wie Heinemann. Schließlich, mit etwas Glück: so lustig wie Lübke. Der ideelle deutsche Gesamtpräsident.
    Besser: Besser geht’s nicht. Schade ist nur, dass er nicht gleich am Donnerstag auf der Gedenkfeier für die Opfer der Nazimorde anstelle von Wulff in die Bütt gehen wird. Andererseits: Der nächste Dönermord oder eine andere Gelegenheit, um Ausländern die Meinung zu geigen, Verständnis für die Überfremdungsängste seiner Landsleute zu zeigen, die Juden in die Schranken zu weisen und klarzustellen, dass Nationalsozialisten auch nur Sozialisten sind, findet sich ganz bestimmt.

  4. dieterbohrer sagt:

    Ich bin schon erschüttert, einräumen zu müssen, dass solch ein Text 67 Jahre, nachdem ich aus der kurzen amerikanischen Gefangenschaft wieder in dem Trümmerhaufen Berlin als meiner Heimat ankam, dass solch ein Text heutzutage die Verhältnisse tatsächlich angemessen widerspiegelt. Eigentlich heisst das, dass mein Jahrgang im Ganzen vollkommen versagt hat. Ich schäme mich.

  5. Peter Krauß sagt:

    Dieser ehemalige “IM-Jäger” und “Konsenskanditat” Gauck ist mir im Herzen zuwieder. Ich hoffe doch, dass die “Qualitätsmedien” seine DDR-Vergangenheit bis in die Tiefen ausleuchten werden. So manche schöne Geschichte wird sich da finden. Es war nach dem Ende der DDR oder einige Monate
    zuvor relativ leicht sich als “Bürgerrechtler” darzustellen. Es konnte auf jeden Fall weniger passieren als in den Jahrten der Gesinnungsschnüffelei. Für mich ist es egal, wer mich in diesem Land als “Frühstücksdirektor” vertritt, voll des Ekels habe ich mich schon lange von Politik und Parteien abgewandt und versuche denen, die am reich gedeckten Tisch nach unten . fallen zu helfen. Ohne pastorale Worte!

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